Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_598/2024 vom 20. August 2025

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Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 2C_598/2024 vom 20. August 2025 betrifft die Beschwerde eines serbischen Staatsangehörigen gegen die Nichterteilung einer Aufenthaltsbewilligung und die damit verbundene Wegweisung aus der Schweiz. Im Kern geht es um die Frage, ob die frühere Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers rechtmässig als erloschen betrachtet wurde und ob die Nichterteilung einer neuen Bewilligung sowie die Wegweisung einen unverhältnismässigen Eingriff in sein Privatleben gemäss Art. 8 EMRK und Art. 13 BV darstellen.

Einleitung

Das Bundesgericht hatte über die Beschwerde von A.A.__, eines 1984 geborenen serbischen Staatsangehörigen, gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 16. Oktober 2024 zu entscheiden. Gegenstand war die Verweigerung einer Aufenthaltsbewilligung und die Anordnung der Wegweisung. Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung seines Rechts auf Privatleben (Art. 8 EMRK und Art. 13 BV) und machte geltend, die Annahme des Erlöschens seiner früheren Bewilligung sei überspitzt formalistisch.

Sachverhalt

A.A.__ reiste 2005 im Rahmen des Familiennachzugs zu seiner serbischen, in der Schweiz niedergelassenen Ehefrau ein und erhielt eine Aufenthaltsbewilligung, die letztmals bis zum 31. August 2016 gültig war. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor, die beide über eine Niederlassungsbewilligung verfügen.

Der Beschwerdeführer litt jahrelang an Suchterkrankungen (Cannabis, Heroin, Kokain), die zu psychischen Störungen und Arbeitsunfähigkeit führten. Seit August 2020 bezieht er eine IV-Rente und Ergänzungsleistungen. Seit seiner Einreise wurde er mit insgesamt über CHF 668'000 Sozialhilfe unterstützt und zweimal (2010, 2015) wegen Sozialhilfebezugs ausländerrechtlich verwarnt.

Seine Ehe trennte sich 2017, die Söhne wurden aufgrund der Drogenabhängigkeit der Eltern fremdplatziert. Seit Mai 2022 pflegt der Beschwerdeführer, der seit November 2021 erfolgreich eine Suchttherapie absolvierte und suchtfrei lebt, wieder Kontakt zu seinen Söhnen.

Strafrechtlich trat A.A.__ zwischen 2009 und 2020 mehrfach in Erscheinung, unter anderem wegen Urkundenfälschung, Betäubungsmitteldelikten, Einführens falschen Geldes und Sachbeschädigung. Er wurde zu Geldstrafen, Bussen und gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Gegen ihn liegen zudem ungetilgte Verlustscheine vor.

Die Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers erlosch am 31. August 2016. Ein Gesuch um Kantonswechsel im Kanton Solothurn (gestellt im Juni 2017, zehn Monate nach Ablauf der Bewilligung) wurde 2021 abgelehnt. Ein daraufhin im Dezember 2021 im Kanton Zürich gestelltes Gesuch um Neuerteilung einer Aufenthaltsbewilligung wurde vom Migrationsamt des Kantons Zürich im August 2023 abgelehnt und die Wegweisung verfügt, was kantonal erfolglos angefochten wurde.

Rechtliche Problematik vor Bundesgericht

Das Bundesgericht hatte primär zwei zentrale Fragen zu beurteilen: 1. Ob die Annahme des Erlöschens der Aufenthaltsbewilligung durch die Vorinstanz rechtmässig war oder ob eine Verlängerung hätte geprüft werden müssen. 2. Ob die Nichterteilung einer Aufenthaltsbewilligung und die Wegweisung einen unverhältnismässigen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers nach Art. 8 EMRK und Art. 13 BV darstellen.

Erwägungen des Bundesgerichts

  1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG): Das Bundesgericht stellte fest, dass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist, soweit sich der Beschwerdeführer auf den Schutz des Privatlebens gemäss Art. 8 EMRK beruft. Da er sich über zehn Jahre rechtmässig in der Schweiz aufgehalten hatte, konnte er in vertretbarer Weise einen solchen Anspruch geltend machen. Eine Zulässigkeit gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. k AIG (ohne Rechtsanspruch) wurde hingegen verneint.

  2. Zum Erlöschen der Aufenthaltsbewilligung (Art. 61 Abs. 1 lit. c AIG): Der Beschwerdeführer rügte, die Annahme des Erlöschens seiner Bewilligung sei überspitzt formalistisch. Das Bundesgericht erinnerte an seine Rechtsprechung, wonach eine Bewilligung mit Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer erlischt (Art. 61 Abs. 1 lit. c AIG) und ein Verlängerungsgesuch fristgerecht einzureichen ist (Art. 59 Abs. 1 VZAE). Zwar könne bei fahrlässig verspäteter Einreichung aus Verhältnismässigkeitsgründen die Wiedererteilung geboten sein, wenn die Verlängerung bei fristgerechter Einreichung bewilligt worden wäre. Dieser Grundsatz finde jedoch seine Grenze, wenn ein Ausländer unbeschränkte Zeit nach Ablauf der Bewilligung ein Verlängerungsgesuch stellt.

    Das Bundesgericht bestätigte die Feststellungen der Vorinstanz: Die Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers war bis zum 31. August 2016 gültig. Bereits am 31. März 2016 wurde er ohne Abmeldung nach Unbekannt abgemeldet. Sein Gesuch um Bewilligung eines Kantonswechsels im Kanton Solothurn erfolgte erst am 26. Juni 2017, also rund zehn Monate nach Ablauf der Bewilligung. Ein erneutes Gesuch in Zürich erfolgte sogar erst im Dezember 2021.

    Das Bundesgericht wies die Argumentation des Beschwerdeführers, die verspätete Gesuchseinreichung sei gesundheitlich begründet gewesen, zurück. Es stellte fest, dass für den relevanten Zeitraum zwischen dem Auslaufen der Bewilligung und der Gesuchstellung (August 2016 bis Juni 2017) kein aktenkundiger Klinikaufenthalt nachgewiesen sei. Frühere medizinische Atteste bezogen sich auf andere Zeiträume. Zudem hatte der Beschwerdeführer bereits 2014 eine verspätete Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung zu verantworten, woraufhin eine Strafanzeige erstattet wurde. Dieser Umstand hätte ihm die Konsequenzen seines Verhaltens vor Augen führen müssen und verunmöglicht eine Berufung auf Vertrauensschutz.

    Fazit: Der Schluss der Vorinstanz, die Aufenthaltsbewilligung sei erloschen, verletzt weder Bundes- noch Verfassungsrecht. Es war daher über die Neuerteilung einer Bewilligung und nicht über eine Verlängerung zu entscheiden.

  3. Zur Verletzung von Art. 8 EMRK und Art. 13 BV (Verhältnismässigkeit der Aufenthaltsbeendigung): Das Bundesgericht prüfte die Verhältnismässigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Rahmen einer Interessenabwägung gemäss Art. 8 Ziff. 2 EMRK.

    a) Öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung: * Sozialhilfeabhängigkeit: Das Gericht hob hervor, dass der Beschwerdeführer seit 2005 insgesamt über CHF 668'000 Sozialhilfe bezogen hat, wobei sich dieser Betrag seit der ersten Verwarnung 2010 vervierfacht hat. Auch der Bezug von Ergänzungsleistungen belastet die öffentlichen Finanzen. Es konnte nicht überzeugend dargelegt werden, dass er während der gesamten Zeit aus gesundheitlichen Gründen nicht erwerbstätig hätte sein können. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dass Personen, die dem Staat erheblich zur Last fallen, das Land verlassen (Querverweis auf BGE 149 I 1 E. 4.6 und EGMR Hasanbasic gegen Schweiz). * Straffälligkeit: Die wiederholte Straffälligkeit des Beschwerdeführers zwischen 2009 und 2020, einschliesslich Urkundenfälschung (ein Verbrechen), Betäubungsmitteldelikten und Sachbeschädigung, sei nicht als Bagatelldelinquenz abzutun. Auch die Drogenabhängigkeit entschuldige diese strafrechtlichen Vergehen ausländerrechtlich nicht. Dies begründet ebenfalls ein öffentliches Interesse an der Beendigung des Aufenthalts.

    b) Private Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib: * Integrationsgrad und Aufenthaltsdauer: Der Beschwerdeführer hielt sich seit 19 Jahren in der Schweiz auf und kam im Alter von 21 Jahren hierher. Die Vorinstanz stellte jedoch fest, dass er die serbische Sprache spricht und mit den Verhältnissen in seinem Heimatland vertraut ist. Obwohl die Wiedereingliederung in Serbien voraussichtlich nicht leichtfallen werde, wird dies teilweise dadurch relativiert, dass seine IV-Rente von monatlich CHF 1'686.-- nach Serbien exportiert werden kann (gemäss Abkommen über soziale Sicherheit). * Familiäre Beziehungen: Nach der Trennung von seiner Ehefrau pflegte der Beschwerdeführer zunächst kaum Kontakt zu seinen Söhnen, die fremdplatziert wurden. Erst seit Mitte Mai 2022 hat er den Kontakt wiederhergestellt, wobei er für den jüngeren Sohn eine wichtige Bezugsperson geworden ist. Eine solche Beziehung vermittelt jedoch nur dann ein Anwesenheitsrecht nach Art. 8 EMRK, wenn sie über die affektive Nähe hinaus in wirtschaftlicher Hinsicht besonders eng ist und sich der Betroffene überdies tadellos verhalten hat. Angesichts der Delinquenz des Beschwerdeführers fehlt es an der Voraussetzung des tadellosen Verhaltens (Querverweis auf BGE 147 I 149 E. 4; 144 I 91 E. 5.2). Der Kontakt zu seinen Söhnen könne von Serbien aus im Rahmen von Besuchen gepflegt werden. * Gesundheitliche Situation: Der Beschwerdeführer machte seine gesundheitliche Situation geltend. Das Bundesgericht verwies auf die Rechtsprechung des EGMR (Savran gegen Dänemark, Paposhvili gegen Belgien), wonach Art. 3 EMRK nur dann verletzt ist, wenn eine notwendige medizinische Behandlung im Heimatland nicht verfügbar ist und die Rückkehr zu einer raschen, lebensgefährdenden Verschlechterung des Gesundheitszustands führt. Eine Unzumutbarkeit liegt nicht schon vor, wenn im Heimatland kein dem schweizerischen Standard entsprechender Behandlungsstandard möglich ist (Querverweis auf BGE 139 II 393 E. 6). Die Vorinstanzen hatten verbindlich festgestellt, dass Serbien über psychiatrische Kliniken verfügt, die alle Krankheitsbilder behandeln können. Da der Beschwerdeführer seine Sucht erfolgreich therapieren konnte und einen stabilen Zustand erreicht hat, ist nicht von einer raschen, lebensgefährdenden Beeinträchtigung auszugehen.

    c) Ergebnis der Interessenabwägung: Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass das beträchtliche öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers – namentlich aufgrund seiner erheblichen und lange währenden Sozialhilfeabhängigkeit sowie seiner Straffälligkeit – die privaten Interessen am Verbleib in der Schweiz überwiegt. Die Aufenthaltsbeendigung erweise sich als verhältnismässig. Es wurde betont, dass ein zukünftiger Aufenthalt in der Schweiz nicht für immer ausgeschlossen sei, sollte sich der Beschwerdeführer im Ausland bewähren.

Schlussfolgerung

Die Beschwerde wurde abgewiesen, soweit darauf einzutreten war. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wurde aufgrund der finanziellen Bedürftigkeit des Beschwerdeführers und der Nicht-Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels gutgeheissen.

Zusammenfassende Würdigung

Das Bundesgericht hat im Urteil 2C_598/2024 die Nichterteilung einer Aufenthaltsbewilligung an einen serbischen Staatsangehörigen und dessen Wegweisung bestätigt. Es befand, dass die frühere Aufenthaltsbewilligung aufgrund der erheblichen Zeitspanne zwischen deren Ablauf (2016) und der Gesuchstellung (2017/2021) sowie des Fehlens nachgewiesener gesundheitlicher Hinderungsgründe als rechtmässig erloschen galt. Eine Berufung auf Vertrauensschutz aufgrund früherer Erinnerungen oder Strafanzeigen wurde verneint. In der umfassenden Interessenabwägung gemäss Art. 8 EMRK wurden das massive öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts wegen langjähriger, hoher Sozialhilfeabhängigkeit (über CHF 668'000) und wiederholter, nicht geringfügiger Straffälligkeit (u.a. Urkundenfälschung) als überwiegend gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers erachtet. Die privaten Interessen, einschliesslich der 19-jährigen Aufenthaltsdauer, der neu aufgebauten Beziehung zu einem seiner fremdplatzierten Söhne und der gesundheitlichen Situation (Suchtfreiheit, aber medizinische Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland vorhanden), vermochten die öffentlichen Interessen nicht aufzuwiegen. Die Wegweisung wurde als verhältnismässig beurteilt.