Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_736/2025 vom 13. Oktober 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 7B_736/2025 vom 13. Oktober 2025

1. Einleitung und Parteien

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichts, II. Strafrechtliche Abteilung, vom 13. Oktober 2025 (Verfahren 7B_736/2025) betrifft eine Beschwerde von A.__ (nachfolgend: Beschwerdeführer) gegen eine Entsiegelungsverfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Waadt (nachfolgend: ZMG). Das ZMG hatte die Entsiegelung von IT-Datenträgern angeordnet, die im Rahmen einer Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer wegen Verletzung von Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnissen (Art. 162 StGB) beschlagnahmt und versiegelt worden waren. Die Beschwerde wurde vom Bundesgericht als unzulässig erklärt.

2. Sachverhalt und Vorinstanzen

2.1. Ausgangslage und Strafuntersuchung: Das Ministère public de l'arrondissement de l'Est vaudois (nachfolgend: Staatsanwaltschaft) eröffnete eine Voruntersuchung gegen den Beschwerdeführer wegen des Vorwurfs, vor seiner Entlassung im Juni 2021 bei seinem ehemaligen Arbeitgeber, der Société B._, sensible, dem Geschäftsgeheimnis unterliegende Dokumente entwendet zu haben, die seine frühere Forschungs- und Entwicklungstätigkeit betrafen (insbesondere Studien zu einer Molekül). Ihm wird zur Last gelegt, diese Informationen ab November 2024 aus der Schweiz an Dritte, einschliesslich ausländischer Anwälte, weitergegeben zu haben, um sie zu veröffentlichen, obwohl er zur Geheimhaltung verpflichtet war. B._ erstattete am 24. Dezember 2024 Strafanzeige.

2.2. Hausdurchsuchung und Siegelung: Aufgrund eines Mandats der Staatsanwaltschaft vom 15. Mai 2025 wurde am 11. Juni 2025 eine Hausdurchsuchung am Wohnsitz des Beschwerdeführers durchgeführt. Dabei wurden diverse Gegenstände beschlagnahmt. Der Beschwerdeführer verlangte umgehend die Siegelung der gesamten beschlagnahmten Beweismittel. Er berief sich dabei auf das Anwaltsgeheimnis sowie das Arztgeheimnis, letzteres in seiner Funktion als Arzt, auch innerhalb der Schweizer Armee. Die Siegelung der vier Kartons mit den Gegenständen erfolgte am 13. Juni 2025 ohne vorherige Durchsicht durch die Waadtländer Polizei.

2.3. Vorselektion und Entsiegelungsbegehren: Am 17. Juni 2025 fand eine Vorselektionssitzung mit dem Beschwerdeführer statt. Er stimmte der Erstellung forensischer Kopien der IT-Datenträger zu, für die er die Siegelung aufrechterhielt. Die Siegelung wurde insbesondere für sieben elektronische Geräte (u.a. MacBook, USB-Sticks, Laptops, iPad, iPhone) sowie die forensischen Kopien beibehalten. Am 27. Juni 2025 beantragte die Staatsanwaltschaft beim Zwangsmassnahmengericht (ZMG) die Entsiegelung der versiegelten Datenträger. Der Beschwerdeführer beantragte am 11. Juli 2025 die Aufrechterhaltung der Siegelung, insbesondere unter Verweis auf medizinische, wissenschaftliche, militärische oder strategische Daten im Zusammenhang mit seiner Verteidigung sowie auf seinen "Whistleblower-Status". Er rügte zudem Verfahrensfehler bei der Hausdurchsuchung.

2.4. Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts: Mit Verfügung vom 23. Juli 2025 ordnete das ZMG die Entsiegelung des MacBook-Laptops, der Festplatte mit den Kopien der USB-Sticks und Laptops sowie die Extraktion des iPads und iPhones an. Dem Beschwerdeführer wurde eine Frist bis zum 4. August 2025 gesetzt, um seine Absicht zur Beschwerde an das Bundesgericht bzw. sein Gesuch um aufschiebende Wirkung mitzuteilen.

3. Begründung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde nicht ein und erklärte sie als unzulässig. Die wesentlichen Begründungspunkte konzentrieren sich auf die formellen und materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer strafrechtlichen Beschwerde, insbesondere im Kontext von Zwischenentscheiden über die Entsiegelung.

3.1. Formelle Zulässigkeitsvoraussetzungen:

  • Fristen und Eingaben (E. 1.3): Das Bundesgericht stellte fest, dass die Beschwerdefrist von 30 Tagen (Art. 100 Abs. 1 BGG), unter Berücksichtigung der Gerichtsferien bis zum 15. August 2025 (Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG), am 15. September 2025 ablief. Spätere Eingaben des Beschwerdeführers (ab 23. September 2025) wurden als verspätet und somit unzulässig erklärt (Art. 99 Abs. 1 BGG für neue Tatsachen und Beweismittel). Das Gericht wies zudem darauf hin, dass die vom ZMG gesetzte Frist bis zum 4. August 2025 lediglich dazu diente, dem ZMG die Absicht zur Beschwerde und zum Gesuch um aufschiebende Wirkung mitzuteilen, nicht aber zur Verkürzung der ordentlichen Beschwerdefrist.
  • Umfang des Streitgegenstandes (E. 1.4): Das Bundesgericht betonte, dass Gegenstand der Beschwerde vor Bundesgericht ausschliesslich die Entsiegelung der beschlagnahmten Gegenstände ist (Art. 107 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 155 E. 4.4.2). Demzufolge wurden alle vom Beschwerdeführer vorgebrachten Begehren und Argumente als unzulässig erachtet, die über diesen Streitgegenstand hinausgingen. Dazu gehören insbesondere:
    • Der beantragte Gerichtsstandswechsel.
    • Die Einstellung des Strafverfahrens oder die Erklärung der absoluten Nichtigkeit der Strafanzeige von B.__.
    • Die Fortführung eines Zivilverfahrens oder die Verfolgung von B.__.
    • Die Anwendung der EU-Richtlinie 2019/1397 betreffend den Schutz von Whistleblowern.
    • Rügen bezüglich angeblicher Ungleichbehandlung der Parteien (B.__ ist kein Verfahrensbeteiligter im Entsiegelungsverfahren).
    • Geltend gemachte Mängel im Vorverfahren der Staatsanwaltschaft oder die Anfechtung der rechtlichen Qualifikation der Tatsachen.
    • Argumente zur Erläuterung der Handlungen des Beschwerdeführers oder zur Stützung seiner Position in anderen Verfahren (Arbeitsstreitigkeiten, Betreibungen). Das Gericht stellte klar, dass der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht hatte, das ZMG habe sich zu diesen Fragen geäussert oder hätte dies tun müssen.

3.2. Materielle Zulässigkeit: Das Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) bei Zwischenentscheiden:

  • Grundsatz (E. 1.5.1): Entscheide über die Entsiegelung sind Zwischenentscheide. Eine Beschwerde gegen solche Entscheide ist gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (BGE 143 IV 462 E. 1). Dieser Nachteil ist grundsätzlich gegeben, wenn sich der Inhaber oder Berechtigte der versiegelten Elemente in ausreichend begründeter Weise auf die Verletzung eines geschützten Geheimnisses im Sinne von Art. 264 Abs. 1 StPO (in Verbindung mit Art. 248 Abs. 1 BGG) beruft.
  • Beweislast (E. 1.5.1): Es obliegt demjenigen, der die Siegelung verlangt hat, die Existenz des geltend gemachten Geheimnisses (z.B. Berufsgeheimnis) oder ein überwiegendes privates Interesse an der Geheimhaltung ausreichend darzulegen und zu beweisen (BGE 145 IV 273 E. 3.2 f.).
  • Akzessorische Rügen (E. 1.5.2): Akzessorische Rügen (z.B. betreffend genügenden Tatverdacht, Relevanz der Unterlagen oder Verhältnismässigkeit der Zwangsmassnahme gemäss Art. 197 Abs. 1 lit. b, c, d und Abs. 2 StPO) können nur geprüft werden, wenn die Beschwerde bezüglich der Hauptfrage (Entsiegelung) zulässig ist. Wenn kein geschütztes Geheimnis geltend gemacht wird, führen Mängel der Zwangsmassnahme allein nicht zu einem irreparablen rechtlichen Nachteil, da die Unverwertbarkeit der Beweismittel später vor dem Sachgericht gerügt werden kann (BGE 151 IV 30 E. 4.3; 151 IV 175 E. 3.3.2).
  • Anwendung auf den Fall des Beschwerdeführers (E. 1.5.3):
    • Fehlende Darlegung des Geheimnisses: Der Beschwerdeführer hat nicht klar dargelegt, welches konkrete Geheimnis er der Entsiegelung entgegenhalten würde.
    • Arzt- und Militärgeheimnis: Seine Eigenschaft als Arzt, auch Militärarzt, genügt allein nicht, um die Siegelung aufrechtzuerhalten, wenn er selbst der Beschuldigte ist (BGE 141 IV 77 E. 5.2; 138 IV 225 E. 6.2). Er hat keine Anhaltspunkte dafür geliefert, welche Daten konkret durch dieses Geheimnis geschützt wären oder auf welchen Datenträgern sie sich befinden. Vage Behauptungen über "medizinische Daten geschützt durch Art. 321 StGB" oder "vertrauliche Militärdokumente" reichen nicht aus, um die zu schützenden Daten zu identifizieren oder eine Selektion zu ermöglichen. Das Bundesgericht verweist auf die Möglichkeit, Schutzmassnahmen nach Art. 102 und 108 StPO zu beantragen.
    • Whistleblower-Status: Der geltend gemachte "Whistleblower-Status" stellt keinen Grund im Sinne von Art. 264 Abs. 1 StPO dar. Sollten die damit verbundenen Daten unter Art. 264 Abs. 1 lit. b StPO fallen (überwiegendes privates Interesse), so sind die erhöhten Begründungsanforderungen für die Zulässigkeit nicht erfüllt. Das Interesse der Strafverfolgung überwiegt hier, da die Untersuchung gerade die vom Beschwerdeführer in dieser Eigenschaft vorgenommenen Handlungen betrifft. Er kann seine Argumente als Rechtfertigungsgründe im Rahmen des Strafverfahrens vorbringen.
    • Schlussfolgerung: Da der Beschwerdeführer das Vorliegen eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils aufgrund der Verletzung eines geschützten Geheimnisses nicht glaubhaft dargelegt hat, ist die Beschwerde unzulässig (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Folglich werden auch die akzessorischen Rügen (z.B. "Fahndungsaktion" oder "fishing operation") nicht geprüft.

3.3. Verwertbarkeit illegal erlangter Beweismittel (Art. 141 Abs. 2 StPO) (E. 1.6):

Das Bundesgericht trat auch nicht auf die Rügen bezüglich einer möglichen Verletzung von Art. 141 Abs. 2 StPO ein, da die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Beweismittel nicht von vornherein ersichtlich sei. Dies sei vielmehr eine Frage, die der Sachrichter zu beurteilen habe (BGE 143 IV 387 E. 4.4). Der Beschwerdeführer hatte der Vorselektion und der Erstellung forensischer Kopien zugestimmt, und ein späterer Sinneswandel kann die aufgrund dieser Zustimmung durchgeführten Untersuchungshandlungen nicht rückwirkend in Frage stellen.

3.4. Weitere unzulässige Rügen (E. 1.7 und 1.8):

  • Rechtsverweigerung durch die Chambre patrimoniale (E. 1.7): Die Rüge des Beschwerdeführers wegen Rechtsverweigerung durch die Waadtländer "Chambre patrimoniale" wurde als unzulässig erachtet. Das Bundesgericht ist nicht zuständig für die Behandlung solcher Rügen, da es sich bei der "Chambre patrimoniale" um ein zivilrechtliches erstinstanzliches Gericht handelt und nicht um eine kantonale Behörde, deren Entscheid direkt beim Bundesgericht angefochten werden könnte (Art. 80 oder 75 BGG). Solche Rügen müssten zuerst bei einer kantonalen Aufsichtsbehörde vorgebracht werden (Art. 319 lit. c ZPO).
  • Nichtigkeit der Opposition von B.__ (E. 1.8): Auch auf die Rüge der Nichtigkeit einer von B.__ in einem Betreibungsverfahren erhobenen Opposition wurde nicht eingegangen. Ein solcher Punkt setzt eine zulässige Hauptbeschwerde voraus, was hier nicht der Fall war. Zudem wurden keine nachvollziehbaren Erklärungen für eine Nichtigkeit oder die Unmöglichkeit der Anfechtung im Betreibungsverfahren vorgelegt, sodass kein "aussergewöhnlich schwerwiegender Fall" vorlag, der eine Prüfung trotz Unzulässigkeit rechtfertigen würde.

4. Fazit und Kosten

Das Bundesgericht erklärte die Beschwerde insgesamt für unzulässig (irrecevable). Die Gerichtskosten von 4'000 Franken wurden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es wurden keine Parteientschädigungen zugesprochen (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat die Beschwerde gegen die Entsiegelungsverfügung des Waadtländer Zwangsmassnahmengerichts als unzulässig erklärt. Die zentralen Punkte der Begründung sind:

  1. Enge Auslegung des Streitgegenstandes: Das Bundesgericht prüft bei einer Beschwerde gegen eine Entsiegelung ausschliesslich die Frage der Entsiegelung selbst. Alle darüber hinausgehenden Rügen (z.B. zur Einstellung des Strafverfahrens, zum Gerichtsstand, zur Rechtmässigkeit der Strafanzeige oder zu zivilrechtlichen Angelegenheiten) wurden als unzulässig ("exorbitant à l'objet du litige") abgewiesen.
  2. Fehlender nicht wieder gutzumachender Nachteil (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG): Als Zwischenentscheid erfordert die Entsiegelungsverfügung einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, der nur bei glaubhafter Darlegung eines geschützten Geheimnisses (Art. 264 Abs. 1 StPO) angenommen wird.
  3. Unzureichende Begründung des Geheimnisses: Der Beschwerdeführer konnte trotz seiner Eigenschaft als Arzt und Militärarzt nicht ausreichend darlegen, welche konkreten Daten auf den versiegelten Trägern durch ein solches Geheimnis geschützt wären oder wie eine Selektion erfolgen könnte. Die blosse Behauptung reicht nicht aus; seine Eigenschaft als Beschuldigter relativiert den Schutz von Berufsgeheimnissen.
  4. "Whistleblower-Status" kein geschütztes Geheimnis: Der geltend gemachte "Whistleblower-Status" stellt kein Geheimnis im Sinne von Art. 264 Abs. 1 StPO dar, und die erhöhten Begründungsanforderungen für ein überwiegendes privates Interesse wurden nicht erfüllt. Begründungsgründe hierfür sind im Hauptverfahren vorzubringen.
  5. Verwertbarkeitsfragen sind Sache des Sachrichters: Rügen zur (fehlenden) Verwertbarkeit von Beweismitteln oder zur Verhältnismässigkeit der Zwangsmassnahme werden vom Bundesgericht im Rahmen eines Entsiegelungsverfahrens nicht geprüft, wenn kein geschütztes Geheimnis glaubhaft gemacht wurde. Sie sind dem Sachrichter vorbehalten.
  6. Gerichtsferien verlängern Frist: Die Beschwerdefrist von 30 Tagen gegen die Entsiegelung unterliegt den Gerichtsferien, wodurch sich die Frist verlängerte. Später eingereichte Eingaben sind unzulässig.