Zusammenfassung von BGer-Urteil 9C_98/2025 vom 4. September 2025

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Dieses Urteil des Bundesgerichts vom 4. September 2025 (9C_98/2025) befasst sich detailliert mit der steuerrechtlichen Behandlung von Zwangsaufwertungen qualifizierter Beteiligungen gemäss Art. 62 Abs. 4 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) sowie den materiell entsprechenden kantonalen und kommunalen Bestimmungen.

1. Sachverhalt und Streitgegenstand

Die Beschwerdeführerin, A._ AG, eine Holdinggesellschaft, hält seit ihrer Gründung im Jahr 2001 eine qualifizierte Beteiligung (ursprünglich 12.46%, später 14.25%) an der C._ AG. Die Beteiligung wurde ursprünglich zum Marktwert eingebucht. Bis und mit dem Geschäftsjahr 2013/2014 bilanzierte die A.__ AG ihre Beteiligung nach der Mark-to-Market-Methode, wobei Wertminderungen und -erhöhungen direkt im Buchwert nachvollzogen wurden. Ab dem Geschäftsjahr 2013/2014 wechselte sie zum Niederstwertprinzip und bilanzierte die Beteiligung zum bisherigen Buchwert von Fr. 30.95 pro Aktie, obwohl der Börsenkurs in den Folgejahren (2015/2016 und 2016/2017) höher lag.

Das Kantonale Steueramt Zürich nahm für die Steuerperioden 2015/2016 und 2016/2017 gestützt auf Art. 62 Abs. 4 DBG (sowie Art. 28 Abs. 1ter zweiter Satz StHG und § 64 Abs. 1 Ziff. 5 StG/ZH) Zwangsaufwertungen der Beteiligung an der C.__ AG vor. Dies führte zu einer Erhöhung des steuerbaren Gewinns bei der direkten Bundessteuer und zu einer Aufrechnung beim steuerbaren Kapital (als versteuerte stille Reserven) bei den Staats- und Gemeindesteuern (aufgrund des damaligen Holdingprivilegs).

Die A.__ AG focht diese Zwangsaufwertungen an, blieb jedoch vor den kantonalen Instanzen (Steuerrekursgericht und Verwaltungsgericht) erfolglos. Die Beschwerde an das Bundesgericht richtete sich gegen die Rechtmässigkeit dieser Aufwertungen.

2. Rechtliche Argumente und Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit freier Kognition für das Bundesrecht und das harmonisierte Steuerrecht, während rein kantonales Recht primär auf Willkür geprüft wird.

2.1. Anwendungsbereich von Art. 62 Abs. 4 DBG: Missbrauchsfälle vs. generelle Anwendung

  • Argument der Beschwerdeführerin: Art. 62 Abs. 4 DBG sei im Rahmen der Unternehmenssteuerreform I (USR I) primär zur Bekämpfung von Missbrauchsfällen eingeführt worden und finde daher nur bei solchen Anwendung.
  • Begründung des Bundesgerichts:
    • Wortlaut: Der Wortlaut von Art. 62 Abs. 4 DBG ist klar und verlangt lediglich, dass Wertberichtigungen und Abschreibungen "nicht mehr begründet sind" (d.h. eine Werterholung eingetreten ist). Er enthält im Gegensatz zu Art. 70 Abs. 5 DBG (ebenfalls USR I) keine Missbrauchsklausel.
    • Historischer Wille des Gesetzgebers: Das Bundesgericht verweist auf die Entstehungsgeschichte der USR I. Art. 62 Abs. 4 DBG bildete zusammen mit Art. 70 Abs. 5 DBG eine der wesentlichen Flankierungsmassnahmen des Ständerats, um dem Konzept des Beteiligungsabzugs des Nationalrats zu folgen. Der Berichterstatter der vorberatenden Kommission erwähnte die Verwerfung einer Befristung der Zwangsaufwertung. Bundesrat Villiger sprach sich in den parlamentarischen Beratungen für eine generelle, wenn auch zurückhaltende Anwendung aus. Die Norm wurde geschaffen, um einen Interessenausgleich zu schaffen, da steuerwirksame Abschreibungen während der Besitzesdauer vorgenommen werden können, aber bei Werterholung nicht bis zum Verkauf zugewartet werden sollte (vgl. Marco Greter, Diss. Zürich, 2000, S. 233).
    • Vergleich mit Art. 63 Abs. 3 DBG: Das Gericht weist darauf hin, dass die Formulierung "werden dem steuerbaren Gewinn zugerechnet, soweit sie nicht mehr begründet sind" in Art. 62 Abs. 4 DBG und Art. 63 Abs. 3 DBG (Rückstellungen) identisch ist. Dies deutet auf eine vergleichbare Anwendungslogik hin, die nicht auf Missbrauchsfälle beschränkt ist. Auch wenn Art. 63 Abs. 3 DBG primär Rückstellungen betrifft, stützt die Gleichheit der Formulierung die generelle Anwendung von Art. 62 Abs. 4 DBG auf qualifizierte Beteiligungen, die zum Anlagevermögen gehören.
    • Verfassungsrechtliche Prinzipien: Der Vorwurf der Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips und der Rechtsgleichheit wird zurückgewiesen. Stille Reserven aus Wertzunahmen sind auch vor Realisierung für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit relevant. Die gewählte gesetzgeberische Lösung, die einen Kompromiss zur Ermöglichung der Unternehmenssteuerreform I darstellte, mag schematisch sein, führt aber nicht zu einer generellen oder systematischen Benachteiligung einer Steuerpflichtigengruppe (BGE 141 II 338 E. 4.5).

2.2. Frage der Rückwirkung bei Absenkung der Beteiligungsschwelle

  • Argument der Beschwerdeführerin: Die Zwangsaufwertungen basierten auf Abschreibungen, die vor dem 1. Januar 2011 (Inkrafttreten der Unternehmenssteuerreform II, USR II) vorgenommen wurden, als die Beteiligungsschwelle für qualifizierte Beteiligungen noch 20% betrug (gegenüber 10% nach USR II). Damals sei die Beteiligung nicht qualifizierend gewesen, und solche Abschreibungen hätten definitiven Charakter gehabt. Eine rückwirkende Aufhebung sei unzulässig.
  • Begründung des Bundesgerichts:
    • USR II und Gestehungskosten: Mit der USR II wurde der Zugang zum erweiterten Beteiligungsabzug (und damit zur Zwangsaufwertung) auf Beteiligungen ab 10% erweitert. Der Gesetzgeber hat dabei keine Neufestsetzung der Gestehungskosten per 1. Januar 2011 für neu qualifizierende Beteiligungen vorgesehen. Art. 70 Abs. 4 lit. a DBG stellt nach wie vor auf die ursprünglichen Gestehungskosten ab. Es ist daher konsequent, dass auch für die Zwangsaufwertung auf die tatsächlichen Gestehungskosten bei Erwerb der Beteiligung abgestellt wird.
    • Keine echte Rückwirkung: Die Werterholung, die zur Aufrechnung führte, trat unbestrittenermassen nach Inkrafttreten der neurechtlichen Beteiligungsgrenze (1. Januar 2011) ein. Indem Art. 62 Abs. 4 DBG die Gestehungskosten bei Erwerb der Beteiligung berücksichtigt, knüpft er nicht die Steuerpflicht als solche an vor dem Inkrafttreten des Gesetzes liegende Sachverhalte, sondern bestimmt lediglich den Umfang der Steuerpflicht nach Tatsachen, die vor dem Inkrafttreten liegen (BGE 147 V 156 E. 7.2.1; 144 I 81 E. 2). Es liegt somit keine unzulässige echte Rückwirkung vor.

2.3. Beurteilung der "nachhaltigen Werterholung"

  • Argument der Beschwerdeführerin: Eine Zwangsaufwertung erfordere eine nachhaltige Werterholung, die sich bereits am Bilanzstichtag manifestiert haben müsse. Der Börsenkurs allein sei aufgrund seiner Volatilität nicht per se nachhaltig. Spätere Wertentwicklungen bis zur Veranlagung dürften nicht berücksichtigt werden. Die Beschwerdeführerin schlägt alternative Bewertungsmethoden vor (gewichteter Durchschnittskurs, Eigenkapital, kapitalisiertes Dividendenbetreffnis).
  • Begründung des Bundesgerichts:
    • Begriff der Nachhaltigkeit: Obwohl Art. 62 Abs. 4 DBG den Ausdruck "nachhaltig" nicht verwendet, ergibt sich aus den parlamentarischen Beratungen, dass nicht jede vorübergehende Werterholung eine Zwangsaufwertung auslösen soll. Die Steuerbehörde hat einen Beurteilungsspielraum bei der Feststellung der nachhaltigen Werterholung (vgl. Kreisschreiben Nr. 27 der ESTV, S. 6 Ziff. 2.5.2). Eine gerichtliche Intervention ist nur bei willkürlichen Annahmen oder offensichtlich falschen Bewertungen gerechtfertigt.
    • Anwendung des Börsenkurses: Es ist nicht zu beanstanden, dass das Steueramt auf Börsenkurse abstellt, zumal die Beschwerdeführerin selbst früher die Mark-to-Market-Methode anwendete. Bei nicht ausgesprochen hoher Volatilität ist der Börsenkurs ein sachgerechter Anknüpfungspunkt.
    • Zeitpunkt der Bewertung: Entgegen der Beschwerdeführerin liegt in der Berücksichtigung der Wertentwicklung bis zum Zeitpunkt der Veranlagung keine Verletzung des Massgeblichkeitsprinzips. Art. 62 Abs. 4 DBG stellt eine Durchbrechung des Massgeblichkeitsprinzips dar. Es liegt in der Natur jeder Steuerveranlagung, dass die Behörde jene Tatsachen berücksichtigt, die ihr bis zur Veranlagung bekannt sind. Die vorgebrachten Beispiele der Beschwerdeführerin zeigen keine Rechtswidrigkeit dieser Praxis auf.

2.4. Staats- und Gemeindesteuern

  • Das Bundesgericht hält fest, dass Art. 28 Abs. 1ter zweiter Satz StHG und § 64 Abs. 1 Ziff. 5 StG/ZH materiell Art. 62 Abs. 4 DBG entsprechen. Die Begründung für die direkte Bundessteuer gilt somit analog.
  • Aufgrund des damaligen Holdingprivilegs (§ 73 Abs. 1 aStG/ZH; Art. 28 Abs. 2 aStHG) wirkt sich der Aufwertungszwang nicht bei der Gewinnsteuer aus, sondern bei der Kapitalsteuer, da er zu einer Erhöhung der versteuerten stillen Reserven im Eigenkapital führt (§ 78 f. StG/ZH).

3. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Die Beschwerde erweist sich sowohl hinsichtlich der direkten Bundessteuer als auch der Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Zürich als unbegründet und wird vollumfänglich abgewiesen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Generelle Anwendbarkeit von Art. 62 Abs. 4 DBG: Die Bestimmung ermöglicht steuerliche Zwangsaufwertungen von qualifizierten Beteiligungen bei Werterholung und ist nicht auf Missbrauchsfälle beschränkt. Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Unternehmenssteuerreform I als Kompromisslösung.
  • Keine unzulässige Rückwirkung: Die Anwendung von Art. 62 Abs. 4 DBG auf Beteiligungen, die aufgrund der Absenkung der Schwellenwerte der Unternehmenssteuerreform II (2011) erst nachträglich zu qualifizierten Beteiligungen wurden, stellt keine echte Rückwirkung dar, da die Werterholung selbst nach Inkrafttreten des neuen Rechts eintrat und lediglich auf die ursprünglichen Gestehungskosten abgestellt wird.
  • Beurteilung der nachhaltigen Werterholung: Für die Feststellung einer nachhaltigen Werterholung besitzt die Steuerbehörde einen Beurteilungsspielraum. Das Abstellen auf Börsenkurse ist grundsätzlich zulässig. Die Berücksichtigung der Wertentwicklung bis zum Zeitpunkt der Veranlagung verletzt das Massgeblichkeitsprinzip nicht, da Art. 62 Abs. 4 DBG dieses bewusst durchbricht.
  • Staats- und Gemeindesteuern: Die Rechtsgrundlagen des harmonisierten kantonalen Steuerrechts (§ 64 Abs. 1 Ziff. 5 StG/ZH i.V.m. Art. 28 Abs. 1ter zweiter Satz StHG) entsprechen materiell Art. 62 Abs. 4 DBG, weshalb die gleichen Grundsätze gelten. Bei Holdinggesellschaften führt die Zwangsaufwertung zur Erhöhung des steuerbaren Kapitals durch versteuerte stille Reserven.