Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_453/2024 vom 15. September 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts (8C_453/2024 vom 15. September 2025) detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 8C_453/2024 vom 15. September 2025

1. Parteien und Gegenstand Das Urteil betrifft eine Beschwerde der IV-Stelle für Versicherte im Ausland (IVSTA, Beschwerdeführerin) gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Streitig war die Frage, ob die Invalidenversicherung (IV) die Kosten für bauliche Anpassungen am Haus des Versicherten (A.__, Beschwerdegegner) in Frankreich als Eingliederungsmassnahmen übernehmen muss.

2. Sachverhalt und Vorinstanzliches Verfahren Der Beschwerdegegner, ein portugiesischer Staatsbürger, war als Grenzgänger in der Schweiz erwerbstätig, nachdem er und seine Ehefrau ihren Wohnsitz von der Schweiz nach Frankreich (U.__) verlegt hatten. Im November 2019 erlitt er einen Arbeitsunfall, der eine komplette Paraplegie zur Folge hatte. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) erbringt Leistungen nach UVG. Im März 2020 beantragte der Beschwerdegegner bei der IV-Stelle die Übernahme der Kosten für bauliche Anpassungen (Zugangsrampe, Badezimmerumbau) an seinem Einfamilienhaus in Frankreich, die für seine Selbstständigkeit notwendig waren und bereits vor seinem Klinikaufenthalt finanziert wurden. Die IVSTA wies das Gesuch mit Verfügung vom 30. September 2020 ab.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hiess die Beschwerde des Versicherten gut, hob die Verfügung der IVSTA auf und wies diese an, die Kosten für die baulichen Massnahmen zu vergüten (Urteil vom 13. Juni 2024).

3. Rechtliche Grundlagen und Argumentation des Bundesgerichts

3.1. Anwendbares Recht und Grundsätze Das Bundesgericht hält fest, dass die Beurteilung eines allfälligen Anspruchs auf Eingliederungsmassnahmen ausschliesslich nach schweizerischem Recht erfolgt. Es geht von folgenden Grundsätzen aus:

  • Erwerbsortsprinzip und Nachversicherungsschutz: Gemäss Art. 11 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 883/2004), welche im Rahmen des Freizügigkeitsabkommens (FZA) Anwendung findet, unterliegen Erwerbstätige den Rechtsvorschriften des Staates, in dem sie ihre Tätigkeit ausüben. Für Grenzgänger, die ihre Erwerbstätigkeit in der Schweiz infolge Unfalls oder Krankheit aufgeben müssen, sieht Anhang XI, Schweiz, Ziff. 8 der VO Nr. 883/2004 einen "Nachversicherungsschutz" vor. Dieser ermöglicht ihnen den Erwerb des Anspruchs auf Eingliederungsmassnahmen bis zur Rentenzahlung oder abgeschlossener Eingliederung, sofern keine anderweitige Erwerbstätigkeit ausserhalb der Schweiz aufgenommen wird.
    • Abgrenzung des Nachversicherungsschutzes: Das Bundesgericht präzisiert, dass diese Nachversicherungsklausel Grenzgängern lediglich die Durchführung von Eingliederungsmassnahmen in der Schweiz ermöglicht. Sie ändert nichts an den allgemeinen Zuständigkeitsregeln der VO Nr. 883/2004 und verpflichtet die Schweiz nicht zur Gewährung von Sachleistungen im Ausland. Das Bundesverwaltungsgericht hatte hier eine zu weite Auslegung vorgenommen.
  • Territorialitätsprinzip für Sachleistungen: Leistungen der schweizerischen Sozialversicherungen werden nach dem sogenannten Territorialitätsprinzip grundsätzlich nur in der Schweiz gewährt. Während Geldleistungen im Anwendungsbereich des FZA aufgrund des Diskriminierungsverbotes grundsätzlich exportiert werden, bestehen Ausnahmen für sogenannte beitragsunabhängige Sonderleistungen wie Ergänzungsleistungen, Hilflosenentschädigungen, Arbeitslosenhilfe und insbesondere Sachleistungen. Hilfsmittel und Eingliederungsmassnahmen sind als Sachleistungen (Art. 14 ATSG) nicht exportpflichtig. Die Anwendbarkeit des FZA führt daher nicht zu einer Verpflichtung der schweizerischen Sozialversicherungsträger, Eingliederungsmassnahmen im Ausland zu übernehmen (vgl. BGE 133 V 624).

3.2. Zur Auslegung von Art. 9 Abs. 1 IVG und Art. 23bis IVV (Ausnahmen für Auslandsmassnahmen) Das Bundesgericht betont den Ausnahmecharakter der Gewährung von Eingliederungsmassnahmen im Ausland.

  • Grundsatz: Gemäss Art. 9 Abs. 1 IVG werden Eingliederungsmassnahmen "ausnahmsweise auch im Ausland" gewährt. Art. 23bis der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) konkretisiert diesen Begriff restriktiv:
    • Art. 23bis Abs. 1 IVV: Übernahme der Kosten, wenn die Durchführung in der Schweiz objektiv unmöglich ist (z.B. mangels Institutionen oder Fachpersonen).
    • Art. 23bis Abs. 2 IVV: Notfallmässige medizinische Massnahmen im Ausland.
    • Art. 23bis Abs. 3 IVV: "Andere beachtliche Gründe", wobei die Kosten bis zum Umfang der Leistungen in der Schweiz vergütet werden.
  • Restriktive Auslegung von "beachtliche Gründe": Das Bundesgericht stellt klar, dass "beachtliche Gründe" im Sinne von Art. 23bis Abs. 3 IVV von erheblichem Gewicht sein müssen (BGE 143 V 190 E. 7.2; 110 V 99 E. 2). Andernfalls würden der Ausnahmecharakter von Art. 9 Abs. 1 IVG und die restriktiven Bedingungen von Art. 23bis Abs. 1 IVV unterlaufen. Eine "Austauschbefugnis", die es dem Versicherten erlauben würde, Leistungen in der Schweiz einfach durch gleichwertige Leistungen im Ausland zu ersetzen, ist praxisgemäss generell ausgeschlossen.

3.3. Kritik an der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts Das Bundesgericht verwirft die Argumentation des BVGer, welches einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die baulichen Anpassungen in Frankreich bejaht hatte:

  • Fehlende objektive Besonderheit: Das BVGer hatte die "Besonderheit" der Massnahmen, welche eine Ausnahme gemäss Art. 23bis Abs. 1 IVV rechtfertigen soll, in der Natur der baulichen Massnahmen und ihrer untrennbaren Verbindung zum Privatwohnhaus in Frankreich gesehen. Das Bundesgericht widerspricht dieser Ansicht.
    • Weder fehlen in der Schweiz die erforderlichen Institutionen noch die Fachpersonen für die hier streitigen baulichen Eingliederungsmassnahmen.
    • Der Auslandsbezug resultiert ausschliesslich aus der Lage der Immobilie und der naturgemässen Ortsgebundenheit solcher Anpassungen.
    • Die subjektive Wohnsitzwahl des Beschwerdegegners in Frankreich vermag nicht die objektive sachliche Notwendigkeit für die Durchführung von baulichen Eingliederungsmassnahmen im Ausland zu begründen.
  • Verletzung des Territorialitätsprinzips und des Ausnahmecharakters: Die Lage einer Immobilie im Ausland stellt kein objektives, sachliches Kriterium von erheblichem Gewicht dar, welches den Ausnahmefall im Sinne von Art. 9 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 23bis IVV begründen könnte. Eine gegenteilige Entscheidung würde implizit eine Exportpflicht für Sachleistungen bezüglich invaliditätsbedingter baulicher Anpassungen an ausländischen Immobilien einführen, was der geltenden Rechtslage und der Rechtsprechung widerspricht (vgl. E. 3.4).

4. Entscheid des Bundesgerichts Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass das Bundesverwaltungsgericht Bundesrecht verletzt hat, indem es einen Anspruch des Beschwerdegegners auf Übernahme der baulichen Anpassungen an seinem Haus in Frankreich als Eingliederungsmassnahmen zu Lasten der Invalidenversicherung bejahte. Folglich wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die ursprüngliche Verfügung der IVSTA vom 30. September 2020 (Ablehnung des Gesuchs) bestätigt.

5. Kostenregelung Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Verbeiständung) wird abgewiesen, da er seine prozessuale Bedürftigkeit nicht belegen konnte. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat im Fall 8C_453/2024 entschieden, dass die schweizerische Invalidenversicherung (IV) die Kosten für bauliche Anpassungen am Wohnhaus eines Grenzgängers in Frankreich nicht übernehmen muss. Es hob das anderslautende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf und bestätigte die ablehnende Verfügung der IV-Stelle.

Die wesentlichen Punkte sind:

  1. Territorialitätsprinzip für Sachleistungen: Eingliederungsmassnahmen und Hilfsmittel sind Sachleistungen und grundsätzlich nicht exportpflichtig. Die Schweiz ist nicht verpflichtet, diese im Ausland zu gewähren.
  2. Restriktive Auslegung der Ausnahmen: Eingliederungsmassnahmen werden gemäss Art. 9 Abs. 1 IVG nur "ausnahmsweise im Ausland" gewährt. Die konkreten Ausnahmetatbestände in Art. 23bis IVV sind eng auszulegen.
  3. Keine objektive Notwendigkeit: Die Lage der Immobilie in Frankreich und die ortsgebundene Natur der baulichen Massnahmen stellen keine "objektive Besonderheit" oder "beachtlichen Grund" im Sinne von Art. 23bis IVV dar. Die subjektive Wohnsitzwahl des Versicherten begründet keine objektive sachliche Notwendigkeit für eine Leistungserbringung im Ausland.
  4. Keine erweiterte Exportpflicht: Eine Übernahme der Kosten würde dem Grundsatz entgegenlaufen, dass Sachleistungen nicht exportiert werden, und implizit eine unzulässige Exportpflicht für bauliche Anpassungen im Ausland einführen.
  5. Nachversicherungsschutz beschränkt auf Schweiz: Der Nachversicherungsschutz gemäss Anhang XI Ziff. 8 VO 883/2004 ermöglicht Grenzgängern lediglich die Durchführung von Eingliederungsmassnahmen in der Schweiz, nicht aber die Gewährung von Sachleistungen im Ausland.