Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_1176/2023 vom 12. Juni 2025

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Die vorliegende Zusammenfassung beleuchtet das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) vom 12. Juni 2025 (Verfahren 6B_1176/2023), welches sich mit einer Beschwerde gegen ein Urteil des Kantonsgerichts Luzern betreffend Strafzumessung und Landesverweisung auseinandersetzte.

I. Sachverhalt und Vorinstanzen

Der Beschwerdeführer A.__, kosovarischer Staatsangehöriger, wurde vom Kriminalgericht des Kantons Luzern wegen mehrfachen Raubes (Art. 140 Ziff. 1 StGB), versuchten Raubes (Art. 140 Ziff. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) und mehrfachen Führens eines Motorfahrzeuges ohne erforderlichen Führerausweis (Art. 95 Abs. 1 lit. a SVG) zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt und für 10 Jahre des Landes verwiesen. Zudem wurde der bedingte Vollzug einer früheren Geldstrafe widerrufen.

Das Kantonsgericht Luzern bestätigte die Schuldsprüche, erhöhte die Freiheitsstrafe auf 3 Jahre und 10 Monate, verzichtete jedoch auf den Widerruf der Geldstrafe und reduzierte die Dauer der Landesverweisung auf 8 Jahre.

Den Urteilen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: A._ war massgeblich an der Planung und Organisation von zwei Raubüberfällen und einem versuchten Raub im Mai und August 2018 beteiligt. Beim ersten Raub auf einen Tankstellenshop (25. Mai 2018) wurde mit einem Messer eine Angestellte bedroht und Fr. 831.10 sowie Fr. 530.-- in Reka-Checks erbeutet. A._ war am Transport des Ausführenden (B._) beteiligt, erhielt aber keinen Beuteanteil. Beim zweiten Raub auf eine Bankfiliale (30. Mai 2018) wurde ebenfalls mit einem Messer eine Bankangestellte bedroht und Fr. 26'720.--, EUR 33'500.-- sowie US-Dollar 7'305.-- erbeutet. A._ war hierbei eine der federführenden Personen bei Planung und Instruktion (teils mittels Google-Übersetzer) und erhielt einen erheblichen Anteil der Beute. Der versuchte Raub auf eine weitere Bankfiliale (22./23. August 2018) scheiterte aufgrund der Festnahme der Täter nach polizeilichen Observationen. Zudem führte A.__ bei den Auskundschaftungsfahrten in zwei Fällen ein Motorfahrzeug ohne den erforderlichen Führerausweis.

II. Rechtsauffassung und Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht bestätigte im Wesentlichen das Urteil des Kantonsgerichts.

1. Strafzumessung (Art. 47 ff. StGB)

Das Bundesgericht prüft die Strafzumessung nur auf die Überschreitung des gesetzlichen Rahmens, die Zugrundelegung rechtlich unmassgeblicher Kriterien oder das Ausserachtlassen bzw. falsche Gewichtung wesentlicher Aspekte im Rahmen des Ermessensmissbrauchs (E. 1.2.2).

  • Objektives Tatverschulden: Das Bundesgericht billigte die Bewertung des Kantonsgerichts, wonach A._'s Tatbeitrag, insbesondere seine aktive Rolle bei Organisation, Planung und Ausführung der Raubtaten, als erheblich einzustufen sei. Es wies die Rüge des Beschwerdeführers zurück, sein Beitrag sei geringer gewesen oder seine mangelnden Italienischkenntnisse hätten seine Beteiligung eingeschränkt, da die Vorinstanz willkürfrei festgestellt hatte, dass ein Google-Übersetzer zum Einsatz kam und A._ als einer der Hauptbeteiligten zu qualifizieren sei (E. 1.3.1, 1.3.2). Die vom Kantonsgericht für den Bankraub angesetzte Einsatzstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten sowie die Erhöhung um 10 Monate für den Tankstellenraub wurden bestätigt.
  • Täterkomponente (Subjektives Verschulden): Das Bundesgericht bestätigte, dass das Geständnis des Beschwerdeführers strafmindernd berücksichtigt wurde, jedoch relativiert durch seine Versuche, den Tatbeitrag zu bagatellisieren. Die Ablehnung einer erhöhten Strafempfindlichkeit aufgrund seiner Kinder wurde ebenfalls als bundesrechtskonform erachtet. Eine erhöhte Strafempfindlichkeit wird nur bei "aussergewöhnlichen Umständen" bejaht, die hier nicht vorlägen, da die Härte eines Strafvollzugs für Familienangehörige grundsätzlich hinzunehmen sei und der Beschwerdeführer die Konsequenzen seines Handelns gekannt habe (E. 1.3.3).
  • Verfahrensdauer: Die Reduktion der Gesamtstrafe um 2 Monate wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots wurde als innerhalb des sachrichterlichen Ermessens liegend bestätigt. Die Forderung des Beschwerdeführers nach einer dreimonatigen Reduktion wurde als ungenügend begründet zurückgewiesen, da lediglich "Unangemessenheit" und keine Rechtsverletzung geltend gemacht wurde (E. 1.3.4).
  • Gesamtstrafe: Die vom Kantonsgericht verhängte Gesamtstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten Freiheitsstrafe wurde als im Rahmen des sachrichterlichen Ermessens liegend bestätigt. Ein teilbedingter Vollzug kam bei dieser Strafhöhe gemäss Art. 43 Abs. 1 StGB nicht in Betracht (E. 1.3.5).

2. Landesverweisung (Art. 66a StGB)

  • Grundlagen der Landesverweisung: Das Bundesgericht wies darauf hin, dass die Voraussetzungen für eine obligatorische Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. c StGB (Verurteilung wegen Raubes) grundsätzlich erfüllt sind, da A.__ kosovarischer Staatsangehöriger ist (E. 2.2.1).
  • Härtefallklausel (Art. 66a Abs. 2 StGB): Das Gericht erläuterte detailliert die Voraussetzungen und die restriktive Anwendung der Härtefallklausel. Diese erfordert kumulativ einen "schweren persönlichen Härtefall" und dass die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung die privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen (E. 2.2.2). Es verwies auf den Kriterienkatalog der VZAE und des AIG (Integration, familiäre Bindungen, Aufenthaltsdauer, Gesundheitszustand, Resozialisierungschancen) und betonte die Notwendigkeit einer EMRK-konformen Auslegung gemäss Art. 8 EMRK (Recht auf Privat- und Familienleben) (E. 2.2.2, 2.2.4).
    • "Zweijahresregel": Das Gericht wiederholte die ausländerrechtliche "Zweijahresregel", wonach bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren oder mehr ausserordentlicher Umstände bedarf, damit das private Interesse des Betroffenen das öffentliche Interesse überwiegt, selbst bei bestehender Ehe mit einer Schweizerin und gemeinsamen Kindern (E. 2.2.4).
    • Kindeswohl: Im Rahmen der Interessenabwägung ist dem Kindeswohl Rechnung zu tragen. Die Landesverweisung eines Elternteils kann einen Eingriff in das Familienleben darstellen, wenn der andere sorge- und obhutsberechtigte Elternteil und die Kinder nicht ohne Weiteres in das Heimatland des Ausgewiesenen folgen können. Kinder im anpassungsfähigen Alter können jedoch grundsätzlich einen Umzug verkraften (E. 2.2.5).
  • Anwendung auf den Fall (Interessenabwägung):
    • Die Vorinstanz liess die Frage eines "schweren persönlichen Härtefalls" offen, nahm aber eine umfassende Interessenabwägung vor, was das Bundesgericht als zulässig erachtete (E. 2.3.3).
    • Private Interessen des Beschwerdeführers: Das Bundesgericht anerkannte die starke familiäre Bindung des Beschwerdeführers zu seiner Schweizer Ehefrau und den beiden in der Schweiz geborenen minderjährigen Kindern als gewichtig. Es wurde eingeräumt, dass eine Landesverweisung ihn von seiner Kernfamilie trennen würde und die Ausreise der Familie in den Kosovo nicht ohne Weiteres zumutbar wäre. Jedoch betonte das Gericht, dass familiäre Beziehungen durch Kommunikationsmittel und Besuche aufrechterhalten werden können, und dass die Kinder mit ihrer albanischen Sprachkenntnis und kosovarischen Wurzeln der Mutter eine Anpassung an das Heimatland prinzipiell möglich wäre. Die Behauptung einer vollständigen wirtschaftlichen Integration wurde aufgrund von Schulden und Sozialhilfebezug in der Vergangenheit relativiert. Seine persönliche Integration (Sprachkenntnisse, Freundeskreis) in der Schweiz wurde als mässig beurteilt, während er im Kosovo sozialisiert wurde, die Sprache spricht und dort familiäre Kontakte hat, was eine berufliche Reintegration, wenn auch schwierig, als möglich erscheinen lässt (E. 2.4.1, 2.4.2).
    • Öffentliche Interessen an der Landesverweisung: Diese wurden als hoch gewichtet. Die Schwere der Raubdelikte und des versuchten Raubes, bei denen A.__ eine führende Rolle spielte, sowie die hohe Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten, waren ausschlaggebend. Der Beschwerdeführer habe sich innert kürzester Zeit mehrfach schwerst delinquiert und sei erst durch seine Verhaftung gestoppt worden. Seine mehrfachen einschlägigen Vorstrafen (SVG-Delikte) führten zu einer ungünstigen Legalprognose und einer hohen Rückfallgefahr. Seine familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse hätten ihn in der Vergangenheit nicht vom Delinquieren abgehalten. Angesichts der über 2-jährigen Freiheitsstrafe bedürfe es ausserordentlicher Umstände, um die Landesverweisung zu verhindern, die hier nicht vorlägen (E. 2.4.1, 2.4.2).
    • Abwägungsergebnis: Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung, insbesondere aufgrund der Schwere der Delikte, der ungünstigen Legalprognose und der Vorstrafen, die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in der Schweiz überwiegen. Es sah weder eine Verletzung des Bundes-, Verfassungs-, Konventions- oder Völkerrechts noch ein grobes Missverhältnis (E. 2.4.3).

3. SIS-Ausschreibung und Dauer der Landesverweisung

Die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich der Ausschreibung im SIS und der Dauer der Landesverweisung (Reduktion auf das Minimum von 5 Jahren) wurden vom Bundesgericht mangels hinreichender Begründung als ungenügend (Art. 42 Abs. 2 BGG) abgewiesen (E. 3).

III. Wesentliche Punkte im Überblick

  • Strafzumessung bestätigt: Die vom Kantonsgericht verhängte Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten wurde bestätigt. Das Bundesgericht befand die Würdigung der Tatbeiträge des Beschwerdeführers, seiner Täterkomponente (inkl. teilweisem Geständnis, aber auch Vorstrafen und fehlender erhöhter Strafempfindlichkeit) sowie der Verfahrensdauer als ermessenskonform.
  • Landesverweisung beibehalten: Die obligatorische Landesverweisung für 8 Jahre wurde bestätigt.
  • Härtefallklausel restriktiv angewendet: Trotz starker familiärer Bindungen des Beschwerdeführers zu seiner Schweizer Ehefrau und den gemeinsamen Kindern, wog das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung aufgrund der Schwere seiner Raubdelikte, seiner führenden Rolle bei den Taten, seiner Vorstrafen und der ungünstigen Legalprognose schwerer.
  • "Zweijahresregel" massgebend: Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von über zwei Jahren ist ein starkes Argument für die Landesverweisung; ausserordentliche Umstände, die eine Abweichung rechtfertigen würden, wurden vom Bundesgericht nicht festgestellt.
  • EMRK-konforme Interessenabwägung: Das Urteil wurde als verhältnismässig und im Einklang mit Art. 8 EMRK befunden, da alle relevanten Kriterien in die Abwägung einbezogen wurden.