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Gericht: Schweizerisches Bundesgericht Datum: 23. Juni 2025 Aktenzeichen: 6B_211/2025 Gegenstand: Versuchte Tötung; Institutionelle Massnahme
I. Einleitung
Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts befasst sich mit dem Rekurs von A.__ gegen das Urteil des Kantonalen Waadtländer Appellationsgerichts vom 7. November 2024. Der Rekurrent wurde wegen versuchter Tötung, Ehrverletzung und Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Im Zentrum des bundesgerichtlichen Verfahrens standen die Qualifikation der Tat als versuchte Tötung, die Strafzumessung sowie die Anordnung einer institutionellen therapeutischen Massnahme (Art. 59 StGB) anstelle einer ambulanten Behandlung (Art. 63 StGB).
II. Sachverhalt (Auswahl relevanter Punkte)
A.__, geboren 1983, wurde bereits am 13. Juni 2016 wegen Mordes durch Strangulation seiner damaligen Partnerin zu neun Jahren Freiheitsstrafe und einer ambulanten Behandlung nach Art. 63 StGB (Sucht- und Persönlichkeitsstörungen) verurteilt.
Zum Zeitpunkt der hier relevanten Taten befand sich A.__ im TELEX-Regime (externes Arbeiten und Wohnen) und hätte abstinent leben müssen. Er nahm jedoch, entgegen den Auflagen, täglich Alkohol und Cannabis zu sich und umging Abstinenzkontrollen durch kalkulierten Konsum.
Am 23. Oktober 2021 geriet A._, alkoholisiert, mit seiner neuen Partnerin B._ in Streit. Nachdem er auf ihrem Handy verdächtige Nachrichten gefunden hatte, eskalierte die Situation. Als B._ ihn mit einer Fernbedienung warf, stürzte sich A._ auf sie, würgte sie mit einer Hand, schlug ihr mit offener Handfläche mehrfach ins Gesicht, biss sie in den Hals, riss ihr die Halsketten ab und drückte ihr Gesicht auf den Boden. Anschliessend ergriff er ihren Hals mit beiden Händen und würgte sie so fest, dass sie keine Luft mehr bekam und um ihr Leben flehte. Dabei äusserte er: "Ich bin nicht sieben Jahre im Gefängnis gewesen, weil ich Drogen verkauft habe, sondern weil ich meine Ex umbringen wollte!". Erst als eine Nachbarin klingelte, liess A._ von B._ ab und flüchtete. B.__ erlitt diverse Hämatome und Hautabschürfungen.
Ein psychiatrisches Gutachten vom 2. März 2023 diagnostizierte bei A.__ eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline-Typus) sowie eine Alkohol- und Cannabisabhängigkeit. Das Gutachten stellte einen direkten Zusammenhang zwischen diesen Störungen und den Taten her. Die Schuldfähigkeit wurde aufgrund des Alkoholeinflusses und der Persönlichkeitsstörung als "mittelgradig vermindert" eingestuft. Das Rückfallrisiko für Gewalttaten wurde als "erhöht" beurteilt, insbesondere im Kontext neuer Beziehungen und Alkoholkonsum.
Bezüglich der therapeutischen Massnahme hielt das Gutachten fest, dass A.__ in früheren Therapien engagiert schien, aber dennoch weiter Substanzen konsumierte und gewalttätig wurde, ohne dies seinen Therapeuten mitzuteilen. Dies liess Zweifel an der "Authentizität" seines Engagements aufkommen und warf die Frage auf, ob angesichts des Scheiterns der ambulanten Behandlung eine institutionelle Massnahme zur Gewährleistung maximaler Sicherheit angezeigt sei. Die Experten kamen jedoch zum Schluss, dass eine institutionelle Behandlung psychiatrisch "wenig Möglichkeiten der Entwicklung" bieten würde, da die Problematik der Beziehungsgestaltung in einem stark kontrollierten Umfeld nicht in realen Situationen bearbeitet werden könnte. Sie empfahlen stattdessen eine intensivierte ambulante Behandlung mit häufigen, zufälligen Abstinenzkontrollen und aversiven Medikamenten (z.B. Antabus) sowie eine forensisch-psychotherapeutische Begleitung. Sie fügten jedoch an, dass bei Nichteinhaltung dieser Auflagen eine institutionelle Behandlung erforderlich wäre.
Während seiner Haftzeit nach der Tat wurde A.__ dreimal disziplinarisch belangt (Cannabiskonsum, Medikamentenlagerung, pornographischer Inhalt auf MP3-Player). Spätere Berichte attestierten ihm jedoch gutes Verhalten.
III. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht
Das Bundesgericht prüfte die Rügen des Rekurrenten betreffend Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung, die Qualifikation der Tat und die Anordnung der Massnahme.
1. Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung (Art. 9 BV, Art. 97 Abs. 1, 105 Abs. 2 BGG)
Der Rekurrent rügte Willkür, indem er die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Geschädigten B.__ anzweifelte. Er machte geltend, es habe sich lediglich um eine "Griff-Geste" und nicht um ein Würgen gehandelt, und die Geschädigte habe sich widersprüchlich geäussert, wann er von ihr abgelassen habe. Er stellte auch in Frage, dass seine Eifersucht und nicht die Schläge der Geschädigten den Auslöser für sein Verhalten bildeten.
Das Bundesgericht wies diese Rügen zurück. Es hielt fest, dass geringfügige Abweichungen in den Aussagen einer Geschädigten, insbesondere in einer derart traumatischen Situation, die Glaubwürdigkeit nicht per se in Frage stellen. Der Sachverhalt, wonach der Rekurrent die Geschädigte gewaltsam zu Boden brachte, ihr wiederholt ins Gesicht schlug und sie danach mit beiden Händen so stark am Hals würgte, dass sie keine Luft mehr bekam, wurde als willkürfrei festgestellt erachtet. Auch die CURML-Berichte stützten die Version der Geschädigten. Der Einwand, die Schläge der Geschädigten seien der alleinige Auslöser gewesen, wurde als nicht entscheidend für die Beurteilung der Schwere der anschliessenden Gewaltakte des Rekurrenten erachtet.
2. Qualifikation als versuchte Tötung (Art. 111 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 2 StGB)
Der Rekurrent bestritt die Qualifikation als versuchte Tötung und beantragte eine Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung, da keine konkrete Lebensgefahr bestanden habe und er keine Tötungsabsicht gehabt habe.
Das Bundesgericht führte aus, dass eine versuchte Straftat lediglich die Erfüllung der subjektiven Tatbestandsmerkmale erfordert (Art. 22 Abs. 1 StGB); die objektive Gefährdung des Rechtsguts oder die tatsächliche Verletzung der Opfer ist für die Annahme eines Versuchs nicht zwingend. Selbst einfacher Körperverletzungen können im Rahmen einer versuchten Tötung begangen werden, sofern der Tötungsvorsatz (auch als Eventualvorsatz, Art. 12 Abs. 2 StGB) vorliegt.
Das Gericht bestätigte den Eventualvorsatz des Rekurrenten. Es betonte, dass der Rekurrent die Geschädigte mit solcher Kraft würgte, dass sie nicht mehr atmen konnte, und dies trotz ihrer Flehen fortsetzte. Entscheidend war auch die vom Rekurrenten geäusserte Aussage "Ich bin nicht sieben Jahre im Gefängnis gewesen, weil ich Drogen verkauft habe, sondern weil ich meine Ex umbringen wollte!", welche er machte, während er die Geschädigte würgte. Diese Aussage in Verbindung mit dem Umstand, dass er bei seinem früheren Mord dieselbe Tötungsart (Strangulation) angewendet hatte, liess keinen Zweifel an seiner Tötungsabsicht. Der Einwand, es habe sich um eine "Griff-Geste" gehandelt, wurde angesichts der massiven und anhaltenden Gewalt, die der Rekurrent auf das Opfer ausübte, als unglaubwürdig verworfen. Eine Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung oder gar Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB) war angesichts dieser Umstände ausgeschlossen.
3. Strafzumessung (Art. 47 und 50 StGB)
Der Rekurrent rügte eine unzureichende Begründung der Strafe und eine mangelnde Berücksichtigung seines Rücktritts von der Tat sowie der verminderten Schuldfähigkeit.
Das Bundesgericht bestätigte die der Vorinstanz zustehende weite Ermessensfreiheit bei der Strafzumessung. Die Vorinstanz hatte die Schuld des Rekurrenten als "extrem schwer" und nach Berücksichtigung der verminderten Schuldfähigkeit als "schwer" eingestuft.
Als strafschärfend wurden berücksichtigt: Die massive Verletzung des höchstwertigen Rechtsguts (Leben), die schwere Rückfälligkeit nach nur drei Monaten im TELEX-Regime, die systematische Umgehung von Abstinenzkontrollen, die Nichtoffenlegung seiner neuen Beziehung gegenüber dem Therapeuten, die bereits früher angewandte Gewalt (Strangulation) und seine Minimierung der Tat durch Darstellung als Verteidigung. Auch die disziplinarischen Massnahmen während der Haft wurden berücksichtigt.
Strafmildernd wurden die grundsätzliche Therapiebereitschaft (wobei die Authentizität hinterfragt wurde), die vorangehende Auseinandersetzung und die geäusserten Reue des Rekurrenten gewertet. Insbesondere wurde der freiwillige Rücktritt von der Tat berücksichtigt. Die Vorinstanz hatte die ursprünglich verhängte Freiheitsstrafe von 30 Monaten als "zu milde" erachtet, sie jedoch unter Berücksichtigung des Rücktritts als "adäquat" bestätigt, was die Berücksichtigung dieses milden Umstands ausreichend widerspiegelt. Das Bundesgericht erachtete die Begründung als ausreichend und die verhängte Strafe als nicht ermessensmissbräuchlich.
4. Anordnung der institutionellen Massnahme (Art. 56, 56a, 59 und 63 StGB)
Dies war der zentrale und umstrittenste Punkt. Der Rekurrent beantragte, stattdessen eine ambulante Massnahme anzuordnen, wie sie die Experten primär empfohlen hatten.
Das Bundesgericht hielt fest, dass der Richter zwar an die Feststellungen des Gutachtens zu Diagnose und Rückfallrisiko gebunden ist, aber die Wahl der Massnahme eine rechtliche Frage darstellt, bei der er von den Empfehlungen der Experten abweichen kann, sofern er dies überzeugend begründet. Die Abweichung muss auf objektiven Gründen, insbesondere Sicherheitsaspekten und der Wirksamkeit der Massnahme auf das Rückfallrisiko, basieren.
Die Vorinstanz hatte zwar die Einschätzung der Experten zur mangelnden "Plus-Value" einer institutionellen Behandlung und den geringen Entwicklungsmöglichkeiten im geschlossenen Rahmen zur Kenntnis genommen. Das Bundesgericht bestätigte jedoch die Abweichung mit folgenden Argumenten: * Scheitern der früheren ambulanten Massnahme: Der Rekurrent hat nur drei Monate nach seiner Entlassung, trotz jahrelanger Therapie und Bewusstsein für seine Problematik, erneut Drogen konsumiert, eine problematische Beziehung geführt und versucht, seine Partnerin zu töten – und dies mit derselben Modus Operandi (Strangulation) wie bei seiner früheren Tötung. Dies zeigte die offensichtliche Unzulänglichkeit des ambulanten Rahmens. * Expertenaussagen zur Authentizität und Sicherheit: Die Experten selbst hatten Zweifel an der "Authentizität" des therapeutischen Engagements des Rekurrenten geäussert und die Frage nach einer institutionellen Massnahme zur Gewährleistung "maximaler Sicherheit" aufgeworfen, trotz ihrer späteren Relativierung. * Disziplinarische Probleme in der Haft: Die wiederholten disziplinarischen Massnahmen während der Untersuchungshaft belegten, dass der Rekurrent auch in einem streng kontrollierten Umfeld weiterhin Regeln missachtete. * Vorrang der Sicherheit und öffentlichen Ordnung: Das Gericht betonte, dass die Entscheidung über die Massnahme auch sicherheitsrelevante Aspekte und die öffentliche Ordnung berücksichtigen muss. Angesichts des hohen Rückfallrisikos bei schwersten Gewaltdelikten und des Scheiterns des früheren ambulanten Settings war ein stärker strukturierter Rahmen erforderlich. * Kohärenz des Gutachtens: Das Bundesgericht stellte eine gewisse Inkohärenz im Gutachten fest, da die Experten einerseits die Entwicklungsmöglichkeiten in einem geschlossenen Rahmen relativierten, andererseits aber ausführten, dass die vorgeschlagene ambulante Behandlung durch eine gleichzeitige Freiheitsstrafe nicht beeinträchtigt würde. Dies schwächte die Argumentation der Experten gegen die institutionelle Massnahme ab.
Die Voraussetzungen für eine institutionelle Massnahme nach Art. 59 Abs. 1 StGB (schwere psychische Störung, Tat im Zusammenhang mit der Störung, voraussichtliche Reduzierung des Rückfallrisikos) wurden als erfüllt erachtet. Angesichts der Schwere der Störungen, des Scheiterns der früheren ambulanten Massnahme, der besonderen Rückfälligkeit und des hohen Risikos schwerster Straftaten wurde die Anordnung der institutionellen Massnahme als verhältnismässig und notwendig zur Reduzierung des Rückfallrisikos beurteilt (Art. 56 Abs. 2 StGB).
IV. Fazit und Wesentliche Punkte
Das Bundesgericht wies den Rekurs von A.__ vollumfänglich ab und bestätigte das Urteil der Vorinstanz.
Die wesentlichen Punkte des Urteils sind: