Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_638/2024 vom 10. September 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 2C_638/2024 vom 10. September 2025

1. Einleitung und Sachverhalt

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts befasst sich mit der Beschwerde einer madagassischen Staatsangehörigen (A._, geb. 1995) gegen die Verweigerung einer Kurzaufenthaltsbewilligung zur Heiratsvorbereitung im Kanton Zürich. A._ reiste im April 2024 mit einem Schengenvisum in die Schweiz ein, wo sie sich bei ihrem Verlobten (B.__, geb. 1953, Schweizer Bürger) anmeldete. Im März 2024 hatten die Verlobten ein Ehevorbereitungsverfahren eingeleitet.

Im Mai 2024 ersuchte A._ um eine Kurzaufenthaltsbewilligung zur Heiratsvorbereitung. Das Migrationsamt wies darauf hin, dass sie die Schweiz bei Ablauf ihres Visums verlassen müsse. Das Zivilstandsamt teilte kurz darauf mit, dass eine Befragung Hinweise auf eine Scheinehe ergeben habe, die Dokumente unvollständig seien und mit einer zeitnahen Hochzeit (innerhalb von drei Monaten) nicht zu rechnen sei. Das Migrationsamt lehnte das Gesuch ab und wies A._ aus der Schweiz und dem Schengenraum weg. Die dagegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel (Rekurs an die Sicherheitsdirektion, Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich) blieben erfolglos. A.__ gelangte daraufhin an das Bundesgericht.

2. Verfahrensrechtliche Würdigung – Die Frage der elektronischen Signatur

Obwohl die Frage der Zulässigkeit von Beschwerden in der Regel als nebensächlich betrachtet wird, konzentrierte sich das Bundesgericht hier detailliert auf die Anforderungen an elektronische Eingaben, insbesondere auf die fehlende qualifizierte elektronische Signatur.

  • Problematik: Die Beschwerdeführerin hatte die Beschwerde fristgerecht elektronisch über eine anerkannte Zustellplattform eingereicht, jedoch ohne qualifizierte elektronische Signatur gemäss Bundesgesetz über die elektronische Signatur (ZertES). Nach einem Hinweis des Bundesgerichts reichte sie die Beschwerde mit gültiger Signatur erneut ein.
  • Rechtliche Grundlagen:
    • Art. 42 Abs. 4 BGG verlangt bei elektronischer Einreichung eine qualifizierte elektronische Signatur.
    • Art. 42 Abs. 5 BGG sieht vor, dass bei Fehlen der Unterschrift eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels angesetzt wird, andernfalls die Rechtsschrift unbeachtet bleibt.
  • Bisherige Praxis und die neue Klärung: Das Bundesgericht stellte fest, dass bisher keine einheitliche Praxis bestand, ob bei einer fehlenden qualifizierten elektronischen Signatur, aber Übermittlung über eine anerkannte Zustellplattform, eine Nachfrist gewährt werden muss. Verschiedene Urteile hatten dies unterschiedlich gehandhabt.
  • Begründung des Bundesgerichts:
    1. Verbot des überspitzten Formalismus (Art. 29 Abs. 1 BV): Die Möglichkeit der Nachfristansetzung gemäss Art. 42 Abs. 5 BGG ist Ausdruck dieses Verbots. Sie soll die prozessuale Formstrenge mildern, wo sie nicht durch ein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist. Ein Anspruch auf Nachfrist besteht bei unfreiwilligen Unterlassungen, nicht aber bei bewusster Wahl einer ungeeigneten Übermittlungsart (z.B. E-Mail).
    2. Vergleich mit handschriftlicher Unterschrift: Das Bundesgericht vergleicht die fehlende qualifizierte elektronische Signatur bei einer Einreichung über eine anerkannte Zustellplattform mit einer fehlenden eigenhändigen Unterschrift auf einem Papierdokument. Beides wird als Versehen betrachtet, das einen Anspruch auf Nachfrist begründet.
    3. Fehlendes schutzwürdiges Interesse für strengere Behandlung: Es sei kein schutzwürdiges Interesse ersichtlich, eine elektronische Eingabe, die im Übrigen den Formvorschriften genügt, strenger zu behandeln.
    4. Gesetzessystematik und Begriffsverständnis: Art. 42 Abs. 5 BGG folgt der Bestimmung zur elektronischen Rechtsschrift (Art. 42 Abs. 4 BGG) ohne eine spezifische Einschränkung für diese. Der Begriff "Unterschrift" in Art. 42 Abs. 5 BGG umfasst die elektronische Signatur. Auch die Materialien zur Bundesrechtspflege und der privatrechtliche Verkehr (Art. 14 Abs. 2bis OR) setzen elektronische Signaturen handschriftlichen Signaturen gleich.
    5. Implikation des neuen BEKJ: Das zukünftige Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (BEKJ) sieht eine Anpassung von Art. 42 Abs. 5 BGG vor, die die Pflicht zur Nachfristansetzung bei fehlender Unterschrift ausdrücklich auf Eingaben auf Papier beschränken wird. Dies impliziert im Umkehrschluss, dass Art. 42 Abs. 5 BGG derzeit auf die qualifizierte elektronische Signatur anwendbar ist.
  • Schlussfolgerung zur Zulässigkeit: Das Bundesgericht hält fest, dass einer Partei, deren elektronische Eingabe nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, aber die übrigen Formerfordernisse erfüllt, gemäss Art. 42 Abs. 5 BGG eine Nachfrist zur Behebung des Mangels anzusetzen ist. Da die Beschwerdeführerin den Mangel umgehend behoben hat, ist auf ihre Beschwerde einzutreten.

3. Materielle Prüfung – Erteilung einer Kurzaufenthaltsbewilligung zur Heiratsvorbereitung

Das Bundesgericht prüfte, ob der Beschwerdeführerin eine Kurzaufenthaltsbewilligung zur Vorbereitung des Eheschlusses zu erteilen war.

  • Grundsätze der Rechtsprechung (E. 4.1): Das Bundesgericht verwies auf seine gefestigte Rechtsprechung (u.a. BGE 139 I 37 E. 3.5.2; 138 I 41 E. 4), wonach die Migrationsbehörden im Hinblick auf das Recht auf Ehe (Art. 14 BV, Art. 8 i.V.m. Art. 12 EMRK und Art. 98 Abs. 4 ZGB) eine (Kurz-)Aufenthaltsbewilligung oder Duldung zur Ehevorbereitung erteilen müssen, wenn kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sind:

    1. Keine Hinweise auf Rechtsmissbrauch: Es dürfen keine Anzeichen für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der ausländischen Person bestehen (z.B. Scheinehe, missbräuchliche Anrufung der Familiennachzugsbestimmungen).
    2. Klare Aufenthaltsperspektive nach der Heirat: Es muss "klar" erscheinen, dass die Person nach der Heirat mit dem Ehepartner in der Schweiz verbleiben kann, d.h. die weiteren hierfür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt.
    3. Absehbarkeit des Eheschlusses: Mit dem Eheschluss bzw. dem Erhalt der zivilrechtlich erforderlichen Papiere und Bestätigungen muss "in absehbarer Zeit" gerechnet werden können.
  • Anwendung auf den vorliegenden Fall: Das Bundesgericht schloss sich den Feststellungen und der Würdigung der Vorinstanz an, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind:

    1. Fehlende Absehbarkeit des Eheschlusses (E. 4.2):

      • Die Vorinstanz hatte festgestellt, dass nicht in absehbarer Zeit mit dem Eheschluss gerechnet werden könne, da dem Zivilstandsamt kein authentischer und korrekt beglaubigter madagassischer Wohnsitznachweis vorlag.
      • Die Beschwerdeführerin konnte diese Feststellung nicht substanziiert bestreiten und legte nicht dar, weshalb entgegen der Vorinstanz davon auszugehen sei, dass die Unterlagen zeitnah vorliegen würden oder ihre Bemühungen bereits ausreichten.
      • Das Bundesgericht bestätigte, dass Bemühungen zwar genügen können, diese aber jedenfalls geeignet sein müssen, die Voraussetzungen des Eheschlusses in absehbarer Zeit herbeizuführen. Dies sei hier nicht der Fall.
    2. Anfangsverdacht einer Scheinehe (E. 4.3):

      • Die Vorinstanz verweigerte die Bewilligung zudem aufgrund eines Anfangsverdachts einer geplanten Scheinehe. Das Bundesgericht betonte, dass in diesem Stadium lediglich das Vorliegen von Verdachtsmomenten eines Rechtsmissbrauchs zu prüfen sei, nicht eine abschliessende Klärung der Scheinehe.
      • Die Beschwerdeführerin hatte die von der Vorinstanz genannten Indizien nicht bestritten:
        • Erheblicher Altersunterschied von 42 Jahren.
        • Kurze Beziehungsdauer von weniger als einem Jahr zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils.
        • Unklarheit darüber, wie die Verlobten ihre Beziehung vertieften.
        • Fehlende Aufenthaltsperspektive ohne Eheschluss.
      • Das Bundesgericht bekräftigte, dass diese Umstände Indizien einer Scheinehe darstellen (unter Verweis auf Urteile 2C_5/2024 und 2C_343/2023). Das Vorliegen dieser Hinweise rechtfertigte die Annahme, dass die Zulassungsvoraussetzungen nicht offensichtlich erfüllt waren.
  • Schlussfolgerung (E. 4.4): Da sowohl die Absehbarkeit des Eheschlusses als auch das Nichtvorliegen eines Rechtsmissbrauchs verneint wurden, sind die kumulativen Kriterien für die Erteilung einer Kurzaufenthaltsbewilligung zwecks Eheschlusses nicht erfüllt.

4. Endgültiger Entscheid

Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden der Beschwerdeführerin auferlegt.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Verfahrensrechtliche Präzisierung: Das Bundesgericht hat eine neue, einheitliche Praxis etabliert, wonach bei elektronisch über eine anerkannte Plattform eingereichten Rechtsschriften, die lediglich die qualifizierte elektronische Signatur vermissen lassen, eine Nachfrist zur Behebung des Mangels anzusetzen ist, da dies als unwillentliches Versehen (nicht als bewusste Unterlassung) und als Ausfluss des Verbots des überspitzten Formalismus gilt.
  • Kumulative Voraussetzungen für Heiratsvorbereitungsbewilligung: Die Erteilung einer Kurzaufenthaltsbewilligung zur Heiratsvorbereitung setzt kumulativ voraus: 1) keine Anzeichen von Rechtsmissbrauch (Scheinehe), 2) klare Perspektive des Verbleibs nach der Heirat und 3) Absehbarkeit des Eheschlusses.
  • Ablehnungsgründe im konkreten Fall:
    • Keine Absehbarkeit des Eheschlusses: Aufgrund fehlender, korrekt beglaubigter Dokumente (madagassischer Wohnsitznachweis) war mit einer Hochzeit in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.
    • Anfangsverdacht einer Scheinehe: Mehrere Indizien (erheblicher Altersunterschied, kurze Beziehungsdauer, unklare Vertiefung der Beziehung, fehlende alternative Aufenthaltsperspektive) begründeten den Anfangsverdacht eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens.
  • Urteilsspruch: Die Beschwerde wurde abgewiesen, da die Voraussetzungen für die Erteilung der Kurzaufenthaltsbewilligung nicht erfüllt waren.