Zusammenfassung von BGer-Urteil 5A_257/2025 vom 8. Oktober 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils 5A_257/2025 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 8. Oktober 2025 Einleitung

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts (II. zivilrechtliche Abteilung) befasst sich mit einem Rekurs in Zivilsachen gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts Neuenburg betreffend einen Arrest nach Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG). Die zentrale Frage drehte sich um die Zulässigkeit von neuen Tatsachen und Beweismitteln (sog. Nova) im Rekursverfahren gegen einen Arresteinspracheentscheid, insbesondere hinsichtlich der nachträglichen Begründung der Gläubigerstellung für rückständige Kindesunterhaltsbeiträge.

Sachverhalt

Die Parteien, B._ (Beschwerdegegnerin) und A._ (Beschwerdeführer), waren von 2000 bis 2012 verheiratet und haben zwei Töchter, geboren 2002. Das Scheidungsurteil vom 9. März 2012 ratifizierte eine Konvention über die Scheidungsfolgen, die monatliche Unterhaltsbeiträge für die Kinder (zuerst 3'000 CHF, dann 3'500 CHF pro Kind bis zur Mündigkeit oder zum Abschluss der Berufsausbildung) sowie für B.__ (zuerst 1'500 CHF, dann 1'000 CHF bis zum Ende der Schulzeit der Töchter) vorsah.

Am 12. Januar 2024 beantragte B._ den Arrest eines im Eigentum von A._ stehenden Grundstücks in U._ (NE). Sie machte geltend, A._ habe seit dem 21. Januar 2020 die Unterhaltszahlungen für die Töchter einseitig von 3'500 CHF pro Kind auf insgesamt 3'000 CHF für beide Töchter reduziert. Ihre Forderung umfasste rückständige Kindesunterhaltsbeiträge bis zur Mündigkeit (148'000 CHF), persönliche Unterhaltsbeiträge (42'000 CHF) sowie Schulkosten einer Tochter (6'189 CHF). Das Zivilgericht des Littoral et du Val-de-Travers (Tribunal civil) bewilligte am 26. Januar 2024 einen Arrest von 187'000 CHF. Ein weiteres Arrestbegehren für ein Grundstück im Wallis wurde am 7. Februar 2024 ebenfalls bewilligt.

A._ erhob am 18. März 2024 Einsprache gegen die Arrestverfügungen. Er machte insbesondere geltend, B._ sei nicht Gläubigerin der Kindesunterhaltsbeiträge, da die Töchter volljährig seien und die Forderungen teilweise verjährt. Am 5. Juni 2024 bestätigte das Tribunal civil den Arrest für das Neuenburger Grundstück, reduzierte aber den Betrag auf 13'000 CHF und änderte den Arrestgrund auf rückständige Unterhaltsbeiträge zugunsten von B._ für die Jahre 2019 und 2020. Es stellte fest, dass B._, mangels einer Abtretung von Rechten ihrer Töchter, nicht als Gläubigerin für die Kindesunterhaltsbeiträge, auch nicht für die während der Minderjährigkeit fälligen, legitimiert sei, da die Töchter mittlerweile mündig waren. Die Forderungen von B.__ für die Jahre 2017 und 2018 wurden als verjährt erachtet. Der Arrest für das Walliser Grundstück wurde wegen örtlicher Unzuständigkeit aufgehoben.

B._ rekurrierte gegen diesen Entscheid an das Kantonsgericht Neuenburg. Sie beschränkte ihre Forderung auf die Kindesunterhaltsbeiträge für das Jahr 2019 (48'000 CHF) und anerkannte die Verjährung ihrer eigenen Unterhaltsbeiträge für 2017/2018. Im Rekursverfahren reichte sie eine am 10. Juni 2024 datierte "cession de créance" (Abtretungserklärung) ihrer Töchter ein, um ihre Gläubigerstellung für die Kindesunterhaltsbeiträge zu untermauern. Sie beantragte einen Arrest von insgesamt 75'865.10 CHF (12'000 CHF für eigene Unterhaltsbeiträge 2019, 1'000 CHF für 2020, 48'000 CHF für Kindesunterhaltsbeiträge 2019 und 14'865.10 CHF für Schulkosten). A._ bestritt die Legitimation der Beschwerdegegnerin und argumentierte, die Abtretung sei erst im Rekursverfahren erfolgt und heile den anfänglichen Mangel nicht.

Das Kantonsgericht Neuenburg hiess den Rekurs von B._ mit Urteil vom 21. Februar 2025 teilweise gut und reformierte den Arresteinspracheentscheid. Es bewilligte einen Arrest von 61'000 CHF, bestehend aus rückständigen Unterhaltsbeiträgen für B._ (12'000 CHF für 2019 und 1'000 CHF für 2020) und für die Töchter (48'000 CHF für 2019). Die Forderung für Schulkosten wurde mangels eines definitiven Rechtsöffnungstitels abgewiesen.

Gegen dieses Urteil legte A.__ am 7. April 2025 Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht ein. Er rügte im Wesentlichen eine willkürliche Anwendung von Art. 278 Abs. 3 SchKG, Art. 165 des Obligationenrechts (OR) und Art. 106 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie eine Verletzung des Rechts auf eine doppelte kantonale Instanz.

Massgebende Rechtsgrundlagen und Kognition des Bundesgerichts

Das Bundesgericht stellte fest, dass es sich beim Arresteinspracheentscheid um eine vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art. 98 BGG handelt. Folglich konnte der Beschwerdeführer nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügen, namentlich Willkür gemäss Art. 9 der Bundesverfassung (BV). Das Bundesgericht prüft solche Rügen nur, wenn sie präzise vorgebracht und begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG).

Die massgebenden rechtlichen Bestimmungen im vorliegenden Fall waren: * Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG: Ermöglicht den Arrest, wenn der Gläubiger gegen den Schuldner einen definitiven Rechtsöffnungstitel besitzt (gemäss Art. 80 SchKG, d.h. insbesondere ein vollstreckbares Urteil eines Schweizer Gerichts). Bei diesem Arrestgrund muss der Gläubiger die Forderung nicht zusätzlich glaubhaft machen, da sie sich aus dem Titel ergibt. * Art. 272 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 SchKG: Allgemeine Voraussetzungen für den Arrest (Glaubhaftmachung der Forderung und eines Arrestgrundes). * Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG: Regelung zu Nova im Rekursverfahren gegen den Arresteinspracheentscheid ("die Parteien können neue Tatsachen vorbringen"). * Art. 164 ff. OR: Abtretung von Forderungen. * Art. 317 Abs. 1 ZPO: Zulässigkeit von Nova im Rechtsmittelverfahren (analog angewendet). * Art. 106 ZPO: Kostenverteilung.

Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüfte die Rügen des Beschwerdeführers der Reihe nach:

1. Willkürliche Anwendung von Art. 278 Abs. 3 SchKG und Art. 165 OR (Zulässigkeit von Nova)

Der Beschwerdeführer beanstandete, dass die Beschwerdegegnerin zum Zeitpunkt des Arrestbegehrens nicht Gläubigerin der Kindesunterhaltsbeiträge gewesen sei, da die Töchter mündig waren und keine Abtretung vorlag. Dieser anfängliche Mangel dürfe nicht durch eine nachträglich im Rekursverfahren eingeholte Abtretungserklärung geheilt werden. Er qualifizierte die Abtretung als "Pseudo-Novum" (potestatives Novum), das bereits vor dem Arrestbegehren hätte beigebracht werden können, und warf der Beschwerdegegnerin ein taktisches Verhalten vor.

Das Bundesgericht wies diese Argumentation zurück und bestätigte die Auffassung des Kantonsgerichts als nicht willkürlich: * Grundsatz der Noven-Zulässigkeit im Arresteinspracheverfahren: Das Kantonsgericht habe nicht willkürlich entschieden, dass Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG, der explizit die Geltendmachung neuer Tatsachen durch "die Parteien" im Rekursverfahren vorsieht, sowohl für den Arrestschuldner als auch für den Arrestgläubiger gelte. Diese Bestimmung, die Art. 317 Abs. 1 ZPO analog anwendet, erlaube sowohl echte Nova (Tatsachen, die nach dem letzten erstinstanzlichen Zeitpunkt entstanden sind) als auch unechte Nova (Tatsachen, die bereits vorher bestanden, aber trotz gebotener Sorgfalt nicht vorgebracht werden konnten) im Rekursverfahren. Das Ziel sei es, die Umstände zum Zeitpunkt des Rekursentscheids zu prüfen, um zu vermeiden, dass ein Arrest aufgrund überholter Tatsachen bewilligt oder aufgehoben wird (Verweis auf ATF 145 III 324 E. 6.6.4). * Gläubigerstellung durch Abtretung: Grundsätzlich muss der Arrestgläubiger die Gläubigerstellung aufweisen. Wenn eine Forderung durch Abtretung (Art. 164 OR) erworben wurde, kann der Zessionar (Abtretungsempfänger) im gleichen Umfang wie der Zedent (Abtretende) vorgehen (Verweis auf ATF 140 III 372 E. 3.3). * Kindesunterhaltsbeiträge nach Mündigkeit: Wenn ein Kind zum Zeitpunkt der Einleitung des Vollstreckungsverfahrens bereits mündig ist, ist der vormals sorgeberechtigte Elternteil nicht legitimiert, im eigenen Namen die Unterhaltsbeiträge (auch nicht die für die Minderjährigkeit fällig gewordenen) geltend zu machen (Verweis auf ATF 142 III 78 E. 3). Eine Abtretung der Forderung ist in solchen Fällen notwendig, um die Legitimation des Elternteils zu begründen (Verweis auf ATF 107 II 465 E. 6b). Die Legitimation muss zum Zeitpunkt des richterlichen Entscheids vorliegen. * Qualifikation der Abtretung als "wahrhaftes Novum": Das Bundesgericht erachtete es als nicht willkürlich, dass das Kantonsgericht die Abtretungserklärung als "wahrhaftes Novum" qualifizierte. Eine Abtretung ist ein Vertrag und hängt somit nicht allein vom Willen der Beschwerdegegnerin ab, sondern erforderte die Zustimmung ihrer mündigen Töchter. Es war nicht ersichtlich, dass die Beschwerdegegnerin (die im Übrigen nicht anwaltlich vertreten war) die Abtretung aus taktischen Gründen verzögert hätte. Das Kantonsgericht habe daher nicht gegen Art. 9 BV verstossen, indem es das Novum zuliess und gestützt darauf die Legitimation der Beschwerdegegnerin bejahte, zumal die Abtretung weder den Arrestgrund noch den Betrag der ursprünglichen Forderung geändert hatte.

2. Rüge der Verletzung des Rechts auf eine doppelte kantonale Instanz (Art. 4 BV)

Der Beschwerdeführer machte geltend, er sei durch die Zulassung der Abtretungserklärung als Novum im Rekursverfahren der Möglichkeit einer zweiten kantonalen Instanz bezüglich dieses entscheidenden neuen Sachverhalts beraubt worden. Das Kantonsgericht hätte den Fall an die erste Instanz zurückweisen müssen.

Das Bundesgericht wies auch diese Rüge ab. Es stellte fest, dass die spezielle Novenregelung in Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG, die eine Geltendmachung von neuen Tatsachen und Beweismitteln im Rekursverfahren ausdrücklich erlaubt, vom Gesetzgeber gewollt ist. Diese Regelung ermöglicht ausnahmsweise eine Korrektur des erstinstanzlichen Entscheids unter Berücksichtigung neuer Sachverhalte und stellt keine willkürliche Verletzung des Rechts auf eine doppelte kantonale Instanz dar (Verweis auf ATF 145 III 324 E. 6.6.2).

3. Willkürliche Anwendung von Art. 106 ZPO (Kostenverteilung)

Schliesslich rügte der Beschwerdeführer eine willkürliche Kostenverteilung für die erste Instanz. Er war der Ansicht, die Kosten hätten vollständig der Beschwerdegegnerin auferlegt werden müssen, da die Voraussetzungen für einen Arrest bezüglich der Töchterforderungen in erster Instanz nicht erfüllt waren.

Das Bundesgericht verwarf auch diesen Punkt als nicht willkürlich. Da die Sorgfaltspflicht für die Zulassung von echten Nova keine Rolle spielt, sei es nicht willkürlich, dass das Kantonsgericht die Produktion von Nova nicht als ausschlaggebend für die Verteilung der erstinstanzlichen Kosten betrachtete. Die Forderung an sich sei unbestritten gewesen; lediglich die Legitimation war Gegenstand des Streits.

Fazit

Das Bundesgericht wies die Beschwerde in Zivilsachen vollumfänglich ab. Die Gerichtsgebühren von 3'000 CHF wurden dem Beschwerdeführer auferlegt. Eine Parteientschädigung wurde nicht zugesprochen, da die Beschwerdegegnerin im Verfahren nicht anwaltlich vertreten war.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte

Das Bundesgericht bestätigt die Zulässigkeit von neuen Tatsachen und Beweismitteln (Nova), einschliesslich einer nachträglich im Rekursverfahren eingeholten Abtretungserklärung, im Arresteinspracheverfahren nach Art. 278 Abs. 3 SchKG. Eine solche Abtretung, die die Gläubigerstellung für rückständige Kindesunterhaltsbeiträge begründet, ist als "wahrhaftes Novum" zu qualifizieren und zur Heilung eines anfänglich fehlenden Nachweises der Legitimation zulässig. Die Kognition des Bundesgerichts ist auf Willkür beschränkt. Das Gericht verneinte eine Verletzung des Rechts auf eine doppelte kantonale Instanz und bestätigte die Kostenverteilung der Vorinstanz.