Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_635/2024 vom 14. August 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts (1C_635/2024 vom 14. August 2025) detailliert zusammen.

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 1C_635/2024 vom 14. August 2025 (Baubewilligung, Ästhetikklausel)

I. Einleitung und Sachverhalt

Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde der A.__ AG (Beschwerdeführerin) gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden zu entscheiden. Streitgegenstand war die Verweigerung einer Baubewilligung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Garage in der Dorfzone von Paspels, Gemeinde Domleschg. Die Bauparzelle Nr. 6540 liegt in einem Gebiet von nationaler Bedeutung: Sie befindet sich innerhalb eines im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) verzeichneten Objekts (Nr. 6285, Schloss Sins, Ortsbildteil Nr. 4, "Wies- und Ackerflächen" mit Erhaltungsziel A), im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) aufgeführten Objekts (Nr. 1906 "Trockengebiet im vorderen Domleschg") und grenzt an einen Weg des Bundesinventars der historischen Wege der Schweiz (IVS, Objekt GR 9.3 von nationaler Bedeutung).

Nachdem die Baukommission der Gemeinde Domleschg das Bauvorhaben bewilligt hatte, hob das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden diese Bewilligung auf Beschwerde der Nachbarn (B._ und C._, Beschwerdegegnerschaft) hin auf. Das Verwaltungsgericht stützte sich dabei massgeblich auf einen Amtsbericht der kantonalen Denkmalpflege und verweigerte dem Bauvorhaben die Bewilligung mit der Begründung, es verletze die kommunale ästhetische Generalklausel.

II. Rügen der Beschwerdeführerin vor Bundesgericht

Die Beschwerdeführerin machte im Wesentlichen zwei Hauptargumente geltend:

  1. Offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung: Die Vorinstanz habe die Stellungnahme der kommunalen Bauberaterin (D._ AG) fälschlicherweise mit dem privat eingeholten Bericht der Beschwerdegegnerschaft (E._ GmbH) gleichgesetzt. Die kommunale Bauberaterin sei eine unabhängige Fachbehörde, deren Expertise im Gegensatz zu einem Partei-Gutachten höheres Gewicht zukomme.
  2. Verletzung der Gemeindeautonomie und des Willkürverbots: Die Vorinstanz habe in den geschützten Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Gemeinde bei der Anwendung der kommunalen Ästhetikklausel eingegriffen. Die Gemeinde habe ihr Ermessen pflichtgemäss ausgeübt, indem sie sich auf die Einschätzung ihrer Bauberaterin gestützt habe, welche das Projekt als bewilligungsfähig erachtet habe. Zudem sei die Denkmalpflege bzw. das kantonale Amt für Kultur bereits in früheren Ortsplanungsverfahren nicht eingeschritten, um Gestaltungsanordnungen für die Parzelle Nr. 6540 zu erlassen, weshalb die bestehenden Bauvorschriften (z.B. maximale Firsthöhe und Gebäudelänge) massgebend sein müssten. Die Anwendung einer Ästhetikklausel dürfe nicht dazu führen, die Zonenordnung ausser Kraft zu setzen.

III. Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde grundsätzlich ein, betonte aber, dass im Falle einer Gutheissung höchstens eine Rückweisung an die Vorinstanz zur Prüfung weiterer Rügen der Beschwerdegegnerschaft in Betracht käme, da die Vorinstanz sich nicht mit allen Punkten auseinandergesetzt hatte (E. 1).

A. Zur Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (E. 3)

Das Bundesgericht wies die Rüge der unrichtigen Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung zurück. Es führte aus, dass kantonale Gerichte (wie das Verwaltungsgericht Graubünden) gemäss Art. 110 BGG, Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG und dem kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetz (Art. 11 VRG/GR) verpflichtet sind, den Sachverhalt von Amtes wegen frei zu prüfen und die notwendigen Beweise zu erheben. Auch der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) diene der Sachaufklärung.

Vor diesem Hintergrund sei es unerheblich, ob die Vorinstanz die Stellungnahme der kommunalen Bauberaterin und den privat eingeholten Bericht "gleichgesetzt" habe. Selbst wenn dem Bericht der kommunalen Bauberaterin eine höhere Beweiskraft zukäme, könne der Bericht der Gegenpartei geeignet sein, Zweifel an der Schlüssigkeit des ersteren aufkommen zu lassen. Wenn die Vorinstanz zur Beurteilung von Tatfragen nicht über das notwendige Fachwissen verfüge, sei es nicht zu beanstanden, wenn sie sich dieses durch die Einholung eines Amtsberichts verschaffe. Eine solche Vorgehensweise stelle keinen Verstoss gegen Bundesrecht dar.

B. Zur Gemeindeautonomie und Anwendung der Ästhetikklausel (E. 4)

Die Hauptauseinandersetzung konzentrierte sich auf die Frage der Gemeindeautonomie.

  1. Grundsätze der Gemeindeautonomie im Baurecht (E. 4.2): Das Bundesgericht bestätigte die bundesrechtlich (Art. 50 Abs. 1 BV) und kantonsrechtlich (Art. 65 Abs. 1 KV/GR, Art. 85 Abs. 1 KRG/GR) gewährleistete Gemeindeautonomie. Es wiederholte seine ständige Rechtsprechung, wonach Gemeinden in einem Sachbereich autonom sind, wenn das übergeordnete Recht diesen nicht abschliessend regelt und ihnen einen relativ erheblichen Entscheidungsspielraum einräumt. Besonders relevant für den vorliegenden Fall ist der Grundsatz, dass kommunalen Baubehörden bei der Anwendung kantonaler oder kommunaler Ästhetikvorschriften ein von der Gemeindeautonomie geschützter besonderer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht. Kantonale Instanzen müssen bei der Überprüfung solcher Entscheide, auch wenn sie die Angemessenheit prüfen, Zurückhaltung üben. Sie dürfen von der kommunalen Anwendung nur abweichen, wenn die Gemeinde ihren Ermessensspielraum überschritten hat. Dies ist nicht nur bei willkürlichen, d.h. sachlich nicht mehr vertretbaren, Entscheiden der Fall, sondern auch, wenn die Gemeinde ihr Ermessen nicht pflichtgemäss ausgeübt hat (z.B. durch Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots, des Verhältnismässigkeitsprinzips oder durch unsachliche Erwägungen). (Verweis auf BGE 145 I 52 E. 3.6; 146 II 367 E. 3.1.4).

  2. Anwendung der kommunalen Ästhetikklausel (E. 4.3): Im vorliegenden Fall war Art. 35 Abs. 2 des Baugesetzes der früheren Gemeinde Paspels (BauG/Paspels) massgebend. Diese Bestimmung verlangt, dass in der Dorfzone der Charakter der bestehenden Siedlung zu erhalten ist und Neu- und Umbauten in Bezug auf Proportionen und Gestaltung "sich in ihre Umgebung möglichst harmonisch einfügen und sich an der alten und über Jahrhunderte gewachsenen Bausubstanz des Dorfkerns orientieren".

  3. Beurteilung der Rüge der Gemeindeautonomieverletzung (E. 4.5 – 4.7):

    • Zum Amtsbericht: Das Bundesgericht stellte klar, dass der Umstand, dass die Vorinstanz einen Amtsbericht der kantonalen Denkmalpflege eingeholt hat, keine Verletzung der Gemeindeautonomie oder des Willkürverbots darstellt. Wie bereits unter E. 3 ausgeführt, ist die Vorinstanz zur Sachverhaltsfeststellung und freien Beweiswürdigung befugt und darf bei Zweifeln an Fachberichten weitere Expertise einholen. Eine gegenteilige Auffassung würde die freie Sachverhaltskontrolle der kantonalen Gerichte in autonom geschützten Bereichen unzulässig einschränken.
    • Ästhetikklausel versus Zonenordnung: Das Bundesgericht stimmte der Beschwerdeführerin zu, dass eine Ästhetikklausel nicht dazu führen darf, die kommunale Zonenordnung (z.B. maximale Baumasse) ausser Kraft zu setzen (vgl. BGE 145 I 52 E. 4.4). Es betonte jedoch, dass es zulässig ist, aus ästhetischen Gründen eine Reduktion der Baumasse zu verlangen, wenn überwiegende öffentliche Interessen dies gebieten. Insbesondere die Schutzziele des ISOS sind bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe des Baurechts und bei Interessenabwägungen, wie sie bei ästhetischen Generalklauseln erforderlich sind, praxisgemäss zu berücksichtigen (vgl. BGE 135 II 209 E. 2.1 sowie Urteile 1C_572/2022 E. 3.2; 1C_265/2022 E. 2.2). Die Verweigerung einer Bewilligung gestützt auf eine Ästhetikklausel, selbst wenn die zulässigen Baumasse eingehalten werden, begründet daher für sich genommen keine Autonomieverletzung, sofern dies durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt ist.
    • Ungenügende Rüge des Bundesrechtsverstosses: Das Bundesgericht prüft zwar mit freier Kognition, ob die Vorinstanz den Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Gemeinde respektiert hat. Es erinnerte die Beschwerdeführerin jedoch an das Rügeprinzip (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG), wonach eine Verletzung des Bundesrechts in Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Entscheid substantiiert zu begründen ist. Bloss allgemein gehaltene, appellatorische Kritik sei ungenügend. Die Vorinstanz hatte detailliert begründet, warum das Bauvorhaben nicht als harmonisch in die Umgebung integriert gelten konnte: Der nahezu quadratische Grundriss weiche massgeblich von der Baustruktur der Umgebung ab und wirke wuchtig bzw. dominant. Die solitäre Positionierung beeinträchtige den für das Ortsbild entscheidenden und schützenswerten Freiraum aus der Nordansicht. Entsprechend sei das Bauvorhaben nicht harmonisch eingefügt und orientiere sich nicht an der gewachsenen Bausubstanz, sondern konkurrenziere diese. Auch die kommunale Bauberaterin habe das Bauvorhaben als "sehr imposant" beschrieben. Die Aussage der Gemeinde, es seien Anstrengungen unternommen worden, sei ungenügend, da Anstrengungen allein keine hinreichende Einordnung begründen. Die Begründung der Gemeinde, massgeblich auf dem Gutachten der Bauberaterin basierend, beruhe nicht auf einer vertretbaren Würdigung der Sachumstände. Das Bundesgericht stellte fest, dass die Beschwerdeführerin diesen schlüssigen Argumenten der Vorinstanz keine genügende Begründung entgegenhielt. Sie begnügte sich damit, die Einschätzung der Gemeinde und ihrer Bauberaterin als überzeugend zu bezeichnen und der Vorinstanz vorzuwerfen, den Amtsbericht unkritisch übernommen zu haben, ohne darzulegen, warum diesem nicht gefolgt werden konnte. Damit habe die Beschwerdeführerin die erforderlichen Begründungsanforderungen nicht erfüllt und keine Verletzung von Bundesrecht aufzuzeigen vermocht.

IV. Fazit und Kosten

Aufgrund der dargelegten Gründe wies das Bundesgericht die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden konnte. Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdeführerin auferlegt, und sie wurde zur Zahlung einer Parteientschädigung an die Beschwerdegegnerschaft verpflichtet.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Verweigerung der Baubewilligung: Das Bundesgericht schützt die Verweigerung einer Baubewilligung für ein Mehrfamilienhaus in Paspels, die das kantonale Verwaltungsgericht aufgrund der kommunalen Ästhetikklausel und unter Berücksichtigung von Ortsbildschutzinteressen (ISOS) ausgesprochen hatte.
  • Beweiswürdigung der Vorinstanz: Die Vorinstanz durfte im Rahmen ihrer Pflicht zur Sachverhaltsfeststellung und freien Beweiswürdigung einen Amtsbericht der kantonalen Denkmalpflege einholen, auch wenn die Gemeinde bereits einen Bauberater beigezogen hatte. Dies ist keine Verletzung der Gemeindeautonomie.
  • Gemeindeautonomie bei Ästhetikklauseln: Gemeinden haben bei der Anwendung von Ästhetikvorschriften zwar einen geschützten Beurteilungs- und Ermessensspielraum. Kantonalen Instanzen ist es aber erlaubt, von einem kommunalen Entscheid abzuweichen, wenn die Gemeinde ihr Ermessen überschritten oder nicht pflichtgemäss ausgeübt hat.
  • Ästhetikklausel und Zonenordnung: Eine Ästhetikklausel kann zur Verweigerung einer Bewilligung führen, selbst wenn die baurechtlichen Dimensionen der Zonenordnung eingehalten werden, sofern überwiegende öffentliche Interessen (wie der Ortsbildschutz gemäss ISOS) dies gebieten.
  • Ungenügende Rüge: Die Beschwerdeführerin scheiterte daran, die detaillierte Begründung des Verwaltungsgerichts (hinsichtlich der Dominanz, Proportionen und Beeinträchtigung des Ortsbildes) substanziiert anzufechten und konnte somit keine Überschreitung des kantonalen Prüfungsrahmens nachweisen.