Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_1088/2023 vom 26. Mai 2025

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Das Bundesgericht hatte in seinem Urteil 6B_1088/2023 vom 26. Mai 2025 eine Beschwerde gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen zu beurteilen. Der Beschwerdeführer A.__ wandte sich gegen seine Verurteilung wegen mehrfacher Gehilfenschaft zu versuchtem Diebstahl, zur Sachbeschädigung und zu Hausfriedensbruch sowie wegen Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz und mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes. Er rügte zudem die Strafzumessung und die angeordnete Landesverweisung.

1. Umqualifizierung der Tatbeteiligung von Mittäterschaft zu Gehilfenschaft

1.1. Rügen des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer beanstandete eine Verletzung des Anklagegrundsatzes (Art. 9 StPO) und seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), da die Anklageschrift sein Verhalten ausschliesslich als mittäterschaftlich umschrieben habe und die Vorinstanz es unterlassen habe, einen Vorbehalt gemäss Art. 344 StPO anzubringen. Dies habe ihm die Möglichkeit genommen, sich umfassend zur Gehilfenschaft zu äussern.

1.2. Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht präzisierte, dass das Gericht gemäss Art. 350 Abs. 1 StPO an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt, nicht aber an die darin vorgenommene rechtliche Würdigung gebunden ist. Die Qualifikation der Tatbeteiligung (Haupttäter- oder Gehilfenschaft) sei eine Rechtsfrage. Ein Schuldspruch wegen Gehilfenschaft verletze den Anklagegrundsatz nicht, wenn sich die Gehilfenschaft aus der Sachverhaltsdarstellung in der Anklageschrift als reale Möglichkeit aufdränge. Im vorliegenden Fall habe sich aus den Anklageziffern die Möglichkeit einer Gehilfenschaft des Beschwerdeführers aufgedrängt. Entscheidend sei zudem, dass der Beschwerdeführer selbst vor der Vorinstanz eventualiter geltend gemacht habe, höchstens von seiner Gehilfenschaft ausgegangen werden könne und auf Umstände hingewiesen habe, die auf eine "Untergeordnetheit" schliessen liessen. Damit sei weder eine Verletzung des Anklagegrundsatzes noch des Anspruchs auf rechtliches Gehör erkennbar.

2. Beweiswürdigung und Stimmenzuordnung

2.1. Rügen des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung der freien Beweiswürdigung (Art. 10 Abs. 2 StPO), der Begründungspflicht und der Unschuldsvermutung. Er machte geltend, die Vorinstanz habe sich nicht zureichend mit der schlechten Qualität der Audioaufzeichnungen auseinandergesetzt und sich bei der Stimmenzuordnung vollständig auf die Einschätzung der Polizei und Übersetzer verlassen, anstatt die Aufnahmen selbst anzuhören und ihre Erkenntnisse im Urteil festzuhalten.

2.2. Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht hielt fest, dass die vorinstanzliche Beweiswürdigung nur dann willkürlich ist, wenn sie schlechterdings unhaltbar ist (Art. 97 Abs. 1 BGG, Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Die Vorinstanz habe sich sehr wohl mit dem Einwand der schlechten Aufzeichnungsqualität auseinandergesetzt und klargestellt, dass die personelle Zuordnung der Stimmen dem Gericht obliege. Sie habe nachvollziehbar dargelegt, anhand welcher Konversationen und Fahrrouten sie die Beteiligung und die Identität der Stimme "D" (als A._) als erstellt erachte. Dazu gehörten die Verbindung zwischen dem Vornamen des Beschwerdeführers und dem Spitznamen "D._", Aussagen eines Mitbeschuldigten, und Hinweise des Übersetzers. Die blosse Behauptung, die Audiodateien seien nicht selbst angehört worden, genüge nicht, um Willkür darzutun. Die Unschuldsvermutung (in dubio pro reo) komme erst nach der Beweisauswertung zum Tragen und nicht bei der Würdigung einzelner Beweismittel. Die Begründungspflicht sei erfüllt, da der Beschwerdeführer den Entscheid vollumfänglich anfechten konnte.

3. Schuldspruch wegen Betäubungsmitteldelikts

3.1. Rügen des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer beanstandete erneut Willkür und Verletzungen des in dubio pro reo Grundsatzes sowie des rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit dem Schuldspruch wegen Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz. Er kritisierte die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Belastungszeugen E.__ (widersprüchliche Angaben zu "Deals", Belastungseifer, Feindschaft), die Auslegung von Telefonüberwachungsprotokollen und die Annahme eines Kokain-Reinheitsgrades von 56%.

3.2. Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht wies darauf hin, dass blosse Verweise auf kantonale Vorbringen nicht zulässig seien. Der in dubio pro reo Grundsatz sei nicht bei der Würdigung einzelner Beweismittel anwendbar, sondern erst bei der Beurteilung des gesamten Beweisergebnisses. Die Vorinstanz habe die Widersprüchlichkeiten in E.__'s Aussagen zu Details erkannt, aber zu Recht festgehalten, dass der Kern seiner Aussagen (zwei Übergaben von 50g Kokaingemisch) konstant und glaubhaft sei. Sie habe auch die Verneinung eines Belastungseifers oder einer Feindschaft ausreichend begründet. Die Interpretation der Telefonüberwachungsprotokolle und die Annahme des Reinheitsgrades seien nicht willkürlich. Die Vorinstanz habe die SGRM-Statistiken für Wirkstoffgehalte bei Sicherstellungen herangezogen, was bundesrechtskonform sei, und einen Wert von 56% (unteres Quartil) nachvollziehbar begründet, da das Kokain trotz "schlechter Qualität" gut verkäuflich gewesen sei.

4. Strafzumessung

4.1. Rügen des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer rügte eine unzulässig harte Strafzumessung und die Missachtung wesentlicher Aspekte. Er machte geltend, dass die Vorinstanz sein Verschulden falsch gewichtet und das Beschleunigungsgebot verletzt habe.

4.2. Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht bestätigte den weiten Ermessensspielraum des Sachgerichts bei der Strafzumessung. Es sei nicht erkennbar, dass die Vorinstanz von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen sei oder ihr Ermessen überschritten habe. Strafmass-Tabellen dienten lediglich als Orientierungshilfe und seien nicht bindend. Behauptungen, die vom vorinstanzlich willkürfrei festgestellten Sachverhalt abweichen (z.B. Kokainkonsum durch E.__, oder andere Motive für Drogenhandel als rein finanzielle), wurden als unzulässige Sachverhaltsrügen abgewiesen. Der Einwand einer Drogenabhängigkeit zum Tatzeitpunkt wurde als unechtes Novum nicht zugelassen, da keine Gründe für die verspätete Einbringung dargelegt wurden. Bezüglich des Beschleunigungsgebots anerkannte das Bundesgericht die lange Verfahrensdauer. Es verwies jedoch auf die Komplexität des Falles ("Aktion Loch" mit mehreren Beschuldigten und aufwendigen Untersuchungshandlungen wie grenzüberschreitenden Observationen und technischen Überwachungen). Die Zeit zwischen dem erstinstanzlichen und zweitinstanzlichen Urteil sei durch notwendige Beweisergänzungen (Beizug Original-Audioaufzeichnungen, integrale Übersetzungen, Gutachten in Parallelverfahren) begründet gewesen. Es sei zu keinen "krassen Zeitlücken" gekommen. Die Reduktion der Strafe um einen Monat wegen der langen Verfahrensdauer im Rahmen von Art. 47 StGB sei nicht zu beanstanden. Die verhängte Freiheitsstrafe von 20 Monaten sei vom Ermessen der Vorinstanz gedeckt.

5. Landesverweisung

5.1. Rügen des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer wandte sich gegen die Landesverweisung und deren Dauer. Er anerkannte zwar die Bejahung eines persönlichen Härtefalls durch die Vorinstanz, rügte jedoch, dass diese das öffentliche Interesse an der Landesverweisung zu Unrecht höher gewichtet habe als seine privaten Interessen an einem Verbleib in der Schweiz. Dies verletze Art. 66a Abs. 2 StGB und Art. 8 Ziff. 2 EMRK.

5.2. Begründung des Bundesgerichts: Die Voraussetzungen für eine Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 StGB (wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das BetmG und mehrfacher Gehilfenschaft zu versuchtem Diebstahl) waren grundsätzlich erfüllt. Das Bundesgericht bestätigte die Prüfung der Härtefallklausel gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB, die restriktiv auszulegen sei und der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips diene. Es verwies auf die Kriterien des Art. 31 Abs. 1 VZAE und die EMRK-konforme Auslegung. * Private Interessen des Beschwerdeführers: Die Vorinstanz hatte korrekt festgestellt, dass der Beschwerdeführer, der im Alter von 9 Jahren in die Schweiz einreiste und hier aufwuchs, in den besonderen Schutzbereich von Art. 66a Abs. 2 Satz 2 StGB fällt und somit ein gewichtiges privates Interesse an einem Verbleib in der Schweiz besteht. Das Bundesgericht verneinte jedoch besonders intensive soziale und berufliche Verbindungen, die über eine gewöhnliche Integration hinausgehen. Obwohl er mit seinem Bruder und dessen Kernfamilie zusammenlebt und regelmässigen Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern hat, sei keine über die üblichen emotionalen Bindungen hinausgehende besondere Abhängigkeit erkennbar, die unter den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fällt. Der sporadische Kontakt zur 15-jährigen Tochter und die zerrüttete Beziehung zur Kindesmutter wurden ebenfalls berücksichtigt. Seine finanziellen Probleme und die fehlende Bereitschaft zur Schuldentilgung, trotz regelmässigen Einkommens, sprächen gegen seine angebliche "Unselbstständigkeit". Die Resozialisierungschancen in seinem Heimatland Kosovo seien, da er die Sprache beherrsche, mit den Gepflogenheiten vertraut sei und dort Verwandte habe, als durchaus möglich und zumutbar einzuschätzen. * Öffentliche Interessen an der Landesverweisung: Diese wurden als "ausgesprochen hoch" beurteilt. Die Verurteilung wegen eines Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz mit einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten spreche für ein relevantes Tatverschulden. Das Bundesgericht betonte, dass bei Straftaten von Ausländern gegen das Betäubungsmittelgesetz stets ein besonders rigoroser Massstab angelegt werde, da qualifizierter Drogenhandel aus rein pekuniären Motiven eine schwere Straftat darstelle und eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung bedeute. Das Rückfallrisiko wurde angesichts der angespannten finanziellen Lage des Beschwerdeführers und der rein pekuniären Motive als erheblich eingestuft. Die Gewährung des bedingten Strafvollzugs ändere nichts am strengeren Beurteilungsmassstab im Ausländerrecht, wo bereits ein geringes Rückfallrisiko für eine Landesverweisung genügen könne. Die mangelnde Einsicht oder Reue des Beschwerdeführers und das Fehlen einer "biographischen Kehrtwende" würden die Annahme eines Rückfallrisikos nicht ausschliessen.

5.3. Interessenabwägung: Die Vorinstanz habe eine sorgfältige Abwägung der Interessen vorgenommen. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz im Ergebnis überwiegen. Es sei weder Bundes- noch Konventionsrecht verletzt worden.

6. Dauer der Landesverweisung und SIS-Ausschreibung: Da der Beschwerdeführer hierzu keine Rügen vorbrachte, erübrigten sich Ausführungen des Bundesgerichts.

Schlussfolgerung: Die Beschwerde wurde abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung von A.__ wegen mehrfacher Gehilfenschaft zu versuchtem Diebstahl und wegen Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Umqualifizierung von Mittäterschaft zu Gehilfenschaft durch die Vorinstanz wurde als zulässige rechtliche Würdigung erachtet, da der Sachverhalt in der Anklage die Gehilfenschaft implizierte und der Beschwerdeführer selbst eventualiter darauf plädiert hatte. Auch die Beweiswürdigung, insbesondere die Stimmenzuordnung auf Audioaufnahmen und die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen zu den Drogendelikten, wurde als willkürfrei befunden. Die Strafzumessung von 20 Monaten Freiheitsstrafe (bedingt) wurde ebenfalls bestätigt, wobei die lange Verfahrensdauer durch eine Strafreduktion von einem Monat berücksichtigt, aber keine Verletzung des Beschleunigungsgebots festgestellt wurde. Hinsichtlich der Landesverweisung bejahte das Gericht zwar einen persönlichen Härtefall des Beschwerdeführers (aufgewachsen in der Schweiz), beurteilte seine privaten Interessen an einem Verbleib in der Schweiz jedoch als nicht ausreichend intensiv. Die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung, insbesondere aufgrund der Schwere des Betäubungsmitteldelikts aus pekuniären Motiven und des (geringen) Rückfallrisikos, wurden als überwiegen erachtet. Die Beschwerde wurde somit abgewiesen.