Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_332/2024 vom 21. Juli 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts (2C_332/2024 vom 21. Juli 2025) detailliert zusammen.

I. Einleitung

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts befasst sich mit der Entbindung von der beruflichen Schweigepflicht gemäss Art. 321 Ziff. 2 des Strafgesetzbuchs (StGB) und der daraus resultierenden Frage der Nichtigkeit einer solchen Entbindungsverfügung aufgrund schwerwiegender Verfahrensfehler. Im Zentrum steht der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Geheimnisherrn und die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze, insbesondere des rechtlichen Gehörs und des Anspruchs auf Eröffnung von Verfügungen.

II. Sachverhalt

A._ (Beschwerdeführer), Jahrgang 1999, befand sich vom 21. Februar bis 6. April 2022 in stationärer Behandlung in der Klinik B._ (Beschwerdegegnerin 1). Im Rahmen seiner Therapie kam auch sein Konsum kinderpornografischen Materials zur Sprache.

Mit Gesuch vom 12. Mai 2022 beantragte die Klinik B._ beim Amt für Gesundheit und Soziales des Kantons Schwyz (AGS) die Entbindung des stellvertretenden Ärztlichen Direktors und leitenden Psychologen, Dr. C._, von der beruflichen Schweigepflicht gegenüber den Strafverfolgungsbehörden und den eigenen Anwälten. Begründet wurde dies mit der Gefahr des weiteren Konsums von Kinderpornografie und dem Risiko einer Fremdgefährdung. Das AGS entband Dr. C._ mit Verfügung vom 7. Juni 2022, verzichtete jedoch auf eine vorgängige Anhörung des Beschwerdeführers und stellte die Verfügung ausschliesslich der Klinik B._ zu.

Aufgrund eines weiteren Gesuchs der Klinik vom 20. Juli 2022, die Entbindung auf weitere Mitarbeitende und Juristen auszuweiten, hob das AGS die erste Verfügung wiedererwägungsweise auf und erliess am 30. August 2022 eine neue, erweiterte Verfügung. Diese entband – neben Dr. C._ – auch D._, E._ und F._ von der Schweigepflicht gegenüber den Strafverfolgungsbehörden der Kantone Schwyz und Luzern sowie weiteren Anwälten der Kanzlei G.__ AG und deren Hilfspersonen. Auch diese Verfügung wurde dem Beschwerdeführer weder vorgängig zur Anhörung unterbreitet noch nach Erlass zugestellt.

Am 7. Oktober 2022 erstattete die Klinik B._ bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz Strafanzeige gegen A._ und gegen unbekannt wegen harter Pornografie. Der Beschwerdeführer erlangte erst am 6. Februar 2023 durch Akteneinsicht im Rahmen der Strafuntersuchung Kenntnis von der erfolgten Schweigepflichtentbindung. Seine hiergegen gerichteten Verwaltungsbeschwerden an den Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz blieben erfolglos.

III. Vorinstanzliche Beurteilung

Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz bestätigte die Entbindungsverfügung vom 30. August 2022. Es erwog, die Entbindung richte sich nach Art. 321 Ziff. 2 StGB, was eine Interessenabwägung erfordere. Die fehlende vorgängige Anhörung und Zustellung der Verfügung an den Beschwerdeführer führe weder zur Nichtigkeit noch zur Aufhebung, da dies gestützt auf § 21 Abs. 3 lit. e des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Schwyz (VRP/SZ) mit der Gefahr der Vereitelung der Strafuntersuchung durch Beweismittelvernichtung gerechtfertigt sei.

In der Interessenabwägung anerkannte das Verwaltungsgericht zwar ein erhebliches Geheimhaltungsinteresse des Beschwerdeführers (Schutzraum für Äusserungen zu pädophilen Neigungen, drohendes Tätigkeitsverbot als Tischtennistrainer bei Verurteilung). Es gewichtete jedoch das öffentliche Interesse als höher: Der Beschwerdeführer habe vor, während und auch nach dem Klinikaufenthalt kinderpornografisches Material konsumiert und fachspezifische Hilfe abgelehnt. Kinderpornografie basiere auf unerlaubten Handlungen mit Kindern, deren Schutz oberste Priorität habe. Angesichts der fortgesetzten Delinquenz und der diagnostizierten gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers bestehe eine erhöhte Gefahr weiteren Konsums, was zu weiteren Opfern führen könnte.

IV. Bundesgerichtliche Beurteilung

Das Bundesgericht beurteilte die Beschwerde primär unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeit der Entbindungsverfügung vom 30. August 2022. Die Beschwerde gegen die erste Verfügung vom 7. Juni 2022 wurde als gegenstandslos erachtet, da diese durch die spätere Verfügung ersetzt wurde und kein schutzwürdiges Interesse an deren Nichtigkeitsfeststellung mehr bestand.

1. Rechtsgrundlagen und unbestrittene Punkte: Es war unbestritten, dass die entbundenen Psychologinnen und Psychologen dem Berufsgeheimnis gemäss Art. 27 lit. e des Psychologieberufegesetzes (PsyG) unterstehen und dass Art. 321 Ziff. 2 StGB (Erfordernis der Ermächtigung durch die vorgesetzte Behörde, Interessenabwägung) anwendbar ist. Ebenso war klar, dass sich die Preisgabe der Geheimnisse nicht auf ein Anzeigerecht (z.B. gemäss § 30 Abs. 2 des Gesundheitsgesetzes des Kantons Schwyz oder Art. 321 Ziff. 3 StGB) stützte, welches eine direkte Meldung ohne vorgängiges Entbindungsverfahren erlauben würde.

2. Prüfung der Nichtigkeit der Entbindungsverfügung vom 30. August 2022:

Das Bundesgericht wandte die sog. Evidenztheorie zur Beurteilung der Nichtigkeit an. Demnach sind Entscheide nur dann nichtig, wenn der ihnen anhaftende Mangel (1) besonders schwer ist, (2) offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und (3) die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Krasse Verfahrensfehler zählen zu den möglichen Nichtigkeitsgründen.

2.1. Dreifacher Mangel der Entbindungsverfügung: Das Bundesgericht stellte fest, dass die Entbindungsverfügung vom 30. August 2022 an drei Mängeln litt: 1. Fehlende Parteistellung und Anhörung des Geheimnisherrn: Der Beschwerdeführer als Geheimnisherr hatte gemäss Art. 89 Abs. 1 i.V.m. Art. 111 Abs. 1 BGG Parteistellung im Entbindungsverfahren, wurde jedoch nicht einbezogen und hatte keine Möglichkeit zur vorgängigen Äusserung. 2. Fehlende Zustellung an den Beschwerdeführer: Dem Beschwerdeführer wurde die Entbindungsverfügung nicht zugestellt. 3. Unzuständigkeit des Antragstellers und Adressaten der Verfügung: Nach Art. 321 Ziff. 2 StGB kann nur der "Täter" (d.h. der Geheimnisträger selbst) ein Gesuch um Entbindung stellen und die Entbindungsverfügung muss ihm zugestellt werden. Im vorliegenden Fall ersuchte die Arbeitgeberin (Klinik) um Entbindung, und die Verfügung wurde auch ihr und nicht den individuell entbundenen Geheimnisträgern zugestellt.

2.2. Qualifikation der Mängel als Nichtigkeitsgrund:

  • Fehlende Zustellung und Gehörsverletzung: Das Bundesgericht betonte, dass die Eröffnung von Entscheiden an alle direkt betroffenen Personen ein elementarer Teilgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und der Rechtsschutzgarantien (Art. 29a BV, Art. 6 und 13 EMRK) ist. Ein Verzicht auf die Zustellung ist höchstens bei Vorliegen einer klaren formell-gesetzlichen Grundlage zulässig (Art. 29a Satz 2 BV, Art. 36 Abs. 1 BV analog).

    • Kantonales Recht: Gemäss § 33 VRP/SZ müssen Verfügungen und Entscheide den "Parteien und Beteiligten" zugestellt werden. Die Auslegung, dass der Beschwerdeführer als Adressat nicht dazu gehört, wurde als "unhaltbar und damit willkürlich" bezeichnet. § 21 Abs. 3 VRP/SZ sieht zudem lediglich Ausnahmen von der Anhörungspflicht, nicht aber von der Zustellungspflicht vor. Eine Rechtsgrundlage für die Nichtzustellung lag somit nicht vor.
    • Gravierendheit des Mangels: Die Nichtzustellung in Verbindung mit dem gänzlichen Ausschluss des Beschwerdeführers vom Verfahren verhinderte, dass er sich vorgängig gegen die Offenbarung der Geheimnisse zur Wehr setzen konnte. Der Mangel erwies sich als besonders schwer und war bereits bei Erlass der Verfügung offensichtlich, da das Amt gezielt zentrale Vorgaben des Verfahrensrechts missachtete, um eine effektive Strafverfolgung zu ermöglichen.
    • Schutzwürdigkeit des Geheimnisses: Ärztliche Schweigepflicht unterliegende persönliche Informationen sind in besonderem Masse schützenswert (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK, DSG). Entbindungen stellen Eingriffe in die Privatsphäre dar, weshalb die Wahrung der Parteirechte im Entbindungsverfahren umso wichtiger ist.
    • Unzureichende Begründung für Gehörsverzicht: Die Vorinstanzen begründeten die Nichtanhörung und Nichtzustellung mit der Gefahr der Beweismittelvernichtung. Das Bundesgericht hielt fest, dass dies zur Rechtfertigung einer derart gravierenden Gehörsverletzung nicht ausreicht. Ausnahmen, die eine direkte Meldung ohne Entbindungsverfahren erlauben (z.B. Art. 321 Ziff. 3 StGB), setzen eine konkrete und akute Gefahr für hochwertige Rechtsgüter (z.B. Leben oder körperliche Integrität eines Dritten) voraus, die hier nicht geltend gemacht wurde.
    • Keine Heilung des Mangels: Eine Heilung der Gehörsverletzung war von vornherein ausgeschlossen, da der Beschwerdeführer nie die Möglichkeit hatte, die Entbindungsverfügung wirksam anzufechten, bevor die Geheimnisse bereits offenbart wurden.
  • Keine ernsthafte Gefährdung der Rechtssicherheit: Bei der Interessenabwägung zwischen der richtigen Rechtsanwendung (und der Wahrung der Parteirechte des Beschwerdeführers) und der Rechtssicherheit kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die Annahme der Nichtigkeit die Rechtssicherheit nicht ernsthaft gefährde. Die Geheimnisträger hätten zwar im Vertrauen auf die Verfügung gehandelt, doch das fehlerhafte Vorgehen sei dem Amt anzulasten, nicht ihnen. Das Interesse an einer korrekten Rechtsanwendung überwiege in diesem Fall.

2.3. Schlussfolgerung zur Nichtigkeit: Aufgrund der besonders schwerwiegenden und offensichtlichen Verletzung des rechtlichen Gehörs und der fehlenden Zustellung der Verfügung an den Beschwerdeführer, die nicht durch eine gesetzliche Grundlage gedeckt war und auch nicht geheilt werden konnte, kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die Entbindungsverfügung vom 30. August 2022 nichtig ist. Sie habe keinerlei Rechtswirkungen entfalten können und nie rechtliche Existenz erlangt.

V. Fazit und Entscheid

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, soweit darauf eingetreten werden konnte. Es hob das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 29. Mai 2024 auf und stellte die Nichtigkeit der Entbindungsverfügung vom 30. August 2022 fest. Gerichtskosten wurden keine erhoben, und der Kanton Schwyz wurde zur Entschädigung der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers verpflichtet. Die Sache wurde zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.

VI. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  • Kernproblem: Die Entbindung von der beruflichen Schweigepflicht gegenüber Strafverfolgungsbehörden wurde vom Amt für Gesundheit und Soziales ohne vorgängige Anhörung des Geheimnisherrn (Patienten) und ohne Zustellung der Entbindungsverfügung an diesen vorgenommen.
  • Rechtsgrundlage: Art. 321 Ziff. 2 StGB erfordert eine Interessenabwägung und impliziert die Parteistellung des Geheimnisherrn.
  • Verfahrensfehler: Das Bundesgericht qualifizierte die fehlende Anhörung und die Nichtzustellung der Verfügung an den Geheimnisherrn als besonders schwere und offensichtliche Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV).
  • Fehlende gesetzliche Grundlage: Die kantonale Verfahrensordnung (§ 33 VRP/SZ) sah die Zustellung an Parteien vor, und die Begründung für den Verzicht auf Anhörung (§ 21 Abs. 3 VRP/SZ, Gefahr der Beweismittelvernichtung) war unzureichend, da sie nicht eine konkrete Gefahr für hochwertige Rechtsgüter (wie bei direkten Meldungen erforderlich) betraf.
  • Keine Heilung möglich: Eine Heilung des Verfahrensfehlers war ausgeschlossen, da der Beschwerdeführer keine Möglichkeit hatte, sich vorgängig zur Wehr zu setzen oder die Verfügung wirksam anzufechten, bevor die Geheimnisse preisgegeben wurden.
  • Nichtigkeit: Das Bundesgericht wandte die Evidenztheorie an und befand, dass die Verfügungen mangels ordnungsgemässer Eröffnung keinerlei Rechtswirkungen entfalten konnten und daher nichtig sind. Die Rechtssicherheit wurde durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet.
  • Schutz von Berufsgeheimnissen: Das Urteil unterstreicht die hohe Schutzwürdigkeit ärztlicher Berufsgeheimnisse und die Notwendigkeit der strikten Einhaltung verfahrensrechtlicher Garantien bei Eingriffen in die Privatsphäre.