Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_166/2025 vom 15. Juli 2025

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Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) vom 15. Juli 2025, Az. 2C_166/2025, befasst sich mit dem Widerruf einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA und der Frage eines nachehelichen Härtefalls gemäss Art. 50 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) sowie der Anwendbarkeit von Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und Art. 3 der Kinderrechtskonvention (KRK).

1. Sachverhalt und Prozessgeschichte

Die Beschwerdeführerin 1, A.A._, eine chilenische Staatsangehörige, heiratete 2020 in Bulgarien einen bulgarischen Staatsangehörigen. Nachdem ihr Ehemann im September 2021 aus beruflichen Gründen in der Schweiz Wohnsitz genommen und eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA erhalten hatte, folgte ihm A.A._ im Oktober 2021 und erhielt ebenfalls eine EU/EFTA-Aufenthaltsbewilligung. Im Juni 2022 reiste ihre voreheliche Tochter, die Beschwerdeführerin 2, B.A._, in die Schweiz ein und wohnte bei ihrer Mutter. Die Eheleute trennten sich 2023, woraufhin A.A._ mit ihrer Tochter in den Kanton Zürich zog.

Das Migrationsamt des Kantons Zürich widerrief am 24. Januar 2024 die Aufenthaltsbewilligung von A.A._ und wies sie aus der Schweiz weg. Die dagegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel von A.A._ und B.A.__, einschliesslich der Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, blieben erfolglos. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 6. Februar 2025 wurde Beschwerde an das Bundesgericht geführt.

2. Eintretensvoraussetzungen und Kognition des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist im Ausländerrecht unzulässig, wenn sie eine Bewilligung betrifft, auf die weder Bundes- noch Völkerrecht einen Anspruch einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Die Beschwerdeführerin 1 berief sich vor Bundesgericht in vertretbarer Weise auf einen nachehelichen Härtefall im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG, der bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Rechtsanspruch begründen würde. Insofern war die Beschwerde zulässig. Hingegen wurde die Beschwerde als unzulässig erachtet, soweit sich die Beschwerdeführerinnen auf Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG beriefen, da auf die Erteilung einer Bewilligung gestützt auf diese Bestimmung kein Rechtsanspruch besteht (Art. 83 lit. c Ziff. 5 BGG; vgl. BGE 145 I 308 E. 3.3.1).

Hinsichtlich der Kognition wies das Bundesgericht darauf hin, dass es seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde legt, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, diese Feststellungen sind offensichtlich unrichtig (willkürlich) oder beruhen auf einer Rechtsverletzung (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerinnen kritisierten zwar die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz, legten jedoch keine substanziierte Rüge dar, die eine Willkür hätte aufzeigen können. Ihre Vorbringen genügten der qualifizierten Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG) nicht. Folglich blieben die Sachverhaltsfeststellungen des Verwaltungsgerichts für das Bundesgericht verbindlich.

3. Materielle Prüfung des Rechtsanspruchs

Der Kern des Rechtsstreits bildete die Frage, ob die Beschwerdeführerin 1 einen Rechtsanspruch auf Verbleib in der Schweiz hat. Es war unbestritten, dass die Ehe mit dem EU-Bürger inhaltslos geworden war und die ursprüngliche Aufenthaltsbewilligung von A.A.__ insofern ihren Zweck verloren hatte, was grundsätzlich einen Widerrufsgrund darstellt (Art. 23 Abs. 1 der Verordnung über den freien Personenverkehr [VFP]).

3.1. Anwendbarkeit der revidierten Art. 50 AIG Das Bundesgericht merkte an, dass Art. 50 AIG per 31. Dezember 2024 revidiert wurde und das angefochtene Urteil nach diesem Datum erging. Die Frage, ob die kantonale Gerichtsbehörde verpflichtet war, das neue Recht anzuwenden, wurde offen gelassen, da die Beschwerdeführerinnen in diesem Punkt keine Rügen erhoben und es für den Ausgang des Verfahrens ohne Bedeutung blieb, ob Art. 50 AIG in der alten oder neuen Fassung angewendet wurde. Dies impliziert, dass die wesentlichen Kriterien für einen Härtefall in beiden Fassungen ähnlich gewichtet werden.

3.2. Bezug zur EU-Staatsangehörigkeit des Ehemanns Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts können sich Ehegatten von aufenthaltsberechtigten EU-Bürgern auf Art. 50 AIG berufen, solange sich der Ehegatte mit EU-Staatsangehörigkeit in der Schweiz aufhält (BGE 144 II 1 E. 4). Da der Ehemann der Beschwerdeführerin 1 nach wie vor in der Schweiz weilte, waren diese Voraussetzungen erfüllt, und A.A.__ konnte grundsätzlich einen Anspruch aus Art. 50 AIG ableiten.

3.3. Prüfung des Bewilligungsanspruchs nach Art. 50 Abs. 1 AIG

  • Art. 50 Abs. 1 lit. a AIG (3-Jahres-Frist): Es war unbestritten, dass die in der Schweiz gelebte Ehegemeinschaft weniger als drei Jahre gedauert hatte. Folglich konnte kein Bewilligungsanspruch aus Art. 50 Abs. 1 lit. a AIG abgeleitet werden.

  • Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG (Wichtige persönliche Gründe / Härtefall):

    • Eheliche Gewalt: Im kantonalen Verfahren wurde von A.A.__ geltend gemacht, sie sei Opfer ehelicher Gewalt geworden. Die Vorinstanz kam jedoch zum Schluss, die entsprechenden Vorbringen seien unsubstanziiert und unbelegt. Das Bundesgericht bestätigte diese Feststellung, da die Beschwerdeführerinnen keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung aufzeigten und ihrer qualifizierten Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2, Art. 106 Abs. 2 BGG) nicht nachkamen. Es war auch nicht ersichtlich, dass die Vorinstanz den Rechtsbegriff der häuslichen Gewalt falsch ausgelegt hätte (Verweis auf BGE 138 II 229 E. 3.2.1). Die Beschwerde war in diesem Punkt offensichtlich unbegründet.
    • Allgemeine Kriterien für einen nachehelichen Härtefall: Bei der Beurteilung wichtiger persönlicher Gründe sind sämtliche Aspekte des Einzelfalls zu berücksichtigen (BGE 138 II 229 E. 3.1), namentlich die Integration, Familienverhältnisse, Aufenthaltsdauer, Gesundheitszustand, finanzielle Verhältnisse und die Möglichkeit der Wiedereingliederung im Herkunftsland (Art. 31 Abs. 1 VZAE). Entscheidend ist, ob die persönliche, berufliche und familiäre Wiedereingliederung im Herkunftsland als stark gefährdet zu gelten hat, nicht ob ein Leben in der Schweiz einfacher wäre. Ein Härtefall setzt eine erhebliche Intensität der Konsequenzen voraus.
    • Anwendung auf den vorliegenden Fall:
      • Aufenthaltsdauer und Integration: Die Vorinstanz stellte fest, dass die Beschwerdeführerin 1 zum Entscheidzeitpunkt etwas mehr als drei Jahre in der Schweiz war, die Beschwerdeführerin 2 rund zweieinhalb Jahre. Eine besonders ausgeprägte soziale und sprachliche Integration wurde verneint. Die Tatsache, dass A.A.__ erwerbstätig war und strafrechtlich unauffällig blieb, wurde als nicht ausreichend für einen Härtefall erachtet.
      • Wiedereingliederung im Herkunftsland: Die Vorinstanz erwog zutreffend, dass die Beschwerdeführerinnen den Grossteil ihres Lebens in Chile verbracht hatten und dort über ein familiäres Umfeld verfügten. Eine zweite Tochter der Beschwerdeführerin 1 lebe bei der Grossmutter in Chile. Dies sprach gegen unüberwindbare Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung.
      • Gesundheitliche Aspekte: Die Vorinstanz hielt fest, dass es für A.A.__ möglich sei, eine in der Schweiz begonnene Psychotherapie in Chile fortzuführen. Das Bundesgericht bestätigte die Praxis, wonach schwere gesundheitliche Probleme nur dann einen Härtefall begründen, wenn eine Rückkehr ins Herkunftsland aus medizinischer Sicht unhaltbar erscheint, was wesentlich von den Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsland abhängt (BGE 139 II 393 E. 6). Ein höherer Standard in der Schweiz genügt nicht, wenn die Versorgung im Heimatland gewährleistet ist.
      • Kindeswohl (B.A.): Die Beschwerdeführerin 2 reiste im Alter von knapp 13 Jahren ein, sodass ihre schulische und persönliche Sozialisierung überwiegend im Ausland stattfand. Die Vorinstanz hatte festgestellt, dass in Chile eine Schwester und eine Grossmutter leben, was einen familiär-sozialen Empfangsraum im Herkunftsland darstellt. Das Bundesgericht befand, die Vorinstanz habe das Kindeswohl ausreichend in die Beurteilung einbezogen.
    • Art. 8 EMRK und Art. 3 KRK: Das Bundesgericht stellte fest, dass weder Art. 8 EMRK noch Art. 3 KRK einen über das nationale Recht hinausgehenden eigenständigen Bewilligungsanspruch verschaffen. Die Aufenthaltsbeendigung führe zu keiner Trennung der Beschwerdeführerinnen, da die Tochter grundsätzlich das migrationsrechtliche Schicksal der Mutter teile (BGE 143 I 21 E. 5.4). Der Schutzbereich des Privatlebens gemäss Art. 8 EMRK sei vorliegend nicht eröffnet, da keine über das Übliche hinausgehende Integration geltend gemacht wurde. Die Kinderrechtskonvention verpflichte die Behörden lediglich, den Kindesinteressen hinreichend Rechnung zu tragen (BGE 143 I 21 E. 5.5.2), was die Vorinstanz getan habe.

4. Fazit des Bundesgerichts

Aufgrund der dargelegten Gründe wies das Bundesgericht die Beschwerde ab, soweit auf sie eingetreten werden konnte. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde als aussichtslos qualifiziert und ebenfalls abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdeführerin 1 auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Nachehelicher Härtefall (Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG) verneint: Die Beschwerdeführerin konnte weder häusliche Gewalt substanziiert darlegen noch nachweisen, dass ihre Wiedereingliederung in Chile "stark gefährdet" wäre.
  • Kurze Aufenthaltsdauer und Integration: Eine über die übliche Integration hinausgehende Verwurzelung in der Schweiz wurde nicht festgestellt.
  • Wiedereingliederung in Herkunftsland zumutbar: Familiäres Umfeld in Chile und die Möglichkeit, eine begonnene Psychotherapie fortzusetzen, sprachen gegen unüberwindbare Schwierigkeiten bei der Rückkehr.
  • Kindeswohl berücksichtigt: Das Kind, das den Grossteil seiner Sozialisierung in Chile erfuhr und dort familiäre Bindungen hat, teilt das migrationsrechtliche Schicksal der Mutter; das Kindeswohl wurde im Rahmen der Gesamtwürdigung angemessen berücksichtigt.
  • Kein eigenständiger Anspruch aus EMRK/KRK: Die Konventionen verschaffen im vorliegenden Fall keinen über das nationale Recht hinausgehenden Bewilligungsanspruch.
  • Faktische Feststellungen bindend: Die Beschwerdeführerinnen konnten die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen nicht als willkürlich nachweisen, weshalb diese für das Bundesgericht bindend blieben.