Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:
Urteil des Bundesgerichts 6B_1046/2023 vom 26. Mai 2025
1. Einleitung
Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (I. strafrechtliche Abteilung) befasst sich mit der Beschwerde von A.__ gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 26. Januar 2023. Der Beschwerdeführer wurde erst- und zweitinstanzlich wegen schwerer Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls sowie weiterer Delikte verurteilt. Im Zentrum der bundesgerichtlichen Überprüfung stehen der Schuldspruch betreffend die Betäubungsmitteldelikte, die Strafzumessung sowie die angeordnete Landesverweisung.
2. Sachverhalt (kurzgefasst)
A.__ wurde im Rahmen der "Aktion Loch" zusammen mit zwei Mitangeklagten vor dem Kreisgericht See-Gaster angeklagt. Das Kreisgericht sprach ihn vom Vorwurf des mehrfachen, teilweise versuchten Diebstahls, der mehrfachen, teilweise qualifizierten Sachbeschädigung sowie des mehrfachen, teilweise versuchten Hausfriedensbruchs frei. Hingegen wurde er schuldig gesprochen wegen gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs, Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz, Vergehens gegen das Waffengesetz, fahrlässiger Verletzung der Verkehrsregeln, Missachtung einer mit dem Führerausweis verbundenen Auflage oder Beschränkung sowie Nichtabgabe von Ausweisen und/oder Kontrollschildern. Er wurde mit einer teilbedingt ausgefällten Freiheitsstrafe von 36 Monaten (davon 12 Monate vollziehbar) und einer Busse von Fr. 400.-- bestraft. Ferner wurde eine Landesverweisung für die Dauer von zehn Jahren sowie deren Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) angeordnet. Das Kantonsgericht St. Gallen bestätigte dieses Urteil vollumfänglich. Der Beschwerdeführer focht den Entscheid des Kantonsgerichts vor Bundesgericht an.
3. Rechtliche Kernfragen und Begründung des Bundesgerichts
3.1. Schuldspruch wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz
Der Beschwerdeführer rügte eine willkürliche Beweiswürdigung bzw. Sachverhaltsfeststellung (Art. 9 BV), eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" (Art. 10 Abs. 3 StPO; Art. 9 BV), der Unschuldsvermutung (Art. 10 Abs. 1 StPO; Art. 32 Abs. 1 BV) sowie des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) bezüglich des Schuldspruchs wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG).
- Argumente des Beschwerdeführers: Er machte geltend, die Aussagen des Zeugen D._ seien widersprüchlich und nicht konstant, insbesondere bezüglich des Zeitpunkts des Drogenverkaufs und der genauen Übergabe. Die Vorinstanz habe sich zudem nicht mit D.__s Aussagemotivation (angestrebter Kooperationsbonus) auseinandergesetzt und die Aktenlage sei zu dürftig gewesen. Auch die Interpretation der Telefonüberwachung sei willkürlich. Schliesslich sei die Annahme eines Reinheitsgrades von 56 % für das Kokain willkürlich, da keine Analyse vorliege und D._ von "schlechter Qualität" gesprochen habe.
- Begründung der Vorinstanz: Die Vorinstanz stützte sich massgeblich auf die als sachlich, konkret, nachvollziehbar und konstant qualifizierten Angaben von D._. Geringfügige Widersprüche zur genauen Übergabe des Kokains schmälerte sie nicht als Glaubhaftigkeit, sondern wertete sie als Indiz gegen eine erfundene Aussage. D.__s Selbstbelastung und seine Bereitschaft, den Beschwerdeführer in einem anderen Fall nicht zu belasten, sprächen für seine Glaubwürdigkeit. Ein Kooperationsbonus schliesse eine glaubhafte Aussage nicht aus, da D._ sich sonst dem Risiko einer Falschaussage ausgesetzt hätte. Die Telefonüberwachung habe D._s Aussagen bestätigt. Bezüglich der Qualität des Kokains ging die Vorinstanz in Ermangelung einer Sicherstellung und Analyse unter Berücksichtigung der Statistiken der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM) und der Aussage von D._, dass das Kokain trotz "schlechter" Qualität schnell verkauft werden konnte, von einem Reinheitsgrad des unteren Quartils von 56 % aus.
- Würdigung des Bundesgerichts:
- Das Bundesgericht bekräftigte, dass die Rüge des "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel erst zum Tragen kommt, nachdem alle Beweise gewürdigt sind, und nicht zur Bewertung einzelner Beweismittel dient. In seiner Funktion als Sachverhaltsprüfungsregel deckt es sich mit der Willkürkontrolle nach Art. 9 BV.
- Die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich der Glaubhaftigkeit von D.__s Aussagen wurden als unbegründet abgewiesen. Das Bundesgericht hielt fest, dass die Vorinstanz die Relativierungen in D.__s Aussagen sowie dessen Motiv des Kooperationsbonus explizit berücksichtigt und nachvollziehbar beurteilt habe. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sei nicht ersichtlich.
- Die Kritik an der "zu dürftigen Aktenlage" wurde ebenfalls abgewiesen, da die Qualität der Beweismittel und deren Gesamtwürdigung entscheidend sei, nicht deren Anzahl. Der Beschwerdeführer habe Willkür hierbei nicht substanziiert dargetan.
- Die vorinstanzliche Annahme eines Reinheitsgrades von 56 % wurde als bundesrechtskonform befunden. Das Bundesgericht bestätigte, dass die Vorinstanz die Problematik der fehlenden Sicherstellung detailliert erörtert und die SGRM-Statistiken sowie D.__s Angaben berücksichtigt habe, um einen realistischen Schätzwert zu ermitteln. Die blosse Gegenüberstellung von Minimalwerten durch den Beschwerdeführer genüge nicht, um Willkür darzutun.
- Querverweis: Das Bundesgericht verweist auf seine ständige Rechtsprechung zur Beweiswürdigung und zum Indizienbeweis, wonach eine Mehrzahl von Indizien, die für sich allein nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufweisen, in ihrer Gesamtheit einen rechtsgenügenden Beweis erbringen können (z.B. Urteile 6B_546/2023, 6B_916/2023).
3.2. Strafzumessung
Der Beschwerdeführer beanstandete die Strafzumessung als unverhältnismässig und rügte eine falsche Gewichtung der Strafzumessungsfaktoren.
- Argumente des Beschwerdeführers: Die Vorinstanz habe rechtlich nicht massgebende Kriterien herangezogen, wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen oder falsch gewichtet. Die Anwendung der "Vergleichstabelle FINGERHUTH/SCHLEGEL/JUCKER" sei nicht strikt erfolgt. Er sei nur ein einmaliges Betäubungsmittelgeschäft eingegangen, und die Deliktssummen der Diebstähle seien gering gewesen. Das Beschleunigungsgebot sei verletzt worden.
- Begründung der Vorinstanz: Die Vorinstanz setzte für die qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz eine Einsatzstrafe von 18 Monaten fest. Für die gewerbs- und bandenmässigen Diebstähle asperierte sie um 12 Monate, für die Sachbeschädigungen und Hausfriedensbrüche um je 3 Monate und für die Nichtabgabe von Ausweisen um 1 Monat, was zu einer Gesamtstrafe von 37 Monaten führte. Sie berücksichtigte die lange Verfahrensdauer durch eine Reduktion um einen Monat auf 36 Monate, verneinte jedoch eine Verletzung des Beschleunigungsgebots angesichts der Komplexität des Falles.
- Würdigung des Bundesgerichts:
- Das Bundesgericht wies die Rügen ab. Es stellte fest, dass Strafmasstabellen lediglich Orientierungshilfen seien und das Gericht nicht bindeten (z.B. Urteil 6B_355/2021). Die Begründung der Vorinstanz für die Einsatzstrafe für das Betäubungsmitteldelikt (Verkauf von 56 Gramm reinem Kokain aus pekuniären Motiven) sei nicht zu beanstanden.
- Hinsichtlich der Diebstähle und Sachbeschädigungen bestätigte das Bundesgericht, dass die Vorinstanz die Versuche und die Schadenshöhen nicht ausser Acht gelassen, sondern angemessen gewürdigt habe. Der professionelle Modus Operandi und die hohe kriminelle Energie der Bande rechtfertigten die Asperation.
- Die Rüge der Verletzung des Beschleunigungsgebots wurde detailliert geprüft und ebenfalls abgewiesen. Das Bundesgericht führte aus, dass das Verfahren aufgrund der Schwere des Tatvorwurfs, der Komplexität der Ermittlungen (umfangreiche Zwangsmassnahmen, mehrere Beschuldigte) und der erforderlichen Beweisergänzungen im Berufungsverfahren (Beizug von Originalaufzeichnungen, Übersetzungen, Gutachten) objektiv zeitintensiv gewesen sei. Eine "krasse Zeitlücke", die eine weitergehende Strafminderung rechtfertigen würde, sei nicht ersichtlich. Die vorgenommene Reduktion um einen Monat sei angemessen.
- Querverweis: Das Bundesgericht verweist auf seine Rechtsprechung zum Beschleunigungsgebot, wonach die Beurteilung von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt und nur bei "krassen Zeitlücken" eine Sanktionierung erfolgt (z.B. BGE 143 IV 373, BGE 130 IV 54).
3.3. (Voll-) Bedingter Strafvollzug
Der Beschwerdeführer forderte einen bedingten Strafvollzug von maximal 18 Monaten.
- Würdigung des Bundesgerichts: Da das Bundesgericht die Freiheitsstrafe von 36 Monaten bestätigte, ist der vollständige Aufschub der Strafe gemäss Art. 42 Abs. 1 und Art. 43 Abs. 1 StGB ausgeschlossen. Die Ausführungen des Beschwerdeführers bezogen sich auf eine geringere Strafe und waren somit gegenstandslos.
3.4. Landesverweisung (Art. 66a StGB i.V.m. Art. 8 EMRK)
Der Beschwerdeführer wandte sich gegen die angeordnete Landesverweisung und rügte eine Verletzung der Härtefallklausel (Art. 66a Abs. 2 StGB) und von Art. 8 Ziff. 2 EMRK.
- Argumente des Beschwerdeführers: Die Vorinstanz habe zwar einen schweren persönlichen Härtefall bejaht, das öffentliche Interesse an der Landesverweisung jedoch zu Unrecht höher gewichtet als seine privaten Interessen. Er verwies auf seine lange Aufenthaltsdauer, seine Familie in der Schweiz und seine gute Integration.
- Begründung der Vorinstanz: Die Vorinstanz bejahte einen schweren persönlichen Härtefall, da der Beschwerdeführer seit seinem 11. Lebensjahr in der Schweiz lebt, hier seine Familie (Ehefrau und drei Kinder, alle kosovarische Staatsangehörige) hat und gut integriert sei. Bei der Interessenabwägung gewichtete sie das öffentliche Interesse jedoch höher. Dieses sei angesichts der schweren Delinquenz (gewerbs- und bandenmässiger Diebstahl, qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz) und der erheblichen Bedenken an der Legalprognose (Vorstrafe, Rückfälligkeit kurz nach Probezeit, fehlende Reue/Einsicht, pekuniäre Motive, instabile berufliche und finanzielle Situation) besonders ausgeprägt. Die "Zweijahresregel" der Rechtsprechung (ab zwei Jahren Freiheitsstrafe sind ausserordentliche Umstände für einen Verbleib nötig) sei relevant. Zwar sei die Ausweisung mit einem Einschnitt in das Familienleben verbunden, aber der Familie sei es zumutbar, das Familienleben im Kosovo zu pflegen, da die Ehefrau dort aufgewachsen sei, Verwandte dort lebten und die Kinder anpassungsfähig seien.
- Würdigung des Bundesgerichts:
- Das Bundesgericht bestätigte die Bejahung eines schweren persönlichen Härtefalls durch die Vorinstanz. Es legte die rechtlichen Grundlagen der Härtefallklausel gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB und der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK dar, welche die Berücksichtigung von Integrationsgrad, familiären Bindungen, Aufenthaltsdauer, Gesundheitszustand, Resozialisierungschancen und insbesondere des Kindeswohls umfassen.
- In der Interessenabwägung befand das Bundesgericht die Gewichtung der Vorinstanz als bundesrechts- und konventionskonform.
- Private Interessen: Die Vorinstanz habe die familiären Bindungen des Beschwerdeführers in der Schweiz (Kernfamilie, erweiterte Familie) berücksichtigt. Obwohl die Ehefrau und Kinder ihren Lebensmittelpunkt in der Schweiz hätten, sei es ihnen zumutbar, dem Beschwerdeführer in den Kosovo zu folgen, da die Ehefrau dort aufgewachsen sei, Verwandte dort lebten und die Kinder in einem anpassungsfähigen Alter seien. Die berufliche und finanzielle Situation des Beschwerdeführers sei als instabil bewertet worden, was seinem Interesse am Verbleib in der Schweiz kein übermässiges Gewicht verleihe.
- Öffentliche Interessen: Das hohe öffentliche Interesse an der Landesverweisung sei angesichts der Schwere der Katalogtaten (insbesondere qualifizierter Drogenhandel aus pekuniären Motiven) und der schlechten Legalprognose (Rückfälligkeit nach Bewährung, erhebliche kriminelle Energie, fehlende Reue) gerechtfertigt. Die vom Beschwerdeführer genannte einmalige Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sei nicht ausschlaggebend, da auch eine einmalige schwere Straftat die Landesverweisung rechtfertigen könne. Das Bundesgericht betonte, dass der Gesetzgeber in Art. 19 Abs. 2 BetmG und Art. 66a StGB eine rigide Haltung eingenommen habe.
- Querverweis: Das Bundesgericht verwies auf die "Zweijahresregel" in der ausländerrechtlichen Rechtsprechung, wonach bei Freiheitsstrafen von zwei Jahren oder mehr nur ausserordentliche Umstände einen Verbleib des Betroffenen in der Schweiz trotz bestehender Familienbeziehungen rechtfertigen (z.B. Urteile 6B_1128/2023, 6B_1069/2023). Auch der EGMR akzeptiere einen strengen Massstab bei Betäubungsmitteldelinquenz (z.B. EGMR Kissiwa Koffi gegen Schweiz, Maslov gegen Österreich).
- Es seien keine ausserordentlichen Umstände vorhanden, die ein Überwiegen der privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz begründen könnten.
4. Fazit
Das Bundesgericht wies die Beschwerde in allen relevanten Punkten ab.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Schuldspruch Betäubungsmittelgesetz: Das Bundesgericht bestätigte den Schuldspruch für den Verkauf von 100 Gramm Kokaingemisch (56g reines Kokain). Die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich willkürlicher Beweiswürdigung der Zeugenaussagen und der Kokainqualität wurden als unbegründet abgewiesen, da die Vorinstanz alle relevanten Aspekte nachvollziehbar gewürdigt hatte.
- Strafzumessung: Die vom Kantonsgericht verhängte Freiheitsstrafe von 36 Monaten (12 Monate vollziehbar) wurde als verhältnismässig befunden. Die vorgenommene Asperation für die verschiedenen Delikte sowie die Reduktion um einen Monat aufgrund der langen Verfahrensdauer wurden bestätigt. Eine Verletzung des Beschleunigungsgebots wurde aufgrund der Komplexität des Falles verneint.
- Landesverweisung: Die obligatorische Landesverweisung für zehn Jahre wurde bestätigt. Obwohl ein schwerer persönlicher Härtefall für den Beschwerdeführer bejaht wurde (langer Aufenthalt, Familie in der Schweiz), überwogen die öffentlichen Interessen an der Ausweisung. Dies wurde mit der Schwere der Katalogtaten (qualifizierter Drogenhandel, gewerbs- und bandenmässiger Diebstahl) und einer negativen Legalprognose begründet. Die familiäre Situation wurde berücksichtigt, aber der Familie wurde der Umzug in den Kosovo zugemutet.