Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_116/2025 vom 19. Juni 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 1C_116/2025 vom 19. Juni 2025

1. Einleitung und Streitgegenstand

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts befasst sich mit einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen einen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen betreffend eine Baubewilligung. Im Zentrum des Rechtsstreits steht die Erschliessung des Grundstücks Nr. 1794 in Wattwil, dessen Eigentümer (Beschwerdegegner C._) die Vergrösserung eines Verbundsteinplatzes und die Erstellung einer neuen Zufahrt zu einem Carport beantragt hatte. Die neue Zufahrt soll von der Alten Stutzstrasse über das nördlich und östlich angrenzende Grundstück Nr. 2807 erfolgen. Die Beschwerdeführenden (A.A._ und B.A.__), Eigentümer des südlich angrenzenden Grundstücks Nr. 465, bestreiten die Zulässigkeit dieser Zufahrt und machen geltend, die bisherige Zufahrt von Süden her sei über einen ihnen gehörenden Landstreifen erfolgt und sei nicht rechtens. Die Baukommission Wattwil und die kantonalen Instanzen hatten die Baubewilligung erteilt, woraufhin die Beschwerdeführenden das Bundesgericht anriefen.

2. Kernfrage des Verfahrens

Die zentrale rechtliche Frage betraf die hinreichende Erschliessung des Baugrundstücks Nr. 1794. Konkret war zu klären, ob der schmale Landstreifen auf dem Grundstück Nr. 465, welcher das Baugrundstück von der Alten Stutzstrasse trennt, Teil der öffentlich gewidmeten Gemeindestrasse 3. Klasse ist. Diese Frage war von entscheidender Bedeutung, da die privatrechtliche Sicherung der neu geplanten Zufahrt über das Grundstück Nr. 2807 (mittels Dienstbarkeit) nur dann als entbehrlich erachtet werden kann, wenn bereits eine strassenmässig hinreichende Erschliessung von Süden her gegeben ist.

3. Begründung des Verwaltungsgerichts (Vorinstanz)

Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen begründete seinen Entscheid, die Baubewilligung zu bestätigen, im Wesentlichen wie folgt:

  • Massgeblichkeit des Gemeindestrassenplans: Gemäss Art. 7 und Art. 12 f. des kantonalen Strassengesetzes (StrG/SG) legt der Gemeindestrassenplan den Umfang des Strassen- und Wegnetzes verbindlich fest. Er ist ein Sondernutzungsplan im Sinne von Art. 23 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 und Art. 26 des kantonalen Planungs- und Baugesetzes (PBG/SG), der den Zonenplan überlagert. Seine Festlegungen sind für jedermann verbindlich und konstituieren eine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung. Dem Geoportal komme hingegen keine solche verbindliche Wirkung zu.
  • Gültigkeit des Strassenplans von 1996: Als massgeblich für den Umfang der Klassierung der Alten Stutzstrasse erachtete das Verwaltungsgericht den am 14. Mai 1996 genehmigten Gemeindestrassenplan Wattwil. Dieser Plan zeige, dass die Gemeindestrasse 3. Klasse direkt entlang der südlichen Grenze des Grundstücks Nr. 1794 verläuft.
  • Abbildung der tatsächlichen Situation: Dieser Verlauf entspreche der tatsächlichen Situation zum Zeitpunkt des Erlasses des Gemeindestrassenplans. Luftbilder aus dem Jahr 1994 zeigten, dass die Alte Stutzstrasse damals bis an die Grenze des Grundstücks Nr. 1794 reichte und die Erschliessung dieser Parzelle seit jeher von Süden her erfolgt sei. Ein Zugang von Norden über das Grundstück Nr. 2807 sei weder aus Aufnahmen erkennbar noch anderweitig belegt.
  • Keine Auswirkungen des Teilstrassenplans 2010: Der Teilstrassenplan vom 22. März 2010 habe zwar die Alte Stutzstrasse im Abschnitt von der Bleikenstrasse bis zum östlichen Teil des Grundstücks Nr. 1794 verlegt. Der weitere Verlauf der Alten Stutzstrasse in westlicher Richtung (also der streitbetroffene Abschnitt südlich von Parzelle 1794) sei jedoch nicht angepasst worden. Der im Teilstrassenplan 2010 dargestellte Strassenverlauf in westlicher Richtung sei daher in diesem Bereich nicht verbindlich.
  • Keine implizite Rückklassierung: Eine implizite Rückklassierung des streitbetroffenen Bereichs der Strasse sei nicht erfolgt, da es an einem öffentlichen Interesse gefehlt hätte, die seit langem bestehende strassenmässige Erschliessung des Grundstücks Nr. 1794 aufzuheben. Dies gelte umso mehr, als der Carport mit seiner Erschliessung seit 2019 auf einer rechtskräftigen Bewilligung beruhe.

4. Prüfung der Rügen durch das Bundesgericht

Das Bundesgericht prüft kantonales Recht grundsätzlich nur unter dem Blickwinkel des Willkürverbots und des verfassungsrechtlichen Schutzes von Treu und Glauben (Art. 9 BV). Sachverhaltsrügen werden nur beachtet, wenn die Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig (willkürlich) sind oder auf einer Rechtsverletzung beruhen (Art. 105 BGG). Die Beschwerdeführenden müssen darlegen und belegen, inwiefern diese strengen Anforderungen erfüllt sind.

  • Willkürliche Rechtsanwendung (Strassenplan 1996 und tatsächlicher Verlauf): Die Beschwerdeführenden rügten, das Verwaltungsgericht habe willkürlich allein auf den Strassenplan 1996 abgestellt, ohne den tatsächlichen Verlauf der Strasse zu berücksichtigen. Das Bundesgericht wies diesen Vorwurf als unbegründet zurück, da das Verwaltungsgericht explizit festgehalten habe, der Strassenplan 1996 bilde die damalige tatsächliche Situation ab (E. 5.1).

  • Willkürliche Sachverhaltsfeststellung (historische Erschliessung): Die Beschwerdeführenden bestritten, dass die Erschliessung von Süden her erfolgt sei, unter Verweis auf andere Karten und Luftaufnahmen sowie eine angebliche Aussage des Beschwerdegegners.

    • Das Bundesgericht befand, die Einwände gegen die Feststellung der Vorinstanz, die Erschliessung sei seit jeher von Süden her erfolgt, zeigten keine Willkür auf (E. 5.2.1). Die vorgelegten Beweismittel der Beschwerdeführenden (z.B. Foto Swisstopo 2009) seien nicht aussagekräftig genug, um eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung darzutun.
    • Die Äusserung des Beschwerdegegners, die Alte Stutzstrasse sei 1996 "tatsächlich nicht ganz bündig" zum Grundstück verlaufen, wurde als unklar beurteilt und das Abstellen des Verwaltungsgerichts auf Luftbilder und Vorbringen der Gemeinde als nicht offensichtlich unhaltbar gewertet. Es wurde zudem berücksichtigt, dass die Alte Stutzstrasse eine unbefestigte Naturstrasse war, deren Abgrenzungen sich dynamisch verändern konnten (E. 5.2.2).
  • Fehlende Berücksichtigung des Teilstrassenplans 2010: Die Beschwerdeführenden rügten, es sei willkürlich, den Teilzonenplan 2010 vollständig auszublenden, der eine Verlegung der Alten Stutzstrasse und eine Erschliessung der Parzellen 1794 und 2807 von Osten her vorgesehen habe.

    • Das Bundesgericht bestätigte, dass der Teilstrassenplan 2010 von den Vorinstanzen gewürdigt, aber dessen Perimeter auf den östlichen Abschnitt der Alten Stutzstrasse beschränkt worden sei (E. 5.3.1). Im streitigen Bereich südlich des Grundstücks Nr. 1794 bleibe der Teilstrassenplan 1996 gültig, was der Planunterlage mit den markierten neuen und rückklassierten Flächen entspreche.
    • Es sei nachvollziehbar und keineswegs willkürlich, dass die Vorinstanz annahm, es habe 2010 kein öffentliches Interesse daran gegeben, die Parzelle Nr. 1794 ihrer seit Jahrzehnten bestehenden Erschliessung von Süden her zu berauben (E. 5.3.3).
  • Verletzung des rechtlichen Gehörs (Aktenedition): Die Beschwerdeführenden machten geltend, das Verwaltungsgericht habe ihren Anträgen auf Edition von Plänen (Rückbau der Baupiste, Teilstrassenplan 2022) zu Unrecht nicht stattgegeben. Das Bundesgericht befand, die Vorinstanz habe diese Pläne als nicht entscheiderheblich beurteilt, da sie keine Neuregelung der Strassenklassierung oder des Verlaufs im streitigen Abschnitt enthielten. Dies sei nicht willkürlich (E. 5.4).

  • Verletzung von Treu und Glauben: Die Beschwerdeführenden beriefen sich auf Vertrauensschutz, da sie sich auf die Richtigkeit des Teilstrassenplans 2010 verlassen hätten. Das Bundesgericht wies dies zurück, da bereits fraglich sei, ob der Plan eine Vertrauensgrundlage für den streitigen Strassenabschnitt darstelle, und die Beschwerdeführenden jedenfalls nicht dargelegt hätten, welche unwiderruflichen Dispositionen sie im Vertrauen auf den Plan getroffen hätten (E. 6.1).

  • Verletzung der Eigentumsgarantie: Die Rüge einer unzulässigen Ausdehnung der Widmung und damit einer Verletzung der Eigentumsgarantie wurde ebenfalls abgewiesen. Das Bundesgericht hielt fest, die Vorinstanz habe willkürfrei festgestellt, dass der strittige Geländestreifen bereits vor 1996 für die Erschliessung genutzt und seit 1996 durch den Strassenplan als Gemeindestrasse klassiert wurde. Damit liege keine unzulässige Ausdehnung vor (E. 6.2). Allfällige weitere Einschränkungen durch den Entwurf eines neuen Gemeindestrassenplans (2024 veröffentlicht) seien nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

5. Fazit des Bundesgerichts

Basierend auf der umfassenden Würdigung der Sach- und Rechtslage sowie der detaillierten Prüfung der Rügen der Beschwerdeführenden kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit darauf einzutreten war. Die vorinstanzliche Feststellung, dass das Grundstück Nr. 1794 über die Alte Stutzstrasse von Süden her hinreichend erschlossen ist, hielt der Willkürprüfung stand.

6. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  • Massgeblichkeit des Strassenplans 1996: Der Gemeindestrassenplan von 1996 ist der massgebliche Sondernutzungsplan für die Strassenklassierung und überlagert andere Darstellungen (z.B. Geoportal).
  • Bestehende Erschliessung von Süden: Der streitige Landstreifen, der das Baugrundstück von der Alten Stutzstrasse trennt, wurde bereits im Strassenplan 1996 als Teil der Gemeindestrasse klassiert und seit jeher für die Erschliessung von Süden genutzt. Diese Feststellung ist nicht willkürlich.
  • Begrenzte Wirkung des Teilstrassenplans 2010: Der Teilstrassenplan 2010 betraf ausschliesslich eine Verlegung des östlichen Teils der Alten Stutzstrasse und hatte keine Auswirkungen auf die Klassierung des südlichen, streitbetroffenen Abschnitts. Eine implizite Rückklassierung dieses Abschnitts fand nicht statt.
  • Ablehnung der Rügen: Die Rügen der Beschwerdeführenden bezüglich Willkür in Sachverhaltsfeststellung und Rechtsanwendung, Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie Verstoss gegen Treu und Glauben und die Eigentumsgarantie wurden mangels substantiierten Vortrags oder mangelnder Begründetheit abgewiesen.
  • Baubewilligung bestätigt: Da eine hinreichende Erschliessung von Süden her bestand, war die Baubewilligung für die geplante Zufahrt zulässig, ohne dass eine zusätzliche privatrechtliche Sicherung für die neue Zufahrt über das Nachbargrundstück 2807 zwingend erforderlich war.