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Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) mit der Referenz 2C_460/2024 vom 15. Juli 2025 betrifft eine Beschwerde des Departements für Gesundheit und Soziales des Kantons Waadt (nachfolgend: Beschwerdeführerin) gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts Waadt. Streitgegenstand ist die Verweigerung einer Bewilligung zur Führung einer Spitex-Organisation im Kanton Waadt an die A.__ AG (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) unter Bezugnahme auf das Bundesgesetz über den Binnenmarkt (BGBM).
I. Sachverhalt und Verfahrensverlauf
Die A._ AG, eine Aktiengesellschaft mit Sitz im Kanton Zug, betreibt eine auf pflegende Angehörige spezialisierte Spitex-Organisation. Sie beschäftigt pflegende Angehörige zu einem Stundenlohn von CHF 34.30, bietet ihnen Schulungen an und stellt ihnen professionelle Pflegefachpersonen zur Betreuung zur Seite. Die A._ AG erhielt im Februar 2020 eine Betriebsbewilligung im Kanton Zug und später in 16 weiteren Kantonen, hauptsächlich Deutschschweizer Kantonen. Sie verfügt über mehr als vier Jahre Erfahrung in der häuslichen Pflege, beschäftigt über 250 pflegende Angehörige und 30 diplomierte Pflegefachpersonen.
Das Departement für Gesundheit und Soziales des Kantons Waadt lehnte am 30. November 2023 den Antrag der A.__ AG auf eine Betriebsbewilligung im Kanton Waadt ab. Begründet wurde dies mit unzureichender Gewährleistung der Sicherheit der von den pflegenden Angehörigen erbrachten Pflegeleistungen. Das Departement knüpfte die Bewilligung an Auflagen, wie die Betreuung der pflegenden Angehörigen durch diplomierte Gesundheitsfachpersonen, die Existenz von Geschäftsräumlichkeiten mit Ansprechpartnern im Kanton Waadt und die Einhaltung der Arbeitsbedingungen gemäss dem waadtländischen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) im Parapublic-Bereich. Die Ablehnung erfolgte ausdrücklich auch unter Berücksichtigung des Binnenmarktgesetzes (BGBM).
Das Kantonsgericht Waadt hiess die Beschwerde der A.__ AG am 26. Juli 2024 gut und reformierte den Entscheid des Departements dahingehend, dass die Betriebsbewilligung gestützt auf das Binnenmarktgesetz zu erteilen sei. Das Gericht befand, dass die Anforderungen der Kantone Zug und Waadt für den Betrieb einer Spitex-Organisation nicht genügend voneinander abwichen, um die Vermutung der Äquivalenz der kantonalen Marktzugangsregelungen (Art. 2 Abs. 5 BGBM) zu widerlegen. Zudem prüfte es – obiter dictum – die vom Departement auferlegten Beschränkungen und kam zum Schluss, dass diese ohnehin nicht mit Art. 3 BGBM vereinbar seien.
Das Departement für Gesundheit und Soziales des Kantons Waadt gelangte daraufhin mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht.
II. Massgebende rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts
1. Zulässigkeit der Beschwerde (Souveränitätsinteresse des Kantons)
Das Bundesgericht prüfte die Legitimation der Beschwerdeführerin, des Kantons Waadt, zur Beschwerde gegen einen Entscheid seiner eigenen kantonalen Justizbehörde. Grundsätzlich kann ein Kanton eine solche Beschwerde nicht unter Berufung auf die Verletzung seiner Autonomie (Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG) erheben. Das Bundesgericht bejahte jedoch in casu eine ausserordentliche Beschwerdelegitimation des Kantons Waadt gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG. Es verwies auf seine ständige Rechtsprechung, wonach eine öffentliche Körperschaft ausnahmsweise zur Beschwerde legitimiert sein kann, wenn der angefochtene Entscheid sie in ihren hoheitlichen Vorrechten in qualifizierter Weise berührt und sie ein eigenes, schützenswertes öffentliches Interesse an der Aufhebung oder Änderung hat.
Das Bundesgericht stellte fest, dass der angefochtene Entscheid das Departement verpflichtet, eine Betriebsbewilligung in Verletzung des waadtländischen Rechts (nach Ansicht der Beschwerdeführerin) zu erteilen. Dies habe präjudizielle Tragweite, da es den Kanton Waadt zwingen würde, ähnliche Bewilligungen an alle im Kanton Zug (oder anderen Kantonen) zugelassenen Spitex-Organisationen zu erteilen, ohne die waadtländischen Bewilligungsvoraussetzungen prüfen zu können. Dies berühre die staatlichen Interessen des Kantons in den Bereichen der öffentlichen Gesundheit und Gesundheitspolitik in qualifizierter Weise. Es sei eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, die einen Präzedenzfall für die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe darstelle. Insbesondere wurde auf frühere Urteile verwiesen, in denen Kantonen in ähnlichen Konstellationen der BGBM-Anwendung (z.B. bei Psychotherapeuten, alternativen Therapeuten) eine Beschwerdelegitimation zugestanden wurde (z.B. BGE 135 II 12, Urteil 2C_844/2008). Die formelle Legitimation des Departements durch den Waadtländer Staatsrat wurde bestätigt.
2. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts
Das Bundesgericht prüft frei die Verletzung von Bundesrecht und internationalem Recht (Art. 95 lit. a und b BGG). Die Verletzung kantonalen Rechts wird nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (Art. 9 BV) geprüft. Sachverhaltsfeststellungen können nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung beruhen und sich auf den Ausgang des Verfahrens auswirken können (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht betonte, dass es die Beschwerde nur auf der Grundlage der im angefochtenen Urteil festgestellten Tatsachen beurteilen könne; neu vorgebrachte Tatsachen (z.B. zum Lohndumping) wurden nicht berücksichtigt.
3. Anwendbarkeit des Binnenmarktgesetzes (BGBM)
Das BGBM ist als Rahmengesetz konzipiert, das keine eigenen materiellen Bewilligungsvoraussetzungen definiert, sondern auf dem Herkunftsprinzip den freien und diskriminierungsfreien Marktzugang gewährleisten soll (Art. 1 Abs. 1 BGBM). Es hat kraft Art. 49 BV Vorrang vor kantonalen Marktzugangsbestimmungen. Das BGBM ist auch im Gesundheitsbereich anwendbar, insbesondere für Leistungen, die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen werden (z.B. häusliche Pflege, vgl. Urteil 9C_176/2016). Da es keine spezifische Bundesgesetzgebung für Spitex-Organisationen gibt, regeln die Kantone die Zugangs- und Bewilligungsvoraussetzungen. Die Anwendbarkeit des BGBM im vorliegenden Fall war unbestritten.
4. Die zentrale Rechtsfrage: Die Vermutung der Äquivalenz (Art. 2 Abs. 5 BGBM)
Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung von Art. 2 Abs. 5 BGBM, da das Kantonsgericht die Vermutung der Äquivalenz der waadtländischen und zugerischen Regelungen über die Betriebsbewilligung von Spitex-Organisationen nicht als widerlegt erachtete. Sie argumentierte, eine zu restriktive Anwendung dieser Vermutung im Gesundheitsbereich höhle das Gesetz aus und untergrabe die kantonale Gesundheitshoheit. Insbesondere fehle es dem Zuger Recht an Regeln zur adäquaten Betreuung der pflegenden Angehörigen durch diplomierte Fachpersonen und zu deren Schutz, im Gegensatz zum waadtländischen Recht (GAV).
4.1. Grundsätze der Vermutung der Äquivalenz: Gemäss Art. 2 Abs. 5 BGBM beruht die Anwendung des Herkunftsprinzips auf der Vermutung der Äquivalenz kantonaler oder kommunaler Marktzugangsregelungen. Diese Vermutung ist widerlegbar, doch die Anforderungen an ihre Widerlegung sind hoch (BGE 135 II 12). Es obliegt der Behörde des Zielkantons (hier: Waadt), die Vermutung zu widerlegen. Dies erfordert einen Vergleich der generellen und abstrakten Regeln des Herkunfts- und Zielkantons sowie der daraus resultierenden Praxis, unter Berücksichtigung der zu schützenden öffentlichen Interessen. Dabei darf nicht der konkrete Einzelfall geprüft werden, d.h., es darf nicht geprüft werden, ob die Person, die die Bewilligung beantragt, die Bedingungen des Zielkantons erfüllt. Der blosse Umstand, dass die Bewilligungsbedingungen im Zielkanton unterschiedlich oder strenger sind, führt nicht automatisch zur Widerlegung der Äquivalenzvermutung (WEKO-Empfehlung Nr. 8). Kann die Vermutung nicht widerlegt werden, muss der Marktzugang gewährt werden, und Einschränkungen gemäss Art. 3 BGBM sind ausgeschlossen.
4.2. Anwendung auf den vorliegenden Fall: Das Bundesgericht stellte fest, dass die Argumentation der Beschwerdeführerin, die Äquivalenzvermutung zu widerlegen, zu allgemein gehalten war. Sie legte nicht detailliert genug dar, welchen Bedingungen eine Betriebsbewilligung für Spitex-Organisationen im Kanton Zug und im Kanton Waadt unterliegt und welche wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Kantonen bestehen. Der Beschwerdeführerin oblag die Beweislast, darzulegen, dass die Marktzugangsregeln bzw. die Normen für Spitex-Organisationen und deren effektive Anwendung im Kanton Zug zu einem deutlich niedrigeren Anforderungsniveau führen als im Kanton Waadt, einschliesslich der Arbeitsbedingungen der pflegenden Angehörigen. Diesen Beweis hat sie nach Ansicht des Bundesgerichts nicht erbracht. Sie hat keine umfassende Gegenüberstellung der relevanten zugerischen und waadtländischen Bestimmungen vorgenommen, diese nicht analysiert und verglichen und auch die etablierte Praxis nicht miteinbezogen, um unwiderlegbar darzulegen, dass die öffentliche Gesundheit durch die Zuger Regelung im Vergleich zur Waadtländer Regelung weniger geschützt wäre.
Das Bundesgericht bestätigte, dass die blosse Behauptung unterschiedlicher Gesundheitspolitiken und strengerer Anforderungen im Zielkanton nicht ausreicht. Wirtschaftspolitische Überlegungen, wie die Rentabilität des Marktes für pflegende Angehörige, können nicht als überwiegende öffentliche Interessen (Art. 3 Abs. 1 lit. b BGBM) zur Rechtfertigung einer Marktzugangsbeschränkung herangezogen werden.
5. Weitere Rügen
Die Rüge der Willkür des angefochtenen Urteils wurde vom Bundesgericht als mit der Rüge der Verletzung von Art. 2 Abs. 5 BGBM deckungsgleich und somit als unbegründet abgewiesen. Die Rüge eines negativen Ermessensüberschreitung des Kantonsgerichts (Beurteilung der Opportunität und Billigkeit) wurde mangels konkreter Bezugnahme auf kantonales Recht und Rüge der Willkür in dessen Anwendung nicht behandelt.
III. Entscheid des Bundesgerichts
Das Bundesgericht wies die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ab und erklärte die subsidiäre Verfassungsbeschwerde als unzulässig. Es wurden keine Gerichtskosten erhoben, da der Kanton Waadt in Ausübung seiner amtlichen Befugnisse unterlag und kein Vermögensinteresse geltend machte. Die A.__ AG erhielt eine Parteientschädigung zugesprochen.
IV. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte