Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts, 6B_1165/2023 vom 12. Juni 2025, detailliert zusammen:
Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 6B_1165/2023 vom 12. Juni 2025
1. Rubrum und Gegenstand
Das Urteil wurde von der I. strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts am 12. Juni 2025 gefällt. Es behandelt eine Beschwerde in Strafsachen von A.__ gegen ein Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 31. Mai 2023. Hauptgegenstand der Beschwerde war die angeordnete Landesverweisung (einschliesslich Ausschreibung im Schengener Informationssystem, SIS) des Beschwerdeführers.
2. Sachverhalt (Kurzfassung)
Der Beschwerdeführer A.__, kosovarischer Staatsangehöriger und seit 1996 im Besitz einer Niederlassungsbewilligung C, wurde vom Kantonsgericht Luzern wegen mehrfachen Raubes (Art. 140 Ziff. 1 StGB) und versuchten Raubes (Art. 140 Ziff. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde er für die Dauer von 9 Jahren des Landes verwiesen und die Ausschreibung im SIS angeordnet.
Den Verurteilungen lagen drei konkrete Delikte aus dem Jahr 2018 zugrunde:
* Raub auf einen Tankstellenshop (25. Mai 2018): A._ war massgeblicher Initiator der Tat, beteiligte sich an der Vorbereitung (Ausspähen der Umgebung, Ausschau nach Polizei) und gab dem Haupttäter (C._) das Signal zur Tatbegehung. Er erhielt einen Teil der Beute.
* Raub auf eine Bankfiliale (30. Mai 2018): Auch hier war A._ massgeblicher Initiator und federführend an der Planung und Organisation beteiligt (Instruktion des Haupttäters, Erstellung von Skizzen, Ausspähen). Er erhielt einen erheblichen Anteil der Beute.
* Versuchter Raub auf eine weitere Bankfiliale (23. August 2018): A._ war erneut massgeblich an der Planung und dem Auskundschaften potenzieller Tatobjekte beteiligt. Die Tat konnte nur durch die Verhaftung der Beteiligten im Vorfeld verhindert werden.
A.__ ist in der Schweiz geboren, hat fast sein gesamtes Leben (über 30 Jahre) hier verbracht, ist hier sozialisiert und verfügt über familiäre Bindungen (getrennt lebende Ehefrau und drei minderjährige Kinder, die in der Schweiz leben; Eltern und Geschwister mit Schweizer Staatsbürgerschaft). Er hat sich beruflich integriert, weist aber eine hohe Verschuldung auf. Negativ ins Gewicht fallen seine wiederholte Delinquenz bereits in der Jugend sowie frühere migrationsrechtliche Verwarnungen und Androhungen des Widerrufs der Niederlassungsbewilligung.
3. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts
3.1. Landesverweisung gemäss Art. 66a StGB
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Voraussetzungen (E. 1.2.1): Da der Beschwerdeführer wegen Raubes (Art. 140 StGB) verurteilt wurde, sind die Voraussetzungen für eine obligatorische Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. c StGB grundsätzlich erfüllt.
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Härtefallklausel (Art. 66a Abs. 2 StGB) (E. 1.2.2): Das Gericht kann ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer (1.) einen schweren persönlichen Härtefall bewirken und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung die privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen würden. Die Härtefallklausel dient der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 BV) und ist restriktiv anzuwenden.
- Kriterien zur Härtefallprüfung: Das Bundesgericht zieht den Kriterienkatalog der Art. 31 Abs. 1 VZAE und Art. 58a AIG heran (Grad der Integration, familiäre Bindungen, Aufenthaltsdauer, Gesundheitszustand, Resozialisierungschancen). Ein schwerer Härtefall wird bei einem Eingriff von gewisser Tragweite in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK) angenommen.
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Interessenabwägung (E. 1.2.3): Wird ein schwerer Härtefall bejaht, entscheidet sich die Sachfrage in einer Interessenabwägung. Massgebend sind die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und die Legalprognose. Die Abwägung muss EMRK-konform erfolgen (Art. 8 Ziff. 2 EMRK).
- EGMR-Kriterien (E. 1.2.4): Art und Schwere der Straftat, Dauer des Aufenthalts, seit der Tat verstrichene Zeit und Verhalten in dieser Zeit, Umfang der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Aufnahme- und Heimatstaat.
- "Zweijahresregel" (E. 1.2.4): Bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren oder mehr bedarf es ausserordentlicher Umstände, damit das private Interesse am Verbleib in der Schweiz das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung überwiegt. Dies gilt auch bei bestehender Ehe mit einer Schweizerin/einem Schweizer und gemeinsamen Kindern.
- Recht auf Privat- und Familienleben (E. 1.2.5): Für das Recht auf Privatleben sind besonders intensive soziale und berufliche Verbindungen zur Schweiz erforderlich. Das Recht auf Familienleben schützt die Kernfamilie (Ehegatten, minderjährige Kinder). Bei involvierten Kindern ist das Kindeswohl massgeblich zu berücksichtigen, wobei die Situation der elterlichen Obhut (alleinige Obhut versus gemeinsame Sorge/Obhut) eine Rolle spielt. Eine Trennung der Familie durch Landesverweisung bedarf einer eingehenden Abwägung und gewichtiger Überlegungen, ist aber kein absolutes Hindernis.
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Sachverhaltsfeststellung und Rügepflicht (E. 1.2.6): Das Bundesgericht legt seinen Urteilen den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde, es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder willkürlich. Rügen müssen explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden.
3.2. Prüfung des Härtefalls im konkreten Fall (E. 1.3)
- Vorinstanzliche Feststellungen (E. 1.3.1): Die Vorinstanz stellte fest, dass der Beschwerdeführer in der Schweiz geboren und über 30 Jahre hier gelebt hat, hier sozialisiert wurde und eine Niederlassungsbewilligung besitzt. Er habe eine Familie gegründet und pflege eine nahe Beziehung zu seinen Kindern, auch wenn diese bei der getrennt lebenden Mutter (alleinige Obhut) leben. Beruflich sei er integriert, trotz hoher Schulden. Angesichts dieser engen Verbundenheit bejahte die Vorinstanz einen schweren persönlichen Härtefall.
- Bundesgerichtliche Würdigung (E. 1.3.2): Das Bundesgericht weist die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz weitgehend zurück, da sie entweder unsubstanziiert seien oder die Vorinstanz keine Willkür begangen habe. Insbesondere die ungünstige Legalprognose des Beschwerdeführers aufgrund seiner früheren Delinquenz und der Intensität der Raubtaten wird bestätigt. Auch die Rolle des Beschwerdeführers als Initiator und Planer der Taten wurde nicht als willkürlich festgestellt erachtet. Neue Beweismittel (Noven) nach dem Urteilsdatum wurden nicht berücksichtigt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
3.3. Interessenabwägung im konkreten Fall (E. 1.4)
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Vorinstanzliche Abwägung (E. 1.4.1):
- Privates Interesse: Trennung von Familie (Eltern, Geschwister, Kinder), langes Leben und berufliche Integration in der Schweiz. Die Vorinstanz erachtete es als zumutbar, die familiären Beziehungen über Besuche oder Kommunikationsmittel aufrechtzuerhalten, zumal die Kinder bereits bei der Mutter leben. Ein Umzug der Familie in den Kosovo sei nicht ausgeschlossen. Eine Wiedereingliederung im Kosovo sei aufgrund des Alters und der beruflichen Erfahrung des Beschwerdeführers, wenn auch erschwert, möglich.
- Öffentliches Interesse: Das Gewicht der öffentlichen Interessen sei sehr hoch. Der Beschwerdeführer habe sich innert kürzester Zeit an zwei Rauben und einem versuchten Raub beteiligt, und zwar federführend als Initiator und Planer. Die verhängte Freiheitsstrafe von über vier Jahren sei massiv. Das Vorleben des Beschwerdeführers sei strafrechtlich stark belastet, und er sei migrationsrechtlich mehrfach verwarnt worden. Es handle sich nicht um einmalige Ausrutscher.
- Fazit der Vorinstanz: Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers überwiegen die öffentlichen Interessen an einem Landesverweis angesichts der Schwere der Delikte, des belasteten Leumunds und der nicht unbelasteten Bewährungsaussichten nicht.
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Bundesgerichtliche Bestätigung (E. 1.4.2): Das Bundesgericht bestätigt die Interessenabwägung der Vorinstanz als nicht zu beanstanden. Es präzisiert, dass Eltern und Geschwister ohne ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis nicht zur Kernfamilie zählen. Die Zumutbarkeit der Aufrechterhaltung der Kontakte zu den Kindern wird bestätigt, da die Kinder bereits bei der obhutsberechtigten Mutter leben. Die hohen öffentlichen Interessen aufgrund der Schwere und Häufigkeit der Delikte, der zentralen Rolle des Beschwerdeführers und seiner Vorstrafen werden ebenfalls bestätigt.
3.4. Völkerrechtliche Argumentation (Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II) (E. 1.5)
- Rüge des Beschwerdeführers (E. 1.5.1): Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung von Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II, wonach niemandem willkürlich das Recht entzogen werden darf, in sein eigenes Land einzureisen. Er argumentierte, die Schweiz sei sein "eigenes Land" und die Prüfung der Willkür müsse strenger sein als die Härtefallklausel und vor der nationalen Gesetzgebung erfolgen.
- Reihenfolge der Prüfung (E. 1.5.2): Das Bundesgericht bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, wonach zuerst die Landesverweisung nach Schweizer Recht (inkl. Interessenabwägung gemäss Art. 66a StGB) geprüft wird und erst danach ein allfälliger Hinderungsgrund aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags.
- Anwendung von Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II (E. 1.5.2 f.): Diese Bestimmung ist auf Ausländer anwendbar, wenn sie keinerlei Berührungspunkte zu ihrem Kulturkreis aufweisen und ihnen insbesondere sprachlich jegliche Verbindung zu ihrem Heimatstaat fehlt (sog. faktische Heimatlosigkeit). Im vorliegenden Fall stellt das Bundesgericht fest, dass der Beschwerdeführer (auch) Albanisch spricht, sich regelmässig zu Besuchs- und Ferienzwecken im Kosovo aufhält und sein Vater dort ein Haus besitzt. Daher könne nicht die Rede davon sein, dass er keinerlei Berührungspunkte zu seinem Kulturkreis hätte. Die Landesverweisung sei somit nicht willkürlich und die Voraussetzungen für eine Einschränkung seiner Rechte (gesetzliche Grundlage, überwiegende öffentliche Interessen) seien gegeben.
4. Schlussfolgerung des Bundesgerichts
Das Bundesgericht stellte fest, dass die Vorinstanz weder Bundes-, Verfassungs-, Konventions- noch Völkerrecht verletzt hat. Die Landesverweisung des Beschwerdeführers erweist sich als rechtskonform. Die Beschwerde wurde abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte.
5. Kosten und unentgeltliche Rechtspflege
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wurde abgewiesen, da die Beschwerde von vornherein aussichtslos war. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt, jedoch unter Berücksichtigung seiner finanziellen Lage herabgesetzt.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Verurteilung: Der Beschwerdeführer wurde wegen mehrfachen Raubes und versuchten Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten verurteilt.
- Landesverweisung: Eine obligatorische Landesverweisung von 9 Jahren mit SIS-Ausschreibung wurde angeordnet.
- Härtefallprüfung: Ein "schwerer persönlicher Härtefall" wurde bejaht, da der Beschwerdeführer in der Schweiz geboren, lange hier gelebt und seine Kernfamilie hier hat.
- Interessenabwägung: Die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung überwiegen die privaten Interessen des Beschwerdeführers. Ausschlaggebend waren die Schwere und Häufigkeit der Delikte, die zentrale Rolle des Beschwerdeführers als Initiator und Planer, seine Vorstrafen und die ungünstige Legalprognose. Das Kindeswohl wird berücksichtigt, aber die Trennung wird als zumutbar erachtet, da die Kinder bereits bei der obhutsberechtigten Mutter leben.
- Völkerrecht: Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II ("Recht auf Einreise ins eigene Land") ist nicht verletzt, da der Beschwerdeführer trotz langen Aufenthalts in der Schweiz noch Berührungspunkte zu seinem Heimatland Kosovo aufweist (Sprache, Besuche, väterlicher Besitz), weshalb keine "faktische Heimatlosigkeit" vorliegt.
- Ergebnis: Die Landesverweisung wird vom Bundesgericht bestätigt.