Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_126/2025 vom 6. Oktober 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen.

Zusammenfassung des Bundesgerichtsurteils 8C_126/2025 vom 6. Oktober 2025

1. Parteien und Streitgegenstand Der Beschwerdeführer, A.__ (geb. 1987), ersuchte um Leistungen der Invalidenversicherung (IV), insbesondere eine Invalidenrente. Beschwerdegegnerin ist das Amt für Invalidenversicherung des Kantons Jura (IV-Amt). Streitgegenstand ist die Frage, ob dem Beschwerdeführer aufgrund einer geltend gemachten Verschlechterung seines Gesundheitszustandes im Rahmen eines neuen Leistungsgesuchs vom Februar 2022 ein Anspruch auf IV-Leistungen zusteht.

2. Chronologie des Sachverhalts

  • Erstes Gesuch (2017): A.__ reichte im März 2017 ein erstes Gesuch ein, da er unter Depressionen, sozialer Phobie, Angstzuständen und Burnout litt. Er hatte seine Tätigkeit als Sekretär und Buchhalter aufgegeben und eine Akupunkteur-Ausbildung begonnen.
  • Expertise Dr. B.__ (2018): Eine psychiatrische Expertise von Dr. B.__ (8. April 2018) diagnostizierte eine ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung (F60.6), soziale Phobie (F40.1) und andere Angststörungen (F40.8). Die Arbeitsfähigkeit wurde ab März 2017 in angepassten Tätigkeiten (Akupunktur oder andere Berufe ohne häufigen öffentlichen Kontakt oder stressige Situationen) als vollständig (100%) beurteilt. Das IV-Amt übernahm die Kosten für die Akupunkteur-Ausbildung, die im Juni 2019 erfolgreich abgeschlossen wurde.
  • Erster IV-Entscheid (2019): Mit Verfügung vom 30. Oktober 2019 verneinte das IV-Amt einen Rentenanspruch, da nach Abschluss der beruflichen Massnahmen keine rentenbegründende Erwerbsunfähigkeit vorliege.
  • Weiterbildung (2021): Im Dezember 2021 beantragte A.__ die Kostenübernahme für eine bereits begonnene Zusatzausbildung zum Therapeuten zur Entwicklung seiner selbstständigen Tätigkeit. Dies wurde vom IV-Amt abgelehnt.
  • Neues Gesuch (2022): Im Februar 2022 reichte der Beschwerdeführer ein neues Leistungsgesuch ein und machte generalisierte Angstzustände und soziale Phobie geltend.
  • Behandelnde Ärztin Dr. C.__ (2022): Die behandelnde Ärztin Dr. C.__ berichtete im November 2022 von einer psychischen Verschlechterung im Kontext von Stressfaktoren, die eine Arbeitsfähigkeit von über 50% verhinderten. Sie erwähnte zudem, dass medizinische Abklärungen auf eine Autismus-Spektrum-Störung hingedeutet hätten.
  • Expertise Dr. D.__ (2023): Das IV-Amt veranlasste eine neue psychiatrische Expertise bei Dr. D.__ (14. Juli 2023). Diese Expertin diagnostizierte eine soziale Phobie (F40.1) seit über zehn Jahren und eine gemischte anankastische und ängstliche Persönlichkeitsstörung (F61.0), aktuell nicht dekompensiert. Sie schloss Diagnosen wie schwere depressive Störung und Asperger-Syndrom aus. Sie stellte eine global stationäre Entwicklung der Störungen fest und beurteilte die Arbeitsfähigkeit psychiatrisch als 100% in einer angepassten Tätigkeit (aktuelle selbstständige Tätigkeit oder gleichwertige andere Tätigkeit).
  • SMR-Stellungnahme (2023): Dr. E.__ vom Regionalen Ärztlichen Dienst der IV (RAD) bestätigte im Juli 2023 eine unveränderte Situation seit dem vorherigen Leistungsgesuch.
  • Zweiter IV-Entscheid (2023): Das IV-Amt wies das neue Gesuch am 27. September 2023 ab.
  • Kantonales Gericht (2025): Der Beschwerdeführer reichte beim Kantonsgericht des Kantons Jura Beschwerde ein und legte einen weiteren Bericht von Dr. F.__ (31. Januar 2024), Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, vor. Das Kantonsgericht wies die Beschwerde am 31. Januar 2025 ab.

3. Rechtliche Grundlagen und Grundsätze

Das Bundesgericht wies auf die vom kantonalen Gericht umfassend dargelegten gesetzlichen Bestimmungen und Rechtsprechungsgrundsätze hin, welche die Anwendung des Bundesrechts (Art. 95 lit. a BGG) auf den Sachverhalt regeln. Insbesondere relevant sind:

  • Neue Gesuche (Revisionsgrund): Gemäss Art. 87 Abs. 2 und 3 IVV (in analoger Anwendung von Art. 17 Abs. 1 ATSG) bedarf ein neues Leistungsgesuch nach einer Ablehnung der erstmaligen Rentenprüfung oder einer Rentenaufhebung einer revisionserheblichen Änderung der Verhältnisse. Diese muss sich seit der letzten Verfügung wesentlich und massgebend auf die Erwerbsfähigkeit ausgewirkt haben (ATF 147 V 167 E. 4.1; 134 V 131 E. 3).
  • Invaliditätsbegriff und -bemessung: Art. 7 und 8 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 4 IVG sowie Art. 16 ATSG und Art. 28a IVG.
  • Beweiswürdigung von medizinischen Berichten: Gemäss Art. 61 lit. c ATSG gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Bei widersprüchlichen medizinischen Akten entscheidet das Gericht nach pflichtgemässem Ermessen (ATF 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3). Gutachten, die von einem unabhängigen Experten im Rahmen eines umfassenden Untersuchungsauftrags erstellt wurden, kommt in der Regel hoher Beweiswert zu, sofern sie schlüssig und widerspruchsfrei sind.
  • Invalidisierender Charakter psychischer Störungen: Das Bundesgericht verweist auf seine etablierte Rechtsprechung zu somatoformen Schmerzstörungen und anderen psychischen bzw. psychosomatischen Leiden (ATF 148 V 49; 145 V 215; 143 V 409; 143 V 418; 141 V 281). Eine rein medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit genügt nicht; vielmehr muss die Arbeitsfähigkeit unter Berücksichtigung der Ressourcen und der Auswirkungen im Alltag beurteilt werden.
  • Sachverhaltsfeststellung und Willkür: Die Feststellungen der kantonalen Instanzen bezüglich Gesundheitsbeeinträchtigung, Arbeitsfähigkeit und Zumutbarkeit sind Tatsachenfragen, die vom Bundesgericht nur auf Willkür hin überprüft werden (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG i.V.m. Art. 9 BV; ATF 148 V 366 E. 3.3).

4. Begründung des Kantonsgerichts

Das kantonale Gericht befand, dass das psychiatrische Gutachten von Dr. D.__ den juristischen Anforderungen an medizinische Expertisen genüge. Die Diagnosen (soziale Phobie, gemischte Persönlichkeitsstörung) und der Ausschluss anderer Diagnosen seien klar. Die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit habe die relevanten Indikatoren berücksichtigt und keine signifikanten psychiatrischen Funktionseinschränkungen ausserhalb intensiver oder stressiger sozialer Aktivitäten festgestellt. Diese Einschätzung stehe im Einklang mit der ersten Expertise. Die Einwände des Beschwerdeführers seien lediglich eine abweichende Sichtweise, die das Gutachten nicht entkräfte. Die Tätigkeit als Akupunkteur sei gemäss Expertenmeinung als angepasste Tätigkeit beurteilt worden. Zudem habe der Beschwerdeführer eine Ausbildung als kaufmännischer Angestellter, und viele kaufmännische Tätigkeiten könnten im Homeoffice ausgeübt werden, was ein höheres Einkommen als Akupunkteur ermöglichen würde.

Hinsichtlich des Berichts von Dr. F._ (Diagnose Autismus-Spektrum-Störung, Niveau 1) und des neuropsychologischen Berichts G._, stellte das kantonale Gericht fest, dass diese eine abweichende diagnostische Einschätzung derselben Situation darstellten, die auf denselben anamnestischen Elementen beruhe. Weder Dr. F._ noch die Neuropsychologen hätten sich zur Arbeitsfähigkeit geäussert. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass diese neue Diagnose invalidisierender sei als die von Dr. D._ gestellten Diagnosen. Da Dr. F.__ keine Änderung der Situation des Beschwerdeführers seit der Expertise von 2018 feststellte, seien die Voraussetzungen für eine Revision nicht gegeben.

5. Vorbringen des Beschwerdeführers vor Bundesgericht

Der Beschwerdeführer rügte eine willkürliche Beweiswürdigung. Das Kantonsgericht habe sich ausschliesslich auf das Gutachten von Dr. D._ gestützt und den Bericht von Dr. F._ missachtet. Er sei nicht nur bei intensiven sozialen Aktivitäten eingeschränkt, sondern nahezu alle alltäglichen Aktivitäten (Blickkontakt, Gespräche mit mehreren Personen, Telefonate, Einkaufen, ÖV etc.) seien für ihn intensiv oder stressig. Er habe eine geringe Toleranz gegenüber Veränderungen und Unvorhersehbarkeiten. Die Diagnose der Autismus-Spektrum-Störung sei nicht willkürlich abgetan worden. Dr. F._ habe klar die Gründe und Symptome dargelegt und erklärt, warum frühere Experten diese Diagnose nicht gestellt hätten. Da Dr. F._ nur zur Existenz der Störung, nicht aber zur Arbeitsfähigkeit befragt worden sei, und da die neue Diagnose eine Änderung gegenüber 2018 darstelle, hätte eine neue psychiatrische Expertise angeordnet werden müssen.

6. Würdigung durch das Bundesgericht

Das Bundesgericht bestätigt die Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts und weist die Argumente des Beschwerdeführers zurück:

  • Expertise Dr. D.__: Die Kritik an Dr. D.__s Expertise reiche nicht aus, um eine willkürliche Beweiswürdigung darzulegen. Die Expertise sei detailliert (Anamnese, klinische Untersuchung, Tests, Mini CIF 10 Skala) und komme zu schlüssigen Diagnosen und einer Beurteilung der Arbeitsfähigkeit von 100% in angepassten Tätigkeiten. Die Expertin habe eine global stationäre Entwicklung der Beschwerden und keine signifikanten psychischen Auswirkungen auf den Alltag ausserhalb intensiver sozialer oder stressiger Aktivitäten festgestellt.
  • Umfang der Einschränkungen: Die vom Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf Dr. F._ dargestellten Einschränkungen (alltägliche Aktivitäten als stressig) seien nicht geeignet, die Schlussfolgerungen von Dr. D._ infrage zu stellen. Die Beschreibung des klinischen Bildes durch Dr. F._ sei den früheren Expertisen (insb. B._ von 2018) sehr ähnlich. Auch Dr. F._ erwähnte ein "immer ähnliches klinisches Bild" mit Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen, Angst, Stress und Müdigkeit. Die Symptome der diagnostizierten Phobie und Persönlichkeitsstörungen (Angst vor Blicken, Vermeidung sozialer Interaktion, Perfektionismus, Zweifel, übermässige Vorsicht, Anspannung, Unsicherheit, Hypersensibilität gegenüber Kritik) seien von Dr. D._ detailliert erfasst und mit den von Dr. F.__ beschriebenen Merkmalen (sozialer Rückzug, Defizit sozio-emotionaler Reziprozität, Intoleranz gegenüber Veränderungen, ungewöhnliche Sensorik) konsistent. Die Argumentation des Beschwerdeführers begründe keine willkürliche Feststellung des Ausmasses seiner Einschränkungen.
  • Neudiagnose Autismus-Spektrum-Störung: Der blosse Umstand, dass Dr. F._ eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostizierte, genüge nicht, um eine revisionserhebliche und signifikante Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit Oktober 2019 zu beweisen. Diese Diagnose basiere auf denselben anamnestischen Elementen, die bereits von Dr. D._ beurteilt worden waren. Dr. F.__ habe den Fall nicht nach den von der Rechtsprechung entwickelten normativen und strukturierten Bewertungsrastern zur Beurteilung der Invalidität bei Autismus-Spektrum-Störungen beurteilt. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Diagnose invalidisierender sei als die zuvor gestellten.
  • Arbeitsfähigkeit und angepasste Tätigkeit: Das Bundesgericht erachtete die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch Dr. D.__ (100% in angepasster Tätigkeit) als schlüssig. Die Argumente des Beschwerdeführers gegen diese Einschätzung (sehr geringe Ressourcen, Akupunkturtätigkeit als angstauslösend, keine Vollzeitfähigkeit) seien weitgehend subjektiv und nicht objektiviert. Der Beschwerdeführer konnte trotz der seit über zehn Jahren bestehenden Beschwerden seine Akupunkteur-Ausbildung erfolgreich abschliessen. Er habe keine besonderen veränderten Umstände dargelegt, die einen Übergang von voller Arbeitsfähigkeit (2019) zu reduzierter oder gar keiner Arbeitsfähigkeit (2022) erklären würden. Die Tätigkeit als Akupunkteur wurde bereits 2018 als angepasste Tätigkeit beurteilt, und es haben sich diesbezüglich keine objektiven Umstände geändert. Die Ablehnung einer kaufmännischen Tätigkeit (auch im Homeoffice) sei ebenfalls eine rein subjektive Einschätzung ohne medizinische Attestierung.
  • Schlussfolgerung zur Beweiswürdigung: Die Argumentation des Beschwerdeführers, die sich auf den Bericht von Dr. F.__ stützt, versuche, seine eigene Einschätzung an die Stelle der kantonalen Richter zu setzen und behaupte das Vorliegen "völlig widersprüchlicher" medizinischer Berichte, was objektiv nicht der Fall sei. Eine willkürliche Beweiswürdigung sei nicht gegeben. Eine massgebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit dem Entscheid vom 30. Oktober 2019 liege nicht vor.

7. Endentscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab. Die Gerichtskosten von 800 Franken wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht wies die Beschwerde eines IV-Leistungsgesuchstellers ab. Es bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, wonach keine revisionserhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit der letzten IV-Verfügung vorlag. Die neu diagnostizierte Autismus-Spektrum-Störung (Niveau 1) wurde vom Gericht nicht als Nachweis einer solchen Verschlechterung anerkannt, da sie auf denselben anamnestischen Grundlagen wie frühere Diagnosen basierte und die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers weiterhin als 100% in angepassten Tätigkeiten (z.B. Akupunktur oder kaufmännische Tätigkeiten ohne intensiven Sozialkontakt) beurteilt wurde. Das Bundesgericht sah keine willkürliche Beweiswürdigung und befand, dass die eingereichten medizinischen Berichte keine wesentlichen Widersprüche aufwiesen, die eine Neubeurteilung oder eine zusätzliche Expertise rechtfertigen würden.