Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 6B_263/2024 vom 19. September 2025 betrifft eine Beschwerde in Strafsachen gegen einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau. Der Beschwerdeführer A.__ wurde der Veruntreuung (Art. 138 Ziff. 1 StGB) sowie des unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe (Art. 148a Abs. 1 StGB) schuldig gesprochen. Das Bundesgericht hatte die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen und die rechtliche Würdigung zu überprüfen.
I. Sachverhalt (Kurzfassung)
A._ und B._ bildeten eine einfache Gesellschaft. Aus einer Akontozahlung einer Gebäudeversicherung erwarben sie 400 Goldvreneli. A.__ wurde vorgeworfen, diese Goldvreneli heimlich durch 20-Rappen-Rollen ersetzt zu haben, um die Vreneli für sich zu behalten (Veruntreuung im Wert von Fr. 97'034.--). Zudem wurde ihm angelastet, einen Gewinn von Fr. 300'000.-- aus der Auflösung der einfachen Gesellschaft dem Sozialversicherungszentrum Thurgau nicht gemeldet zu haben, wodurch er unrechtmässig Ergänzungsleistungen von Fr. 13'936.-- bezog (unrechtmässiger Bezug von Leistungen einer Sozialversicherung). Die Vorinstanz, das Obergericht des Kantons Thurgau, bestätigte die Schuldsprüche des Bezirksgerichts.
II. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht
Das Bundesgericht befasste sich mit den Rügen des Beschwerdeführers bezüglich beider Schuldsprüche, insbesondere hinsichtlich Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung und Verletzung materiellen Rechts.
1. Zur Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Veruntreuung)
Der Beschwerdeführer rügte eine willkürliche antizipierte Beweiswürdigung, die unzureichende Befragung der Beschwerdegegnerin B.__, die willkürliche Würdigung ihrer Aussagen, die unzulässige Stützung auf Berichte des Instituts für Rechtsmedizin sowie willkürliche Feststellungen zum subjektiven Tatbestand.
- Massgebender Prüfungsraster: Das Bundesgericht prüft die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung nur auf Willkür (Art. 97 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 9 BV), d.h., ob sie schlechterdings unhaltbar ist oder auf einem offensichtlichen Fehler beruht (E. 1.3.1). Der Grundsatz "in dubio pro reo" hat in dieser Funktion keine über das Willkürverbot hinausgehende Bedeutung.
 
- Antizipierte Beweiswürdigung: Das Bundesgericht hielt fest, dass Strafbehörden auf weitere Beweiserhebungen verzichten können, wenn sie in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen, ihre Überzeugung werde dadurch nicht geändert. Diese Prüfung erfolgt ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Willkür (E. 1.3.2).
 
- Unmittelbarkeitsprinzip im Rechtsmittelverfahren: Gemäss Art. 389 Abs. 1 StPO beruht das Rechtsmittelverfahren auf den bereits erhobenen Beweisen. Eine erneute Beweisabnahme durch die Rechtsmittelinstanz ist nur geboten, wenn die Beweiserhebungen rechtsfehlerhaft, unvollständig oder unzuverlässig sind (Art. 389 Abs. 2 StPO) oder wenn die unmittelbare Kenntnis des Beweismittels für die Urteilsfällung notwendig erscheint, etwa bei einer "Aussage gegen Aussage"-Konstellation, bei der das Aussageverhalten entscheidend ist (Art. 343 Abs. 3 StPO; E. 1.3.3).
 
- Abweisung der Rügen im Detail:
- Abklärung der Münzenjahrgänge: Das Bundesgericht erachtete die Abweisung des Antrags auf Abklärung der Bezungsbereitschaft von 20-Rappen-Münzen Jahrgang 2020 als nicht willkürlich. Die Vorinstanz hatte festgestellt, dass die im Schliessfach gefundenen Münzen des Jahrgangs 2015 bereits seit längerem erhältlich waren und eine SNB-Auskunft zum Jahrgang 2020 keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn versprach (E. 1.4.1).
 
- Erneute Befragung der Beschwerdegegnerin: Der Beschwerdeführer vermochte nicht aufzuzeigen, weshalb eine zusätzliche Befragung vor der Vorinstanz notwendig gewesen wäre, da die Beschwerdegegnerin bereits mehrfach einvernommen wurde. Widersprüchlichkeiten von Aussagen allein genügen nicht, um vom Grundsatz der einmaligen Unmittelbarkeit abzuweichen (E. 1.4.2).
 
- Würdigung der Aussagen der Beschwerdegegnerin: Das Bundesgericht sah keine Willkür in der Würdigung der Aussagen der Beschwerdegegnerin, insbesondere hinsichtlich ihrer Erinnerung an die Behändigung der Goldvreneli und der Einschätzung, dass Verhandlungen über den Tresorinhalt nicht bedeuteten, der Beschwerdeführer sei Alleineigentümer gewesen (E. 1.4.3).
 
- Verwertbarkeit der DNA-Spuren und Gutachten: Die Rügen gegen die Verwertbarkeit der Aussagen der Sachverständigen und Berichte des Instituts für Rechtsmedizin wurden mangels Ausschöpfung des materiellen Instanzenzugs (Art. 80 Abs. 1 BGG) nicht behandelt, da sie erstmals vor Bundesgericht erhoben wurden. Die vorinstanzliche Würdigung der DNA-Spuren (hohe Qualität an adhäsiven Seiten und unter Klebeband) wurde als überzeugend erachtet und das Vorbringen einer "nicht nachvollziehbaren Übertragung" verworfen (E. 1.4.4).
 
- Subjektiver Tatbestand: Die Feststellung, der Beschwerdeführer habe gewusst, dass die Vreneli dem Gesamteigentum unterlagen und nicht ihm allein gehörten, wurde als willkürfrei bestätigt. Die heimliche Aneignung, das Fliessen des Geldes auf das Konto der Beschwerdegegnerin, der Schliessfachname und die Steuererklärung der Vreneli durch B.__ stützten diese Annahme. Die Vergleichsverhandlungen galten nicht als Beleg für die damalige Alleineigentümerstellung (E. 1.4.5).
 
 
Insgesamt wies das Bundesgericht die Rügen gegen die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung als unbegründet ab.
2. Zum Schuldspruch der Veruntreuung (Art. 138 Ziff. 1 Abs. 1 StGB)
Der Beschwerdeführer bestritt die Erfüllung des objektiven (Fremdheit, Anvertrautsein, Aneignung) und subjektiven Tatbestands (Sachverhaltsirrtum).
- Massgebende Rechtsgrundlagen:
- Fremdheit: Eine Sache ist fremd, wenn sie im Eigentum mindestens eines anderen als des Täters steht, wobei Miteigentum (Art. 646 ff. ZGB) oder Gesamteigentum (Art. 652 ff. ZGB) genügt (BGE 132 IV 5 E. 3.3; E. 2.3).
 
- Anvertrautsein: Eine Sache gilt als anvertraut, wenn sie mit der Verpflichtung empfangen wird, sie in bestimmter Weise im Interesse des Treugebers zu verwenden, zu verwahren, zu verwalten oder abzuliefern. Der Treugeber gibt seine Verfügungsmacht auf (BGE 143 IV 297 E. 1.3; E. 2.3).
 
- Aneignung: Der Täter überführt die fremde Sache oder den Sachwert wirtschaftlich in sein eigenes Vermögen mit dem Willen zur dauerhaften Enteignung des bisherigen Eigentümers und zur mindestens vorübergehenden Zueignung für sich selbst. Dieser Wille muss betätigt werden (BGE 129 IV 223 E. 6.2.1; E. 2.3).
 
- Subjektiver Tatbestand: Erfordert Vorsatz und unrechtmässige Bereicherungsabsicht, wobei Eventualvorsatz bzw. Eventualabsicht genügt. Ein Sachverhaltsirrtum (Art. 13 StGB), z.B. über die Fremdheit der Sache, schliesst den Vorsatz aus (BGE 129 IV 238 E. 3.2; E. 2.3).
 
 
- Prüfung im konkreten Fall:
- Fremdheit: Die Goldvreneli standen dem Beschwerdeführer und der Beschwerdegegnerin unbestrittenermassen zur gesamten Hand zu. Sie waren damit fremd im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 1 StGB (E. 2.4.1).
 
- Anvertrautsein und Aneignung: Die Vorinstanz ging zu Recht davon aus, dass die Goldvreneli dem Beschwerdeführer anvertraut waren. Er nahm sie mit der Verpflichtung entgegen, sie im gemeinsamen Interesse sicher aufzubewahren und zur Einlagerung abzuliefern. Die Herausgabepflicht entstand somit nicht erst mit der Auflösung der einfachen Gesellschaft. Die Täuschung durch den Austausch der Vreneli und die Einlagerung der 20-Rappen-Rollen manifestierte den Aneignungswillen (E. 2.4.2). Das Bundesgericht liess offen, ob die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Veruntreuung und ungetreuer Geschäftsbesorgung bei Organen von Handelsgesellschaften auf einfache Gesellschaften übertragbar sei, da der Tatbestand des Anvertrautseins hier bereits durch die konkrete Pflicht zur Verwahrung und Ablieferung erfüllt war.
 
- Sachverhaltsirrtum: Der Beschwerdeführer konnte sich nicht auf einen Irrtum über die Eigentumsverhältnisse berufen, da die Vorinstanz willkürfrei festgestellt hatte, dass er Kenntnis vom Gesamteigentum hatte und seine Bereicherungsabsicht bereits durch die heimliche Aneignung vor einer Abrechnung feststand (E. 2.4.3).
 
 
Der Schuldspruch wegen Veruntreuung verstösst somit nicht gegen Bundesrecht.
3. Zum Schuldspruch des unrechtmässigen Bezugs von Leistungen (Art. 148a Abs. 1 StGB)
Der Beschwerdeführer rügte, dass das Nichtanmelden von veränderten Verhältnissen nicht von Art. 148a StGB erfasst sei und die Vorinstanz zu Unrecht keinen "leichten Fall" gemäss Art. 148a Abs. 2 StGB angenommen habe.
- Massgebende Rechtsgrundlagen:
- Tatbestandserfüllung: Art. 148a Abs. 1 StGB bestraft, wer durch unwahre/unvollständige Angaben, Verschweigen von Tatsachen oder in anderer Weise irreführt, um unrechtmässig Sozialleistungen zu beziehen. Das Bundesgericht hat in gefestigter Rechtsprechung bestätigt, dass die blosse Nichtanmeldung geänderter Verhältnisse als Unterlassungsstrafbarkeit zur Tatbestandserfüllung genügt (E. 3.3.3 unter Verweis auf diverse Urteile).
 
- "Leichter Fall" (Art. 148a Abs. 2 StGB): In leichten Fällen droht lediglich Busse, wodurch der Tatbestand eine Übertretung darstellt und in drei Jahren verjährt (Art. 109 StGB). Gemäss BGE 149 IV 273 E. 1.5.9 gilt:
- Deliktsbeträge unter Fr. 3'000.--: Stets leichter Fall.
 
- Deliktsbeträge von Fr. 3'000.-- bis Fr. 35'999.99: Prüfung der gesamten Tatumstände auf vermindertes Verschulden.
 
- Deliktsbeträge ab Fr. 36'000.--: Grundsätzlich kein leichter Fall, ausser bei ausserordentlichen, gewichtigen Umständen, die eine massive Verminderung des Verschuldens bewirken.
 
 
 
- Prüfung im konkreten Fall:
- Nichtanmeldung als Tatbestandserfüllung: Das Bundesgericht bekräftigte seine Rechtsprechung, dass die unterlassene Meldung von Fr. 300'000.-- den Tatbestand des Art. 148a Abs. 1 StGB erfüllt (E. 3.3.3).
 
- Verneinung eines "leichten Falls": Der Deliktsbetrag von Fr. 13'936.-- lag im mittleren Bereich. Die Vorinstanz hat jedoch zu Recht das Vorliegen eines leichten Falls verneint. Obwohl eine Tatbegehung durch Unterlassen für einen leichten Fall sprechen kann, müssen stets sämtliche Tatumstände berücksichtigt werden. Hier wirkten sich folgende Faktoren nicht verschuldensmindernd aus:
- Deliktsdauer: Ein Zeitraum von 12 Monaten kann nicht als kurze Zeitspanne gewertet werden (E. 3.3.3).
 
- Beweggründe: Die Investition der ungemeldeten Fr. 300'000.-- in Goldvreneli (Luxusgüter) ist ein belastender Faktor (E. 3.3.3).
 
- Vorgehen: Die Schenkung des Betrags an die Ehefrau wurde als Verschleierungshandlung gewertet (E. 3.3.3).
 
- Höhe der nicht deklarierten Summe: Die Fr. 300'000.-- waren eine erhebliche Summe.
 
 
 
Die Vorinstanz verletzte mit dieser Beurteilung weder Art. 148a Abs. 2 StGB noch die Begründungspflicht. Das Bundesgericht wies die Beschwerde auch in diesem Punkt ab.
4. Verjährung und Zivilansprüche
Da kein "leichter Fall" vorlag, erübrigte sich die Prüfung der Verjährung. Auf den Eventualantrag, die Zivilklage auf den Zivilweg zu verweisen, wurde mangels Freispruch nicht eingetreten (E. 2.6, 3.4).
III. Fazit / Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
Das Bundesgericht hat die Beschwerde des A.__ in allen wesentlichen Punkten abgewiesen und die Schuldsprüche des Obergerichts des Kantons Thurgau bestätigt. Die wesentlichen Punkte sind:
- Verbindlichkeit der Sachverhaltsfeststellung: Die Rügen des Beschwerdeführers gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung wurden als unbegründet abgewiesen, da keine Willkür festgestellt werden konnte. Insbesondere die Würdigung der DNA-Spuren und der Aussagen der Beschwerdegegnerin hielt der willkürlichen Prüfung stand.
 
- Veruntreuung (Art. 138 StGB):
- Die Goldvreneli waren "fremd", da sie im Gesamteigentum der einfachen Gesellschaft standen.
 
- Sie waren dem Beschwerdeführer zur Verwahrung und Ablieferung "anvertraut".
 
- Der Austausch und das Behalten der Vreneli manifestierten den "Aneignungswillen" und die unrechtmässige Bereicherungsabsicht.
 
- Ein Sachverhaltsirrtum über die Eigentumsverhältnisse wurde aufgrund der vorinstanzlich willkürfrei festgestellten Kenntnis des Beschwerdeführers verneint.
 
 
- Unrechtmässiger Bezug von Leistungen (Art. 148a StGB):
- Die unterlassene Meldung von Vermögensänderungen (Gewinn von Fr. 300'000.--) erfüllt den Tatbestand des "Verschweigens von Tatsachen" gemäss gefestigter Rechtsprechung.
 
- Die Verneinung eines "leichten Falls" (Art. 148a Abs. 2 StGB) war angesichts des Deliktsbetrags (Fr. 13'936.--), der Dauer des Bezugs (12 Monate), der Beweggründe (Investition in Luxusgüter) und des Vorgehens (Verschleierung durch Schenkung an Ehefrau) nicht zu beanstanden.
 
 
- Verjährung und Zivilklage: Diese Anträge wurden als nicht relevant oder nicht zulässig abgewiesen, da die Hauptschuldsprüche bestätigt wurden.