Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts zusammen.
Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts (Aktenzeichen 6B_46/2024 vom 16. Juli 2025)
Einleitung
Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts, Erste Strafrechtliche Abteilung, befasst sich mit einer Beschwerde gegen ein Urteil des Kantonsgerichts Waadt vom 10. Oktober 2023. Hauptgegenstand der Beschwerde war die Strafzumessung, insbesondere die Frage der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot) bei einem teilweisen Freispruch in zweiter Instanz, sowie die Verweigerung des bedingten Vollzugs der Freiheitsstrafe.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer, A.__, wurde ursprünglich vom Bezirksgericht Lausanne am 24. November 2022 wegen Veruntreuung (abus de confiance), schwerer ungetreuer Geschäftsbesorgung (gestion déloyale aggravée), Erwirken einer falschen Beurkundung (obtention frauduleuse d'une constatation fausse) und Widerhandlungen gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz (AuG; entrée, sortie et séjour illégaux) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Diese Strafe wurde als kumulativ zu früheren Verurteilungen ausgesprochen.
In zweiter Instanz, mit Urteil vom 10. Oktober 2023, hob das Kantonsgericht Waadt das erstinstanzliche Urteil teilweise auf. Der Beschwerdeführer wurde vom Vorwurf des Erwirkens einer falschen Beurkundung freigesprochen. Die Verurteilungen wegen Veruntreuung, schwerer ungetreuer Geschäftsbesorgung und Widerhandlungen gegen das AuG wurden jedoch bestätigt. Trotz des teilweisen Freispruchs bestätigte die Vorinstanz die erstinstanzlich festgesetzte Freiheitsstrafe von sechs Monaten.
Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten (Veruntreuung und ungetreue Geschäftsbesorgung) fielen in den Kontext sogenannter "Kaskadenkonkurse" (faillites en cascades). Dieses Phänomen beschreibt ein Schema, bei dem notleidende Unternehmen von Strohmännern oder neuen Eigentümern übernommen werden, oft durch fiktive Kapitalfreisetzungen und Veruntreuungen, um die alten Eigentümer vor Verantwortlichkeitsklagen zu schützen und liquide Mittel abzuschöpfen, woraufhin die Gesellschaften meist innerhalb eines Jahres in Konkurs gehen. Im konkreten Fall der Gesellschaft B.__ wurde das Aktienkapital von CHF 50'000 fiktiv liberiert und der Betrag vom Beschwerdeführer in bar abgehoben. Ferner tätigte er private Abhebungen in Höhe von CHF 6'011.19 vom Firmenkonto.
Die AuG-Verletzung betraf die Wiedereinreise des Beschwerdeführers in die Schweiz am 27. August 2021 trotz eines bis 24. August 2025 gültigen Einreiseverbots. Er wurde am 28. August 2021 beim Verlassen der Schweiz angehalten.
Der Strafregisterauszug des Beschwerdeführers wies mehrere frühere Verurteilungen auf, u.a. wegen illegalen Aufenthalts, Ausübung einer Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung und mehrfacher Anstellung von Ausländern ohne Bewilligung. Die letzte dieser Verurteilungen datiert vom 6. August 2021 (Freiheitsstrafe von 120 Tagen), also vor der hier zur Debatte stehenden AuG-Widerhandlung vom 27. August 2021.
Der Beschwerdeführer beantragte vor Bundesgericht die Reduktion der Freiheitsstrafe auf fünf Monate mit vollem bedingtem Vollzug.
Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts
1. Rüge der Verletzung des Verbots der reformatio in peius (Art. 391 Abs. 2 StPO)
- Argument des Beschwerdeführers: Der teilweise Freispruch in zweiter Instanz hätte zwingend zu einer Reduktion des Strafmasses führen müssen, da das Verschulden geringer sei. Die Vorinstanz habe nicht ausreichend begründet, weshalb die ursprüngliche Strafe von sechs Monaten aufrechterhalten wurde.
- Rechtliche Grundlagen (Bundesgericht): Das Bundesgericht präzisierte die Tragweite des Verbots der reformatio in peius gemäss Art. 391 Abs. 2 StPO. Dieses Verbot soll verhindern, dass ein Beschwerdeführer durch die Anrufung einer Rechtsmittelinstanz eine für ihn nachteiligere Entscheidung riskiert. Es bezieht sich sowohl auf das Strafmass als auch auf die rechtliche Qualifikation. Das Bundesgericht hielt jedoch an seiner konstanten Rechtsprechung fest, wonach ein teilweiser Freispruch in der Berufungsinstanz nicht automatisch eine zwingende Reduktion der erstinstanzlich auferlegten Strafe nach sich zieht. Die Berufungsinstanz ist vielmehr berechtigt, das ursprüngliche Strafmass beizubehalten, sofern sie dies hinreichend begründet. Eine solche Begründung kann beispielsweise darin bestehen, dass die erste Instanz die Sachverhalte falsch gewürdigt oder eine zu niedrige Strafe festgesetzt hatte (vgl. dazu auch BGE 117 IV 395 E. 4; 118 IV 18 E. 1c/bb; sowie diverse neuere BGE-Entscheide wie 144 IV 35 E. 3.1.1). Die Begründung muss das Festhalten an der ursprünglichen Strafe trotz des teilweisen Freispruchs rechtfertigen.
- Anwendung auf den vorliegenden Fall: Das Bundesgericht anerkannte, dass das angefochtene Urteil in diesem Punkt "laconique" (knapp) sei. Es stellte jedoch fest, dass die Vorinstanz die Beibehaltung der sechsmonatigen Freiheitsstrafe, trotz des Freispruchs vom Vorwurf des Erwirkens einer falschen Beurkundung, ausreichend begründet hatte. Die Vorinstanz hob namentlich die hohe Schuld des Beschwerdeführers hervor, verwies auf sein umfangreiches Strafregister mit fünf Vorstrafen, auf ein Spezialrezidiv im Bereich der AuG-Widerhandlungen sowie auf die mangelnde Einsicht des Beschwerdeführers. Dieser habe noch in der Berufungsverhandlung jegliche Verantwortung für die schwerwiegendsten Taten bestritten und die Schuld auf andere geschoben. Als einziger mildernder Umstand wurde der Zeitablauf der Taten (überwiegend vor 2013 begangen) gewürdigt. Die Strafzumessung erfolgte gemäss Art. 47 und 49 StGB, wobei die schwere ungetreue Geschäftsbesorgung als schwerwiegendste Tat mit einer Ausgangsstrafe von vier Monaten sanktioniert und für die Veruntreuung und die AuG-Widerhandlung je ein Monat hinzugefügt wurde, was zu einer Gesamtstrafe von sechs Monaten führte. Das Bundesgericht befand, dass diese detaillierte Begründung, die nicht direkt vom Beschwerdeführer beanstandet wurde, ausreichte, um das Verbot der reformatio in peius nicht zu verletzen. Der Rüge wurde daher kein Erfolg beschieden.
2. Rüge der Verweigerung des bedingten Vollzugs (Art. 42 Abs. 1 StGB)
- Argument des Beschwerdeführers: Er habe keine Vorstrafen im Bereich der Vermögensdelikte, die nun verurteilten Taten seien ein alter und isolierter Vorfall. Die AuG-Widerhandlung sei weniger schwerwiegend gewesen, da er lediglich zur Anwaltskonsultation in der Schweiz gewesen sei und nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Zudem habe die Vorinstanz nicht berücksichtigt, dass er zum Zeitpunkt der früheren Delikte keine Vorstrafen hatte. Er argumentierte, seine früheren Verurteilungen hätten keine abschreckende Wirkung gehabt und es liege kein ungünstiger Prognose vor.
- Rechtliche Grundlagen (Bundesgericht): Das Bundesgericht wiederholte seine ständige Rechtsprechung zur Gewährung des bedingten Vollzugs. Gemäss Art. 42 Abs. 1 StGB ist der bedingte Vollzug die Regel, wenn eine unbedingte Strafe zur Abschreckung des Täters von weiteren Straftaten nicht notwendig erscheint. Der Richter muss eine Prognose über das zukünftige Verhalten des Täters stellen. Fehlt eine ungünstige Prognose, ist der bedingte Vollzug zu gewähren. Bei der Prognosebeurteilung sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen: Tatumstände, Vorleben, Leumund, persönliche Verhältnisse im Zeitpunkt des Urteils und insbesondere die gezeigte Geisteshaltung. Die fehlende Einsichtsfähigkeit des Täters kann eine ungünstige Prognose rechtfertigen, da nur der Reumütige das Vertrauen verdient, das man einem bedingt Verurteilten entgegenbringen muss. Dem Sachgericht wird dabei ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt; das Bundesgericht greift nur bei Ermessensmissbrauch oder Ermessensüberschreitung ein (vgl. BGE 135 IV 180 E. 2.1; 145 IV 137 E. 2.2).
- Anwendung auf den vorliegenden Fall: Das Bundesgericht wies die Ausführungen des Beschwerdeführers bezüglich der Geringfügigkeit der AuG-Verletzung als "appellatorisch" zurück, da sie auf einer freien Diskussion des Sachverhalts basierten und keine zulässige Rüge darstellten. Es stellte fest, dass die Vorinstanz sehr wohl das umfassende Strafregister und die zeitliche Abfolge der Taten berücksichtigt hatte. Insbesondere sei die letzte Verurteilung wegen AuG-Verletzung vom 6. August 2021 vor der hier zur Diskussion stehenden Tat vom 27. August 2021 erfolgt. Dies beweise, dass die früheren Strafen keine ausreichende abschreckende Wirkung entfaltet hätten ("l'absence d'effet dissuasif ne saurait être contestée"). Die Vorinstanz habe zu Recht den Hang des Beschwerdeführers zu Straftaten in verschiedenen Bereichen, das Spezialrezidiv im AuG-Bereich und seine mangelnde Selbstkritik und Einsichtsfähigkeit (weiterhin Leugnung der Verantwortung für die schwerwiegendsten Taten und Abschiebung der Schuld auf andere) hervorgehoben. Angesichts dieser Elemente konnte die Vorinstanz, ohne ihren weiten Ermessensspielraum zu überschreiten oder zu missbrauchen, eine ungünstige Prognose stellen und den bedingten Vollzug der Freiheitsstrafe verweigern. Der Rüge wurde daher kein Erfolg beschieden.
Schlussfolgerung
Das Bundesgericht wies die Beschwerde, soweit sie zulässig war, ab. Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege und um aufschiebende Wirkung wurden abgelehnt. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt, wobei deren Höhe aufgrund seiner Situation festgelegt wurde.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht bestätigte die sechsmonatige unbedingte Freiheitsstrafe des Beschwerdeführers und wies dessen Beschwerde vollumfänglich ab.
- Reformatio in peius: Ein teilweiser Freispruch in der Berufungsinstanz führt gemäss konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht zwingend zu einer Strafreduktion. Die Berufungsinstanz darf die erstinstanzlich verhängte Strafe beibehalten, wenn sie dies hinreichend begründet, beispielsweise durch eine hohe Schuld des Täters, ein umfangreiches Strafregister, Spezialrezidiv und mangelnde Einsicht. Die Begründung der Vorinstanz wurde als ausreichend erachtet.
- Bedingter Vollzug: Die Verweigerung des bedingten Vollzugs wurde bestätigt. Das Bundesgericht betonte den weiten Ermessensspielraum der Vorinstanz bei der Prognosebeurteilung. Entscheidend für die ungünstige Prognose waren das umfassende Strafregister des Beschwerdeführers, die Tatsache, dass eine frühere Strafe (wegen AuG-Verletzung) keine abschreckende Wirkung hatte, sowie die mangelnde Einsichtsfähigkeit und die fortgesetzte Leugnung der Verantwortung für die schwerwiegendsten Taten.