Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_551/2024 vom 16. September 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils 2C_551/2024 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 16. September 2025

1. Einleitung und Streitgegenstand

Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) vom 16. September 2025, Az. 2C_551/2024, betrifft eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Die Beschwerdeführerin, A._, forderte vom Kanton Bern Schadenersatz in der Höhe von Fr. 445'889.-- und Genugtuung von Fr. 25'000.--. Sie machte geltend, ein Regionalgerichtspräsident habe durch widerrechtliches Verhalten Amtspflichten verletzt und sie dadurch psychisch derart destabilisiert, dass sie in einem Erbteilungsverfahren einen ihr nachteiligen Vergleich eingegangen sei. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die Staatshaftungsklage ab, woraufhin A._ das Bundesgericht anrief. Das Bundesgericht hatte zu beurteilen, ob der Kanton Bern für das Verhalten des Gerichtspräsidenten haftbar ist.

2. Sachverhaltliche Ausgangslage

Die Beschwerdeführerin A._ initiierte nach dem Tod ihres Vaters verschiedene erbrechtliche Verfahren. Im Rahmen von erbrechtlichen Auskunftsverfahren wies der zuständige Regionalgerichtspräsident Sidler Klageschriften A.__s zweimal wegen Unverständlichkeit gemäss Art. 132 Abs. 1 und 2 ZPO zurück. Das Obergericht des Kantons Bern hiess die dagegen erhobene Beschwerde der A._ mit Entscheid vom 8. Juli 2019 gut und ermächtigte sie, die Klagen in ursprünglicher Form erneut einzureichen. Bereits vor diesem obergerichtlichen Entscheid, nämlich am 27. März und 1. April 2019, verlangte A.__ erfolglos den Ausstand des Regionalgerichtspräsidenten Sidler. Diese Ausstandsbegehren wurden letztinstanzlich vom Bundesgericht abgewiesen (Urteil 5A_491/2019 vom 11. November 2019).

Parallel dazu führte A._ ein Erbteilungsverfahren gegen zwei Miterbinnen. Am 5. April 2019 schlossen die Parteien vor der Schlichtungsbehörde einen Vergleich, wonach A._ gegen Zahlung von Fr. 400'000.-- aus der Erbengemeinschaft ausscheiden sollte.

Am 3. März 2020 reichte A.__ beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Staatshaftungsklage ein. Sie argumentierte, Regionalgerichtspräsident Sidler habe sie durch seine Prozessleitung in den Auskunftsverfahren widerrechtlich "psychisch destabilisiert". Dies habe dazu geführt, dass sie in der Schlichtungsverhandlung vom 5. April 2019 eingeschüchtert gewesen sei und aus Furcht vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung vor Regionalgerichtspräsident Sidler einem nachteiligen Vergleich zugestimmt habe, der nicht ihrem wirklichen Willen entsprochen habe. Der geltend gemachte Schaden basiere auf der Differenz zwischen ihrem angeblichen Pflichtteil und dem Vergleichsbetrag.

3. Prozessuale Vorfragen und Kognition des Bundesgerichts

3.1 Kognition und Sachverhaltsfeststellung: Das Bundesgericht prüft die Anwendung von Bundesrecht und kantonalen verfassungsmässigen Rechten frei. Die Auslegung und Anwendung des einfachen kantonalen Rechts, welches hier für die Staatshaftung massgebend ist, überprüft es hingegen nur auf Willkür und die Vereinbarkeit mit anderen verfassungsmässigen Rechten (E. 2.1). Die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz sind für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Abweichung ist nur bei offensichtlicher Unrichtigkeit (Willkür) oder einer Rechtsverletzung, die für den Verfahrensausgang entscheidend ist, möglich (Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin rügte die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen wiederholt, konnte jedoch keine Willkür darlegen, weshalb die Feststellungen der Vorinstanz bindend blieben (E. 2.2).

3.2 Ablehnung prozessualer Anträge: Das Bundesgericht lehnte die von der Beschwerdeführerin gestellten prozessualen Anträge ab: * Mündliche Verhandlung: Eine mündliche Parteiverhandlung vor Bundesgericht findet nur ausnahmsweise und auf begründeten Antrag statt (Art. 57 BGG). Mangels Begründung wurde dies abgelehnt (E. 3.1). * Zeugeneinvernahme: Beweismassnahmen vor Bundesgericht sind nur bei aussergewöhnlichen Umständen zulässig (Art. 55 BGG). Solche Umstände lagen nicht vor (E. 3.2). * Beiladung des Gerichtspräsidenten: Eine Beiladung (Art. 102 Abs. 1 BGG) erfordert ein besonders schutzwürdiges Interesse, das die Beschwerdeführerin nicht dargelegt hat (E. 3.3).

4. Abweisung der prozessualen Rügen der Beschwerdeführerin

Die Beschwerdeführerin erhob zahlreiche formelle Rügen gegen das vorinstanzliche Verfahren, insbesondere bezüglich des Ablaufs der öffentlichen mündlichen Schlussverhandlung. Das Bundesgericht wies diese sämtlich als unbegründet ab:

  • Verletzung von Art. 6 EMRK und Art. 29 Abs. 2 BV (Recht auf faires Verfahren und rechtliches Gehör):
    • Beiladung des Gerichtspräsidenten: Die Vorinstanz verneinte willkürfrei eine Beiladungspflicht des Gerichtspräsidenten, da der Ausgang des Haftungsverfahrens keinen Regressprozess präjudiziere und somit keine schutzwürdigen Interessen im Sinne des kantonalen Rechts (Art. 14 VRPG/BE) betroffen seien (E. 4.6.1).
    • Nichtteilnahme des Kantons Bern an der Verhandlung: Weder Art. 6 EMRK noch kantonales Recht verpflichten den Beschwerdegegner zur Teilnahme. Beide Parteien hatten ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme (E. 4.6.2).
    • Fehlende Instruktionsverhandlung: Die Rüge wurde mangels substanziierter Darlegung einer Verletzung konkreter kantonaler Bestimmungen abgewiesen (E. 4.6.3).
    • Keine Ton-/Videoaufzeichnung und persönliche Befragung: Die Vorinstanz wies entsprechende Beweisanträge in antizipierter Beweiswürdigung ab. Die Beschwerdeführerin vermochte keine Willkür aufzuzeigen, da sie nicht darlegen konnte, welche weiteren erheblichen Tatsachen dadurch hätten erhoben werden können (E. 4.6.4).
  • Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV (Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts): Die Rüge der Befangenheit des Gerichts, das Urteil sei bereits vor der Verhandlung festgestanden, stützte sich auf nicht festgestellte Sachverhalte und es wurden keine Umstände geltend gemacht, die einen Anschein der Befangenheit begründen würden (E. 4.6.5).
  • Fehlende öffentliche Urteilsberatung: Weder Art. 6 Ziff. 1 EMRK noch Art. 30 Abs. 3 BV garantieren einen Anspruch auf öffentliche Urteilsberatung. Das kantonale Recht (Art. 37 Abs. 1 lit. c VRPG/BE in Verbindung mit Art. 56 Abs. 5 GSOG/BE) lässt in bestimmten Fällen ein schriftliches Zirkulationsverfahren zu, welches die Vorinstanz willkürfrei anwenden konnte (E. 4.6.6).
  • Ablehnung des Gesuchs um Berichtigung des Protokolls: Die Ausführungen der Beschwerdeführerin waren diffus und vermochten weder eine willkürliche Anwendung kantonalen Rechts noch eine Verletzung von Bundes- oder Völkerrecht darzulegen (E. 4.6.7).

5. Materieller Staatshaftungsanspruch wegen Widerrechtlichkeit

5.1 Rechtliche Grundlagen: Die Haftung des Kantons Bern richtet sich nach Art. 100 Abs. 1 des Personalgesetzes des Kantons Bern (PG/BE), wonach der Kanton für Schäden haftet, die Mitarbeiter in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zugefügt haben. Für körperliche Integrität und schwere Persönlichkeitsverletzungen besteht Anspruch auf Genugtuung (Art. 100 Abs. 3 PG/BE). Die Bestimmungen des Obligationenrechts dienen als ergänzendes kantonales Verwaltungsrecht (Art. 105 PG/BE). Das Bundesgericht prüft die Anwendung dieser kantonalen Bestimmungen nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (E. 5.1).

5.2 Prüfstandard für Widerrechtlichkeit bei Rechtsakten: Für die Annahme der Widerrechtlichkeit bei Rechtsakten, wie Verfügungen oder Urteilen, ist nach konstanter Praxis des Bundesgerichts und der kantonalen Gerichte nicht ausreichend, dass der Akt später als unrichtig, gesetzeswidrig oder gar willkürlich erachtet wird. Vielmehr muss der entscheidenden Instanz ein qualifizierter Fehler oder eine wesentliche Amtspflichtverletzung vorwerfbar sein. Es muss sich um eine unentschuldbare Fehlleistung handeln, die einer pflichtbewussten Amtsperson nicht unterlaufen wäre (E. 5.3, unter Verweis auf die Ausführungen der Vorinstanz). Dies ist eine höhere Hürde als die blosse Rechtswidrigkeit eines Entscheids.

5.3 Würdigung des Verhaltens des Regionalgerichtspräsidenten: Die Vorinstanz konzentrierte sich auf das Verhalten des Regionalgerichtspräsidenten im Zusammenhang mit der Verfügung vom 26. März 2019, mit der er die Klageschriften wegen Unverständlichkeit zurückwies. Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Auffassung, dass dies keine Verletzung einer wesentlichen Amtspflicht darstellte.

  • Die Rückweisung der Eingaben gemäss Art. 132 ZPO war lediglich ein vorübergehender und nicht besonders starker Eingriff in die Rechtsposition der Beschwerdeführerin. Der Fehler des Gerichtspräsidenten, die Eingabe als unverständlich zurückzuweisen, bevor alle überarbeiteten Klagen vorlagen, wurde als nicht besonders schwerwiegend eingestuft.
  • Die Nachlässigkeit des Gerichtspräsidenten war angesichts der grösstenteils identischen und weitschweifigen Rechtsschriften der Beschwerdeführerin, die eine Verwechslungsgefahr bargen, verständlich. Die Beschwerdeführerin hatte somit selbst zur Verwirrung beigetragen.
  • Es lagen keine Anhaltspunkte für ein manipulatives oder amtsmissbräuchliches Vorgehen des Regionalgerichtspräsidenten vor (E. 5.3).
  • Die erfolgte Fehlbeurteilung der rechtlichen Situation konnte durch Einlegung eines Rechtsmittels korrigiert werden, was die Beschwerdeführerin erfolgreich tat. Das Obergericht hob die Verfügung auf und ermöglichte die Wiedereinreichung der Klagen in unveränderter Form (E. 5.4.1).
  • Die behauptete psychische Destabilisierung, die zur "Urteilsunfähigkeit" während der Schlichtungsverhandlung geführt haben soll, hätte die Beschwerdeführerin durch ein Gesuch um Verschiebung des Termins (Art. 135 lit. b ZPO) abwenden können (E. 5.4.1).
  • Die bereits vor der Schlichtung gestellten Ausstandsgesuche gegen den Regionalgerichtspräsidenten wurden letztinstanzlich vom Bundesgericht abgewiesen, was die angebliche Furcht vor Voreingenommenheit als unbegründet erwies (E. 5.4.1, mit Verweis auf Urteil 5A_491/2019 und 5A_255/2020).
  • Die Rüge, das Verhalten des Gerichtspräsidenten habe Art. 8 EMRK verletzt, wurde ebenfalls zurückgewiesen, da die Rückweisung der Klageschriften keine derartige Verletzung darstellt. Die weiteren pauschalen Rügen auf EMRK und BV-Garantien wurden mangels Substantiierung nicht geprüft (E. 5.4.1).
  • Die Eingrenzung des relevanten Zeitraums durch die Vorinstanz auf die Ereignisse vor dem Vergleichsabschluss wurde nicht als willkürlich erachtet, da späteres Verhalten des Gerichtspräsidenten nicht kausal für den behaupteten Schaden im Erbteilungsverfahren sein konnte (E. 5.4.2).
  • Andere behauptete widerrechtliche Verhaltensweisen (Verzögerung, Nichtreaktion auf Schreiben etc.) wurden ebenfalls nicht als Verletzung einer wesentlichen Amtspflicht angesehen (E. 5.4.3).

5.4 Ergebnis zur Widerrechtlichkeit: Da keine willkürliche Anwendung des kantonalen Rechts vorlag, bestätigte das Bundesgericht die Verneinung der Haftungsvoraussetzung der Widerrechtlichkeit. Somit konnte offenbleiben, ob ein Schaden und ein Kausalzusammenhang bestanden haben und ob die Beschwerdeführerin den Schlichtungsvergleich gemäss Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO hätte anfechten müssen (E. 5.4.4).

6. Billigkeitshaftung (Haftung für rechtmässiges Staatshandeln)

6.1 Rechtliche Grundlagen: Im Eventualstandpunkt machte die Beschwerdeführerin eine Haftung des Kantons für rechtmässig verursachte Schäden gemäss Art. 100 Abs. 2 PG/BE geltend. Diese Bestimmung sieht eine Haftung vor, wenn Einzelne durch rechtmässiges Handeln unverhältnismässig schwer betroffen sind und ihnen nicht zugemutet werden kann, den Schaden selber zu tragen. Diese Haftung ist primär auf Härtefälle von unbeteiligten Personen zugeschnitten (E. 6.1).

6.2 Würdigung des Falls: Die Vorinstanz verneinte willkürfrei eine Billigkeitshaftung. Die Beschwerdeführerin konnte nicht als "unbeteiligte Dritte" betrachtet werden, da sie durch die Ausgestaltung ihrer Klagen die Verfügung vom 26. März 2019 mitverursacht hatte. Auch war sie nicht unverhältnismässig schwer betroffen, da sie die ihr zustehenden Rechtsmittel erfolgreich genutzt hatte (E. 6.2, 6.3).

6.3 Ergebnis zur Billigkeitshaftung: Das Bundesgericht bestätigte die vorinstanzliche Beurteilung als willkürfrei. Die Rügen der Beschwerdeführerin, insbesondere der Verweis auf die Rechtslage in anderen Kantonen und der Vergleich mit einer materiellen Enteignung, vermochten keine Willkür bei der Auslegung und Anwendung von Art. 100 Abs. 2 PG/BE aufzuzeigen (E. 6.3).

7. Fazit des Bundesgerichts

Die Beschwerde erweist sich in allen Punkten als unbegründet und wird abgewiesen. Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin auferlegt (E. 7).

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht wies die Staatshaftungsklage von A.__ gegen den Kanton Bern ab. Es bestätigte die vorinstanzliche Auffassung, dass das Verhalten des Regionalgerichtspräsidenten, insbesondere die Rückweisung von Klageschriften wegen Unverständlichkeit, keine wesentliche Amtspflichtverletzung darstellte, die eine Staatshaftung wegen Widerrechtlichkeit begründen würde. Es handelte sich um eine korrigierbare Fehlbeurteilung, die zudem durch die Beschwerdeführerin mitverursacht wurde und deren befürchtete negative Folgen (Voreingenommenheit des Richters) durch abgewiesene Ausstandsgesuche entkräftet wurden. Eine psychische Destabilisierung durch diesen Akt, die einen "nachteiligen" Vergleich erzwungen hätte, wurde nicht als kausal oder haftungsbegründend anerkannt. Auch eine Billigkeitshaftung für rechtmässiges Staatshandeln wurde verneint, da die Beschwerdeführerin nicht als unbeteiligte Dritte galt und nicht unverhältnismässig schwer betroffen war, da ihr Rechtsmittelweg offenstand und genutzt werden konnte. Alle prozessualen Rügen der Beschwerdeführerin wurden ebenfalls abgewiesen.