Zusammenfassung von BGer-Urteil 5A_624/2024 vom 27. August 2025

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Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (5A_624/2024 vom 27. August 2025) befasst sich detailliert mit der Frage der Eignung einer beauftragten Person im Rahmen eines Vorsorgeauftrags gemäss Art. 363 Abs. 2 Ziff. 3 ZGB, insbesondere im Kontext von Familienkonflikten und dem Selbstbestimmungsrecht der auftraggebenden Person.

A. Sachverhalt und Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin 1, A._ (geb. 1927), hatte am 8. Oktober 2017 einen Vorsorgeauftrag errichtet. Darin setzte sie in dieser Reihenfolge ihren Ehemann E._, ihren Sohn C._ (Beschwerdeführer 3) und ihren Sohn B._ (Beschwerdeführer 2) als Vorsorgebeauftragte ein. Ihr dritter Sohn, D._, wurde im Vorsorgeauftrag nicht berücksichtigt. Nach dem Tod ihres Ehemannes E._ im Februar 2018 ersuchten die Söhne B._ und C._ die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Frauenfeld (KESB) im Januar 2023 um Validierung des Vorsorgeauftrags.

Die KESB verweigerte zunächst die Validierung vollständig und errichtete eine Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung für A._. Dagegen erhobene Beschwerde der A._ und ihrer Söhne B._ und C._ führte zu einer Rückweisung der Sache an die KESB durch das Obergericht des Kantons Thurgau im Mai 2023. Ein Nichteintretensentscheid des Bundesgerichts folgte im August 2023 (5A_606/2023).

Mit neuem Entscheid vom 13. März 2024 validierte die KESB den Vorsorgeauftrag teilweise: Sie setzte C._ als Vorsorgebeauftragten im Bereich der Personensorge ein, errichtete jedoch ergänzend eine Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung für die Bereiche der Vermögenssorge und des Rechtsverkehrs und ernannte hierfür einen Berufsbeistand (F._).

Gegen diesen Entscheid legten A._, B._ und C._ Beschwerde beim Obergericht ein, beantragten im Wesentlichen die vollständige Validierung des Vorsorgeauftrags (d.h. C._ auch für Vermögenssorge und Rechtsverkehr) oder eventualiter die Einsetzung von C.__ als Beistand in diesen Bereichen. Das Obergericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom 9. Juli 2024 ab.

Die Beschwerdeführer A._, B._ und C.__ gelangten daraufhin an das Bundesgericht.

B. Zulässigkeit der Beschwerde vor Bundesgericht

Das Bundesgericht prüfte die Zulässigkeit der Beschwerde von Amtes wegen:

  1. A.__ (Beschwerdeführerin 1): Das Bundesgericht stellte fest, dass A._ aufgrund einer diagnostizierten Demenz und der Feststellungen des Obergerichts in früheren Verfahren (Urteilsunfähigkeit in praktisch sämtlichen Tätigkeitsbereichen) als nicht urteilsfähig für die Prozessführung vor Bundesgericht anzusehen sei. Da die Urteilsfähigkeit der A._ im vorliegenden Verfahren nicht umstritten war, erübrigte sich eine gesonderte Prozessfähigkeit in dieser Frage. Folglich wurde auf die Beschwerde der A.__ wegen fehlender Prozessfähigkeit nicht eingetreten.

  2. B.__ (Beschwerdeführer 2): Er wurde als nicht legitimiert erachtet, soweit er die Einsetzung von C._ als Vorsorgebeauftragten beantragte, da er kein eigenes schutzwürdiges Interesse darlegte. Soweit er seine eigene Einsetzung anstrebte, fehlte es der Beschwerde an einer ausreichenden Begründung gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG, da er sich nicht mit den vorinstanzlichen Feststellungen zu seiner Ungeeignetheit (fehlende zeitliche Verfügbarkeit aufgrund von Auslandsaufenthalten) auseinandersetzte. Daher wurde auch auf die Beschwerde von B._ nicht eingetreten.

  3. C.__ (Beschwerdeführer 3): Er wurde als legitimiert erachtet, soweit er seine eigene Einsetzung als Vorsorgebeauftragter oder Vertretungsbeistand im Bereich der Vermögenssorge und des Rechtsverkehrs anstrebte. Seine Beschwerde genügte auch den Begründungsanforderungen. Nicht eingetreten wurde auf seine Beschwerde, soweit er die Einsetzung von B.__ verlangte oder eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin 1 geltend machte, da ihm insoweit die Legitimation fehlte.

C. Massgebliche Rechtsgrundlagen

Das Bundesgericht legte die Grundsätze zur Prüfung der Eignung eines Vorsorgebeauftragten dar:

  • Art. 363 Abs. 2 ZGB: Die Erwachsenenschutzbehörde prüft die Gültigkeit des Vorsorgeauftrags, das Vorliegen der Voraussetzungen für dessen Wirksamkeit und die Eignung der beauftragten Person. Genügt der Auftrag nicht, sind weitere Massnahmen des Erwachsenenschutzes ins Auge zu fassen (Art. 363 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB).
  • Eignungsprüfung: Die Eignung wird prognostisch anhand objektiver Kriterien (persönliche Fähigkeiten, Kenntnisse, zeitliche Verfügbarkeit) beurteilt. Massstab ist die Gefährdung der Interessen der auftraggebenden Person.
  • Interessenkonflikte: Diese sind bereits bei der Eignungsprüfung zu beachten. Wenn die auftraggebende Person die Tragweite von Interessenkonflikten bereits bei der Auftragserteilung kannte, ist die Eignung nur zurückhaltend zu verneinen.
  • Familienkonflikte: Eine Gefährdung der Interessen kann sich auch aus Familienkonflikten ergeben, z.B. wenn sich dadurch der Krankheitsverlauf der betroffenen Person verschlimmern würde (Verweis auf Urteil 5A_874/2020 vom 22. Juni 2021 E. 5.6).
  • Selbstbestimmungsrecht: Das Selbstbestimmungsrecht der auftraggebenden Person ist möglichst weitgehend zu respektieren. Die Eignung ist nur zurückhaltend zu verneinen. Dies gilt auch bei Familienkonflikten, da die auftraggebende Person eine bestimmte Person trotz Misstrauen anderer Angehöriger wünschen kann. Eine Intervention ist nur gerechtfertigt, wenn klar absehbar ist, dass der Auftrag aufgrund des Konflikts nicht zweckdienlich umsetzbar sein wird.
  • Veränderte Umstände: Wenn sich nach Errichtung des Vorsorgeauftrags massgebliche Umstände erheblich verändert haben und die auftraggebende Person sich dieser Veränderungen im urteilsfähigen Zustand nicht bewusst wurde, kann das Selbstbestimmungsrecht anders gewichtet werden.

D. Analyse der vorinstanzlichen Begründung und Würdigung durch das Bundesgericht

  1. Feststellungen des Obergerichts:

    • Das Obergericht hatte die persönliche und fachliche Eignung sowie die zeitliche Verfügbarkeit von C.__ für die Personensorge bejaht.
    • Es verneinte einen konkreten Interessenkonflikt hinsichtlich der von C._ und A._ selbst gegen D._ eingeleiteten Klagen (Erbteilung, Herabsetzung, güterrechtliche Hinzurechnung), da die Interessen von A._ und C.__ in diesen Verfahren weitestgehend übereinstimmten.
    • Es ging davon aus, dass A.__ bei der Errichtung des Vorsorgeauftrags und der Einsetzung ihrer Söhne die "latent abstrakte Interessenkollision hinsichtlich der erbrechtlichen Ansprüche" gekannt und in Kauf genommen habe.
    • Allerdings stellte das Obergericht ein "Spannungsverhältnis" und ein "tiefgreifendes Misstrauen" zwischen den drei Brüdern fest, das sich nach dem Tod des Vaters und durch die eingeleiteten Gerichtsverfahren intensiviert habe. Es verwies auch darauf, dass das "Thema der Beeinflussung der Mutter durch die beiden Beschwerdeführer zu den familiären Konflikten beigetragen habe".
    • Kernbegründung des Obergerichts für die Ungeeignetheit: Wenn C.__ mit der Vermögenssorge betraut würde, könnte sich der familiäre Konflikt verschärfen, und es bestehe die "Gefahr, dass sich der familiäre Konflikt negativ auf die Interessen der Betroffenen auswirke". Eine neutrale, professionelle Bezugsperson wüsste besser mit Einmischungen umzugehen.
  2. Würdigung durch das Bundesgericht:

    • Das Bundesgericht kritisierte die Argumentation des Obergerichts. Es hielt fest, dass die blosse Möglichkeit, dass sich der Konflikt zwischen den Söhnen verschärfen könnte, mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen nicht ausreicht, um die Eignung von C.__ als Vorsorgebeauftragter für die Vermögenssorge abzusprechen.
    • Die "Gefahr, dass sich der Konflikt negativ auf die Interessen der Betroffenen auswirkt", sei nur dann relevant, wenn die Einsetzung von C.__ tatsächlich zu einer Verschärfung des Konflikts führen würde – was aber nicht feststehe.
    • Das Bundesgericht differenzierte vom Fall 5A_874/2020: Dort hatte die Vorinstanz aus zahlreichen tatsächlichen Umständen eine tatsächliche Gefährdung (Verschlimmerung des Krankheitsverlaufs) abgeleitet, während hier keine solche konkrete Feststellung vorlag.
    • Das Bundesgericht verwies zudem auf Art. 368 ZGB, wonach die Erwachsenenschutzbehörde eingreifen kann, falls sich der Familienkonflikt tatsächlich verschärfen und die Interessen der Betroffenen gefährden sollte. Dies zeige, dass nicht bereits aufgrund einer blossen Möglichkeit präventiv die Eignung verneint werden dürfe.
    • Es wurde nicht festgestellt, dass die Mandatierung von C._ nicht dem selbstbestimmten Willen von A._ entsprechen würde, oder dass der Auftrag aufgrund des Konflikts nicht zweckdienlich umsetzbar wäre.
    • Obwohl die Gerichtsverfahren auf eine Intensivierung des Konflikts seit Errichtung des Vorsorgeauftrags hindeuteten, sei nicht ersichtlich, dass C._ A._ in diesem Zusammenhang tatsächlich beeinflusst hätte. Die Obergerichtsfeststellung, das "Thema der Beeinflussung" habe zu den Konflikten beigetragen, sei hierfür nicht ausreichend.
    • Die Argumentation des Obergerichts, eine neutrale Person sei besser geeignet, sei irrelevant, solange der eingesetzte Vorsorgebeauftragte selbst für die Aufgabe geeignet ist.

E. Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass das Obergericht Art. 363 Abs. 2 Ziff. 3 ZGB unrichtig angewendet hat, indem es C.__ die Eignung als Vorsorgebeauftragter im Bereich der Vermögenssorge und des Rechtsverkehrs absprach.

Die Beschwerde von C._ wurde gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts vom 9. Juli 2024 aufgehoben. Die Sache wurde zu neuem Entscheid an die KESB Frauenfeld zurückgewiesen, damit diese prüft, ob gemäss Art. 363 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB weitere Massnahmen des Erwachsenenschutzes erforderlich sind (was impliziert, dass die KESB zunächst die vollständige Validierung des Vorsorgeauftrags zugunsten von C._ für alle Bereiche zu prüfen hat).

F. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

  • Das Bundesgericht betont die zentrale Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der auftraggebenden Person bei der Validierung eines Vorsorgeauftrags.
  • Die Eignung einer beauftragten Person darf nur zurückhaltend verneint werden, selbst bei bestehenden Familienkonflikten.
  • Eine blosse Möglichkeit der Verschärfung eines Familienkonflikts ist nicht ausreichend, um die Eignung eines Vorsorgebeauftragten für die Vermögenssorge abzulehnen.
  • Das Erwachsenenschutzrecht sieht mit Art. 368 ZGB Instrumente für den Fall vor, dass sich Risiken (wie eine Konflikteskalation) erst nach der Validierung des Vorsorgeauftrags materialisieren und die Interessen der betroffenen Person gefährden.
  • Eine tatsächliche, nachweisbare Gefährdung der Interessen der betroffenen Person muss vorliegen, um dem Willen der auftraggebenden Person entgegenzuwirken. Die blosse Behauptung einer "Beeinflussung" ohne konkrete Feststellungen reicht nicht aus.
  • Im vorliegenden Fall wurde C.__s Eignung für die Vermögenssorge zu Unrecht verneint, da die Begründung des Obergerichts (blosse Möglichkeit einer Konflikteskalation) den Anforderungen an eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts nicht genügte.