Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 1C_5/2025 vom 24. Juli 2025
Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts befasst sich mit einem Rekurs im Bereich des öffentlichen Rechts zum Schutz des Kulturerbes, insbesondere der Inventarisierung einer Villa in Collonge-Bellerive (GE). Der Beschwerdeführer A.__, Eigentümer der Parzelle Nr. 7'846, wehrte sich gegen die Aufnahme seiner Villa in das Inventar der schützenswerten Gebäude.
I. Sachverhalt
Die fragliche Villa wurde zwischen 1959 und 1960 erbaut und ist Teil eines Ensembles von vier Villen am Ort namens "La Californie", das als Werk der Genfer Architekten Michel Frey und Jean Rogg gilt. Das Gebäude ist eine der ersten in der Schweiz im Stil der kalifornischen "Case Study Houses" errichteten Villen.
Im Mai 2022 wurde eine Abbruchbewilligung beantragt, nachdem eine Kaufzusage über CHF 4'850'000 vorlag. Die Gemeinde sprach sich dagegen aus. Kantonale Fachdienste (Service cantonal de l'inventaire des monuments et des sites [IMAH], Service cantonal des monuments et des sites [SMS], Commission cantonale des monuments, de la nature et des sites [CMNS]) stellten fest, dass die Villa und das gesamte Ensemble aufgrund ihrer "radikal avantgardistischen" und "seltenen" Architektur einen hohen denkmalpflegerischen Wert aufwiesen. Trotz oberflächlicher, reversibler Veränderungen sei die architektonische Substanz und die Originalmaterialität erhalten geblieben. Die geschätzten Renovationskosten durch das Office du patrimoine et des sites (OPS) beliefen sich auf CHF 472'278.
Gestützt auf diese Expertisen verfügte das Departement für Raumentwicklung am 21. Februar 2024 die Inventarisierung der Parzelle und der Villa. Ein Rekurs des Eigentümers an die Chambre administrative des Genfer Kantonsgerichts wurde am 12. November 2024 abgewiesen. Dagegen reichte der Eigentümer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht ein.
II. Prozessuale Aspekte und Sachverhaltsfeststellung
Das Bundesgericht trat grundsätzlich auf die Beschwerde ein, da es sich um eine letztinstanzliche kantonale Entscheidung im Bereich des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d BGG) handelte und der Beschwerdeführer als Eigentümer des betroffenen Gebäudes besonders betroffen war (Art. 89 Abs. 1 BGG).
Allerdings kritisierte das Gericht die Form der Beschwerdeschriften des Beschwerdeführers. Diese seien mit 94 bzw. 53 Seiten übermässig lang, weitschweifig, unstrukturiert, appellatorisch und redundant. Neue Argumente in der Replik seien unzulässig (Art. 42 Abs. 2 BGG; Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 144 III 411 E. 6.4.1). Das Gericht beschränkte die Prüfung daher auf ausreichend verständlich dargelegte und begründete Rügen.
Hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellung hielt das Bundesgericht fest, dass es grundsätzlich an die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen gebunden sei (Art. 105 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer habe nicht substanziiert dargelegt, inwiefern die kantonalen Tatsachenfeststellungen willkürlich (Art. 97 Abs. 1 BGG) oder sonstwie bundesrechtswidrig wären. Neue Beweismittel oder Sachverhaltselemente, die nicht bereits im kantonalen Verfahren vorgelegen hatten, waren unzulässig (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 150 IV 360 E. 3.2.1).
Die vom Beschwerdeführer gerügten Verfahrensmängel im Zusammenhang mit der Erstellung des Gutachtens der CMNS wurden ebenfalls abgewiesen. Das Bundesgericht prüft die Anwendung kantonalen Rechts nur unter dem Blickwinkel der Willkür (Art. 9 BV; Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 150 I 50 E. 3.2.7). Die Vorinstanz habe nicht willkürlich gehandelt, indem sie das schriftliche Vorab-Gutachten der Subkommission 3 der CMNS als ausreichend angesehen und eine gesonderte Protokollierung nicht verlangt hatte (vgl. Art. 15 Abs. 1 LCOf und Art. 23 Abs. 2 RCOf). Auch die Rüge bezüglich der Zusammensetzung der Subkommission wurde als unzulässig erachtet, da sie nicht vor der Vorinstanz erhoben wurde. Die Behauptung, ein CMNS-Mitglied hätte befangen sein können, wurde aufgrund der Feststellung, dass dieses Mitglied nicht in der Subkommission sass, als appellatorisch zurückgewiesen. Das Gericht betonte zudem, dass es der Denkmalwert des gesamten Ensembles sei, der eine gebündelte Beurteilung rechtfertige. Das Recht auf Anhörung (Art. 29 Abs. 2 BV) sei nicht verletzt worden, da der Beschwerdeführer im Verfahren mehrfach Stellung nehmen und Beweise einreichen konnte.
III. Materielle Prüfung: Eigentumsgarantie und Verhältnismässigkeit
Das Bundesgericht prüfte die Inventarisierung im Lichte der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) und des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 36 Abs. 1-3 BV). Eine solche Massnahme stellt zweifellos einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht dar, da sie den Abriss der Villa verbietet und den Eigentümer zur Erhaltung schützenswerter Elemente verpflichtet (Art. 9 Abs. 1 LPMNS).
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Gesetzliche Grundlage: Die Inventarisierung stützt sich auf eine formelle gesetzliche Grundlage, nämlich das kantonale Gesetz über den Schutz der Denkmäler, der Natur und der Stätten (LPMNS), namentlich Art. 4 und Art. 7 Abs. 1 LPMNS. Dies war unbestritten.
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Öffentliches Interesse:
- Das Bundesgericht bestätigte, dass Einschränkungen des Eigentums zum Schutz von Baudenkmälern und schützenswerten Stätten grundsätzlich im öffentlichen Interesse liegen (BGE 135 I 176 E. 6.1). Dieses Interesse überwiegt in der Regel das private Interesse an einer optimalen finanziellen Nutzung des Gebäudes (BGE 120 Ia 270 E. 6c).
- Die Kantone haben einen vorrangigen Entscheidungsspielraum bei der Definition schützenswerter Objekte (BGE 126 I 219 E. 2c). Dabei ist eine globale, objektive und wissenschaftliche Prüfung des kulturellen, historischen, künstlerischen und städtebaulichen Kontexts erforderlich. Nicht nur ästhetische Kriterien zählen, sondern auch die Repräsentativität einer Epoche oder eines Stils, selbst wenn dieser noch relativ jung ist (BGE 135 I 176 E. 6.2).
- Im vorliegenden Fall wurde der denkmalpflegerische Wert des Gebäudes, als Teil des kalifornischen Villen-Ensembles, von den spezialisierten kantonalen Diensten (IMAH, SMS, CMNS) übereinstimmend und klar bestätigt. Es handele sich um eine "radikal avantgardistische" Architektur, die von den "Case Study Houses" inspiriert und in Genf selten sei. Das Bundesgericht hob hervor, dass die übereinstimmende Einschätzung dieser Fachleute, die zudem in der Architektur und Denkmalpflege spezialisiert sind, ein hohes Gewicht habe (vgl. BGE 1C_72/2017 E. 2.2). Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gegendarstellungen, wie die Einzelmeinung eines Architekten oder der Sanierungszustand der Villa, konnten die Expertise der kantonalen Dienste nicht entkräften. Das Gericht betonte, dass der wesentliche Teil der architektonischen Substanz und Originalmaterialität der Villa erhalten geblieben sei und oberflächliche Änderungen reversibel seien.
- Da das gesamte Ensemble einen besonderen patrimonialen Wert darstellt, erstreckte sich die Schutzmassnahme zu Recht auf die gesamte Parzelle, um die architektonische Kohärenz zu wahren (vgl. BGE 1C_696/2024 E. 5.3.2).
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Verhältnismässigkeit:
- Das Verhältnismässigkeitsprinzip verlangt, dass eine Massnahme geeignet, erforderlich und zumutbar ist (BGE 140 I 168 E. 4.2.1). Bei der Prüfung der Zumutbarkeit sind die finanziellen Konsequenzen für den Eigentümer zu berücksichtigen. Das Bundesgericht übt bei der Beurteilung reiner Ermessensfragen oder lokaler Gegebenheiten eine gewisse Zurückhaltung aus (BGE 142 I 162 E. 3.2.2).
- Geeignetheit und Erforderlichkeit: Die Inventarisierung wurde als die am wenigsten einschneidende Massnahme unter den Möglichkeiten des LPMNS betrachtet, um das Ziel des öffentlichen Interesses zu erreichen (vgl. BGE 1C_696/2024 E. 5.4.2). Sie verpflichtet zwar zur Erhaltung, verhindert aber keine Umbauten, sofern die schützenswerten Eigenschaften nicht beeinträchtigt werden.
- Zumutbarkeit und finanzielle Aspekte:
- Der Beschwerdeführer machte geltend, die Renovationskosten seien unverhältnismässig. Das Bundesgericht hielt an der von der Vorinstanz übernommenen SMS-Schätzung von CHF 472'278 fest, da die höheren Berechnungen des Beschwerdeführers nicht substanziiert begründet und teilweise nicht den denkmalpflegerischen Massnahmen zuzurechnen waren.
- Es wurde anerkannt, dass der Verkauf der Parzelle zu einem hohen Preis durch die Inventarisierung möglicherweise verhindert wurde. Jedoch sei nicht dargelegt, dass keine akzeptable Rendite oder kein Käufer mehr zu finden sei. Eine professionelle Restaurierung, insbesondere unter Berücksichtigung energetischer Standards, könne das Interesse potenzieller Käufer wecken. Eine blosse Minderung der Renditeerwartungen reicht gemäss Rechtsprechung nicht aus, um eine Schutzmassnahme zu verhindern (BGE 126 I 219 E. 2c).
- Die geschätzten Renovationskosten seien angesichts des hohen Patrimonialwertes und der Möglichkeit staatlicher Beiträge (10%, gemäss Art. 22 und 42a ff. LPMNS) nicht als unverhältnismässig anzusehen. Auch die finanzielle Situation des Beschwerdeführers sei nicht unhaltbar, zumal er ein Reugeld von CHF 400'000 aus der geplatzten Kaufzusage erhalten habe. Die überhöhte Kostenrechnung des Beschwerdeführers, die u.a. die vollständige Hypothekarrückzahlung beinhaltete, wurde nicht akzeptiert.
- Öffentliches Interesse an Wohnungsbau: Die Rüge, die Inventarisierung stünde dem öffentlichen Interesse an der Linderung der Wohnungsnot in Genf entgegen, wurde ebenfalls abgewiesen. Der kantonale Richtplan 2030 (PDCn 2030, Fiche A04) sehe ausdrücklich vor, dass die Verdichtung nicht auf Kosten des Kulturerbes erfolgen dürfe. Zudem befinde sich die Parzelle in einer Villenzone, was die mögliche Anzahl an Wohneinheiten ohnehin begrenze.
- Fazit zur Verhältnismässigkeit: Die von der Vorinstanz vorgenommene Interessenabwägung war korrekt. Das bedeutende öffentliche Interesse am Schutz des Kulturerbes überwiegt im konkreten Fall die privaten Interessen des Eigentümers, einschliesslich der reduzierten Renditeerwartungen und der Verhinderung von zusätzlichem Wohnraum. Die Massnahme ist somit verhältnismässig.
IV. Schlussfolgerung
Das Bundesgericht wies die Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden konnte, ab. Die Gerichtskosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
- Gegenstand: Inventarisierung einer Villa (im Stil der kalifornischen "Case Study Houses") in Genf als schützenswertes Denkmal.
- Architektonischer Wert: Die Villa gilt als "radikal avantgardistisch" und architekturgeschichtlich bedeutsam, insbesondere als Teil eines Ensembles.
- Öffentliches Interesse: Das Bundesgericht bestätigte das hohe öffentliche Interesse am Schutz des Kulturerbes, das in der Regel das private Interesse an einer optimalen finanziellen Nutzung überwiegt.
- Verhältnismässigkeit:
- Die Inventarisierung ist die mildeste Schutzmassnahme.
- Die geschätzten Renovationskosten von CHF 472'278 sind angesichts des hohen Patrimonialwertes, möglicher staatlicher Beiträge und der finanziellen Lage des Eigentümers nicht unverhältnismässig.
- Eine Wertminderung des Grundstücks oder entgangene höhere Verkaufserlöse reichen allein nicht aus, um die Schutzmassnahme als unverhältnismässig zu erachten.
- Das Interesse am Wohnungsbau überwiegt im konkreten Fall nicht den Denkmalschutz, zumal Verdichtung nicht auf Kosten des Kulturerbes gehen soll und die Zone begrenzt ist.
- Verfahrensfehler: Rügen des Beschwerdeführers wegen Verfahrensmängeln oder willkürlicher Sachverhaltsfeststellung wurden als unbegründet oder unzulässig abgewiesen.