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Das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (III. Öffentlich-rechtliche Abteilung) befasst sich mit einem Fall aus dem Bereich der Invalidenversicherung (IV). Gegenstand des Rechtsstreits ist der Anspruch des Beschwerdeführers A.__ auf eine Invalidenrente über den 30. April 2019 hinaus. Der Beschwerdeführer ficht einen Entscheid des Kantonsgerichts des Kantons Waadt (Cour des assurances sociales) vom 9. Dezember 2024 an, welches den ursprünglichen Verwaltungsentscheid der Invalidenversicherung (IV-Stelle des Kantons Waadt) vom 17. April 2020 bestätigt hatte. Der Verwaltungsentscheid hatte dem Beschwerdeführer eine ganze Invalidenrente lediglich für den Zeitraum vom 1. November 2018 bis zum 30. April 2019 zugesprochen. Die zentrale Rechtsfrage, die das Bundesgericht zu beurteilen hatte, war, ob die Vorinstanz zu Recht annahm, dass der Beschwerdeführer per 31. Januar 2019 seine volle Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit wiedererlangt hatte.
2. SachverhaltDer 1973 geborene Beschwerdeführer A.__ erlitt im Juli 2017 einen Unfall (Sturz mit Stoss auf den linken Fuss und Luxation des vierten Metatarsophalangealgelenks). Im Mai 2018 stellte er einen Antrag auf IV-Leistungen. Im Juli 2018 ereignete sich ein weiterer Sturz, der zu einer Kontusion beider Füsse im Bereich des Fersenbeins ohne Fraktur oder strukturelle Läsionen führte. Nach Einholung von Akten, u.a. des Unfallversicherers, und der Gewährung einer Integrationshilfe im Mai 2019, sprach die IV-Stelle dem Beschwerdeführer mittels Verfügung vom 17. April 2020 eine ganze Invalidenrente für den Zeitraum vom 1. November 2018 bis zum 30. April 2019 zu.
Im Juni 2020 meldete der Beschwerdeführer eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bei der IV-Stelle, unter anderem im Zusammenhang mit moderaten Diskushernien (L4-L5 und L5-S1) sowie einem kongestiven Aspekt der Facettengelenke von L3 bis S1. Im Juli 2020 stellte er einen neuen Leistungsantrag.
Gegen die Verfügung der IV-Stelle vom 17. April 2020 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde beim Kantonsgericht des Kantons Waadt und reichte diverse medizinische Berichte und Unterlagen ein. Das Kantonsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 9. Dezember 2024 ab.
3. Rechtsbegehren des Beschwerdeführers und Vorgehen der ParteienDer Beschwerdeführer beantragte vor Bundesgericht hauptsächlich die Reform des vorinstanzlichen Urteils, dahingehend, dass sein Anspruch auf eine ganze Invalidenrente über den 30. April 2019 hinaus beibehalten werde. Eventualiter verlangte er die Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Verwaltungsentscheidung vom 17. April 2020 sowie die Rückweisung der Sache an die kantonale Gerichtsinstanz zur Durchführung eines gerichtlichen medizinischen Gutachtens, subsidisär an die IV-Stelle zur Ergänzung des Sachverhalts durch ein multidisziplinäres medizinisches Gutachten und zur Neubeurteilung.
Die IV-Stelle beantragte die Abweisung der Beschwerde unter Verweis auf das angefochtene Urteil. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtete auf eine Stellungnahme.
4. Rechtliche Grundlagen und Erwägungen des Bundesgerichts 4.1 Grundsätze der bundesgerichtlichen ÜberprüfungDas Bundesgericht prüft im Rahmen einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten Rechtsverletzungen (Art. 95 f. BGG) und wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, wie ihn die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser wurde offensichtlich unrichtig oder unter Verletzung von Art. 95 BGG festgestellt (Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine willkürliche Beweiswürdigung liegt vor, wenn diese offensichtlich unhaltbar ist, in Widerspruch zu den Akten steht oder relevante Elemente ohne ernsthaften Grund unberücksichtigt lässt.
4.2 Massgebendes Recht und intertemporales RechtDie Änderungen der IVG, der IVV und des ATSG, die am 1. Januar 2022 in Kraft traten (sog. «Weiterentwicklung der IV»), finden im vorliegenden Fall keine Anwendung. Gemäss dem Prinzip des intertemporalen Rechts ist das Recht massgebend, das zum Zeitpunkt des Eintritts der rechtlich relevanten Tatsachen in Kraft war. Da die Verwaltungsentscheidung am 17. April 2020 erging, sind die bis zum 31. Dezember 2021 geltenden gesetzlichen Bestimmungen anwendbar (vgl. ATF 150 V 323 E. 4.2; 144 V 210 E. 4.3.1).
4.3 Inhalt und Begründung des kantonalen UrteilsDie Vorinstanz hatte festgestellt, dass der Beschwerdeführer unbestrittenermassen vom 1. November 2018 bis zum 30. April 2019 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente hatte. Sie kam jedoch zum Schluss, dass die IV-Stelle zu Recht angenommen hatte, dass der Beschwerdeführer ab dem 31. Januar 2019, obwohl in seiner angestammten Tätigkeit weiterhin arbeitsunfähig, in einer seinen funktionellen Einschränkungen angepassten Tätigkeit wieder voll arbeitsfähig sei. Die Vorinstanz bestätigte den von der IV-Stelle festgestellten Invaliditätsgrad von 13.15 % (gerundet 13 %), der für einen Rentenanspruch nicht ausreichte.
4.4 Rügen des BeschwerdeführersDer Beschwerdeführer rügte eine Verletzung von Bundesrecht (Art. 6, 7, 8 und 61 lit. c ATSG, Art. 4, 28 und 29 IVG) sowie eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung. Er warf der Vorinstanz im Wesentlichen vor, die Beweismittel willkürlich gewürdigt zu haben, indem sie sich auf die Schlussfolgerungen der Kreismedizinerin B.__ der Suva (CNA) gestützt habe, um eine vollständige Arbeitsfähigkeit ab dem 31. Januar 2019 anzunehmen. Die von ihm im Verlauf des Verfahrens eingereichten zahlreichen medizinischen Unterlagen, die seine vollständige Arbeitsunfähigkeit belegten, hätten die Einholung eines multidisziplinären gerichtlichen Gutachtens erfordert. Insbesondere beanstandete er, dass seine Schmerzen im rechten Fuss, die durch den Sturz im Juli 2018 verursacht wurden, nicht berücksichtigt wurden und dass nicht abgeklärt wurde, ob psychische Gesundheitsschäden vorlagen.
4.5 Erwägungen des Bundesgerichts zur Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung 4.5.1 Massgeblicher Sachverhaltszeitpunkt und nachträgliche BeweismittelDas Bundesgericht erinnert an die konstante Rechtsprechung, wonach der Sozialversicherungsrichter die Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheide nach dem Sachverhalt beurteilt, der im Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Entscheids bestand (ATF 144 V 210 E. 4.3.1). Nachträglich eingetretene und die Situation verändernde Tatsachen müssen grundsätzlich Gegenstand einer neuen administrativen Verfügung sein. Ein nachträglich erstellter medizinischer Bericht ist jedoch zu berücksichtigen, wenn er sich auf die Situation vor dem massgebenden Zeitpunkt bezieht und geeignet ist, die damalige Beurteilung zu beeinflussen (ATF 118 V 200 E. 3a; 8C_655/2021 vom 27. Juni 2022 E. 6.3.1).
4.5.2 Fehlerhafte Beweiswürdigung der VorinstanzDas Bundesgericht stellt fest, dass die Vorinstanz "irrtümlich und willkürlich" angenommen hat, dass nur zwei der vom Beschwerdeführer im kantonalen Beschwerdeverfahren eingereichten Berichte (der Ärzte C._ und D._ vom 28. April und 9. Dezember 2020) seinen Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung betrafen und daher bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden konnten.
Insbesondere sei die Vorinstanz zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Bericht von Dr. E._ (Facharzt für Allgemeine Innere Medizin) vom 8. September 2020 sich lediglich auf den damaligen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers bezog und eine jüngste Verschlechterung feststellte. Bei genauer Lektüre dieses Berichts, der eine chronologische Untersuchung medizinischer Unterlagen von Dezember 2017 bis August 2020 umfasst, stellt das Bundesgericht fest, dass Dr. E._, der den Beschwerdeführer seit März 2010 betreut, sich zum Gesundheitszustand seines Patienten seit dem Unfall im Juli 2017 geäussert hatte. Der behandelnde Arzt berichtete über Symptome einer Algoneurodystrophie, die kurz nach dem Trauma auftraten, und betonte die wichtige Rolle des zweiten Traumas durch den Sturz im Sommer 2018. Da die Feststellungen von Dr. E._, zumindest teilweise, den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers vor dem administrativen Entscheid vom 17. April 2020 betreffen, durfte die Vorinstanz sie bei ihrer Beweiswürdigung nicht ausser Acht lassen. Dasselbe gilt für mehrere andere vom Beschwerdeführer im kantonalen Beschwerdeverfahren eingereichte medizinische Berichte (z.B. der Bericht von Dr. F._ vom 18. Dezember 2021, der einen "über 4 Jahre dauernden Verlauf" erwähnt).
4.5.3 Konsequenzen für die weitere SachverhaltsabklärungAufgrund dieser fehlerhaften Würdigung durch die Vorinstanz muss die Sache an diese zurückgewiesen werden. Das Kantonsgericht hat den Fall neu zu prüfen, basierend auf allen vom Beschwerdeführer eingereichten Unterlagen, die sich auf seine Situation vor dem administrativen Entscheid vom 17. April 2020 beziehen. Es muss insbesondere auch die Auswirkungen der Verletzung des rechten Fusses des Beschwerdeführers prüfen, da Dr. E.__ in seinem Bericht vom 8. September 2020 angegeben hatte, dass diese Verletzung durch den Sturz im Juli 2018 verursacht wurde.
In diesem Kontext erinnert das Bundesgericht an die gefestigte Rechtsprechung: Stützt sich ein administrativer Entscheid ausschliesslich auf die Einschätzung eines internen Arztes des Sozialversicherers und lassen eine motivierte Stellungnahme eines behandelnden Arztes oder eines privaten Experten, der ebenfalls Beweiswert beigemessen werden kann, Zweifel an der Zuverlässigkeit und Relevanz dieser Einschätzung aufkommen, kann der Fall nicht entschieden werden, indem man sich auf die eine oder andere Stellungnahme stützt. Vielmehr ist in einem solchen Fall ein Gutachten durch einen unabhängigen Arzt nach dem Verfahren von Art. 44 ATSG oder ein gerichtliches Gutachten einzuholen (ATF 145 V 97 E. 8.5; 142 V 58 E. 5.1; 135 V 465 E. 4.5 und 4.6). Die subsidiären Anträge des Beschwerdeführers auf Rückweisung der Sache erweisen sich somit als begründet.
5. Schlussfolgerung des BundesgerichtsDas Bundesgericht hiess die Beschwerde teilweise gut, hob das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Waadt vom 9. Dezember 2024 auf und wies die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
6. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte