Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_550/2023 vom 21. Juli 2025

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Nachfolgend wird das Urteil 1C_550/2023 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 21. Juli 2025 detailliert zusammengefasst.

1. Einleitung und Streitgegenstand

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts betrifft eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn. Im Zentrum steht die Gesamtrevision der Ortsplanung der Einwohnergemeinde Kappel und insbesondere der Status eines bereits 1977 erlassenen "Bebauungsplans Gebiet Fühler mit Bauvorschriften" (nachfolgend Bebauungsplan Fühler). Die Kernfrage dreht sich um die Frage, ob dieser Bebauungsplan aufgehoben werden muss, weil er nicht mehr recht- und zweckmässig ist, und welche Behörde in welcher Weise über dessen Schicksal entscheiden darf.

2. Prozessgeschichte und Vorentscheide

  • Gemeinderat Kappel (2021): Beschloss die Gesamtrevision der Ortsplanung, entschied jedoch, den Bebauungsplan Fühler nicht aufzuheben. Er anerkannte zwar Überarbeitungsbedarf, wollte dies aber zu einem späteren Zeitpunkt zeitgleich mit einem neuen Gestaltungsplan vornehmen. Die Ortsplanung wurde dem Regierungsrat zur Genehmigung unterbreitet.
  • Regierungsrat des Kantons Solothurn (2022): Genehmigte die Ortsplanung grundsätzlich, hob jedoch in teilweiser Gutheissung einer Beschwerde der heutigen Beschwerdeführerinnen den Bebauungsplan Fühler auf. Gleichzeitig wies er den Gemeinderat an, für die betroffenen Parzellen ein Gestaltungsplanverfahren durchzuführen und den Perimeter als Gestaltungsplanpflichtgebiet zu vermerken.
  • Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (2023): Hiess eine Beschwerde der heutigen Beschwerdegegner gut. Es machte die Aufhebung des Bebauungsplans Fühler rückgängig, womit dieser Plan weiterhin gelten sollte. Zudem hob es die Anordnung des Regierungsrats auf, wonach die Gemeinde einen neuen Gestaltungsplan zu erlassen habe. Dies lief faktisch auf eine Genehmigung des alten Bebauungsplans durch das Verwaltungsgericht hinaus.
  • Bundesgericht (2025): Die Beschwerdeführerinnen (Erbengemeinschaft) beantragen die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und die Wiederherstellung des Regierungsratsbeschlusses, d.h. die Aufhebung des Bebauungsplans Fühler und die Verpflichtung der Gemeinde zur Erarbeitung eines neuen Gestaltungsplans.

3. Massgebende Rechtsgrundlagen und Kompetenzabgrenzung

Das Bundesgericht erläutert die relevanten raumplanungsrechtlichen Bestimmungen des Bundes (Raumplanungsgesetz, RPG) und des Kantons Solothurn (Planungs- und Baugesetz, PBG/SO).

  • Gemeindeautonomie und Ortsplanung: Die Ortsplanung ist grundsätzlich Aufgabe der Einwohnergemeinden (Art. 25 Abs. 1 RPG, § 8 Abs. 1 lit. a, § 9 Abs. 1 PBG/SO). Dies ist Ausdruck der verfassungsmässig geschützten Gemeindeautonomie.
  • Überprüfungspflicht: Nutzungspläne sind regelmässig zu überprüfen und nötigenfalls anzupassen, wenn sich die Verhältnisse erheblich geändert haben (Art. 21 Abs. 2 RPG, § 10 Abs. 1 Satz 2 PBG/SO). Im Kanton Solothurn ist dies in der Regel alle 10 Jahre vorgesehen (§ 10 Abs. 2 PBG/SO). Kommt eine Gemeinde dieser Pflicht nicht nach, kann der Regierungsrat Fristen setzen oder im äussersten Fall selbst Nutzungspläne erlassen oder ändern (§ 11, § 12 Abs. 1 PBG/SO).
  • Kantonale Genehmigungspflicht: Nutzungspläne werden erst verbindlich, wenn der Regierungsrat sie genehmigt (Art. 26 Abs. 1 und 3 RPG, § 18 Abs. 1 PBG/SO). Im Genehmigungsverfahren prüft der Regierungsrat die Pläne auf ihre Recht- und Zweckmässigkeit sowie auf die Übereinstimmung mit übergeordneten Planungen (§ 18 Abs. 2 Satz 1 PBG/SO).
  • Grenzen der Genehmigungsbehörde: Die Genehmigung setzt begriffsnotwendig einen Beschluss der Gemeinde voraus. Der Regierungsrat kann dem Gemeindebeschluss nicht stellvertretend ersetzen, da dies die Gemeindeautonomie verletzen würde (BGE 111 Ia 67 E. 3d). Rechtswidrige oder offensichtlich unzweckmässige Pläne sind grundsätzlich an die Gemeinde zurückzuweisen (§ 18 Abs. 2 Satz 2 PBG/SO). Eine Ausnahme, wonach der Regierungsrat offensichtliche Mängel oder Planungsfehler direkt beheben darf, ist in § 18 Abs. 3 PBG/SO vorgesehen, ist aber eng auszulegen. Bei Nichtgenehmigung oder teilweiser Nichtgenehmigung gilt grundsätzlich die bisherige Nutzungsordnung weiter.

4. Argumentation des Bundesgerichts und rechtliche Würdigung

Das Bundesgericht beurteilt die Handlungen des Regierungsrats und des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die aufgeführten Rechtsgrundlagen.

  • Zur Aufhebung des Bebauungsplans Fühler durch den Regierungsrat (E. 7):

    • Der Regierungsrat hatte den Bebauungsplan Fühler aufgehoben und das Gebiet einer neuen Nutzungsordnung (Gestaltungsplanpflicht) unterstellt. Das Bundesgericht stellt fest, dass der Regierungsrat im Rahmen des Genehmigungsverfahrens hierzu nicht ermächtigt war.
    • Die Nichtgenehmigung eines Plans führt nicht automatisch zu dessen Aufhebung. Ein formell noch gültiger Sondernutzungsplan bleibt trotz Nichtgenehmigung grundsätzlich weiterhin in Kraft, bis er von der Gemeinde überarbeitet und die überarbeitete Planung genehmigt wird.
    • Die Massnahme des Regierungsrats ging weit über die Behebung offensichtlicher Mängel oder Planungsfehler im Sinne von § 18 Abs. 3 PBG/SO hinaus. Dies hätte eine Verletzung der verfassungsrechtlich geschützten Gemeindeautonomie dargestellt.
    • Fazit zu E. 7: Das Bundesgericht bestätigt, dass das Verwaltungsgericht die Aufhebung des Bebauungsplans Fühler durch den Regierungsrat zu Recht rückgängig gemacht hat, da der Regierungsrat hierfür nicht zuständig war. Der Bebauungsplan Fühler bleibt daher einstweilen in Kraft. Das Bundesgericht weist darauf hin, dass die Rechtswirkungen des Bebauungsplans in einem konkreten Baubewilligungsverfahren gegebenenfalls vorfrageweise zu überprüfen wären, wenn sich die Verhältnisse oder gesetzlichen Voraussetzungen seit Planerlass erheblich geändert haben (vgl. BGE 148 II 417 E. 3.3).
  • Zur (faktischen) Genehmigung des Bebauungsplans Fühler durch das Verwaltungsgericht und die Verweigerung der Überarbeitungsanordnung (E. 8):

    • Das Bundesgericht analysiert die Begründung des Regierungsrats, weshalb der Bebauungsplan Fühler nicht genehmigt werden konnte und eine Überarbeitung notwendig war. Der Regierungsrat hatte detailliert argumentiert:
      • Hohes Alter: Der Plan von 1977 überschreitet den Planungshorizont von 15 Jahren gemäss Art. 15 RPG bei weitem.
      • Veränderter Rechtsrahmen: Grundlegende Änderungen durch die Teilrevision des RPG (2014) und der Kantonalen Bauverordnung (2013).
      • Widerspruch zu "innerer Verdichtung": Der Plan ist nicht mehr konform mit den Vorgaben zur inneren Verdichtung (Art. 1 Abs. 2 lit. a bis und lit. b, Art. 3 Abs. 3 lit. a bis RPG) und der übergeordneten Richtplanung.
      • Abtrennung Bau-/Nichtbaugebiet: Ein Teil des Planungsgebiets liegt ausserhalb der Bauzone, was dem Prinzip der Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet (Art. 1 Abs. 1 RPG) widerspricht.
      • Interessenabwägung: Das öffentliche Interesse an der Anpassung des Plans aufgrund gestiegener Anforderungen und geänderter Grundlagen überwiegt das private Interesse an der Beibehaltung des veralteten Plans.
    • Das Bundesgericht stellt fest, dass der Regierungsrat diese Gründe "nachvollziehbar und überzeugend" dargelegt hat.
    • Das Verwaltungsgericht hingegen setzte sich mit diesen ausführlichen Argumenten des Regierungsrats zur mangelnden Recht- und Zweckmässigkeit des Bebauungsplans kaum auseinander und hob die Anordnung zur Erarbeitung eines neuen Gestaltungsplans auf. Damit genehmigte es den alten Bebauungsplan faktisch.
    • Auch der Gemeinderat selbst hatte anerkannt, dass der Bebauungsplan überarbeitungsbedürftig sei und dies in absehbarer Zeit in Angriff nehmen wolle.
    • Fazit zu E. 8: Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass der Regierungsrat zu Recht die Genehmigung des Bebauungsplans Fühler verweigert und die Sache zur Überarbeitung an die Gemeinde zurückgewiesen hat. Die Verpflichtung zur Anpassung an die veränderten Verhältnisse duldet keinen weiteren Aufschub. Indem das Verwaltungsgericht den Bebauungsplan Fühler faktisch genehmigte und die Revisionspflicht aufhob, verletzte es Bundesrecht (Art. 21 Abs. 2 und Art. 26 Abs. 1 RPG) und wendete kantonales Recht offensichtlich unrichtig und damit willkürlich an (§ 10 Abs. 1 Satz 2 und § 18 Abs. 2 PBG/SO).

5. Entscheid des Bundesgerichts

Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

  • Das Urteil des Verwaltungsgerichts wird aufgehoben, soweit es den Bebauungsplan Fühler genehmigte und die Verpflichtung der Gemeinde zur Erarbeitung eines Gestaltungsplans aufhob.
  • Der Beschluss des Regierungsrats vom 12. Dezember 2022 und die Rückweisung der Sache an die Einwohnergemeinde werden bestätigt.
  • Wichtige Klarstellung: Diese Bestätigung erfolgt mit dem Vorbehalt, dass der Bebauungsplan Fühler nicht durch den Regierungsrat aufgehoben, sondern lediglich nicht genehmigt wird. Dies bedeutet, dass der Plan weiterhin formell existiert, die Gemeinde aber zur unverzüglichen Überarbeitung und Anpassung verpflichtet ist.
  • Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
  • Die Gerichtskosten werden aufgrund des teilweisen Obsiegens und Unterliegens je zur Hälfte den Beschwerdeführerinnen und den Beschwerdegegnern auferlegt. Parteientschädigungen werden keine zugesprochen. Die Angelegenheit wird zur Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen der vorangegangenen Verfahren an die Vorinstanz zurückgewiesen.

6. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  • Unzuständigkeit der Genehmigungsbehörde zur Aufhebung: Das Bundesgericht bestätigt, dass die kantonale Genehmigungsbehörde (Regierungsrat) einen kommunalen Nutzungsplan im Genehmigungsverfahren nicht eigenmächtig aufheben oder durch eine neue Nutzungsordnung ersetzen darf, da dies die Gemeindeautonomie verletzt. Eine Nichtgenehmigung führt nicht automatisch zur Aufhebung; der Plan bleibt formell bestehen, bis die Gemeinde ihn neu beschliesst und er genehmigt wird.
  • Pflicht zur Planungsanpassung: Trotz der Unzuständigkeit zur direkten Aufhebung ist die Genehmigungsbehörde verpflichtet, die Genehmigung zu verweigern und die Planung zur Überarbeitung an die Gemeinde zurückzuweisen, wenn der Plan aufgrund veränderter tatsächlicher oder rechtlicher Verhältnisse nicht mehr recht- und zweckmässig ist (Art. 21 Abs. 2 RPG).
  • Fehler der Vorinstanz: Das Verwaltungsgericht hat Bundesrecht verletzt, indem es die materiellen Gründe des Regierungsrats für die mangelnde Recht- und Zweckmässigkeit des alten Bebauungsplans Fühler weitgehend ignorierte und damit dessen faktische Genehmigung zuließ und die notwendige Überarbeitung durch die Gemeinde verhinderte.
  • Auftrag an die Gemeinde: Der Bebauungsplan Fühler ist zwar nicht durch den Regierungsrat aufgehoben, aber mangels Genehmigung weiterhin zu überarbeiten und an die aktuellen raumplanerischen Anforderungen (insbesondere die innere Verdichtung) anzupassen. Die Gemeinde ist verpflichtet, unverzüglich ein neues Planverfahren einzuleiten.