Sehr geehrte Damen und Herren,
nachfolgend finden Sie eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 5A_306/2025 vom 24. September 2025.
Bundesgerichtsurteil 5A_306/2025 vom 24. September 2025
Parteien:
*   Beschwerdeführerin (A.__ Ltd): Eine englische Gesellschaft, Teil einer Unternehmensgruppe, die Finanz- und Family-Office-Dienstleistungen anbietet.
*   Beschwerdegegner (B.__): Britischer Staatsangehöriger taiwanesischer Herkunft, mit Wohnsitz in der Schweiz, Alleinaktionär der Gesellschaften C._ Ltd und D._ (beide auf den Cayman Islands domiziliert).
Streitgegenstand:
Opposition gegen einen Arrestbefehl gestützt auf Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG, mit der zentralen Frage der Anwendbarkeit des Prinzips des Durchgriffs (levée du voile social) auf den Beschwerdegegner persönlich, obwohl die zugrunde liegenden Schiedssprüche gegen seine Offshore-Gesellschaften ergingen.
Verfahrensgang und Sachverhalt:
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Vertragsbeziehungen:
- Ab 2014 wurde B._ Kunde der A._ Ltd-Gruppe.
 
- Investment Advisory Agreements (IAA): Ursprünglich 2014 zwischen B._ und zwei Gesellschaften der A._-Gruppe abgeschlossen (IAA 2014). 2016 durch IAA 2016 zwischen F._ Ltd (einer Gruppengesellschaft) und C._ Ltd (B.__'s Gesellschaft) ersetzt.
 
- Supply of Services Agreements (SoSA): Ursprünglich 2014 zwischen B._ und A._ Ltd für Family-Office-Dienstleistungen (SoSA 2014). 2018 durch SoSA 2018 zwischen A._ Ltd und D._ (B._'s anderer Gesellschaft) ersetzt, rückwirkend auf 2017. B._ profitierte weiterhin von den Dienstleistungen.
 
- 2020 verschlechterten sich die Beziehungen, B._ liess seine Investitionen prüfen und vermutete, die A._-Gruppe habe ihn durch komplexe Mechanismen und Investitionen in gruppeneigene Fonds geschädigt.
 
 
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Schiedsverfahren und Liquidation der Offshore-Gesellschaften:
- Im Oktober 2021 leiteten A._ Ltd und F._ Ltd ein Schiedsverfahren in London gegen C._ Ltd und D._ wegen unbezahlter Honorare ein.
 
- Teilschiedsspruch vom 22. November 2023: C._ Ltd wurde zur Zahlung von USD 42'557'633.23 an F._ Ltd verurteilt; D._ wurde zur Zahlung von GBP 1'785'561.69 an A._ Ltd verurteilt.
 
- Nach Weigerung der Zahlungen wurden C._ Ltd und D._ am 29. November 2023 wegen Insolvenz freiwillig liquidiert, nachdem B.__ als wirtschaftlich Berechtigter die Finanzierung ihrer Sanierung abgelehnt hatte.
 
- Endgültiger Schiedsspruch vom 19. Januar 2024: Ergänzte die Schuldbeträge um Zinsen und Verfahrenskosten (u.a. GBP 4'827'750.- an Rechtskosten für die Beschwerdeführerin).
 
 
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Verfahren auf den Cayman Islands:
- B._ klagte im Februar 2024 vor dem Grand Court der Cayman Islands auf Feststellung, dass er eine eigenständige Rechtspersönlichkeit von C._ Ltd besitze und nicht für deren Schulden haftbar sei.
 
- Am 2. Juli 2024 wurde dies zugunsten von B.__ entschieden. Die Beschwerdeführerin legte gegen dieses Urteil Berufung ein.
 
 
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Schweizer Sequestrationsverfahren:
- Am 18. Juli 2024 beantragte A._ Ltd in Genf einen Arrestbefehl gegen B._ persönlich (nicht gegen die Gesellschaften), gestützt auf die Londoner Schiedssprüche, für eine Gesamtforderung von über 9 Millionen CHF.
 
- Das Tribunal de première instance (erstinstanzliches Gericht) erliess am 26. Juli 2024 den Arrestbefehl.
 
- Am 9. Dezember 2024 hiess das Tribunal de première instance die Opposition von B._ gegen den Arrestbefehl gut und widerrief diesen. Begründung: Keine Identität zwischen den Schuldnern in den Schiedstiteln (C._ Ltd und D._) und der Person, gegen die der Arrest beantragt wurde (B._). Es liege auch kein rechtsmissbräuchliches Berufen auf die gesellschaftsrechtliche Dualität vor.
 
- Am 14. März 2025 wies die Cour de justice (zweite kantonale Instanz) die Beschwerde der A.__ Ltd gegen dieses Urteil ab und bestätigte die Aufhebung des Arrestes.
 
 
Rechtsbegehren vor Bundesgericht:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung des Arrestes gegen B.__ mit der Begründung, die kantonalen Instanzen hätten willkürlich (Art. 9 BV) Sachverhalte festgestellt und Art. 272 Abs. 1 SchKG sowie den Grundsatz des Durchgriffs falsch angewandt.
Erwägungen des Bundesgerichts:
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Zulässigkeit und Prüfungsstandard:
- Das Bundesgericht stellt fest, dass es sich bei der Entscheidung über die Arrestopposition um eine vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art. 98 LTF handelt. Dies bedeutet, dass nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann (Willkürprüfung gemäss Art. 9 BV).
 
- Die Rügen müssen gemäss Art. 106 Abs. 2 LTF präzise und detailliert begründet werden (Substanziierungsprinzip). Appellatorische Kritik ist unzulässig.
 
- Bei der Prüfung der Sachverhaltsfeststellung ist Willkür nur gegeben, wenn die Vorinstanz ohne ernsthaften Grund ein entscheidwesentliches Beweismittel nicht berücksichtigt, dessen Sinn und Tragweite offensichtlich verkennt oder unhaltbare Schlüsse zieht.
 
- Da die kantonale Instanz ihrerseits die erstinstanzliche Sachverhaltsfeststellung nur auf Willkür hin überprüfte, wendet das Bundesgericht den Standard der "Willkür im Quadrat" an: Es prüft, ob die Vorinstanz die Willkür der Beweiswürdigung der ersten Instanz zu Unrecht verneint oder bejaht hat.
 
 
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Rüge der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung (Art. 9 BV):
- Die Beschwerdeführerin hatte bereits vor der Cour de justice versucht, neue Sachverhalte einzubringen, die jedoch von dieser als unzulässige "Pseudo-Nova" oder als bloss subjektive/juristische Einschätzungen und nicht als willkürlich unterlassene Feststellungen der ersten Instanz zurückgewiesen wurden.
 
- Das Bundesgericht hält fest, dass die Beschwerdeführerin diesen Unzulässigkeitsgrund der Vorinstanz im vorliegenden Verfahren nicht substanziiert angefochten hat. Ihre Rügen, die Vorinstanz habe bestimmte Fakten aus dem Dossier (bezüglich Schiedsverfahren, B.__'s Persönlichkeit, Liquidation) willkürlich übergangen, seien daher unzulässig.
 
- Im Übrigen habe die Vorinstanz sehr wohl festgestellt, dass B.__ der Hauptnutzniesser der Verträge war, dies aber als für die Rechtsfrage des Durchgriffs (insbesondere für den Rechtsmissbrauch) als nicht entscheidend erachtet. Dies sei eine rechtliche Subsumtion, keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung.
 
- Die Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung bezüglich der Motivation der Beschwerdeführerin, den Vertrag mit der Gesellschaft statt mit B._ abzuschliessen, wird ebenfalls abgewiesen. Das Bundesgericht betont, dass der Arrestrichter mit einfacher Glaubhaftigkeit entscheidet. Die Vorinstanz stützte ihre Einschätzung, die Beschwerdeführerin habe bewusst das Risiko der Insolvenz der Gesellschaft eingegangen, auf eigene Angaben der Beschwerdeführerin (eingefrorene Vermögenswerte von B._). Die Rüge ist unbegründet.
 
 
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Rüge der willkürlichen Rechtsanwendung (Art. 272 Abs. 1 SchKG und "Durchgriff"):
 
Entscheid:
Das Bundesgericht weist die Beschwerde der A.__ Ltd ab, soweit sie zulässig ist. Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht bestätigte die Aufhebung eines Arrestbefehls gegen einen Alleinaktionär (B._), dessen Offshore-Gesellschaften (C._ Ltd, D._) in einem Londoner Schiedsverfahren zur Zahlung hoher Summen an die Beschwerdeführerin (A._ Ltd) verurteilt worden waren und anschliessend liquidiert wurden.
- Willkürprüfung: Das Bundesgericht prüfte die Sache nur auf Willkür (Art. 9 BV) hin, da es sich um eine vorsorgliche Massnahme handelt. Die Rügen der Beschwerdeführerin bezüglich willkürlicher Sachverhaltsfeststellung wurden als unzulässig oder unbegründet abgewiesen, da sie die Anforderungen an die Rüge der Willkür nicht erfüllten oder sich auf rechtliche Subsumtionen bezogen.
 
- Verfahrenswahl als Hauptablehnungsgrund: Das Bundesgericht stützte die Abweisung der Beschwerde primär darauf, dass die Beschwerdeführerin die Hauptbegründung der Vorinstanz nicht substanziiert angefochten hatte. Die Vorinstanz erachtete das Vorgehen, den Arrest direkt gegen B.__ als Schuldner (und nicht als Drittschuldner oder auf Vermögen der Gesellschaften) zu beantragen, obwohl die Schiedssprüche nur gegen die Gesellschaften ergangen waren, als "besonders einschneidend" und unter "äusserst restriktiven Bedingungen" als zulässig. Dieses Vorgehen entziehe dem Aktionär die Möglichkeit einer umfassenden gerichtlichen Prüfung des Durchgriffs in einem Hauptverfahren.
 
- Kein Rechtsmissbrauch für Durchgriff: Subsidiär wurde auch die Argumentation der Vorinstanz bestätigt, dass die Voraussetzungen für einen Durchgriff (Durchbrechung der Rechtspersönlichkeit) nicht erfüllt seien. Zwar bestand eine wirtschaftliche Identität zwischen B._ und seinen Gesellschaften, jedoch wurde kein qualifizierter Rechtsmissbrauch festgestellt. Die Beschwerdeführerin, als professionelle Akteurin, wusste um die Struktur der Offshore-Gesellschaften und die finanziellen Verhältnisse B._'s (eingefrorene Vermögen) und ging das Risiko der Gesellschaftsinsolvenz bewusst ein. Weder die blosse Liquidation der Gesellschaften noch die Tatsache, dass B._ von den Dienstleistungen profitierte, reichten aus, um einen Rechtsmissbrauch zu bejahen, der eine persönliche Haftung B._'s begründen würde.
 
Das Urteil unterstreicht die strengen Voraussetzungen für die Anwendung des Durchgriffs im schweizerischen Recht und die Bedeutung der korrekten Wahl des prozessualen Weges im Sequestrationsverfahren.