Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_230/2024 vom 10. Juli 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des schweizerischen Bundesgerichts (1C_230/2024) 1. Einleitung

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts vom 10. Juli 2025 (Verfahren 1C_230/2024) befasst sich mit einer Beschwerde gegen die Erteilung einer Baubewilligung für die Umgestaltung des Geländes "Le Vengeron" in Pregny-Chambésy (GE). Die Beschwerdeführerin, A.__ SA, Eigentümerin eines südlich angrenzenden Grundstücks, rügte primär eine Verletzung des eidgenössischen Gewässerschutzrechts (GSchG), insbesondere bezüglich der im Projekt vorgesehenen Seeauffüllungen und Ufermodifikationen. Das Bundesgericht hatte zu prüfen, inwiefern eine vorgängige, detaillierte und unangefochtene Planungsphase (Zonenplanänderung) eine bindende Wirkung für das nachfolgende Baubewilligungsverfahren entfaltet und damit die Geltendmachung bestimmter Rügen präkludiert.

2. Sachverhalt

Im April 2021 wurde dem Genfer Grossen Rat ein Gesetzesentwurf (Gesetz Nr. 12969) zur Änderung der Zonengrenzen in den Gemeinden Bellevue und Pregny-Chambésy vorgelegt. Dieses Gesetz sah die Schaffung einer Industrie- und Gewerbezone, einer Sportzone und einer Grünzone für einen Hafen für professionelle Wasserfahrzeuge sowie die Gestaltung einer Erholungszone am Ort "Le Vengeron" vor. Das Gesetz wurde am 25. Februar 2022 verabschiedet und trat am 30. April 2022 in Kraft, ohne dass dagegen Beschwerde erhoben wurde. Die Standortwahl für dieses Projekt basierte auf einer Vorstudie zur Lokalisierung und Morphologie der Seeanlagen (EPLMAL) aus dem Jahr 2014, in Verbindung mit dem kantonalen Richtplan (PDCn) 2030, Kapitel C09 zur Ufer- und Seenutzung, sowie einer Umweltverträglichkeitsvorprüfung (UVF).

Im Mai 2021 reichte das kantonale Amt für Wasser (OCEau) ein Gesuch um Abbruch bestehender Uferbauten und um Baubewilligung für die Gestaltung des Geländes Le Vengeron ein (Strand, Hafen, Wasserzugang, Renaturierung, Bau eines Werkstattgebäudes und einer Freizeitbasis mit Kiosk, Wärmepumpen, Solarpaneelen und Baumfällungen). Kantonale Ziele waren die Entlastung des Hafens der Rade, die Schaffung eines Hafens für Seeunternehmen und die rechtliche Konformität des Standortes. Im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens wurden verschiedene Studien, darunter ein Umweltverträglichkeitsbericht (UVB), erstellt, und die zuständigen kantonalen Ämter und Kommissionen sowie die betroffenen Gemeinden sprachen sich positiv aus.

Die Baubewilligungen wurden am 11. Oktober 2022 erteilt. Die Beschwerdeführerin, als Eigentümerin eines südlich angrenzenden Grundstücks, erhob hiergegen Rekurs beim Tribunal administratif de première instance (TAPI) und anschliessend bei der Chambre administrative der Cour de justice, welche die Beschwerde gegen die Baubewilligung für die Geländeumgestaltung mit Urteil vom 6. Februar 2024 abwies.

3. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht 3.1. Zulässigkeit der Beschwerde

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich ein. Die Beschwerdeführerin war als Eigentümerin einer direkt benachbarten Parzelle beschwerdebefugt gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG.

3.2. Hauptstreitpunkt: Verletzung des eidgenössischen Gewässerschutzrechts (Art. 39 GSchG)

Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung des Gewässerschutzrechts, da das Projekt Uferauffüllungen und -modifikationen, den Bau neuer Kaianlagen sowie künstlicher Dämme und Inseln vorsieht.

3.2.1. Grundsätze des Gewässerschutzrechts zu Auffüllungen
  • Verbot der Einbringung fester Stoffe (Art. 39 Abs. 1 GSchG): Das GSchG verbietet grundsätzlich das Einbringen fester Stoffe in Seen, auch wenn diese das Wasser nicht verschmutzen. Dieses Verbot dient dem quantitativen Schutz der Seen, um eine künstliche Beschleunigung natürlicher Verlandungsprozesse zu verhindern und die Integrität der biologisch besonders produktiven Uferzone zu gewährleisten. Eingriffe sind nur in Ausnahmefällen, mit Mässigung und Schonung zulässig.
  • Ausnahmen vom Verbot (Art. 39 Abs. 2 GSchG): Eine kantonale Behörde kann Auffüllungen ausnahmsweise bewilligen für:
    • Konstruktionen, die nicht an einem anderen Ort errichtet werden können, in einer Bauzone liegen, überwiegende öffentliche Interessen erfordern und der angestrebte Zweck nicht anders erreicht werden kann (lit. a).
    • Uferverbesserungen (lit. b).
  • Gestaltungsanforderungen (Art. 39 Abs. 3 GSchG): Auffüllungen müssen möglichst naturnah erfolgen; zerstörte Ufervegetation ist zu ersetzen. Dies entspricht dem Ziel von Art. 21 Abs. 1 des Natur- und Heimatschutzgesetzes (NHG), die Ufervegetation zu schützen. Der Ersatz muss quantitativ und qualitativ gleichwertig sein.
  • Raumplanungsrechtliche Aspekte (Art. 3 und 17 RPG): Seen und Ufer gehören zu den zu schützenden Zonen (Art. 17 Abs. 1 lit. a RPG). Die Ufer sind grundsätzlich freizuhalten, und der Zugang der Öffentlichkeit zu erleichtern (Art. 3 Abs. 2 lit. c RPG). Dies bedeutet jedoch nicht ein absolutes Bauverbot; Bauten können zugelassen werden, wenn überwiegende Interessen sie rechtfertigen oder ihr Zweck sie erfordert (vgl. BGE 132 II 10 E. 2.4). Hafenanlagen, insbesondere grosse Projekte, bedürfen einer Nutzungs- oder gar Richtplanung (vgl. BGer 1C_405/2016 E. 3.1).
3.2.2. Bedeutung der vorgängigen Detailplanung für den Standort "Le Vengeron"

Der entscheidende Punkt des Urteils lag in der Präklusionswirkung der vorangegangenen, unangefochtenen Planungsphase:

  • Richt- und Nutzungsplanung: Die Hafenanlage und die Verbesserung des Wasserzugangs am Vengeron waren bereits im kantonalen Richtplan 2030 (PDCn 2030, Kapitel C09) enthalten. Die Zonenplanänderung (Gesetz Nr. 12969 vom 25. Februar 2022) zur Schaffung der Hafenanlagen am Vengeron stellte einen Nutzungsplan im Sinne des kantonalen Rechts dar (Art. 15 ff. kantonales RPG-Ausführungsgesetz, LaLAT). Gegen dieses Gesetz wurde keine Beschwerde erhoben.
  • Verbindlichkeit des Nutzungsplans: Das Bundesgericht prüfte die Tragweite und Verbindlichkeit dieses Nutzungsplans für das spätere Baubewilligungsverfahren. Es hielt fest, dass Art. 2b Abs. 6 des Gesetzes Nr. 12969 ausdrücklich die "strikt notwendigen" Auffüllungen für die im Plan vorgesehenen Untersektoren (Plan Nr. 30085A-506-540) erlaubte. Diese Bestimmung bildete zusammen mit dem Plan die allgemein verbindliche Grundlage der Planung.
  • Qualifikation des erläuternden Berichts ("exposé des motifs"): Der erläuternde Bericht des Staatsrats zum Gesetzesentwurf wurde aufgrund seines materiellen Inhalts einem Richtplanbericht im Sinne von Art. 47 RPV gleichgesetzt. Dieser Bericht enthielt detaillierte Vorschriften zu den vorgesehenen Anlagen und verwies auf technische Studien (EPLMAL, UVF).
  • Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP): Obwohl ein eigentlicher Umweltverträglichkeitsbericht (UVB) erst mit dem Baubewilligungsgesuch erstellt wurde, hätte die UVP bei einem Sondernutzungsplan dieser Art bereits im Planungsverfahren durchgeführt werden müssen (BGE 150 II 133 E. 5.1 und 5.3). Da diese prozessuale Unregelmässigkeit jedoch nicht im Rahmen des Planungsverfahrens gerügt wurde, konnte sie im Baubewilligungsverfahren nicht mehr vorgebracht werden. Zudem wurde die UVF im erläuternden Bericht als gleichwertig mit einem UVB erachtet.
  • Detaillierungsgrad der Planung: Die Planung hatte die Anforderungen an die Begrenzung der Auffüllungen (Art. 2b Abs. 6 Gesetz Nr. 12969) und die Interessenabwägung präzise analysiert. Sie legte den maximalen Rahmen fest, innerhalb dessen das Bauvorhaben realisiert werden durfte, und liess nur einen geringen Spielraum für technische Anpassungen. Dies entsprach einem detaillierten Quartierplan, der Elemente einer vorläufigen Baubewilligung enthalten kann, deren Rechtmässigkeit im späteren Baubewilligungsverfahren nicht mehr überprüft werden kann (BGE 145 II 176 E. 4; BGE 131 II 103 E. 2.4.1).
  • Detaillierung der Auffüllungen: Der erläuternde Bericht befasste sich ausführlich mit Art. 39 GSchG, der Standortwahl (basierend auf EPLMAL) und der Koordination der Umweltaspekte. Er enthielt präzise Angaben zu den Flächen (ca. 5'400 m² für Hafen/Schutzbauten, 1'100 m² für Wasserzugänge) und Volumina (ursprünglich 137'600 m³, später 143'500 m³) der notwendigen Auffüllungen für Hafen, Freizeitanlagen, Badezone und Renaturierung (inkl. zwei künstliche Inseln). Ein weiteres, gleichzeitig eingereichtes Gesetz (Nr. 12968) für einen Investitionskredit und eine Gewässernutzungskonzession enthielt ebenfalls detaillierte technische Beschreibungen und Pläne, die dem späteren Baubewilligungsgesuch entsprachen. Diese Planungsdokumente waren Gegenstand einer öffentlichen Auflage und eines Einspracheverfahrens.
  • Schlussfolgerung zur Präklusion: Das Bundesgericht folgerte, dass die Planungsphase die Dimensionierung und Lage der Seeanlagen und künstlichen Inseln sowie den Auffüllungsbedarf verbindlich festgelegt hatte. Trotz geringfügiger Abweichungen im Baubewilligungsverfahren entsprach der Detaillierungsgrad der Planung einem faktischen Baubewilligungsentscheid. Da die Planungsbehörden dem Plan ausdrücklich eine verbindliche Wirkung zuschreiben wollten, durfte der Bauherr auf die Realisierbarkeit des Projekts vertrauen.
    • Konsequenz: Die Rügen der Beschwerdeführerin bezüglich der Seeauffüllungen (Art. 39 GSchG), die bereits im Planungsverfahren detailliert geprüft worden waren, konnten im nachfolgenden Baubewilligungsverfahren nicht mehr vorgebracht werden (vgl. BGer 1C_821/2013 vom 30. März 2015 E. 4).
    • Es lagen keine Gründe für eine präjudizielle Überprüfung der Planung vor (Art. 21 Abs. 2 RPG), da die Beschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt hatte, am damaligen Einspracheverfahren teilzunehmen (BGE 148 II 417 E. 3.3) und keine wesentlichen Änderungen der Sach- oder Rechtslage eingetreten waren, welche die Planungsfestlegungen illegal gemacht hätten.
    • Obwohl die kantonale Vorinstanz die materiellen Rügen der Beschwerdeführerin noch geprüft hatte, wies das Bundesgericht die Beschwerde aus diesen Gründen ab, ohne die materiellen Rügen inhaltlich weiter zu vertiefen.
4. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
  • Bindungswirkung der Vorplanung: Das Bundesgericht bestätigt, dass ein detaillierter und unangefochtener Zonenplan, der ein konkretes Bauvorhaben (hier: Seeanlagen, Hafen, Renaturierung, Auffüllungen) umfassend regelt, eine derart hohe Verbindlichkeit aufweisen kann, dass er wie eine Baubewilligung wirkt.
  • Präklusion von Rügen: Rechtliche Argumente (insbesondere bezüglich Art. 39 GSchG und der Zulässigkeit von Seeauffüllungen), die bereits im Rahmen dieser detaillierten Planungsphase hätten vorgebracht und geprüft werden können, sind im nachfolgenden Baubewilligungsverfahren präkludiert und können nicht mehr geltend gemacht werden.
  • Fehlende präjudizielle Überprüfung: Da keine Gründe für eine ausserordentliche Überprüfung der Rechtmässigkeit des Plans (wie fehlende Partizipation oder wesentliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage) vorlagen, war der Plan für das Baubewilligungsverfahren verbindlich.
  • Abweisung der Beschwerde: Die Beschwerde wurde daher abgewiesen, ohne dass das Bundesgericht die materiellen Rügen bezüglich des Gewässerschutzes erneut prüfen musste, da diese bereits durch die rechtskräftige Planung als erledigt galten.