Zusammenfassung von BGer-Urteil 9C_444/2024 vom 23. Juli 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (9C_444/2024 vom 23. Juli 2025) detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils 9C_444/2024

1. Parteien und Streitgegenstand

  • Beschwerdeführerin: A.__, geboren 1956, vertreten durch Rechtsanwalt Me Valentin Groslimond.
  • Beschwerdegegnerin: Caisse cantonale vaudoise de compensation AVS (Kantonale Ausgleichskasse Waadt für AHV).
  • Streitgegenstand: Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung (HE) der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) im Rahmen eines Neugesuchs. Insbesondere ging es um die Frage, ob sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin seit dem letzten materiellen Entscheid wesentlich verschlechtert hatte, sodass nunmehr ein Anspruch auf HE gegeben ist.

2. Chronologie des Sachverhalts

  • März 2001: Beginn einer Rente der Invalidenversicherung (IV).
  • August 2012: Erstes Gesuch um HE, basierend auf einer Abklärung der Hilflosigkeit (Berichte vom 8. Januar und 29. Oktober 2013) und ärztlichen Gutachten. Dieses Gesuch wurde von der IV-Stelle im November 2014 abgelehnt und die Ablehnung vom Kantonsgericht im Juni 2016 bestätigt. Die Begründung war, dass kein Hilfs- oder Begleitungsbedarf für die gewöhnlichen Lebensverrichtungen vorliege.
  • Januar 2015, April 2016, März 2017: Drei weitere Gesuche um HE, gestützt auf eine angebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands. Diese wurden im September 2017 ebenfalls abgelehnt (vom Kantonsgericht im August 2018 bestätigt), da eine vom Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) begutachtete Verschlechterung nicht objektiviert werden konnte.
  • Mai 2020: Beginn einer AHV-Rente für die Beschwerdeführerin.
  • Juni 2020: Erneutes Gesuch um HE, abermals mit Verweis auf eine Verschlechterung. Die Ausgleichskasse lehnte zunächst ein Eintreten auf das Gesuch ab (August 2020, best. Dezember 2020).
  • März 2022: Das Kantonsgericht hob den Nichteintretensentscheid der Ausgleichskasse auf und wies diese an, materiell auf das Gesuch einzutreten und den Sachverhalt weiter abzuklären.
  • Nach Rückweisung: Die Kasse führte eine neue Hilflosenabklärung (Bericht vom 27. September 2022) und zog weitere ärztliche Berichte bei. Zunächst lehnte sie das Gesuch erneut ab (Oktober 2022). Nach einer Opposition der Beschwerdeführerin wurde die Instruktion wiederaufgenommen, weitere Ärzteberichte eingeholt, doch der RAD sah keine neuen, bereits berücksichtigten Elemente. Die Opposition wurde im Juli 2023 abgewiesen.
  • Kantonale Gerichtsinstanz: Die Beschwerdeführerin focht die Abweisung der Opposition beim Kantonsgericht an und reichte weitere ärztliche Berichte ein. Das Kantonsgericht wies die Beschwerde im Juni 2024 ab und bestätigte die kantonale Entscheidung.

3. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht

3.1. Zulässigkeit neuer Beweismittel (Randbemerkung) Das Bundesgericht hält fest, dass die von der Beschwerdeführerin am 21. Juli 2025 (nach Ablauf der Beschwerdefrist) eingereichten neuen ärztlichen Berichte und Ergänzungen unzulässig sind (Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 143 V 19 E. 1.2).

3.2. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts Das Bundesgericht prüft Rechtsverletzungen (Art. 95 und 96 BGG) und wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist an den Sachverhalt gebunden, wie er von der Vorinstanz festgestellt wurde (Art. 105 Abs. 1 BGG), ausser bei offensichtlich unrichtiger oder rechtswidriger Feststellung (Art. 105 Abs. 2, Art. 97 Abs. 1 BGG).

3.3. Massgebende Rechtsgrundlagen und Grundsätze Das Gericht verweist auf die vom Kantonsgericht zitierten Normen und die Rechtsprechung, die für die Beurteilung von Neugesuchen relevant sind: * Neugesuche: Art. 87 Abs. 2 und 3 IVV in Verbindung mit Art. 17 Abs. 2 ATSG (analog anwendbar) und Art. 66bis Abs. 2 AHVV (BGE 147 V 167 E. 4.1; 134 V 131 E. 3; 133 V 108 E. 5; 130 V 343 E. 3.5; 71 E. 3). Entscheidend ist hier, ob sich die medizinische Situation seit dem letzten materiellen Entscheid (25. September 2017) massgeblich verschlechtert hat, um eine Hilflosigkeit zu begründen. * Voraussetzungen für HE: Art. 43bis AHVG und Art. 42 IVG (verweist auf Art. 43bis Abs. 5 AHVG). * Kriterien zur Beurteilung der Hilflosigkeit: Art. 37 Abs. 1-3 IVV (verweist auf Art. 66bis Abs. 1 AHVV). Hierzu gehören der Bedarf an direkter oder indirekter Hilfe bei den gewöhnlichen Lebensverrichtungen (BGE 133 V 450 E. 9-10; 127 V 94 E. 3c; Kreisschreiben über die Hilflosigkeit [KSH] Ziff. 2010 ff.), ständiger Pflege (BGE 107 V 136; KSH Ziff. 2058 ff.) oder persönlicher Überwachung (Urteil 9C_809/2015 vom 10. August 2016 E. 5.2; KSH Ziff. 2075 ff.). * Begleitungsbedarf: Art. 38 IVV (BGE 133 V 450; KSH Ziff. 2084 ff.) im spezifischen Kontext der AHV (Art. 43bis Abs. 4 AHVG; BGE 133 V 569 E. 5.4; KSH Ziff. 7013 ff.). * Beweiswürdigung: Art. 61 lit. c ATSG (BGE 125 V 351 E. 3a), insbesondere von Hausabklärungsberichten (BGE 130 V 61; 128 V 93; Urteil 9C_560/2023 vom 8. November 2023 E. 5.2.2).

3.4. Würdigung der Begründung des Kantonsgerichts durch das Bundesgericht Das Kantonsgericht prüfte die Entwicklung der Situation der Beschwerdeführerin, indem es die Bedürfnisse zum Zeitpunkt des Oppositionsentscheids vom 5. Juli 2023 mit jenen der vorhergehenden, im Entscheid vom 25. September 2017 abgeschlossenen Prozedur verglich. Es stützte sich dabei auf zahlreiche Berichte der behandelnden Ärzte und des Ergotherapeuten sowie auf den Hilflosenabklärungsbericht vom 27. September 2022.

  • Annahme einer Verschlechterung, aber ohne Relevanz für HE: Das Kantonsgericht bestätigte, dass sich das klinische Bild der Beschwerdeführerin kontinuierlich verschlechtert hatte.
  • Beweiswert des Abklärungsberichts: Die Vorinstanz erachtete den Beweiswert des Hilflosenabklärungsberichts als nicht zweifelhaft, trotz der Argumente der Beschwerdeführerin, die Abklärerin sei weder Ärztin noch Ergotherapeutin und die Abklärung habe nicht am Wohnort stattgefunden, sondern im Büro des Anwalts.
  • Ausschluss der HE-Voraussetzungen:
    • Schwere Sinnesbeeinträchtigung: Das Kantonsgericht schloss aufgrund der ärztlichen Berichte eine schwere Sehbeeinträchtigung im Sinne von Art. 37 Abs. 3 lit. d IVV aus.
    • Alltägliche Lebensverrichtungen: Durch systematischen Vergleich der Abklärungsberichte von 2013 und 2022 und ärztlicher Gutachten kam es zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin – unter Berücksichtigung zumutbarer Anpassungen (Schadenminderungspflicht) – keine Hilfe für "An-/Auskleiden", "Aufstehen/Hinlegen", "Essen", "Körperpflege", "Toilettengang" und "Fortbewegen/soziale Kontakte" benötige.
    • Ständige Pflege/persönliche Überwachung: Auch hier wurde aufgrund der Aktenlage der Bedarf verneint.
    • Begleitungsbedarf: Schliesslich wurde der Begleitungsbedarf gemäss Art. 38 Abs. 1 IVV ebenfalls verneint, basierend auf den Aussagen der Beschwerdeführerin gegenüber der Abklärerin oder in anderen Verfahrensakten.
  • Fazit des Kantonsgerichts: Keine signifikante Veränderung der Situation seit dem 25. September 2017, weshalb der Verwaltungsentscheid bestätigt wurde.

3.5. Rügen der Beschwerdeführerin vor Bundesgericht und deren Würdigung

  • Rüge der unvollständigen/fehlerhaften Sachverhaltsfeststellung (Verwaltungs- und Gerichtsverfahren):

    • Verfahren der Verwaltung: Die Beschwerdeführerin wiederholte wortwörtlich die Rügen aus ihrer kantonalen Beschwerde (z.B. fehlende Motivation des Entscheids, keine Hausabklärung, Qualifikation der Abklärerin). Das Bundesgericht erklärte diese Rügen als unzulässig, da sie nicht direkt das angefochtene Urteil des Kantonsgerichts kritisierten und somit der Begründungspflicht nach Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG nicht genügten.
    • Kantonales Gerichtsverfahren: Die Beschwerdeführerin rügte die Ablehnung eines polydisziplinären Expertengutachtens als willkürlich, angesichts der Komplexität ihrer medizinischen Situation. Das Bundesgericht befand dies als unbegründet. Eine Behörde darf von weiteren Beweismassnahmen absehen, wenn sie aufgrund einer antizipierten Beweiswürdigung davon überzeugt ist, dass der Sachverhalt ausreichend erstellt ist und weitere Massnahmen das Ergebnis nicht ändern würden (BGE 145 I 167 E. 4.1). Die blosse Behauptung der Notwendigkeit eines Gutachtens, ohne detaillierte Begründung der Willkür, genügt nicht. Das Kantonsgericht hatte die progrediente Verschlechterung des Gesundheitszustands ausdrücklich anerkannt, aber deren massgebliche Auswirkung auf den Anspruch verneint.
  • Rügen der Verletzung von Bundesrecht (Art. 17 Abs. 2 ATSG, Art. 37/38 IVV, Art. 61 lit. c ATSG, rechtliches Gehör):

    • Untersuchungsgrundsatz und Beweiswürdigung: Die Beschwerdeführerin argumentierte, die einhelligen Meinungen ihrer behandelnden Ärzte seien missachtet und stattdessen die Meinung einer Krankenschwester zugrunde gelegt worden. Sie monierte, nur unabhängige medizinische Experten könnten ihre behandelnden Ärzte widerlegen und eine Hausabklärung müsse von einem Arzt oder Ergotherapeuten durchgeführt werden. Das Bundesgericht befand dies als unbegründet.
      • Der Rückweisungsentscheid des Kantonsgerichts von März 2022 (Eintreten und Sachverhaltsabklärung) wurde eingehalten.
      • Eine Abklärung der Hilflosigkeit durch eine qualifizierte Person der IV-Stelle muss nicht zwingend durch einen Arzt oder Ergotherapeuten erfolgen (Urteil 9C_560/2023 E. 5.2.2).
      • Die Rolle der Ärzte ist es, die funktionellen Einschränkungen aufzuzeigen; die Rolle der Verwaltung ist es, die Auswirkungen dieser Einschränkungen auf die Alltagsverrichtungen oder den Begleitungsbedarf zu konkretisieren (BGE 130 V 61 E. 6.1.1).
      • Das Kantonsgericht stellte die medizinischen Informationen der behandelnden Ärzte nicht in Frage, sondern die Auswirkungen auf den Alltag.
      • Die Beschwerdeführerin legte keine konkreten Argumente vor, die aufzeigten, dass die Abklärerin unqualifiziert gewesen wäre oder ihre Feststellungen durch medizinische Akten widerlegt würden.
      • Der Abklärungsort (Anwaltsbüro) war mit Zustimmung der Beschwerdeführerin erfolgt und ist nicht entscheidend. Eine Hilflosenabklärung beruht primär auf den Angaben der versicherten Person, nicht auf einer Langzeitbeobachtung.
      • Da die Beschwerdeführerin keine konkreten Argumente vorbrachte, die die Unhaltbarkeit der kantonalgerichtlichen Einschätzung zeigten, konnte weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch des Untersuchungsgrundsatzes angenommen werden.

4. Fazit des Bundesgerichts

Das Bundesgericht wies die Beschwerde, soweit sie zulässig war, ab. Die Kosten wurden der Beschwerdeführerin auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
  • Kein Anspruch auf Hilflosenentschädigung (HE): Das Bundesgericht bestätigte die Ablehnung der AHV-Hilflosenentschädigung, da keine massgebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands der Beschwerdeführerin seit dem letzten materiellen Entscheid festgestellt wurde, die einen Anspruch begründen würde.
  • Abklärung der Hilflosigkeit: Die durch die IV-Stelle durchgeführte Hilflosenabklärung, auch wenn sie nicht von einem Arzt oder Ergotherapeuten, sondern von einer entsprechend geschulten Person durchgeführt wurde und im Anwaltsbüro stattfand, wurde als beweiswertig erachtet. Der Fokus liegt dabei auf den von der versicherten Person gemachten Angaben und der Konkretisierung der Auswirkungen auf den Alltag.
  • Rolle der Gutachten: Die behandelnden Ärzte können funktionelle Einschränkungen feststellen, aber die konkreten Auswirkungen auf den Hilfs- oder Begleitungsbedarf im Alltag zu beurteilen, ist Aufgabe der Verwaltung/Gerichte. Ein zusätzliches polydisziplinäres Expertengutachten war nicht erforderlich, da die Aktenlage als ausreichend erachtet wurde.
  • Verfahrensrechtliche Rügen abgewiesen: Die meisten Rügen der Beschwerdeführerin (z.B. Verletzung des rechtlichen Gehörs, ungenügende Sachverhaltsabklärung) wurden entweder wegen unzureichender Begründung als unzulässig erklärt oder inhaltlich als unbegründet zurückgewiesen. Das Bundesgericht befand insbesondere, dass die Vorinstanz die medizinischen Berichte zwar zur Kenntnis nahm und eine kontinuierliche Verschlechterung anerkannte, jedoch deren Auswirkungen auf den Hilflosenstatus anders beurteilte als die Beschwerdeführerin.