Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:
Detaillierte Zusammenfassung des Bundesgerichtsurteils 7B_907/2023 vom 18. Juli 2025
1. Einleitung und Parteien
Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (II. Strafrechtliche Abteilung) befasst sich mit einer Beschwerde gegen einen kantonalen Entscheid, der die Nichtanhandnahme einer Strafanzeige/Strafklage bestätigte, weil dem Beschwerdeführer die Parteistellung abgesprochen wurde.
Beschwerdeführer: A.__, Bauingenieur.
Intimierter: Office central du Ministère public du canton du Valais (Walliser Staatsanwaltschaft).
Gegenstand: Beschwerde gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts Wallis vom 18. Oktober 2023, der die Unzulässigkeit einer Beschwerde gegen eine Nichtanhandnahmeverfügung feststellte.
2. Sachverhalt und Verfahrensablauf
Der Beschwerdeführer A.__ reichte am 30. Oktober 2018 bei der Walliser Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige bzw. Strafklage gegen Unbekannt ein. Er rügte Amtsmissbrauch (Art. 312 StGB), ungetreue Geschäftsbesorgung öffentlicher Interessen (Art. 314 StGB) und passive Bestechung (Art. 322quater StGB) sowie "jede andere Straftat, die die Untersuchung ans Licht bringen würde".
Im Kern behauptete A._, dass im Zusammenhang mit dem Bau des Parkhauses B._ in U.__ Vorteile an Mandatsträger gewährt und die Regeln des öffentlichen Beschaffungswesens verletzt worden seien. Als Bauingenieur sei ihm die Existenz dieser öffentlichen Aufträge vorenthalten worden, was ihn an der Teilnahme an den lukrativen Ausschreibungen gehindert habe. Er sah sich persönlich durch die angezeigten Straftaten geschädigt und beabsichtigte, sich als Zivil- und Strafkläger am Verfahren zu beteiligen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis lehnte am 4. September 2023 die Nichtanhandnahme der Strafanzeige/Strafklage gemäss Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO ab, da die Tatbestandsmerkmale einer Straftat offensichtlich nicht erfüllt seien.
Dagegen erhob A._ Beschwerde beim Kantonsgericht Wallis. Das Kantonsgericht erklärte die Beschwerde mit Entscheid vom 18. Oktober 2023 als unzulässig, da A._ die erforderliche Beschwerdelegitimation fehle.
Gegen diesen kantonalen Entscheid gelangte A.__ mit einer Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht, mit dem Antrag auf Aufhebung des Entscheids und Rückweisung der Sache an die Staatsanwaltschaft zur Eröffnung einer Untersuchung.
3. Rechtliche Vorfragen und Zulässigkeit der Beschwerde vor Bundesgericht
Das Bundesgericht prüfte zunächst die eigene Zuständigkeit und die Zulässigkeit der Beschwerde.
- Zulässigkeit der Beschwerde bezüglich der Legitimation: Das Bundesgericht stellte fest, dass die Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts, die kantonale Beschwerde mangels Legitimation für unzulässig zu erklären, zulässig ist. Eine Partei, die sich über die Verletzung ihrer Parteirechte beschwert, die einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt, ist zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG i.V.m. der Lehre zum formellen Rechtsverweigerungsanspruch).
- Anwendbares Recht: Das Bundesgericht hielt fest, dass es das Bundesrecht überprüft, das zum Zeitpunkt des angefochtenen kantonalen Entscheids (18. Oktober 2023) in Kraft war. Änderungen der StPO, die am 1. Januar 2024 in Kraft traten, sind daher nicht relevant.
4. Rüge der Rechtsverweigerung durch die Vorinstanzen
A.__ rügte eine "Rechtsverweigerung" seitens der Staatsanwaltschaft und des Kantonsgerichts. Er argumentierte, die Nichtanhandnahmeverfügung sei kurz vor der Pensionierung des zuständigen Staatsanwalts ergangen und das Kantonsgericht habe seinen Entscheid nur 15 Tage nach Erhalt der Akten gefällt. Dies deute darauf hin, dass die Behörden einen Grund gesucht hätten, um die Angelegenheit nicht zu behandeln.
Das Bundesgericht wies diese Rüge als unbegründet bzw. unzulässig zurück:
* Die Rüge bezüglich der Staatsanwaltschaft sei unzulässig, da sie nicht vor der kantonalen Instanz geltend gemacht und somit der Instanzenzug nicht ausgeschöpft wurde (Art. 80 Abs. 1 BGG).
* Für das Kantonsgericht gab es keine Anzeichen, dass dieses die Akten nicht geprüft hätte. Die Behauptung, das Kantonsgericht habe lediglich nach einem Ablehnungsgrund gesucht, sei eine unsubstantiierte appellatorische Rüge (Art. 106 Abs. 2 BGG).
5. Kernpunkt: Beschwerdelegitimation als geschädigte Person / Privatkläger (Art. 115, 118, 382 StPO)
Dies bildete den zentralen Streitpunkt des Verfahrens. A.__ warf der Vorinstanz vor, seine Legitimation als geschädigte Person und damit als Privatklägerin unzureichend begründet zu haben.
5.1. Grundsätze der Beschwerdelegitimation
- Art. 382 Abs. 1 StPO: Zur Beschwerde ist berechtigt, wer ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids hat. Ein bloss faktisches Interesse genügt nicht (BGE 145 IV 161 E. 3.1).
- Parteistellung gemäss Art. 104 ff. StPO: Als Partei gilt unter anderem der Privatkläger (Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO).
- Privatkläger gemäss Art. 118 Abs. 1 StPO: Dies ist die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, am Strafverfahren als Straf- oder Zivilkläger teilnehmen zu wollen.
- Geschädigte Person gemäss Art. 115 Abs. 1 StPO: Dies ist jede Person, deren Rechte durch eine Straftat direkt verletzt worden sind.
- Direkte Betroffenheit: In der Regel ist nur Inhaber des durch die Strafnorm geschützten Rechtsguts direkt betroffen (BGE 148 IV 256 E. 3.1).
- Kausalzusammenhang: Die Schädigung muss in einem direkten Kausalzusammenhang mit der Straftat stehen; indirekte Schäden (Reflexschäden) reichen nicht aus (BGE 147 IV 269 E. 3.1).
- Öffentliche vs. private Interessen: Wer nur indirekt durch eine Straftat geschädigt wird, die primär öffentliche Interessen verletzt, ist keine geschädigte Person im Sinne des Strafprozessrechts (BGE 148 IV 170 E. 3.2).
- Schaden nicht zwingend: Ein Schaden ist nicht zwingend erforderlich, um als geschädigt zu gelten; die direkte Betroffenheit bezieht sich auf die Verletzung des Strafrechts, nicht auf einen Vermögensschaden (BGE 139 IV 78 E. 3.3.3).
- Glaubhaftmachung: Wer sich als Privatkläger konstituieren will, muss den geltend gemachten Nachteil und den Kausalzusammenhang zwischen diesem und der angezeigten Straftat glaubhaft machen (BGE 141 IV 1 E. 3.1).
- Substantiierungspflicht: Die Begründung einer Beschwerde muss vollständig im Rechtsmittel enthalten sein; ein blosser Verweis auf andere Eingaben genügt nicht. Die Legitimation muss, insbesondere wenn sie nicht offensichtlich ist, substanziiert dargelegt werden (BGE 150 IV 409 E. 2.5.1).
5.2. Anwendung auf die angezeigten Straftatbestände
Das Bundesgericht prüfte die Legitimation des Beschwerdeführers bezüglich der von ihm angezeigten Straftatbestände:
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Ungetreue Geschäftsbesorgung öffentlicher Interessen (Art. 314 StGB):
- Diese Norm schützt in erster Linie die Interessen des Staates, insbesondere dessen Vermögen (BGE 6B_1318/2017 E. 7.2.4).
- Der Beschwerdeführer bestritt zu Recht nicht, dass ihm bezüglich dieser Straftat die Legitimation fehlt. Das Bundesgericht bestätigte, dass diese Bestimmung ausschliesslich öffentliche Interessen schützt.
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Amtsmissbrauch (Art. 312 StGB):
- Diese Bestimmung schützt sowohl das staatliche Interesse an einer integren Ausübung der öffentlichen Gewalt als auch das Interesse der Bürger, nicht einer unkontrollierten und willkürlichen Machtausübung ausgesetzt zu sein (BGE 127 IV 209 E. 1b).
- Da Art. 312 StGB auch Individualrechte schützt, hielt das Kantonsgericht zu Recht fest, dass die Parteistellung diesbezüglich nicht von vornherein verneint werden konnte. Allerdings obliegt es demjenigen, der eine Schädigung eines privaten Interesses durch eine Verletzung von Art. 312 StGB geltend macht, die massgeblichen Tatsachen darzulegen und präzise zu erklären, worin die behauptete Verletzung eines rechtlich geschützten Privatrechts besteht.
-
Passive Bestechung (Art. 322quater StGB) und Korruptionsdelikte (Art. 322ter ff. StGB):
- Diese Bestimmungen sollen die Objektivität und Unparteilichkeit staatlicher Entscheidungsprozesse sowie das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität staatlichen Handelns schützen (BGE 149 IV 57 E. 1.2).
- Die Literatur erwähnt zudem den Schutz der Menschenrechte und rechtsstaatlicher Prinzipien (Gesetzmässigkeit, Gleichheit, öffentliche Interessen) sowie den Schutz des freien Wettbewerbs zwischen Wirtschaftsakteuren im Umgang mit dem Staat, insbesondere bei öffentlichen Beschaffungen, da Korruption die Gleichbehandlung ernsthaft in Frage stellt.
- Angesichts dessen erachtet das Bundesgericht es als plausibel, dass Korruptionsdelikte nicht nur kollektive, sondern auch individuelle Rechte wie die Gleichbehandlung und den freien Wettbewerb schützen. Die Frage, ob diese privaten Interessen eine Facette des durch Art. 322quater StGB geschützten Rechtsguts darstellen, konnte das Bundesgericht jedoch offenlassen, da der Beschwerdeführer die Anforderungen an die Glaubhaftmachung nicht erfüllte.
5.3. Entscheidende Begründung des Bundesgerichts: Fehlende Glaubhaftmachung der direkten Schädigung
Das Kantonsgericht hatte argumentiert, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft gemacht, dass er einen Schaden erlitten habe oder dass ihm der Auftrag möglicherweise zugeschlagen worden wäre, da er keine konkreten Elemente vorgelegt habe, die seine Eignung zur Teilnahme an solchen öffentlichen Ausschreibungen belegten.
Das Bundesgericht bestätigte diese Auffassung. Obwohl ein Schaden für die Legitimation als geschädigte Person nicht zwingend ist, muss der Beschwerdeführer den geltend gemachten Nachteil und den Kausalzusammenhang zwischen diesem und der angezeigten Straftat glaubhaft machen.
- Klarer Bezug zum Vergaberecht: Selbst wenn die Verletzung der Vorschriften über das öffentliche Beschaffungswesen die angezeigten Straftaten darstellen und diese die Wirtschaftsfreiheit (insbesondere freier Wettbewerb und Gleichbehandlung gemäss Art. 27 und 94 Abs. 1 BV) schützen, hätte A.__ eine persönliche und direkte Verletzung seiner individuellen Rechte erleiden müssen.
- Anforderungen an potenzielle Bieter: In Analogie zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts im Vergaberecht (BGE 150 II 105 E. 5.3; 141 II 14 E. 4.1 und 4.6), wonach nur ein Unternehmen, das eine reelle Chance auf einen öffentlichen Auftrag gehabt hätte, die Legitimation zur Beschwerde besitzt, hätte A.__ glaubhaft machen müssen, dass er ein potenzieller Bieter war. Dies bedeutet, dass er hätte aufzeigen müssen, dass er in der Lage und willens war, eine dem Gegenstand des Auftrags entsprechende Leistung zu erbringen, wenn ein ordentliches Ausschreibungsverfahren stattgefunden hätte.
- Fehlende Substantiierung: Der Beschwerdeführer hat es versäumt, konkrete Elemente vorzubringen, die belegen würden, dass er die Bedingungen für die Teilnahme an den fraglichen öffentlichen Aufträgen erfüllte und dass diese ihm möglicherweise zugeschlagen worden wären. Er legte weder seine Fähigkeit zur Erbringung einer den Anforderungen des Auftraggebers entsprechenden Leistung dar, noch erklärte er, inwiefern sein hypothetisches Angebot hätte berücksichtigt werden können. Solche Ausführungen fehlten auch in seiner kantonalen Beschwerde; ein blosser Verweis auf frühere Schriften genügt nicht.
- Fazit zur Legitimation: A.__ gelang es nicht, durch eine den Anforderungen entsprechende Begründung (Art. 42 Abs. 2 und 106 Abs. 2 BGG) darzulegen, dass er einen Schaden aus einer allfälligen vorsätzlichen Verletzung der Regeln über das öffentliche Beschaffungswesen durch die Walliser Behörden erlitten hätte.
6. Ergebnis
Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass der angefochtene Entscheid, der die kantonale Beschwerde mangels rechtlich geschützten Interesses als unzulässig erklärte, keine Rechtsverletzung darstellt. Die Beschwerde wurde, soweit sie zulässig war, abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
Das Bundesgericht wies die Beschwerde eines Bauingenieurs ab, der die Nichtanhandnahme seiner Strafanzeige wegen Korruption und Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge rügte. Die Kernfrage war die Beschwerdelegitimation (Parteistellung) des Klägers.
- Rechtsgüterschutz: Während die Straftatbestände des Amtsmissbrauchs und der passiven Bestechung potenziell auch private Interessen (wie Gleichbehandlung und freien Wettbewerb bei öffentlichen Aufträgen) schützen können, schützt die ungetreue Geschäftsbesorgung öffentlicher Interessen ausschliesslich öffentliche Interessen.
- Glaubhaftmachung der Schädigung: Der Beschwerdeführer, der angab, durch die vorenthaltene Möglichkeit zur Submission geschädigt worden zu sein, konnte seine direkte Schädigung nicht glaubhaft machen.
- Anforderungen aus dem Vergaberecht: In Anlehnung an die Rechtsprechung zu öffentlichen Beschaffungen hätte er darlegen müssen, dass er ein potenzieller Bieter gewesen wäre, d.h., dass er die Eignung und die reelle Chance gehabt hätte, den fraglichen Auftrag zu erhalten.
- Fehlende Substantiierung: Da der Beschwerdeführer keine konkreten Elemente zu seiner Fähigkeit oder der Wahrscheinlichkeit eines Zuschlags vorlegen konnte, verneinte das Bundesgericht, wie schon die Vorinstanz, seine Beschwerdelegitimation.
Die Rüge einer formellen Rechtsverweigerung durch die Vorinstanzen wurde ebenfalls abgewiesen.