Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_618/2024 vom 24. September 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 8C_618/2024 vom 24. September 2025

1. Einleitung und Verfahrensgegenstand Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Bereich der Unfallversicherung zu entscheiden. Streitig war der Anspruch des Beschwerdeführers A.__ auf eine Invalidenrente ab dem 1. Mai 2020. Die Visana Versicherungen AG (Beschwerdegegnerin) hatte einen Rentenanspruch wegen eines zu geringen Invaliditätsgrades (2 %) verneint, was das Obergericht Appenzell Ausserrhoden nach einer Rückweisung durch das Bundesgericht erneut bestätigte. Das Bundesgericht hatte nun zu prüfen, ob die Vorinstanz bei der Bemessung des Invaliditätsgrades Bundesrecht verletzt hat, insbesondere bei der Bestimmung des Invalideneinkommens.

2. Sachverhalt und Vorinstanzliche Entscheidung Der 1976 geborene Beschwerdeführer, zuletzt als Sekundarlehrer tätig, erlitt am 14. August 2010 einen Rennradunfall mit leichtem Schädelhirntrauma. Nach Leistungsbeendigung per Ende Juli 2011 und Verzicht auf Rückforderung von Übergangsleistungen verneinte die Visana einen Rentenanspruch. Das Obergericht Appenzell Ausserrhoden wies die Beschwerde des A.__ mit Urteil vom 17. September 2024 ab. Es ging dabei von einem unbestrittenen Valideneinkommen von Fr. 124'868.95 (als Sekundarlehrer und Eishockey-Trainer im Jahr 2011) aus. Als Invalideneinkommen setzte es das Teil-Einkommen als Sekundarlehrer von Fr. 100'959.40 fest. Für die verbleibende zumutbare Arbeitsfähigkeit von 17.5 % in einer körperlichen Nebentätigkeit stützte es sich auf die vom Beschwerdeführer selbst gemachten Lohnangaben für einen Yoga- bzw. Fitnesstrainer. Ausgehend von einem Brutto-Stundenlohn von Fr. 36.39 und sieben wöchentlichen Lektionen (inkl. Ferienentschädigung) errechnete es ein zusätzliches Einkommen von Fr. 12'455.70 (auf 2011 indexiert). Dies führte zu einem Invaliditätsgrad von 9.17 % (gerundet 9 %), der unterhalb des rentenauslösenden Schwellenwerts von 10 % liegt.

3. Rechtliche Grundlagen und Argumentation des Bundesgerichts

3.1. Prüfungsumfang des Bundesgerichts Das Bundesgericht prüft Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG), beschränkt sich aber auf gerügte Mängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Im Bereich der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung gebunden (Art. 97 Abs. 2 i.V.m. Art. 105 Abs. 3 BGG; BGE 140 V 136 E. 1.2.1). Die korrekte Anwendung der LSE-Tabellen (Tabellenwahl, Kompetenzniveau) ist eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei überprüft, während die konkreten Voraussetzungen für die Wahl einer Tabelle (Ausbildung, Qualifikation) Sachverhaltsfragen sind (BGE 143 V 295 E. 2.4).

3.2. Unbestrittene und strittige Punkte Unbestritten waren: * Der Beschwerdeführer ist als Sekundarlehrer zu 82.5 % arbeitsfähig. * Ihm ist es zumutbar, die verbleibenden 17.5 % mit einer geeigneten, eher körperlichen Tätigkeit auszufüllen. * In einer Verweistätigkeit ist er voll arbeitsfähig. * Das Valideneinkommen beträgt Fr. 124'868.95 (Einkommensvergleich per 2011). * Das als Sekundarlehrer erzielbare Invalideneinkommen beträgt Fr. 100'959.40. Strittig blieb das zusätzliche Einkommen für die zumutbare 17.5 %-Tätigkeit.

3.3. Argumente des Beschwerdeführers und Erwiderungen des Bundesgerichts

  • Kinderbetreuung als Hinderungsgrund: Der Beschwerdeführer machte geltend, er betreue seine Tochter zu 20 %, was keine Zeit für eine Nebentätigkeit lasse. Das Bundesgericht wies diesen Einwand zurück. Der Verzicht, die volle zumutbare Arbeitsfähigkeit auszuschöpfen, erfolgte aus unfallfremden Gründen. Art. 3 § 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes ist nicht unmittelbar anwendbar (BGE 144 II 56 E. 5.2).

  • "Nischentätigkeiten" und Arbeitsweg: Der Beschwerdeführer argumentierte, Yoga-/Fitnesstrainer oder Velokurier seien Nischentätigkeiten, nur zu Randzeiten ausübbar, und der Arbeitsweg sei nicht berücksichtigt worden. Das Bundesgericht hielt dem entgegen, dass bei der Invaliditätsbemessung von einem hypothetisch ausgeglichenen Arbeitsmarkt auszugehen ist (BGE 147 V 124 E. 6.2; BGE 134 V 64 E. 4.2.1), der auch Nischenarbeitsplätze umfasst. Die konkreten Stundenpläne oder der Arbeitsweg sind dabei irrelevant, zumal ein Arbeitsweg von bis zu zwei Stunden (pro Weg) in der Rechtsprechung der Arbeitslosenversicherung als zumutbar gilt (Urteil 8C_24/2021 E. 4.2; U 110/94 E. 3d), und die Mobilität des Beschwerdeführers nicht eingeschränkt ist. Zudem seien die als zumutbar erachteten Tätigkeiten angesichts flexibler Einsatzplanung keine Nischentätigkeiten.

  • Berechnung des Invalideneinkommens (zentraler Streitpunkt):

    • Ablehnung der Methode der Vorinstanz und des Beschwerdeführers: Das Bundesgericht rügte, dass die Vorinstanz zu Unrecht auf exemplarische Lohnangaben des Beschwerdeführers abstellte. Auch der Vorschlag des Beschwerdeführers, den Lohnrechner "Salarium" des Bundesamts für Statistik zu verwenden, wurde abgelehnt, da für die Ermittlung der Vergleichseinkommen grundsätzlich die gesamtschweizerischen Tabellenlöhne der Lohnstrukturerhebung (LSE) heranzuziehen sind (Urteile 9C_359/2018 E. 4.2; 8C_486/2013 E. 4).
    • Eigenständige Kategorisierung und LSE-Anwendung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Vorinstanz die Tätigkeit des Fitnesstrainers fälschlicherweise nicht präzise genug den LSE-Tabellen zugeordnet hatte. Es differenzierte dabei klar zwischen einem Yogalehrer (der unter Position 85 "Erziehung und Unterricht" der LSE fallen mag) und einem Fitnesstrainer. Die Tätigkeit eines Fitnesstrainers, die über das blosse Abhalten von Kursen hinaus auch die Anleitung und Betreuung von Kunden in einem Fitnessstudio umfassen kann, ist der Position 93 "Sport und Erholung", Unterkategorie 931300 ("Dienstleistungen des Betriebs von Fitness- und Bodybuildingclubs und -einrichtungen") der NOGA 2008 zuzuordnen.
    • Bestimmung des Anforderungsniveaus: Obwohl der Beschwerdeführer keine spezifische Ausbildung als Fitnesstrainer absolviert hatte, würdigte das Bundesgericht dessen umfangreichen sportlichen Leistungsausweis, grossen Erfahrungsschatz (Marathon, Eishockey-Spieler/-Trainer), didaktische Fähigkeiten als Sekundarlehrer, hohen IQ und die Fähigkeit, zwei Zusatzausbildungen zu absolvieren. Diese Qualifikationen ersetzen nach Auffassung des Bundesgerichts eine formelle Ausbildung in einem Bereich, in dem Quereinsteiger häufig sind. Es wurde daher das Anforderungsniveau 3 ("Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt"), Zeile 93, Männer, LSE 2010, als angemessen erachtet.
    • Neuberechnung: Ausgehend von einem monatlichen Bruttolohn von Fr. 5'400.- für dieses Anforderungsniveau, hochgerechnet auf eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 41.6 Stunden und angepasst an die Nominallohnentwicklung per 2011 (+0.7 %), ergab sich für das 17.5 %-Pensum ein zusätzliches Invalideneinkommen von Fr. 11'876.15.
    • Kein Abzug vom Tabellenlohn: Ein Abzug wurde weder für die Tätigkeit als Fitnesstrainer (da oft Teilzeit ausgeübt) noch für die Tätigkeit als Sekundarlehrer (da kantonale Lohnstufensysteme Teilzeitangestellte grundsätzlich nicht benachteiligen, vgl. Besoldungsverordnung des Kantons Appenzell Ausserrhoden) als gerechtfertigt erachtet.

3.4. Ergebnis der Invaliditätsbemessung Durch die Zusammenführung des Einkommens als Sekundarlehrer (Fr. 100'959.40) mit dem neu berechneten zusätzlichen Einkommen als Fitnesstrainer (Fr. 11'876.15) ergibt sich ein Invalideneinkommen von insgesamt Fr. 112'835.55. Im Vergleich zum Valideneinkommen von Fr. 124'868.95 resultiert daraus ein Invaliditätsgrad von 9.6 %, gerundet 10 % (BGE 130 V 121 E. 3.3). Da der Beschwerdeführer somit den rentenauslösenden Invaliditätsgrad von 10 % erreicht oder überschreitet, hat er Anspruch auf eine Invalidenrente.

4. Entscheid des Bundesgerichts Die Beschwerde wurde gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden vom 17. September 2024 sowie der Einspracheentscheid der Visana vom 5. Januar 2021 wurden aufgehoben. Es wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer ab dem 1. Mai 2020 Anspruch auf eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 10 % hat. Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdegegnerin auferlegt, die zudem dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren leisten muss. Die Sache wurde zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Obergericht Appenzell Ausserrhoden zurückgewiesen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hob das Urteil der Vorinstanz auf und sprach dem Beschwerdeführer eine Invalidenrente ab Mai 2020 zu. Es bestätigte, dass der Beschwerdeführer in seiner Haupttätigkeit als Sekundarlehrer zu 82.5 % arbeitsfähig ist und die verbleibenden 17.5 % in einer körperlichen Nebentätigkeit verwerten kann. Entgegen der Vorinstanz verwarf das Bundesgericht die Verwendung exemplarischer Lohnangaben und die "Salarium"-Methode. Es ordnete die Tätigkeit eines Fitnesstrainers neu der LSE-Position 93 ("Sport und Erholung") und dem Anforderungsniveau 3 zu. Aufgrund der Neuberechnung des Invalideneinkommens, welche die umfassenden sportlichen und didaktischen Fähigkeiten des Beschwerdeführers berücksichtigte, ergab sich ein Invaliditätsgrad von 10 %, der den Anspruch auf eine Invalidenrente begründet. Ein Abzug vom Tabellenlohn für Teilzeitarbeit wurde verneint.