Zusammenfassung von BGer-Urteil 2D_28/2024 vom 9. September 2025

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Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (2D_28/2024 vom 9. September 2025) befasst sich detailliert mit den prozessualen Rügen eines Beschwerdeführers bezüglich des Nichtbestehens seiner schriftlichen Anwaltsprüfung im Kanton St. Gallen. Der Kern des Verfahrens liegt in der Überprüfung der Einhaltung verfassungsrechtlicher Verfahrensgarantien durch die kantonalen Instanzen und nicht in einer materiellen Neubeurteilung der Prüfungsleistung.

I. Sachverhalt und Verfahrensgang

A._ trat im Herbst 2023 nach zwei früheren erfolglosen Versuchen erneut zur schriftlichen Anwaltsnachprüfung im Kanton St. Gallen an, nachdem er die mündliche Prüfung im Frühjahr 2023 bestanden hatte. Die Prüfungskommission für Rechtsanwälte des Kantons St. Gallen bewertete die schriftliche Arbeit als ungenügend (Zivilrecht: Note 4; öffentliches Recht: Note 5). Gemäss den anwendbaren Richtlinien gilt die schriftliche Prüfung als nicht bestanden, wenn in beiden Arbeiten zusammen weniger als 12 Punkte erreicht werden oder wenn eine Arbeit mit Note 4 oder tiefer bewertet wird (gemäss Notenskala 1-10). Der Beschwerdeführer erhielt eine schriftlich begründete Verfügung vom 9. Februar 2024, welche das Nichtbestehen der Prüfung bestätigte. Seine Beschwerde an das Kantonsgericht St. Gallen wurde am 24. Oktober 2024 abgewiesen. Daraufhin gelangte A._ mit einer als subsidiäre Verfassungsbeschwerde bezeichneten Eingabe vom 17. Dezember 2024 an das Bundesgericht.

II. Zulässigkeit der Beschwerde und Interpretation der Rechtsbegehren

Das Bundesgericht prüfte zunächst die Zulässigkeit des Rechtsmittels. Obwohl der Beschwerdeführer seine Eingabe als subsidiäre Verfassungsbeschwerde bezeichnete, qualifizierte das Bundesgericht sie als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 lit. a BGG, da es sich um eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts handelt.

Entscheidend für die Zulässigkeit war die Ausnahmebestimmung von Art. 83 lit. t BGG, wonach die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide über das Ergebnis von Prüfungen unzulässig ist. Das Bundesgericht präzisierte seine Rechtsprechung: Dieser Ausschlussgrund greift nur, wenn die Bewertung der intellektuellen oder physischen Fähigkeiten im Vordergrund steht und strittig ist. Werden jedoch andere Fragen, insbesondere organisatorischer oder verfahrensrechtlicher Art, gerügt, ist die Beschwerde zulässig, sofern diese Mängel inhaltlich von der Leistungsbewertung klar zu trennen sind.

Im vorliegenden Fall rügte der Beschwerdeführer nicht nur eine Gehörsverletzung in Bezug auf die Prüfungsbewertung, sondern auch die Zusammensetzung der Prüfungskommission, indem er einen Ausstandsgrund gegen ein Mitglied geltend machte (E. 1.3). Diese Rüge betreffend die Prüfungsorganisation ist von der Leistungsbewertung trennbar, weshalb Art. 83 lit. t BGG nicht zur Anwendung gelangt und die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten als zulässig erachtet wurde.

Das Bundesgericht interpretierte die Rechtsbegehren des Beschwerdeführers restriktiv (E. 1.4). Obwohl dieser die Erklärung des Bestehens der Prüfung und die Erteilung des Anwaltspatents verlangte, bezog sich seine Begründung ausschliesslich auf formelle Rügen (Verletzung des rechtlichen Gehörs). Solche formellen Mängel würden im Falle der Gutheissung zu einer Rückweisung der Sache an die Vorinstanz und nicht zu einem reformatorischen Entscheid des Bundesgerichts führen. Die prozessualen Anträge des Beschwerdeführers (insb. Fristansetzung zur Begründung nach Einsichtsgewährung) untermauerten diese Interpretation. Daher wurden die Anträge auf materielle Neubeurteilung oder Erklärung des Bestehens der Prüfung nicht als Gegenstand des vorliegenden Verfahrens betrachtet, sondern als für ein allfälliges späteres Verfahren vorbehalten.

III. Rechtliche Würdigung der Rügen des Beschwerdeführers

Das Bundesgericht prüfte die vom Beschwerdeführer vorgebrachten, ausschliesslich auf Bundesverfassungsrecht gestützten Rügen.

A. Verletzung des Verbots des überspitzten Formalismus und des Ausstandsrechts (E. 4)

  1. Rüge des Beschwerdeführers: Er machte geltend, das Kommissionsmitglied B.__ sei befangen gewesen, da es in einem anderen strittigen Verfahren als Vertreter der Gegenpartei auftrete. Er habe mündlich anlässlich einer Erörterung vom 4. Dezember 2023 ein Ausstandsgesuch gestellt. Die Prüfungskommission habe dieses jedoch nicht entgegengenommen, eine förmliche Gesuchstellung verlangt und es schliesslich zu Unrecht als verspätet abgewiesen, was eine Verletzung des Verbots des überspitzten Formalismus darstelle.

  2. Rechtliche Grundlagen: Das Verbot des überspitzten Formalismus (Art. 29 Abs. 1 BV) ist nur verletzt, wenn die strikte Anwendung prozessualer Vorschriften durch kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert wird (BGE 149 IV 9 E. 7.2). Ein Ausstandsgrund muss gemäss dem Grundsatz von Treu und Glauben sofort geltend gemacht werden, sobald der Betroffene Kenntnis davon hat; ein Zuwarten von zwei Wochen gilt als unzulässig (BGE 147 I 173 E. 5.1). Ein Ausstandsbegehren muss zudem unmissverständlich hervorgehen (Urteil 5A_153/2016 E. 2.3).

  3. Würdigung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht stellte fest, dass die Vorinstanz die Tatsache, dass der Beschwerdeführer in der Zeit zwischen der mündlichen Erläuterung vom 4. Dezember 2023 und der Beschwerdeeinreichung vom 4. März 2024 kein schriftliches Ausstandsgesuch gestellt hatte, unbestritten feststellte. Die Beschwerde vom 4. März 2024 kam definitiv zu spät. Hinsichtlich der mündlichen Äusserung vom 4. Dezember 2023 befand das Bundesgericht, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben lediglich "Bedenken bezüglich einer Ausstandsthematik" geäussert, aber nicht unmissverständlich den Ausstand verlangt habe. Dies genügt den Anforderungen an die Klarheit eines Ausstandsgesuchs nicht. Folglich lag keine Verletzung des Verbots des überspitzten Formalismus vor.

B. Anspruch auf eine unbefangene Prüfungskommission (E. 5)

  1. Rüge des Beschwerdeführers: Er machte eine Verletzung des Anspruchs auf eine unbefangene Prüfungskommission (implizit aus Art. 29 Abs. 1 BV) geltend.

  2. Rechtliche Grundlagen: Ein Mindestanspruch auf unbefangene (nichtrichterliche) Behörden ergibt sich aus Art. 29 Abs. 1 BV (BGE 140 I 326 E. 5.2). Eine Ausstandspflicht setzt Umstände voraus, die objektiv geeignet sind, den Anschein der Befangenheit zu erwecken (Urteile 2C_1009/2022 E. 3.2).

  3. Würdigung durch das Bundesgericht: Die Vorinstanz hielt fest, dass eine voreingenommene Prüfungsbewertung schon dadurch ausgeschlossen gewesen sei, dass die Prüfungen anonymisiert korrigiert wurden. Der Beschwerdeführer hatte diese Sachverhaltsfeststellung nicht erfolgreich als willkürlich gerügt. Unter diesen Umständen vermochte der blosse Hinweis, dass B.__ in einem anderen Verfahren als Gegenanwalt beteiligt sei, keine objektiv den Anschein der Befangenheit erweckenden Umstände darzutun. Die Rüge war unbegründet.

C. Akteneinsichtsrecht (E. 6)

  1. Rüge des Beschwerdeführers: Er rügte eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV, da ihm nicht in sämtliche verfahrensbezogene Akten (Korrekturschemen, Musterlösungen, Notenskalen, Prüfungsprotokolle, Prüfungsnotizen) Einsicht gewährt worden sei.

  2. Rechtliche Grundlagen: Das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) umfasst das Recht auf Akteneinsicht in alle verfahrensbezogenen Akten, die Grundlage des Entscheids bilden können (BGE 132 V 387 E. 3.2). Davon ausgenommen sind jedoch verwaltungsinterne Akten wie Notizen, Entwürfe und Referate, denen kein Beweischarakter zukommt. Im Prüfungsbereich sind dies beispielsweise persönliche Notizen der Examinatoren oder Musterlösungen, Korrekturraster und Notenskalen, sofern die Kandidaten auch ohne diese in der Lage sind, die Bewertung ihrer Arbeit nachzuvollziehen (Urteile 2D_8/2023 E. 4.4.2; 2D_10/2019 E. 4.3).

  3. Würdigung durch das Bundesgericht: Die Vorinstanz qualifizierte die verlangten Unterlagen zu Recht als vom Einsichtsrecht ausgenommene interne Akten. Entscheidend war, dass dem Beschwerdeführer die Prüfungsbewertung ausführlich schriftlich begründet und zudem mündlich erläutert wurde. Diese alternative Form der Information versetzte ihn in die Lage, die Bewertung nachzuvollziehen, sodass kein Anspruch auf Einsicht in die verlangten internen Unterlagen bestand.

D. Begründungspflicht (E. 7)

  1. Rüge des Beschwerdeführers: Der Beschwerdeführer machte eine Verletzung der Begründungspflicht gemäss Art. 29 Abs. 2 BV geltend. Er argumentierte, die Vorinstanz habe nicht ausreichend dargelegt, welche konkreten Antworten verlangt und wie die Punkte pro Frage zugeordnet worden seien, was den Eindruck einer Gesamtbewertung erwecke.

  2. Rechtliche Grundlagen: Die Begründungspflicht verlangt, dass Entscheide so begründet werden, dass die Betroffenen ihre Tragweite verstehen und den Entscheid sachgerecht anfechten können (BGE 151 IV 18 E. 4.4.4). Bei Prüfungsentscheiden genügt es, wenn die Behörde kurz darlegt, welche Lösungen erwartet wurden und inwiefern die Antworten den Anforderungen nicht genügten (Urteile 2C_505/2019 E. 4.2.1). Eine schriftliche Begründung kann auch erst im Rechtsmittelverfahren nachgeliefert werden.

  3. Würdigung durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht bestätigte, dass die Verfügung der Prüfungskommission vom 9. Februar 2024 detailliert darlegte, welche Antworten erwartet wurden und welche Fragen inwiefern falsch oder unvollständig beantwortet waren (mit konkreten Beispielen wie falsches Rechtsbegehren im Zivilrecht oder Übersehen von Art. 83 lit. m BGG im öffentlichen Recht). Die einzelnen Antworten wurden mit Noten von 1 bis 10 bewertet. Zudem nahm die Vorinstanz eine "Kontrollrechnung" vor, die aufzeigte, wie die Punktzahl pro Aufgabe anhand der vergebenen Note und der maximal möglichen Punktzahl ermittelt wurde (z.B. 3 max. Punkte * 8/10 Note = 2.4 Punkte). Diese detaillierte Begründung, kombiniert mit der "Kontrollrechnung" und dem Zugang zur eigenen Prüfungsarbeit, ermöglichte es dem Beschwerdeführer, die Prüfungsbewertung nachzuvollziehen und den Entscheid sachgerecht anzufechten. Die Begründungspflicht wurde somit nicht verletzt.

IV. Fazit

Die Beschwerde wurde, soweit darauf eingetreten werden konnte, als unbegründet abgewiesen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  1. Zulässigkeit der Beschwerde: Das Bundesgericht qualifizierte die Eingabe als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie war zulässig, weil der Beschwerdeführer neben der Prüfungsbewertung auch prozessuale Mängel (insbesondere einen Ausstandsgrund) geltend machte, die von der Leistungsbewertung trennbar sind (keine Anwendung von Art. 83 lit. t BGG).
  2. Interpretation der Rechtsbegehren: Die Anträge auf materielle Neubeurteilung oder Erklärung des Prüfungserfolgs wurden nicht als Gegenstand des aktuellen Verfahrens erachtet, da die Rügen ausschliesslich formeller Natur waren und auf eine Rückweisung der Sache abzielten.
  3. Ausstandsbegehren und überspitzter Formalismus: Die Rüge der Verletzung des Verbots des überspitzten Formalismus und des Ausstandsrechts wurde abgewiesen. Der Beschwerdeführer hatte keinen unmissverständlichen Ausstandsantrag gestellt, und eine spätere schriftliche Geltendmachung war verspätet.
  4. Unbefangene Prüfungskommission: Die Rüge einer Verletzung des Rechts auf eine unbefangene Prüfungskommission wurde ebenfalls abgewiesen, da die anonymisierte Korrektur die Befangenheit ausschloss und der Beschwerdeführer keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung darlegen konnte.
  5. Akteneinsichtsrecht: Das Bundesgericht verneinte ein Akteneinsichtsrecht in interne Prüfungsunterlagen (Korrekturschemen, Musterlösungen, Notizen), da dem Beschwerdeführer bereits eine ausführliche schriftliche Begründung sowie eine mündliche Erläuterung der Prüfungsbewertung zugänglich gemacht wurden, die ein Nachvollziehen der Bewertung ermöglichten.
  6. Begründungspflicht: Die Begründungspflicht wurde als erfüllt erachtet. Die Prüfungskommission hatte die Bewertung der einzelnen Aufgaben detailliert erläutert, spezifische Fehler aufgezeigt, Noten zugewiesen und eine nachvollziehbare Punkteberechnung ("Kontrollrechnung") vorgenommen, was dem Beschwerdeführer eine sachgerechte Anfechtung ermöglichte.