Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_416/2024 vom 29. Juli 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Bundesgerichtsentscheid 2C_416/2024 + 2C_417/2024 vom 29. Juli 2025

1. Einleitung und Verfahrensgegenstand

Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 29. Juli 2025 betrifft zwei miteinander verbundene Beschwerden: Zum einen die Beschwerde von Angehörigen eines verstorbenen Asylbewerbers (Beschwerdeführende 1-6) gegen die im vorinstanzlichen Verfahren festgestellte Zuständigkeit einer privaten Aktiengesellschaft (H.__ AG) zur Bearbeitung ihres Staatshaftungsbegehrens. Zum anderen die Beschwerde ihres Rechtsvertreters (Beschwerdeführer 7) gegen die Höhe seiner Entschädigung als unentgeltlicher Rechtsbeistand.

Der Kern der ersten Beschwerde bildet die Frage, ob die H._ AG, eine private Organisation, die im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) ein Bundesasylzentrum verwaltet, als Haftungssubjekt im Sinne von Art. 19 des Verantwortlichkeitsgesetzes (VG) anzusehen ist und somit zuständig war, eine Verfügung über Staatshaftungsansprüche zu erlassen. Die Beschwerdeführenden machen geltend, dass die H._ AG lediglich eine Hilfstätigkeit für den Bund erbringe und somit primär der Bund haftbar sei, weshalb das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) für die Durchführung des Verantwortlichkeitsverfahrens zuständig wäre.

2. Sachverhalt (wesentliche Punkte)

Ein kurdischer Asylbewerber verstarb in einem Bundesasylzentrum, welches im Auftrag des SEM von der H._ AG verwaltet wurde. Vor seinem Tod hatte er zweimal wegen Herzbeschwerden das Spital aufgesucht, wobei er beim zweiten Mal bei Ankunft bereits nicht mehr ansprechbar war. Die Angehörigen des Verstorbenen stellten daraufhin beim Generalsekretariat des EFD ein Staatshaftungsbegehren und forderten Schadenersatz und eine Genugtuung von CHF 250'000. Sie rügten Versäumnisse der Mitarbeitenden der H._ AG und der K.__ AG (Wachdienst), da der ernsthafte Zustand des Asylbewerbers nicht erkannt, keine adäquate medizinische Hilfe organisiert und keine Dolmetscher beigezogen worden seien.

Das EFD überwies die Sache, soweit sie Rügen gegen die Mitarbeitenden der H._ AG betraf, an diese zur Bearbeitung. Es vertrat die Ansicht, die H._ AG sei eine mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes betraute, ausserhalb der ordentlichen Bundesverwaltung stehende Organisation und somit selbst zum Erlass einer Verfügung über Haftungsansprüche Dritter zuständig. Die H.__ AG, vertreten durch einen Rechtsanwalt, erliess daraufhin eine Verfügung, in der sie unter anderem ein Verantwortlichkeitsverfahren eröffnete und ablehnte, es bis zum Abschluss eines Strafverfahrens zu sistieren. Gegen diese Verfügung erhoben die Angehörigen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer). Das BVGer wies die Beschwerde, soweit es darauf eintrat, ab, bewilligte jedoch einigen Beschwerdeführenden die unentgeltliche Prozessführung und sprach ihrem Rechtsbeistand, dem Beschwerdeführer 7, ein Honorar von CHF 1'000 zu.

3. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht

3.1. Zulässigkeit der Beschwerden (kurz) Das Bundesgericht trat auf die Beschwerden ein. Es stellte fest, dass es sich beim angefochtenen Urteil des BVGer um einen selbständig anfechtbaren Zwischenentscheid über die Zuständigkeit (Art. 92 BGG) handelte und die Streitwertgrenze von CHF 30'000 im Bereich der Staatshaftung (Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG) durch die Forderung von CHF 250'000 Genugtuung erreicht war.

3.2. Die Frage der Staatshaftung und Zuständigkeit der H.__ AG (Verfahren 2C_416/2024)

  • Grundlagen der Staatshaftung: Das Bundesgericht rekapituliert die allgemeinen Grundsätze der Staatshaftung gemäss Art. 146 BV und dem Verantwortlichkeitsgesetz (VG). Insbesondere wird auf Art. 19 VG verwiesen, wonach ausserhalb der ordentlichen Bundesverwaltung stehende Organisationen, die mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des Bundes betraut wurden, für Schäden haften, die ihre Organe oder Angestellten verursachen. Diese Organisationen sind auch zum Erlass von Verfügungen über streitige Haftungsansprüche zuständig.
  • Abgrenzung "Aufgabenübertragung" vs. "blosse Hilfstätigkeit": Entscheidend für die Anwendung von Art. 19 VG ist, ob eine Organisation tatsächlich mit einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe des Bundes betraut wurde ("Aufgabenübertragung") oder ob sie lediglich Hilfstätigkeiten für den Bund erbringt ("blosse Hilfstätigkeit"). Im letzteren Fall bleibt der Bund direkt haftbar. Das Bundesgericht verweist auf seine Rechtsprechung (u.a. BGE 148 II 218) und Lehre, welche folgende Kriterien zur Abgrenzung heranziehen:
    • Blosse Verwaltungshilfe: Der Private erbringt nur einen Teil der Aufgabe, die Gesamtorganisation verbleibt beim Staat. Es handelt sich um administrative oder technische Hilfstätigkeiten. Die Dienstleistungen sind detailliert im Auftrag geregelt. Der Private hat wenig Gestaltungsspielraum, nur aufgabenimmanentes Ermessen. Er ist in die Verwaltungsorganisation eingebettet, handelt nicht in eigenem Namen/Zuständigkeit, trägt keine eigene Verantwortung und tritt nicht selbständig nach aussen auf. Der Staat trägt die Verantwortung und übt Inhaltskontrolle sowie Aufsicht aus.
    • Aufgabenübertragung: Der Private hat die gesamte Aufgabe zu erfüllen, handelt in eigenem Namen und eigener Verantwortung, tritt entsprechend nach aussen auf, ist nicht in die Verwaltungsorganisation eingebunden und ist befugt, Verfügungen zu erlassen oder hoheitlich zu handeln.
    • Diese Kriterien sind nicht kumulativ zu verstehen, sondern erfordern eine Gesamtschau.
  • Anwendung auf die H.__ AG: Das Bundesgericht wendet die dargelegten Kriterien detailliert auf den Fall der H.__ AG an:
    • Die Unterbringung von Asylsuchenden ist zwar unbestritten eine Bundesaufgabe (Art. 24 AsylG). Das SEM kann Dritte für den Betrieb der Zentren beauftragen (Art. 24b Abs. 1 AsylG).
    • Die H._ AG wurde mit einer Rahmenvereinbarung für "Betreuungsdienstleistungen" in einer bestimmten Region beauftragt. Das Bundesgericht hält fest, dass die Gesamtorganisation der Bundesasylzentren beim Bund verblieb. Der Auftrag der H._ AG ist sowohl inhaltlich (Betreuung) als auch örtlich auf einen Teil der Verwaltungsaufgabe beschränkt.
    • Der Leistungskatalog der H._ AG ist ausführlich und umfasst vorwiegend administrative Aufgaben und die Sicherstellung der Grundversorgung. Entscheidend ist, dass die H._ AG bei der Erbringung dieser Dienstleistungen an die teilweise bis ins Detail reichenden Vorgaben des SEM gebunden ist. Ihr kommt lediglich ein aufgabenimmanentes, nicht aber ein eigentliches Gestaltungsermessen zu.
    • Das SEM ist für die Belegung der Unterkünfte verantwortlich und stellt die betriebsfertige Umgebung (Räumlichkeiten, IT-Infrastruktur etc.) zur Verfügung. Die H.__ AG ist somit organisatorisch eingebettet und agiert als eine von mehreren Akteurinnen in einem vom Bund geführten Gefüge.
    • Die H.__ AG tritt nicht selbständig nach aussen in Erscheinung; ausschliesslich das SEM ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
    • Das SEM übt eine umfassende Aufsicht und Kontrolle über die H.__ AG aus, einschliesslich Qualitätskontrollen, regelmässiger Reportings und der Möglichkeit, den Ersatz von Personal zu verlangen.
    • Der Umstand, dass die Rahmenvereinbarung eine Haftung der H._ AG nach Art. 19 Abs. 1 lit. a VG vorsieht, ist irrelevant, da die rechtliche Qualifikation von den gesetzlichen Voraussetzungen und nicht vom Parteiwillen abhängt. Zudem wurde der H._ AG, im Gegensatz etwa zu Sicherheitspersonal, keine hoheitlichen Aufgaben übertragen.
  • Schlussfolgerung zur Zuständigkeit: Das Bundesgericht kommt zur abschliessenden Würdigung, dass die H._ AG aufgrund dieser Gesamtschau blosse Hilfstätigkeiten für die Verwaltung erbringt. Die öffentlich-rechtliche Aufgabe wurde ihr nicht übertragen, sondern sie wurde lediglich als Verwaltungshilfe beigezogen, um den Bund bei der Erfüllung seiner verbleibenden Aufgabe zu unterstützen. Folglich findet Art. 19 VG keine Anwendung. Die H._ AG ist weder Haftungssubjekt nach dem VG noch zuständig, das Verantwortlichkeitsverfahren zu führen oder die strittige Verfügung zu erlassen. Der Bund ist direkt haftbar, und das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) ist zuständig, über die Ansprüche zu verfügen (Art. 10 Abs. 1 VG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 VoVG). Die Rüge der Verletzung von Art. 146 BV bzw. Art. 3 VG erweist sich als begründet.

3.3. Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsvertreters (Verfahren 2C_417/2024)

  • Der Beschwerdeführer 7 (Rechtsanwalt G.__) rügte eine Verletzung seiner Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) und anderer Verfassungsgarantien aufgrund des zu geringen Honorars von CHF 1'000.
  • Das Bundesgericht hält fest, dass die Tätigkeit als unentgeltlicher Rechtsbeistand nicht in den Geltungsbereich von Art. 27 BV fällt, da es sich dabei um eine staatliche Aufgabe des betroffenen Rechtsanwalts handelt (vgl. BGE 141 I 124 E. 4.1).
  • Dennoch prüfte das Bundesgericht die Höhe der Entschädigung auf Willkür bzw. Ermessensüberschreitung. Angesichts des vom BVGer zugesprochenen Honorars von CHF 1'000, das auch Auslagen und Mehrwertsteuer beinhalten sollte, und des Mindeststundenansatzes von CHF 200 (gemäss VGKE), würde dies lediglich gut vier Stunden Aufwand entschädigen. Das Bundesgericht befand dieses Missverhältnis zwischen Zeitaufwand und Entschädigung als unzureichend.
  • Daher erachtete das Bundesgericht auch die Beschwerde bezüglich des Anwaltshonorars als begründet.

4. Fazit und Anordnungen

Das Bundesgericht hiess beide Beschwerden gut und hob das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2024 auf.

  • Die Sache wird zur Durchführung des Verantwortlichkeitsverfahrens an das Eidgenössische Finanzdepartement überwiesen, da dieses als zuständige Bundesbehörde zu beurteilen hat, ob der Bund direkt haftbar ist.
  • Die Sache wird zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des vorinstanzlichen Verfahrens an das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen, welches insbesondere eine angemessene Parteientschädigung für den Beschwerdeführer 7 festzulegen hat.
  • Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
  • Die Beschwerdegegnerin (H._ AG) hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführenden 1-6 für das bundesgerichtliche Verfahren mit CHF 3'000 zu entschädigen. Dem Rechtsvertreter G._, der im zweiten Verfahren in eigener Sache handelte, wird für diesen Verfahrensteil keine Parteientschädigung zugesprochen.

5. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Der Bundesgerichtsentscheid klärt die Zuständigkeit in einem Staatshaftungsfall, bei dem eine private Organisation (H._ AG) für den Betrieb eines Bundesasylzentrums beauftragt war. Das Bundesgericht urteilte, dass die H._ AG lediglich Hilfstätigkeiten für den Bund erbrachte und ihr die öffentlich-rechtliche Aufgabe nicht im Sinne von Art. 19 VG übertragen wurde. Damit ist der Bund direkt haftbar, und das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) ist für die Bearbeitung der Staatshaftungsbegehren zuständig. Zudem befand das Bundesgericht, dass die vom Bundesverwaltungsgericht zugesprochene Entschädigung für den unentgeltlichen Rechtsvertreter als zu gering und unzureichend war. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wurde aufgehoben und die Sache zur Beurteilung der Haftungsansprüche an das EFD sowie zur Neuregelung der Kosten und Entschädigungen an das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen. Das Urteil unterstreicht die hohe Schwelle für eine Aufgabenübertragung auf private Akteure im Staatshaftungsrecht und präzisiert die Abgrenzung zwischen eigentlicher Aufgabenwahrnehmung und blosser Verwaltungshilfe.