Zusammenfassung von BGer-Urteil 6B_1278/2023 vom 15. September 2025

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Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (6B_1278/2023 vom 15. September 2025) detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 6B_1278/2023 vom 15. September 2025

1. Einleitung und Verfahrensüberblick

Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in Strafsachen von A.__ (nachfolgend Beschwerdeführer) gegen ein Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 7. September 2023 zu befinden. Das Obergericht hatte den Beschwerdeführer des Raufhandels schuldig gesprochen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 1.5 Jahren verurteilt, während es ihn von den Vorwürfen des Angriffs und der schweren Körperverletzung freisprach. Die Zivilforderungen wurden auf den Zivilweg verwiesen. Der Beschwerdeführer beantragte vor Bundesgericht seinen Freispruch von sämtlichen Tatvorwürfen, eventualiter aufgrund rechtfertigender Notwehr, subeventualiter die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung.

Dem Urteil des Obergerichts lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 9. Februar 2021 kam es in einer Liegenschaft in V._ zu einer wechselseitigen körperlichen Auseinandersetzung zwischen den Gruppen des Beschwerdeführers (A._, H._, I._) und der Privatkläger (B._, E.D._, C.D._, F.D._). Sämtliche Personen wirkten aktiv mit, und es entstanden diverse Verletzungen. Der Beschwerdeführer beteiligte sich aktiv, indem er (teilweise) mit einem Holzstück auf die Privatkläger einschlug.

2. Rügen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer erhob im Wesentlichen zwei zentrale Rügen: * Verletzung des Anklagegrundsatzes: Er beanstandete, dass er wegen Raufhandels verurteilt werde, obwohl die Anklageschrift die Anforderungen nicht erfülle und die Vorinstanz mit dem Schuldspruch wegen Raufhandels über den angeklagten Sachverhalt hinausgegangen sei. Insbesondere fehle eine Umschreibung einer wechselseitigen Schlägerei von mindestens zwei Parteien. * Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung: Er rügte, die Vorinstanz habe den Sachverhalt offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich festgestellt und den Grundsatz "in dubio pro reo" sowie seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

3. Erwägungen des Bundesgerichts

3.1. Zum Anklagegrundsatz (E. 2)

Das Bundesgericht prüfte zunächst die Rüge der Verletzung des Anklagegrundsatzes. * Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht erinnerte an die Umgrenzungs- und Informationsfunktion des Anklagegrundsatzes (Art. 9 und Art. 325 StPO; Art. 29 Abs. 2 sowie Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK). Die Anklageschrift habe die zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt präzise zu umschreiben, um die Verteidigungsrechte der beschuldigten Person zu gewährleisten. Das Gericht sei jedoch an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt, nicht aber an die darin vorgenommene rechtliche Würdigung gebunden (Art. 350 Abs. 1 StPO; vgl. BGE 149 IV 128 E. 1.2). * Anwendung im vorliegenden Fall: Die Vorinstanz hatte argumentiert, sie habe sich vorbehalten, den als Angriff angeklagten Sachverhalt auch als Raufhandel zu würdigen, da die notwendigen Elemente dafür im angeklagten Sachverhalt enthalten seien. Das Bundesgericht schloss sich dieser Auffassung an. Es stellte fest, dass die 12-seitige Anklageschrift vom 5. August 2021 zwar in verschiedene Ziffern und Unterziffern unterteilt sei, dies jedoch der Übersicht diene und es sich um einen einheitlichen Vorfall handle, der in seiner Gesamtheit zu würdigen sei. Insbesondere die Ziffer 4 der Anklageschrift schildere explizit, wie F.D._ und C.D._ mit Messer(n) und Stuhl dazugestossen seien, um zu helfen, und wie sich F.D._ gewehrt habe, wodurch I._ verletzt worden sei. Diese Beschreibung erfülle das Kriterium der "wechselseitigen Schlägerei von mindestens zwei Parteien", welches für den Raufhandel (Art. 133 StGB) konstituierend ist. Die Umschreibung "Freunde bzw. Bruder" habe für den Beschwerdeführer zudem ausreichend klar gemacht, um welche weiteren Beteiligten es sich handle. Das Bundesgericht verneinte somit eine Verletzung des Anklagegrundsatzes, da der Beschwerdeführer sich effektiv gegen den Vorwurf des Raufhandels verteidigen konnte und die Vorwürfe in tatsächlicher Hinsicht hinreichend klar waren.

3.2. Zur Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (E. 3)

Dies war der entscheidende Punkt der Beschwerde. * Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht legte dar, dass es seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde lege, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Sachverhaltsfeststellung könne nur gerügt werden, wenn sie willkürlich sei oder auf einer Rechtsverletzung beruhe und entscheidend für den Ausgang des Verfahrens sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Willkür liege vor, wenn die Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar sei, d.h. in klarem Widerspruch zur tatsächlichen Situation stehe oder auf einem offenkundigen Fehler beruhe (BGE 148 IV 356 E. 2.1). Dem Grundsatz "in dubio pro reo" komme als Beweiswürdigungsregel vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot (Art. 9 BV) hinausgehende Bedeutung zu. Zum Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK) gehöre die Begründungspflicht, welche die Behörde dazu anhalte, die für den Entscheid wesentlichen Punkte zu nennen. * Vorinstanzliche Feststellungen zum Sachverhalt: Die Vorinstanz hatte festgestellt, dass der genaue Ablauf der Auseinandersetzung aufgrund der "völlig divergierenden Aussagen" der Beteiligten nicht vollständig rekonstruiert werden konnte. Sie attestierte beiden Gruppen eine "Beschönigungstendenz" und hielt die Aussagen keiner Gruppe für "überwiegend glaubhaft". Sie sei jedoch zum Schluss gekommen, dass es eine "wechselseitige gegenseitige Auseinandersetzung" gab, an der der Beschwerdeführer aktiv mitwirkte. * Bundesgerichtliche Kritik an der Beweiswürdigung (Willkür und Begründungspflicht): * Zeugenaussage K._ zu G._: Das Bundesgericht rügte, dass die Vorinstanz in Bezug auf die Aussagen des Zeugen K._ in Willkür verfiel und ihre Begründungspflicht verletzte. K._, dessen Angaben die Vorinstanz insgesamt als glaubhaft erachtete, hatte ausgesagt, G._ kurz nach Ankunft der Gruppe des Beschwerdeführers in der Küche gesehen zu haben. Dies widersprach der vorinstanzlichen Feststellung, G._ habe bei Ankunft im Zimmer geschlafen und sei erst durch einen Schlag erwacht. Die Vorinstanz äusserte sich zu diesem zentralen Widerspruch nicht und liess die zeitliche Abfolge der Ereignisse ausdrücklich offen, obwohl diese für die Beurteilung der Notwehr entscheidend gewesen wäre. * Zeugenaussage K.__ zur Initiierung der Auseinandersetzung: Die Vorinstanz hatte K._s Aussagen als "Indiz" dafür gewertet, dass die Gruppe des Beschwerdeführers angegriffen worden sei und die Brüder D._ sich mit Gegenständen bewaffnet hätten. Trotzdem kam sie zum Schluss, es sei "nicht erstellt", welche Gruppe welche angegriffen habe. Das Bundesgericht sah hierin einen Widerspruch: Die Vorinstanz weiche von als plausibel erachteten Zeugenaussagen in einem entscheidenden Punkt ab, ohne dies weiter zu begründen. Auch hierin sah das Bundesgericht eine Verletzung der Willkür und der Begründungspflicht. Es merkte zudem an, dass die erneute Einvernahme von K.__ von der Verfahrensleitung der Vorinstanz offenbar als notwendig erachtet, aber wegen dessen Auslandsabwesenheit unterlassen wurde, was im Rückweisungsverfahren zu prüfen sei. * Nichtbehandlung des Notwehr-Arguments: Des Weiteren rügte das Bundesgericht eine Gehörsverletzung, da die Vorinstanz die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Notwehrlage in ihren Ausführungen gänzlich unerwähnt liess, obwohl dies bereits vor der Vorinstanz vorgebracht wurde.

4. Entscheid des Bundesgerichts

Aufgrund der festgestellten willkürlichen Sachverhaltsfeststellung und ungenügenden Begründung hiess das Bundesgericht die Beschwerde teilweise gut. Es hob das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 7. September 2023 auf und wies die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Diese muss die Beweise – nach einer allfälligen Beweisergänzung – neu würdigen, den Sachverhalt willkürfrei feststellen und gestützt darauf die rechtliche Würdigung, einschliesslich der Notwehrfrage, neu vornehmen.

Die Kosten- und Entschädigungsfolgen wurden entsprechend dem teilweisen Obsiegen des Beschwerdeführers geregelt. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wurde teilweise gegenstandslos, teilweise abgewiesen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
  1. Anklagegrundsatz: Das Bundesgericht bestätigte, dass die Anklageschrift trotz ihrer Gliederung und der ursprünglichen rechtlichen Würdigung den Sachverhalt für den Vorwurf des Raufhandels ausreichend klar umschrieb, einschliesslich der Wechselseitigkeit der Auseinandersetzung. Eine Verletzung des Anklagegrundsatzes wurde verneint.
  2. Willkür bei Sachverhaltsfeststellung: Das Bundesgericht bejahte Willkür in der Beweiswürdigung des Obergerichts. Es stellte Widersprüche in der Würdigung der Zeugenaussagen K._ fest, insbesondere bezüglich der Anwesenheit von G._ zu Beginn der Auseinandersetzung und der Frage, welche Gruppe die Auseinandersetzung initiierte.
  3. Verletzung der Begründungspflicht und des rechtlichen Gehörs: Das Obergericht hat zentrale Widersprüche in der Beweiswürdigung nicht aufgeklärt oder begründet. Zudem hat es das von der Verteidigung vorgebrachte Argument der Notwehrlage vollständig übergangen.
  4. Rückweisung: Das Bundesgericht hob das obergerichtliche Urteil auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück. Diese muss den Sachverhalt neu und willkürfrei feststellen sowie die rechtliche Würdigung, einschliesslich einer allfälligen Notwehrprüfung, vornehmen.