Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_385/2024 vom 13. August 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 7B_385/2024 vom 13. August 2025

1. Einleitung und Streitgegenstand

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts (II. Strafrechtliche Abteilung) vom 13. August 2025 (Aktenzeichen 7B_385/2024) befasst sich mit der zentralen Frage der Parteistellung als Privatklägerin im schweizerischen Strafprozessrecht. Die Beschwerdeführerin A._ begehrte die Anerkennung ihrer Stellung als Privatklägerin in einem Verfahren wegen Veruntreuung (Art. 138 StGB), ungetreuer Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB) und Urkundenfälschung (Art. 251 StGB) gegen B._ (Beschwerdegegner) und G.__. Die Vorinstanzen, namentlich das Ministère public und die Chambre pénale de recours des Kantons Genf, hatten ihr die Parteistellung verweigert, was die Beschwerdeführerin als Verletzung des Bundesrechts rügte.

2. Sachverhalt und Vorinstanzenentscheid

Die Beschwerdeführerin A._, eine costa-ricanische Staatsangehörige, reichte am 31. März 2023 eine Strafanzeige gegen G._ und B._ ein. Die Vorwürfe betrafen hauptsächlich angebliche betrügerische Handlungen und Verfehlungen im Zusammenhang mit Bankkonten, die auf den Namen der panamaischen Gesellschaft H._ Group Inc. lauteten und bei der E._ SA (ehemals C._ SA) geführt wurden. Laut Bankdokumenten war H._ Group Inc. die Kontoinhaberin, G._ ihr Vertreter und A._ die wirtschaftlich Berechtigte (ayant droit économique) dieser Konten. Ein "Trust Agreement" vom 24. Februar 2011 sah vor, dass A._ G._ ermächtigt hatte, eine Gesellschaft in Panama zu gründen und als deren Direktor zu handeln, jedoch ausschliesslich auf Anweisung von A._.

Die Beschwerdeführerin machte geltend, der Beschwerdegegner B._ habe ihr falsche Kontoschätzungen übermittelt, um sie zu täuschen und betrügerische Handlungen auf dem Konto Nr. 303323 (und Unterkonto Nr. 29023) zu verschleiern. G._ habe zudem, entgegen den Pflichten aus dem "Trust Agreement", im Widerspruch zu ihren Vermögensinteressen gehandelt, indem er unberechtigt Verpfändungserklärungen unterzeichnet und unzulässige Überweisungen genehmigt habe, die vom Beschwerdegegner angefordert wurden.

B._ und die E._ SA bestritten die Parteistellung von A._. Das Ministère public von Genf verweigerte A._ mit Verfügung vom 29. August 2023 die Parteistellung als Privatklägerin, da das geschädigte Vermögen der H.__ Group Inc. zuzuordnen sei. Diese Entscheidung wurde von der Chambre pénale de recours am 22. Februar 2024 bestätigt. Das Bundesgericht hatte nun zu prüfen, ob diese Verweigerung Bundesrecht verletzte.

3. Rechtliche Erwägungen des Bundesgerichts

3.1. Prozessuale Vorbemerkungen

Das Bundesgericht bestätigte zunächst seine Zuständigkeit und die Beschwerdebefugnis der A.__, da die Verweigerung der Parteistellung einen Endentscheid darstelle, der ihre Parteiinteressen unmittelbar berühre (Art. 90 und Art. 81 BGG).

3.2. Grundsätze der Parteistellung als Privatklägerin

Das Bundesgericht rekapitulierte die einschlägigen Bestimmungen und Grundsätze des Strafprozessrechts (StPO) zur Parteistellung: * Privatklägerin (Art. 118 Abs. 1 StPO): Der Geschädigte, der ausdrücklich erklärt, am Strafverfahren teilnehmen zu wollen. * Geschädigter (Art. 115 StPO): Jede Person, deren Rechte durch die Straftat unmittelbar berührt worden sind. * Unmittelbare Betroffenheit: Erfordert, dass der Geschädigte Inhaber des durch die Strafbestimmung geschützten Rechtsguts ist. Indirekte Schäden (Reflexschäden) reichen nicht aus. * Juristische Personen: Bei Vermögensdelikten gegenüber einer juristischen Person ist ausschliesslich die juristische Person geschädigt. Aktionäre, Gesellschafter, wirtschaftlich Berechtigte (wie die Beschwerdeführerin) oder Gläubiger sind grundsätzlich nicht direkt betroffen. Dies gilt auch für Begünstigte von Stiftungen oder Investoren von "Offshore-Fonds" mit eigener Rechtspersönlichkeit. * Urkundenfälschung (Art. 251 StGB): Schützt das besondere Vertrauen in Beweisurkunden sowie die Loyalität im Geschäftsverkehr. Eine unmittelbare Schädigung kann vorliegen, wenn die Fälschung gezielt dazu dient, eine bestimmte Person zu schädigen, insbesondere im Kontext von Vermögensdelikten. In solchen Fällen ist die Person, deren Vermögen bedroht oder geschädigt wird, der Geschädigte.

3.3. Anwendung durch die Vorinstanz und Rügen der Beschwerdeführerin

Die kantonalen Richter kamen zum Schluss, dass die H._ Group Inc. die Inhaberin der Konten und damit des Vermögens war, das durch die angezeigten Handlungen geschädigt worden sein könnte. A._ war als wirtschaftlich Berechtigte lediglich indirekt betroffen. Die angeblichen Fälschungen von Dokumenten dienten der Verschleierung von Malversationen, die sich auf das Vermögen der Gesellschaft und nicht auf das Privatvermögen von A._ auswirkten. Auch die Vorwürfe gegen G._ im Zusammenhang mit dem "Trust Agreement" betrafen letztlich Handlungen zum Nachteil der von der panamaischen Gesellschaft gehaltenen Vermögenswerte.

Die Beschwerdeführerin rügte im Wesentlichen, die kantonalen Gerichte hätten Bundesrecht verletzt, indem sie ihr die Parteistellung verweigerten. Sie argumentierte, sie sei direkt geschädigt worden, insbesondere durch die Urkundenfälschung und die Pflichtverletzungen von G.__.

3.4. Würdigung der Rügen durch das Bundesgericht

3.4.1. Zum "Durchgriff" (Transparenzprinzip)

Das Bundesgericht stellte fest, dass die Beschwerdeführerin implizit die Anwendung des "Durchgriffsprinzips" (piercing the corporate veil) forderte, um die Dualität zwischen ihrer Person und der H.__ Group Inc. ausser Acht zu lassen. Diese Rüge wurde jedoch als unzulässig erachtet, da sie erstmals vor Bundesgericht erhoben wurde und somit das Erfordernis der Erschöpfung der kantonalen Rechtsmittel (Art. 80 Abs. 1 BGG) nicht erfüllt war.

Selbst wenn die Rüge zulässig gewesen wäre, hielt das Bundesgericht fest, dass die Durchgriffslehre nicht dazu diene, einer natürlichen Person die Wahl zu ermöglichen, je nach den Umständen und den Vorteilen, die sie daraus ziehen könnte, eine Gesellschaft zu nutzen oder deren Existenz ausser Acht zu lassen. Die Beschwerdeführerin habe sich bewusst für die Platzierung ihres Vermögens in einer separaten juristischen Person entschieden und damit sowohl die Vorteile als auch die Risiken dieser Option akzeptiert. Auch die Berufung auf das "Trust Agreement", in dem sie als Begünstigte genannt wird, änderte nichts an der rechtlichen Verselbstständigung der panamaischen Gesellschaft. Das Bundesgericht wies darauf hin, dass die H.__ Group Inc. keine Trust-Konstruktion sei und daher die Frage einer Ausdehnung der Geschädigtenstellung auf den Begünstigten eines Trusts hier nicht zu prüfen sei.

3.4.2. Zur Urkundenfälschung (Art. 251 StGB)

Die Beschwerdeführerin argumentierte, die Fälschungen hätten sie täuschen sollen und berief sich auf Präzedenzfälle, in denen Gesellschafter einer einfachen Gesellschaft oder Aktionäre einer Aktiengesellschaft als direkt Geschädigte anerkannt wurden, wenn ihnen mittels gefälschter Dokumente Informationen vorenthalten wurden. Diese Fälle betrafen jedoch Personen mit gesetzlich verankerten Auskunftsrechten (z.B. Art. 541 OR oder dem früheren Art. 696 OR).

Das Bundesgericht differenzierte klar: Die Beschwerdeführerin sei die wirtschaftlich Berechtigte einer panamaischen Gesellschaft. Es sei nicht ersichtlich, welche schweizerischen Gesetzesbestimmungen ihr ein vergleichbares gesetzliches Auskunftsrecht einräumen könnten. Ein rein "faktisch" oder "vertraglich" verankertes Informationsrecht reiche für die Begründung einer direkten Schädigung im Sinne von Art. 115 StPO in diesem Kontext nicht aus. Somit wurde kein Vergehen gegen ein Informationsrecht der Beschwerdeführerin durch die Urkundenfälschung festgestellt.

3.4.3. Zur ungetreuen Geschäftsbesorgung/Veruntreuung (Art. 158/138 StGB) durch G.__

Die Beschwerdeführerin berief sich auf das "Trust Agreement" und Art. 398 ff. OR (Auftragsrecht, Rechenschaftspflicht des Beauftragten), um ihre persönliche Rechtsgutsinhaberschaft am geschädigten Vermögen geltend zu machen.

Das Bundesgericht widersprach dieser Argumentation mit Verweis auf die kantonalen Feststellungen, deren Willkür nicht gerügt oder dargelegt wurde: Das potenziell geschädigte Vermögen, insbesondere durch Veruntreuung und ungetreue Geschäftsbesorgung, gehöre ausschliesslich der H.__ Group Inc. Die Beschwerdeführerin habe weder plausibel gemacht noch versucht darzulegen, dass sie in dieser Hinsicht direkt geschädigt worden wäre. Die Berufung auf die Rechenschaftspflicht des Beauftragten (Art. 400 OR) ging fehl, da die Vermögenswerte der Gesellschaft gehörten und nicht dargelegt wurde, dass die Bestimmungen des schweizerischen Obligationenrechts hier zur Anwendung gelangten.

3.5. Schlussfolgerung

Das Bundesgericht bestätigte, dass die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzte, indem sie der Beschwerdeführerin die Parteistellung als Privatklägerin verweigerte. Die Beschwerdeführerin sei nicht unmittelbar durch die Handlungen des Beschwerdegegners B._ und des G._ geschädigt worden, da das geschädigte Vermögen der juristischen Person, der H.__ Group Inc., zuzuordnen sei.

4. Entscheid

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab und auferlegte der Beschwerdeführerin die Gerichtskosten.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Kernfrage: Ist die wirtschaftlich Berechtigte (UBO) einer ausländischen juristischen Person, deren Vermögen angeblich geschädigt wurde, direkt geschädigt und damit privatklageberechtigt im Schweizer Strafprozessrecht?
  • Grundsatz: Bei Vermögensdelikten gegenüber einer juristischen Person ist nur diese als Rechtsgutsträgerin des geschädigten Vermögens direkt betroffen und damit privatklageberechtigt. Wirtschaftlich Berechtigte sind in der Regel nur indirekt betroffen.
  • "Durchgriff" (piercing the corporate veil): Die Rüge des Durchgriffsprinzips wurde als unzulässig verworfen, da sie erstmals vor Bundesgericht erhoben wurde. Grundsätzlich dient der Durchgriff auch nicht dazu, einer natürlichen Person die Wahl zu ermöglichen, die Existenz einer von ihr selbst geschaffenen juristischen Person nach Belieben zu ignorieren.
  • Urkundenfälschung: Eine direkte Schädigung durch Urkundenfälschung setzt im Kontext von Vermögensdelikten eine Verletzung eines spezifischen, in der Regel gesetzlich verankerten Auskunftsrechts voraus. Die Beschwerdeführerin als UBO einer panamaischen Gesellschaft konnte kein solches gesetzliches Recht nachweisen, weshalb sie nicht direkt geschädigt wurde.
  • Ungetreue Geschäftsbesorgung/Veruntreuung: Auch in Bezug auf diese Delikte wurde das geschädigte Vermögen der juristischen Person zugeordnet. Eine direkte Schädigung der UBO war nicht plausibel gemacht worden.
  • Ergebnis: Das Bundesgericht bestätigte die Verweigerung der Parteistellung als Privatklägerin, da die Beschwerdeführerin nicht unmittelbar durch die angezeigten Straftaten geschädigt wurde.