Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 6B_181/2024 vom 10. September 2025
1. Einleitung und Prozessgeschichte
Das Urteil 6B_181/2024 des Bundesgerichts vom 10. September 2025 befasst sich mit einer Beschwerde in Strafsachen des Beschwerdeführers A._ gegen ein Urteil des Kantonsgerichts Waadt (Cour d'appel pénale du Tribunal cantonal vaudois) vom 1. Dezember 2023. Der Beschwerdeführer wurde von der Vorinstanz wegen Diebstahls verurteilt. Zuvor hatte das erstinstanzliche Gericht (Tribunal correctionnel de l'arrondissement de La Côte) ihn vom Vorwurf des Diebstahls freigesprochen und der geschädigten Zivilklägerin B._ zivilrechtliche Forderungen abgesprochen. A._ war zudem eine Entschädigung für Verteidigungskosten und Genugtuung zugesprochen worden. Die Berufungsinstanz hob diesen Freispruch auf, sprach A._ des Diebstahls schuldig, verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren (abzüglich 119 Tage Untersuchungshaft) und verpflichtete ihn zur Zahlung von CHF 7'995'100 zuzüglich Zinsen an B.__ als Schadenersatz. Sämtliche Kosten wurden dem Beschwerdeführer auferlegt, und sein Entschädigungsbegehren wurde abgewiesen. Der Beschwerdeführer focht dieses Urteil vor Bundesgericht an.
2. Sachverhalt (vom Bundesgericht verbindlich festgestellt)
Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz, die das Bundesgericht (von Willkür abgesehen) binden, ist der Beschwerdeführer A._ ein im Jahr 1960 geborener Juwelier. Er lebte zwischen verschiedenen Ländern und liess sich schliesslich in N._ (R.__) nieder, wo er als Schmuckdesigner für eine Gesellschaft seines Bruders arbeitete. Sein Gehalt betrug 6'000 USD pro Monat, wobei Miete, Hausangestellte, Auto und Reisekosten von der Gesellschaft seines Bruders übernommen wurden. Er gab an, eine archäologische und antike Sammlung im Wert von 300'000 Franken zu besitzen.
Die Vorinstanz stellte fest, dass A._ zwischen dem 16. und 17. Januar 2012 auf dem Anwesen G._ der B._, die ihn mit der Inventarisierung und Schätzung ihres gesamten Schmucks beauftragt hatte, den rosafarbenen Diamanten "H._" (17.48 Karat IF Typ IIa, Wert 8,5 Millionen USD) entwendete. Er ersetzte diesen auf dem Originalring durch einen wertlosen rosafarbenen Quarz gleicher Grösse und Farbe. Zudem eignete er sich den gelben Diamanten "I.__" (3.03 Karat, Wert mehrere hunderttausend Franken) an.
3. Bundesgerichtliche Erwägungen
3.1. Rügegrundsätze und Sachverhaltsfeststellung (Art. 105 Abs. 1, 97 Abs. 1, 105 Abs. 2, 106 Abs. 2 BGG)
Das Bundesgericht ist an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden, es sei denn, diese seien offensichtlich unrichtig (willkürlich) im Sinne von Art. 9 BV. Rügen betreffend die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich Willkür) müssen vom Beschwerdeführer explizit und detailliert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Appellatorische Kritik ist unzulässig.
3.2. Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 107, 139 StPO, Art. 6 Abs. 3 EMRK)
- Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV): Der Beschwerdeführer rügte, die Vorinstanz habe es unterlassen, sich zu vier von ihm vorgebrachten Mängeln des Gerichtsgutachtens und zu seiner Hypothese eines "ganzheitlichen Ringsaustauschs" zu äussern. Das Bundesgericht verneinte eine Verletzung, da die Vorinstanz die Privatgutachten und die Hypothese des Beschwerdeführers geprüft, verworfen und die Gründe dafür dargelegt hatte. Das Gericht sei nicht verpflichtet, alle Argumente zu erörtern, sondern nur die wesentlichen (Verweis auf BGE 147 IV 249 E. 2.4).
 
- Recht auf Beweismittel und Ergänzungsgutachten (Art. 107, 139 StPO, Art. 29 Abs. 2 BV): Der Beschwerdeführer verlangte ein Ergänzungsgutachten zur Frage der Existenz von zwei Ringen.
- Rügen gegen Staatsanwaltschaft und Erstinstanz: Diese Rügen wurden vom Bundesgericht als unzulässig erachtet, da der Beschwerdeführer sie nicht bereits vor der kantonalen Berufungsinstanz erhoben hatte. Eine solche Rüge, die die Verletzung einer Verfahrensgarantie betrifft, hätte auf kantonaler Ebene vorgebracht werden müssen (Art. 80 Abs. 1 BGG, Art. 5 Abs. 3 BV, Verweis auf BGE 143 IV 397 E. 3.4.2).
 
- Rüge gegen die Berufungsinstanz (fehlende Anordnung von Amtes wegen): Das Bundesgericht verneinte auch hier eine Verletzung. Der Beschwerdeführer hatte das Ergänzungsgutachten vor der Berufungsinstanz nicht erneut beantragt, und die Vorinstanz hatte das bestehende Gerichtsgutachten als überzeugend erachtet. Eine Verletzung des Rechts auf Beweismittel liegt nur vor, wenn die antizipierte Beweiswürdigung der Vorinstanz willkürlich war (Art. 139 Abs. 2 StPO, BGE 144 II 427 E. 3.1.3). Dies war hier nicht der Fall.
 
 
- Anklageprinzip (Art. 9, 325 StPO, Art. 29 Abs. 2, 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Abs. 3 EMRK): Der Beschwerdeführer rügte die Lakonie der Anklageschrift. Diese Rüge wurde ebenfalls als unzulässig beurteilt, da sie erstmals vor Bundesgericht erhoben wurde, was dem Grundsatz von Treu und Glauben im Verfahren widerspricht (Verweis auf E. 2.2.2). Im Übrigen seien Ungenauigkeiten in der Anklageschrift unerheblich, sofern dem Beschuldigten klar sei, welches Verhalten ihm vorgeworfen werde (Verweis auf 6B_437/2024 E. 1.1).
 
3.3. Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung – Gutachten (Art. 9 BV, Art. 189 StPO)
Der Beschwerdeführer rügte Willkür in der Würdigung des Gerichtsgutachtens durch die Vorinstanz.
- Rechtliche Grundlagen: Gemäss Art. 189 StPO muss ein Gutachten ergänzt oder präzisiert werden, wenn es unvollständig, unklar, widersprüchlich ist oder die Richtigkeit ernsthaft angezweifelt wird. Das Gericht ist in seiner Beweiswürdigung frei, darf aber nur von einem Gutachten abweichen, wenn dessen Glaubwürdigkeit ernsthaft erschüttert ist (BGE 142 IV 49 E. 2.1.3). Privatgutachten haben geringeren Beweiswert, müssen aber geprüft werden, ob sie das Amtsgutachten in Zweifel ziehen können (BGE 141 IV 369 E. 6.2). Willkür liegt nur vor, wenn das Gutachten Mängel aufweist, die selbst ohne Fachkenntnisse offensichtlich sind (Verweis auf 6B_206/2024 E. 2.1.2).
 
- Würdigung der Vorinstanz: Die Vorinstanz stützte sich auf die gerichtliche Expertise, welche mittels 3D-Modell und makroskopischer Ansichten der Krappen (Fassungen) Unterschiede in deren Positionierung zwischen den Fotos vom 16./17. Januar 2012 (mit Diamant) und vom 28. Januar 2012 (mit Quarz) feststellte. Sie erachtete diese Methodik als überzeugend und wies die Einwände des Privatgutachtens des Beschwerdeführers zurück. Die Vorinstanz betonte, die Gutachter hätten sich auf die Fotos vom 16./17. Januar 2012 und 28. Januar 2012 gestützt.
 
- Prüfung durch das Bundesgericht:
- Kritik an der Methodik (3D-Modell): Der Beschwerdeführer behauptete, die 3D-zu-2D-Vergleichsmethode führe zwangsläufig zu einer Verschiebung der Krappen. Das Bundesgericht verwarf dies als blosse Hypothese. Die Expertise habe eine Übereinstimmung der Elemente gezeigt, einschliesslich der spezifischen Krümmung der Krappen auf dem Foto vom 28. Januar 2012, die auf den früheren Fotos fehlte und auf den Diamantentausch hindeutete.
 
- Kritik an der Fotobearbeitung: Die Behauptung des Beschwerdeführers, es fehlten wichtige Kamera-Parameter, wurde ebenfalls verworfen. Die Gutachter hatten ihre Bearbeitungsschritte detailliert erklärt, und die Privatexpertise bot keine konkreten Anhaltspunkte, die die Zuverlässigkeit der gerichtlichen Expertise in Frage gestellt hätten.
 
- Hypothese des "ganzen Ringsaustauschs": Der Beschwerdeführer argumentierte, dass nicht nur der Diamant, sondern der gesamte Ring ausgetauscht worden sei. Die Vorinstanz hatte dies unter Hinweis auf die Aussage des Juweliers (es sei die von ihm umgearbeitete Fassung gewesen) und die mangelhafte Ausführung der Fassung (die bei einem vollständigen Austausch perfekt gewesen wäre und auf ein überhastetes Vorgehen hindeutete) verworfen. Das Bundesgericht bestätigte, dass die Gutachter zwar die Existenz von zwei Ringen nicht "absolut" ausgeschlossen hätten, aber dennoch starke Indizien für dieselbe Fassung vorlägen. Auch die "Oberflächenveränderungen" an den Krappen stützten die These eines Diamantentauschs. Die Argumentation des Beschwerdeführers, er habe die mangelhafte Ausführung nicht selbst machen können, da er kein Fasser sei, überzeugte nicht, da es sich um ein Nachspannen der Krappen handelte.
 
- Weitere Kritikpunkte: Andere Einwände des Beschwerdeführers, wie die angebliche Veränderung der Krappenposition vor der Modellierung oder die Verwendung illegal beschaffter Bilder, wurden als unbegründet oder unzulässig (mangelnde Vorbringen vor der Vorinstanz) zurückgewiesen.
 
 
Zusammenfassend konnte der Beschwerdeführer keine offensichtlichen Widersprüche oder Mängel im Gerichtsgutachten aufzeigen, die die Vorinstanz zur Annahme von Willkür hätten veranlassen müssen. Die Rüge wurde daher abgewiesen.
3.4. Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung – Weitere Beweismittel und in dubio pro reo (Art. 9 BV, Art. 10 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 14 Ziff. 2 UNO-Pakt II, Art. 6 Abs. 2 EMRK)
Der Beschwerdeführer rügte Willkür in der Beweiswürdigung der übrigen Beweismittel und eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo.
- Rechtliche Grundlagen: Willkür liegt vor, wenn die Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist. Der Grundsatz in dubio pro reo ist als Beweiswürdigungsregel nur verletzt, wenn ernsthafte und unüberwindliche Zweifel an der Existenz einer für den Angeklagten nachteiligen Tatsache bestehen. Er ist nicht weitergehend als das Willkürverbot (BGE 148 IV 409 E. 2.2). Die Beweiswürdigung ist im Gesamten zu betrachten; einzelne Schwächen genügen nicht.
 
- Würdigung von Parteiaussagen und Zeugenaussagen:
- Die Vorinstanz hatte die Aussagen der Geschädigten (Bemerkung des veränderten Glanzes des Steins) und des Beschwerdeführers (Aussage über einen "falschen" Stein auf einem Foto) durch das Gutachten gestützt. Das Bundesgericht verwarf die appellatorischen Einwände des Beschwerdeführers, da sie keine Willkür aufzeigten.
 
- Die Tatsache, dass der Juwelier den Tausch nicht bemerkt hatte, wurde von der Vorinstanz als nicht entscheidend erachtet, da keine besondere Aufmerksamkeit geschuldet war und die Lichtverhältnisse gedämpft waren. Das Bundesgericht sah auch hier keine Willkür.
 
 
- Belastungsindizien gegen den Beschwerdeführer: Die Vorinstanz stützte ihre Verurteilung auf eine Vielzahl von Indizien:
- Finanzielle Situation und Motiv: Der Beschwerdeführer hatte eine eher "käufliche" als freundschaftliche Beziehung zur Geschädigten, benötigte viel Geld für seinen Lebensstil und zeigte mangelnde Loyalität. Seine geschäftliche Tätigkeit war nicht florierend, und er war finanziell von seiner Familie abhängig. Das Bundesgericht hielt dies für eine willkürfreie Feststellung.
 
- Fachkenntnisse: Als Juwelier verfügte er über das nötige Wissen, um den Stein zu ersetzen und zu verkaufen. Er kannte den GIA-Diamantenreport. Seine eigene Aussage, Steine entfassen zu können, sprach gegen ihn.
 
- Gelegenheit und Vorgehen: Er war am 17. Januar 2012 allein mit den Diamanten. Seine Wahl, das Inventar in unbequemer Position vor einem Fenster fortzusetzen, obwohl tagsüber kein Licht mehr war und ein gut beleuchteter Tisch zur Verfügung stand, wurde als Absicht gedeutet, die Überwachungskamera zu umgehen. Das Bundesgericht fand diese Schlussfolgerung haltbar.
 
- Verhalten nach der Tat: Er reiste kurz nach dem Inventar zum ersten Mal seit 13 Jahren in eine Region, wo er seinen Bruder (Juwelier) besuchte, was als Gelegenheit zum Verkauf der Diamanten gewertet wurde. Er nahm das Inventar nie wieder auf. Die Vorinstanz sah auch in der mangelhaften Ausführung des Tauschs einen Hinweis auf einen erfahrenen, aber nicht spezialisierten Fachmann wie den Beschwerdeführer. Das Bundesgericht sah keine Willkür.
 
- Verhalten während der Untersuchung: Die Vorinstanz wertete die Schwierigkeiten beim Zugriff auf seine E-Mail-Konten und das Fehlen von E-Mails als mangelnde Kooperation. Dies wurde vom Bundesgericht als zulässige Berücksichtigung bestätigt.
 
- Kündigung bei der Familienfirma: Die Kündigung seiner Funktion kurz nach dem Diebstahl, aber vor dessen Entdeckung, wurde als Indiz gewertet, dass nur der Dieb vom Diebstahl wissen konnte. Die Aussage des Beschwerdeführers, er sei "wegen der Anschuldigungen" ausgetreten, stützte diese Ansicht. Das Bundesgericht hielt diese Feststellung für nicht willkürlich.
 
 
- Ausschluss von Drittpersonen (in dubio pro reo): Der Beschwerdeführer zweifelte die Schuldzuweisung an und verwies auf andere potenzielle Täter (Butler, Lebensgefährte der Geschädigten).
- Butler: Die Vorinstanz schloss eine Täterschaft des Butlers aus. Obwohl er den Safecode kannte, hätte er den Diebstahl vorausplanen müssen und Dritte für Steinschleifen und Tausch einbeziehen müssen, da er selbst keine Kenntnisse hatte und keine Verbindungen in die Diamantenszene besass. Sein Alibi und die Telefonzellendaten wurden als nicht ausschlaggebend gewertet. Auch hier sah das Bundesgericht keine Willkür, zumal der Butler bis zuletzt nicht gewusst haben konnte, dass das Inventar am nächsten Tag nicht fortgesetzt würde und der Täter somit ein hohes Entdeckungsrisiko eingegangen wäre.
 
- Lebensgefährte der Geschädigten: Die Vorinstanz schloss auch dessen Beteiligung aus. Er kannte den Safecode nicht, war nur zu bestimmten Zeiten anwesend und hatte keine Verbindungen zur Diamantenwelt oder Juwelierkenntnisse. Seine finanzielle Situation war gut, und er schien nicht geldgierig. Das Bundesgericht bestätigte die willkürfreie Würdigung.
 
- Juwelier: Die Hypothesen des Beschwerdeführers bezüglich des Juweliers (z.B. Schaffung eines Ersatzrings mit eigenem Punzen beim Umarbeiten) wurden als reine Spekulationen ohne Substanz zurückgewiesen.
 
 
Zusammenfassend scheiterte der Beschwerdeführer darin, Willkür in der Beweiswürdigung der Vorinstanz nachzuweisen oder ernsthafte, unüberwindliche Zweifel an seiner Täterschaft zu begründen. Die Rügen wurden daher abgewiesen.
3.5. Strafrechtliche Qualifikation (Diebstahl gemäss Art. 139 Ziff. 1 StGB vs. Veruntreuung gemäss Art. 138 Abs. 1 StGB)
- Rechtliche Grundlagen: Diebstahl setzt die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache mit dem Ziel der Aneignung voraus, also einen Bruch des Gewahrsams. Veruntreuung hingegen erfordert, dass die Sache dem Täter anvertraut wurde, d.h., er hatte bereits Gewahrsam oder Besitz im Interesse des Eigentümers (BGE 143 IV 297 E. 1.3).
 
- Argumentation des Beschwerdeführers: Die Geschädigte habe ihm die Juwelen für die Inventarisierung anvertraut und ihm durch sein Alleinsein mit dem Schmuck den Gewahrsam übertragen.
 
- Prüfung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht bestätigte die Vorinstanz: Dem Beschwerdeführer wurde lediglich Zugang zu den Juwelen im Hause der Geschädigten für die Inventarisierung gewährt, was keine Übertragung des Gewahrsams darstellt. Der Beschwerdeführer räumte selbst ein, dass er das Inventar nicht fortsetzen konnte, als die Geschädigte nicht zu Hause war, was seine fehlende Gewahrsamsstellung belegte. Da kein Anvertrauen vorlag, war der Tatbestand der Veruntreuung nicht erfüllt, und der Diebstahl wurde korrekt bejaht. Die Rüge wurde abgewiesen.
 
3.6. Verbot der reformatio in pejus (Art. 391 Abs. 2 StPO)
- Rechtliche Grundlagen: Das Verbot der reformatio in pejus besagt, dass eine Entscheidung nicht zum Nachteil des Angeklagten oder Verurteilten geändert werden darf, wenn die Beschwerde ausschliesslich zu seinen Gunsten eingelegt wurde. Es soll dem Beschwerdeführer ermöglichen, Rechtsmittel einzulegen, ohne eine Verschlechterung befürchten zu müssen (BGE 149 IV 91 E. 4.1.1).
 
- Argumentation des Beschwerdeführers: Er verlangte eine analoge Anwendung von BGE 147 IV 505, da die Vorinstanz eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt habe, was höher sei als die von der Staatsanwaltschaft geforderten 18 Monate bedingt.
 
- Prüfung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht stellte klar, dass die Umstände des vorliegenden Falles nicht mit BGE 147 IV 505 vergleichbar sind. Dort ging es um eine Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft, die eine höhere Strafe forderte, nachdem sie sich mit dem erstinstanzlichen Urteil bezüglich der Strafe abgefunden hatte. Hier legten die Staatsanwaltschaft und die Zivilklägerin Berufung gegen den Freispruch ein, nicht ausschliesslich zugunsten des Beschwerdeführers. Die Berufungsinstanz hat in einem solchen Fall ein volles Prüfungsrecht bei der Strafzumessung (Art. 398 Abs. 2, 408 StPO). Eine Verschlechterung ist hier grundsätzlich zulässig. Das Verbot der reformatio in pejus war nicht verletzt. Die Rüge wurde abgewiesen.
 
3.7. Strafzumessung (Art. 47 StGB) und Strafmilderung (Art. 48 lit. e StGB, Art. 83 StPO)
- Rechtliche Grundlagen: Das Gericht bemisst die Strafe nach dem Verschulden des Täters (Art. 47 StGB), unter Berücksichtigung der Umstände der Tat, der Motivation, der Vorleben, der persönlichen Verhältnisse und der Wirkung der Strafe auf die Zukunft. Das Fehlen von Vorstrafen wirkt strafzumessungsrechtlich neutral (BGE 141 IV 61 E. 6.3.2). Eine Strafmilderung ist gemäss Art. 48 lit. e StGB möglich, wenn das Strafbedürfnis aufgrund des Zeitablaufs seit der Tat und des guten Verhaltens des Täters erheblich gesunken ist. Das Gericht verfügt über einen weiten Ermessensspielraum; das Bundesgericht greift nur bei Ermessensmissbrauch ein (BGE 149 IV 217 E. 1.1).
 
- Würdigung der Vorinstanz: Die Vorinstanz beurteilte das Verschulden des Beschwerdeführers als schwerwiegend (Diebstahl zweier Diamanten, einer davon aussergewöhnlich wertvoll; objektive Schwere der Tat; vorsätzliches, minutiös vorbereitetes Vorgehen aus reiner Gewinnstrebigkeit). Sie berücksichtigte seine mangelnde Kooperation und fehlende Einsicht sowie die Nicht-Wiedergutmachung des Schadens. Eine Strafe von vier Jahren wäre angemessen, wurde aber gemäss Art. 48 lit. e StGB wegen des Zeitablaufs auf drei Jahre reduziert. Die Vorinstanz sah eine Freiheitsstrafe aus spezialpräventiven Gründen als notwendig an.
 
- Prüfung durch das Bundesgericht:
- Anwendung von Art. 83 StPO (Berichtigung): Der Beschwerdeführer rügte, die Vorinstanz habe seine Strafe nicht ausreichend gemildert und die nachträgliche Erwähnung von Art. 48 lit. e StGB im Dispositiv sei unzulässig. Das Bundesgericht hielt fest, dass Art. 83 StPO die Korrektur von offensichtlichen Ausdrucksfehlern im Dispositiv erlaubt, nicht aber die materielle Neubeurteilung. Da die Vorinstanz in der Begründung klar dargelegt hatte, dass sie Art. 48 lit. e StGB anwenden und die Strafe von vier auf drei Jahre reduzieren wollte, handelte es sich um einen zulässigen Berichtigungsfall. Die Rüge wurde abgewiesen.
 
- Verletzung des Beschleunigungsgebots: Diese Rüge wurde als unzulässig erachtet, da sie nicht vor den kantonalen Instanzen erhoben worden war.
 
- Angemessenheit der Strafe: Die Rüge, die Strafe sei übermässig streng (doppelt so hoch wie die von der Staatsanwaltschaft geforderte) wurde verworfen. Die Vorinstanz sei nicht an die Anträge der Staatsanwaltschaft gebunden. Auch Vergleiche mit anderen Fällen sind wegen der Individualisierung der Strafen nicht zielführend. Die Berücksichtigung mangelnder Einsicht und fehlender Schadenwiedergutmachung ist zulässig. Die Behauptungen des Beschwerdeführers bezüglich "ausgezeichnetem Ruf" oder "mangelnder Kooperation" waren appellatorisch. Das Fehlen von Vorstrafen wirkt strafzumessungsrechtlich neutral. Das Bundesgericht konnte keine offensichtlich übermässige Härte der Strafe feststellen.
 
 
Die Rügen zur Strafzumessung wurden daher abgewiesen, soweit sie zulässig waren.
3.8. Anrechnung der Untersuchungshaft:
Der Beschwerdeführer rügte, drei Tage unrechtmässiger Haft seien nicht angerechnet worden. Da sich aus den kantonalen Urteilen kein Hinweis auf solche Tage ergab, wurde die Rüge nicht geprüft.
3.9. Volle bedingte Strafe (Art. 42 StGB)
Da die verhängte Freiheitsstrafe drei Jahre betrug, lag sie über der Obergrenze von zwei Jahren für eine volle bedingte Strafe. Art. 42 StGB war daher nicht anwendbar. Diese Rüge wurde als gegenstandslos erachtet.
3.10. Teilbedingte Strafe (Art. 43 StGB)
- Rechtliche Grundlagen: Eine teilbedingte Strafe (Art. 43 StGB, alte Fassung) ist für Freiheitsstrafen zwischen einem und drei Jahren möglich. Die zu vollziehende und die bedingte aufgeschobene Teile müssen mindestens sechs Monate betragen. Die Voraussetzungen sind jenen der vollen bedingten Strafe ähnlich und erfordern eine günstige Prognose (keine ungünstige zukünftige Entwicklung). Das Gericht muss eine Gesamtwürdigung aller relevanten Faktoren vornehmen (Umstände der Tat, Vorleben, Reputation, persönliche Situation, Einstellung des Täters). Auch eine teilweise Strafvollstreckung kann bei Ersttätern einen positiven Einfluss auf das Rückfallrisiko haben (BGE 144 IV 277 E. 3.1.1).
 
- Würdigung der Vorinstanz: Die Vorinstanz behandelte die Frage der vollen und teilbedingten Strafe und der Strafzumessung simultan. Sie schloss die Gewährung einer bedingten oder teilbedingten Strafe aus, da die Umstände des Diebstahls und die fehlende Wiedergutmachung keine andere als eine ungünstige Prognose zuliessen und der Beschwerdeführer keinerlei Einsicht in die Schwere seiner Taten gezeigt habe.
 
- Prüfung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht rügte, dass die Vorinstanz die Frage der teilbedingten Strafe nicht unabhängig von der vollen bedingten Strafe geprüft und keine umfassende Gesamtwürdigung im Sinne von Art. 43 StGB vorgenommen habe. Insbesondere habe sie relevante Faktoren wie das Fehlen von Vorstrafen, den Ruf, die persönliche Situation (Alter, berufliche Tätigkeit, Einkommen) des Beschwerdeführers sowie den potenziellen positiven Einfluss einer teilweisen Strafvollstreckung auf das Rückfallrisiko eines Ersttäters nicht ausreichend berücksichtigt. Indem sie sich ausschliesslich auf die Tatumstände und die fehlende Einsicht stützte, habe die Vorinstanz ihr weites Ermessen missbraucht.
 
Das Bundesgericht erachtete diese Rüge als begründet. Das Urteil wurde in diesem Punkt aufgehoben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit diese eine umfassende Prognose zur Gewährung einer teilbedingten Strafe unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren vornehme.
3.11. Zivilrechtliche Forderungen (Art. 429 StPO):
Die Rüge des Beschwerdeführers gegen die zivilrechtlichen Forderungen basierte auf der Prämisse seines Freispruchs. Da dieser nicht erfolgte, wurde diese Rüge als gegenstandslos erachtet. Auch das Entschädigungsbegehren nach Art. 429 StPO war gegenstandslos.
4. Ergebnis des Bundesgerichts
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil der Vorinstanz wird im Punkt der teilbedingten Strafe aufgehoben und zur neuen Entscheidung an das Kantonsgericht Waadt zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde, soweit zulässig, abgewiesen.
Der Beschwerdeführer trägt einen Teil der Gerichtskosten (CHF 4'000), erhält aber eine reduzierte Parteientschädigung vom Kanton Waadt (CHF 1'000) für den teilweisen Erfolg.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht hat die Verurteilung des Beschwerdeführers A.__ wegen Diebstahls eines rosa und eines gelben Diamanten durch das Kantonsgericht Waadt im Wesentlichen bestätigt. Es wies die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich der Verletzung des rechtlichen Gehörs, der Willkür in der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (einschliesslich der Würdigung von Gutachten und der Abweisung von Dritttätern), der strafrechtlichen Qualifikation als Diebstahl und des Verbots der reformatio in pejus ab. Die Strafzumessung von drei Jahren Freiheitsstrafe wurde grundsätzlich bestätigt. Lediglich im Punkt der teilbedingten Strafvollstreckung gab das Bundesgericht dem Beschwerdeführer Recht. Es rügte, dass die Vorinstanz bei der Prognoseentscheidung zur teilbedingten Strafe ihr Ermessen missbraucht hatte, indem sie keine umfassende Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren (wie Alter, Reputation, Fehlen von Vorstrafen und die potenzielle Wirkung einer teilbedingten Strafe auf das Rückfallrisiko) vornahm. Die Sache wurde daher in diesem spezifischen Punkt zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.