Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_1356/2023 vom 10. Juli 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts zusammen:

Bundesgericht, I. strafrechtliche Abteilung, Urteil vom 10. Juli 2025, 6B_1356/2023

1. Einleitung Das Urteil des Bundesgerichts vom 10. Juli 2025 behandelt die Beschwerde in Strafsachen von A._ gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen. A._ wurde wegen Vergewaltigung, versuchter Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Die Beschwerde richtete sich primär gegen die Schuldsprüche und die Strafzumessung, wobei diverse Verfahrensgarantien wie das rechtliche Gehör, die Begründungspflicht und das Beschleunigungsgebot im Zentrum standen.

2. Sachverhalt (Feststellungen der Vorinstanz) Die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanzen gingen von folgendem Sachverhalt aus: * Vorgeschichte: A._ und B._ lernten sich Ende Oktober 2016 über ein soziales Netzwerk kennen. Nach ersten Treffen begannen sie eine Beziehung mit sexuellen Kontakten. * Vorfall vom 9. November 2016 (versuchte Vergewaltigung): A._ und B._ lagen nackt im Bett. A._ versuchte, vaginal in B._ einzudringen, obwohl diese ihre Beine fest zusammendrückte und versuchte, ihn wegzustossen. Sie äusserte verbal, dass sie dies nicht wolle, es ihr wehtue und er aufhören solle. A._ liess erst aufgrund der vehementen Gegenwehr von seinem Vorhaben ab. * Vorfall vom 25. Dezember 2016 (sexuelle Nötigung und Vergewaltigung): Nach wiederholten Streitigkeiten, bei denen A._ B._ beschimpfte, stiess und Gegenstände zerstörte, forderte A._ B._ nach einem gemeinsamen Abendessen aggressiv zu Oralverkehr auf, obwohl er deren Ablehnung kannte. Aus Angst vor einem erneuten Wutausbruch kam B._ der Aufforderung nach. A._ drückte ihren Kopf nach unten und drehte sich, sodass er auf ihr lag und seinen Penis unter Einsatz seines Gewichtes in ihren Mund drückte. B._ versuchte, ihn wegzustossen. Nachdem er kurz abgelassen hatte, drang A._ anschliessend ungeschützt vaginal in B._ ein, die noch schockiert auf dem Bett lag. Trotz ihrer Versuche, die Beine zusammenzudrücken und A._ wegzustossen, ihres Schreiens und der Äusserung, er tue ihr weh, setzte A._ den Geschlechtsverkehr fort, bis er zum Orgasmus kam.

3. Rechtliche Hauptargumente und Begründung des Bundesgerichts

3.1. Verwertbarkeit der Einvernahmen (Art. 147 Abs. 1 StPO, Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK) Der Beschwerdeführer rügte die Verletzung seines Teilnahmerechts bei den ersten beiden Einvernahmen der Beschwerdegegnerin 2 (13. Dezember 2017 und 7. Januar 2020) und seines Konfrontationsrechts bei der dritten Einvernahme (13. Januar 2021).

  • Erste beiden Einvernahmen: Das Bundesgericht bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, dass die Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person unter bestimmten Voraussetzungen von der Teilnahme an einer Befragung ausschliessen dürfe, insbesondere bei noch nicht einvernommenen beschuldigten Personen im Falle einer Kollusionsgefahr in einer "Aussage gegen Aussage"-Konstellation. Da der Beschwerdeführer die Begründung der Vorinstanz nicht hinreichend substanziiert widerlegte (fehlende qualifizierte Rüge gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG), erachtete das Bundesgericht die Verwertung als zulässig.
  • Dritte Einvernahme: Der Beschwerdeführer und sein Verteidiger konnten die gerichtliche Befragung der Beschwerdegegnerin 2 lediglich akustisch aus einem Nebenraum verfolgen, ohne Video und ohne die Möglichkeit, direkt Fragen zu stellen oder Abwehrhandlungen wahrzunehmen. Das Bundesgericht hielt fest, dass der Konfrontationsanspruch (Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK) grundsätzlich die Möglichkeit zur Stellung von Fragen an Belastungszeugen erfordert. Es betonte jedoch, dass auf dieses Recht auch stillschweigend verzichtet werden kann. Da der Beschwerdeführer weder vor erster noch vor zweiter Instanz einen Antrag auf erneute Einvernahme der Beschwerdegegnerin 2 gestellt hatte, sei er nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung (z.B. BGE 143 IV 397 E. 3.3.1) als auf sein Konfrontations- und Teilnahmerecht verzichtet anzusehen. Folglich waren sämtliche Einvernahmen verwertbar.

3.2. Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 81 Abs. 3 StPO) Der Beschwerdeführer machte eine Verletzung der Begründungspflicht geltend, da die Vorinstanz angeblich nicht auf seine Vorbringen zu möglichen Suggestionseffekten bei der Beschwerdegegnerin 2 (Autismus-Spektrum-Störung), zu Widersprüchen in deren Aussagen, zur Belastungstendenz und zu seinem Bandscheibenvorfall eingegangen sei. Das Bundesgericht wies die Rüge ab. Es hielt fest, dass die Begründungspflicht nicht erfordere, dass sich die Behörde mit jedem einzelnen Vorbringen detailliert auseinandersetze, sondern lediglich, dass sie die wesentlichen Überlegungen nenne. Die Vorinstanz habe sich sehr wohl mit den genannten Punkten auseinandergesetzt, insbesondere zu möglichen Suggestionseffekten und der Autismus-Spektrum-Störung (Seite 7 f. des angefochtenen Entscheids) sowie zur Würdigung der Aussagen und der Realkennzeichen (Seite 11-15 und 19-22).

3.3. Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1 BGG, Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG, Art. 6 StPO) Der Beschwerdeführer rügte Willkür in der Beweiswürdigung und eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes.

  • Fehlende Gutachten: Er forderte die Einholung eines Gutachtens zur Autismus-Spektrum-Störung der Beschwerdegegnerin 2 und deren Auswirkungen auf die Glaubhaftigkeit der Aussagen sowie ein medizinisches Aktengutachten zu seinem Bandscheibenvorfall.
    • Das Bundesgericht verneinte die Notwendigkeit eines Gutachtens zur Aussageglaubhaftigkeit. Die Glaubhaftigkeitsprüfung sei primär Aufgabe des Gerichts. Besondere Umstände, die ein Gutachten erforderten (z.B. bei Kleinkindern, ernsthaften Störungen der Aussageehrlichkeit, Dritteinfluss), lägen nicht vor. Die Vorinstanz habe die Störung zwar anerkannt, aber keine Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Aussageehrlichkeit gefunden.
    • Bezüglich des Bandscheibenvorfalls wurde festgestellt, dass dieser von der Vorinstanz bei der Strafzumessung (persönliche Verhältnisse) berücksichtigt wurde und kein Zweifel an dessen Existenz bestand. Eine implizite Annahme, dass der Beschwerdeführer trotz des Vorfalls körperlich zu den angeklagten Handlungen fähig war, sei nicht willkürlich, zumal der Beschwerdeführer selbst seine Schmerzen beim Sexualverkehr nicht geltend gemacht hatte.
  • Widersprüche und Belastungstendenz in Aussagen des Opfers: Der Beschwerdeführer behauptete detaillierte Widersprüche in den Aussagen der Beschwerdegegnerin 2, insbesondere bezüglich der Penetration beim ersten Vorfall ("eingedrungen" vs. "versucht") und des Begriffs "Sex" in Chatverläufen vor dem 9. November 2016. Er rügte zudem eine übermässige Belastungstendenz.
    • Das Bundesgericht wies diese Rügen zurück. Es interpretierte die vermeintlichen Widersprüche im Kontext der Aussagen. So habe die Beschwerdegegnerin 2 zum ersten Vorfall durchgehend angegeben, dass keine Penetration erfolgte, und die Verwendung des Wortes "Sex" im Chat im weiteren Sinne erklärt (nicht nur vaginaler Geschlechtsverkehr). Das Bundesgericht erkannte auch kein Willkür in der Würdigung der "Realkennzeichen" der Aussagen der Beschwerdegegnerin 2, insbesondere dem Verzicht auf naheliegende Mehrbelastungen (z.B. keine behauptete vollständige Penetration am 9. Nov). Das Vorbringen weiterer belastender Äusserungen (z.B. zum Vater des Beschwerdeführers) ändere nichts an der Glaubhaftigkeit der Kernvorwürfe.
  • Erinnerungslücken: Die unterschiedliche Bewertung von Erinnerungslücken (die der Beschwerdegegnerin 2 als glaubhaft, die des Beschwerdeführers als unglaubhaft) wurde als nicht willkürlich erachtet, da die Vorinstanz dies plausibel mit der selektiven Erinnerung des Beschwerdeführers begründet habe.

3.4. Rechtliche Qualifikation (Konkurrenzen) Der Beschwerdeführer vertrat die Ansicht, der erzwungene Oralverkehr vom 25. Dezember 2016 stelle eine blosse Begleiterscheinung der anschliessenden Vergewaltigung dar und gehe in dieser auf, weshalb keine zusätzliche Verurteilung wegen sexueller Nötigung hätte erfolgen dürfen. Das Bundesgericht folgte dieser Argumentation nicht. Es bestätigte, dass der erzwungene Oralverkehr eine von der späteren Vergewaltigung unabhängige sexuelle Handlung war, die auf eine eigenständige sexuelle Befriedigung abzielte und einen erheblichen, nicht durch die Vergewaltigung abgegoltenen Unrechtsgehalt aufwies (BGE 122 IV 97 E. 2a).

3.5. Strafzumessung (Art. 47 ff. StGB, Art. 5 StPO) Der Beschwerdeführer rügte die Tatschwere als zu hoch und forderte eine stärkere Strafreduktion aufgrund seiner schwierigen Kindheit, seines Wohlverhaltens und insbesondere wegen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots.

  • Tatschwere und Täterkomponente: Das Bundesgericht verneinte eine willkürliche Bewertung der Tatschwere, da die Sachverhaltsrügen des Beschwerdeführers abgewiesen wurden. Auch bezüglich der Täterkomponente (schwierige Kindheit, Wohlverhalten) sah es keinen qualifizierten Ermessensfehler der Vorinstanz.
  • Beschleunigungsgebot: Die Vorinstanz stellte eine Verletzung des Beschleunigungsgebots fest und reduzierte die Strafe um zwei Monate. Sie berücksichtigte dabei, dass der Beschwerdeführer erst ab Februar 2020 Kenntnis vom Strafverfahren hatte und somit bis dahin keiner Belastung ausgesetzt war. Das Bundesgericht bestätigte, dass die Bemessung der Strafreduktion bei Verletzung des Beschleunigungsgebots im Ermessen der Vorinstanz liegt. Eine Reduktion um zwei Monate für die gesamte Verfahrensdauer (ca. 2.5 Jahre Untersuchung, 2 Jahre Berufung) sei nicht willkürlich. Eine derart krasse Verletzung, die eine Einstellung des Verfahrens oder einen Freispruch rechtfertigen würde, sei nicht gegeben, insbesondere da dem Beschwerdeführer eine effektive Verteidigung nicht verunmöglicht worden sei.

4. Fazit Das Bundesgericht wies die Beschwerde in allen wesentlichen Punkten ab. Es bestätigte die Schuldsprüche des Beschwerdeführers wegen versuchter Vergewaltigung, sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Die Rügen betreffend die Verwertbarkeit der Einvernahmen, die Begründungspflicht, die Beweiswürdigung (insbesondere die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Opfers und die Notwendigkeit von Gutachten), die rechtliche Qualifikation der Delikte sowie die Strafzumessung wurden allesamt abgewiesen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde infolge Aussichtslosigkeit abgewiesen.

Wesentliche Punkte in Kürze: * Bestätigung der Schuldsprüche: Das Bundesgericht bestätigt die Verurteilung wegen versuchter Vergewaltigung, sexueller Nötigung und Vergewaltigung. * Verwertbarkeit von Beweisen: Die Einvernahmen des Opfers waren verwertbar; fehlende Anwesenheit zu Beginn wurde durch Kollusionsgefahr gerechtfertigt, spätere Einschränkungen des Konfrontationsrechts durch Verzicht des Beschwerdeführers. * Aussageglaubhaftigkeit: Die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Opfers wurde bestätigt; es bestand keine Notwendigkeit für weitere Gutachten zur Autismus-Spektrum-Störung oder zum Bandscheibenvorfall des Beschwerdeführers. Widersprüche wurden im Kontext als irrelevant oder nicht vorhanden bewertet. * Konkurrenzen: Der erzwungene Oralverkehr wurde als eigenständige sexuelle Nötigung und nicht als blosse Begleiterscheinung der Vergewaltigung qualifiziert. * Strafzumessung und Beschleunigungsgebot: Die von der Vorinstanz vorgenommene Strafzumessung und die Reduktion um zwei Monate wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots wurden als ermessensgerecht erachtet und nicht als willkürlich beanstandet.