Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_230/2025 vom 27. Oktober 2025

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Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 1C_230/2025 vom 27. Oktober 2025

1. Parteien und Gegenstand Die Beschwerdeführerin, A._ SA, Eigentümerin der Liegenschaft "Domaine de Malessert", reichte eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen ein Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Waadt ein. Gegenstand des Verfahrens ist die Einsichtnahme in ein Dossier der Baupolizei, insbesondere das Recht zur Vervielfältigung von Plänen und Dokumenten im Zusammenhang mit einer bereits realisierten Weinbauhalle (Chais). Die Intimierten, B._ und C.__, hatten die Einsichtnahme und die Möglichkeit zur Kopienanfertigung beantragt.

2. Sachverhalt Am 28. Juni 2022 beantragten B._ und C._ bei der Gemeinde Perroy die Einsicht in mehrere Baudossiers, darunter das der A._ SA. Die Gemeinde forderte die Zustimmung der A._ SA ein und bezifferte die Kosten. A.__ SA stimmte am 19. Oktober 2022 der Einsichtnahme zu, verweigerte jedoch ausdrücklich das Kopieren der Baubewilligungsgesuchsunterlagen und Pläne unter Berufung auf ihre Immaterialgüterrechte (Urheberrechte).

Mit Entscheid vom 9. April 2024 erteilte die Gemeinde den Intimierten Zugang zu den Plänen und dem Baubewilligungsgesuch, untersagte ihnen jedoch unter Androhung von Art. 292 StGB (Ungehorsam gegen behördliche Verfügungen) ausdrücklich, Kopien oder Fotografien der Dokumente anzufertigen. Ferner legte sie feste Konsultationstermine fest und verlangte einen Kostenvorschuss.

Die Intimierten fochten diesen Gemeindeentscheid erfolgreich vor dem Kantonsgericht des Kantons Waadt an. Das Kantonsgericht hob mit Urteil vom 21. März 2025 die Bestimmungen des Gemeindeentscheids auf, die die Kopienanfertigung untersagten, die Termine festlegten und den Kostenvorschuss betrafen. Gegen dieses kantonale Urteil erhob A.__ SA Beschwerde beim Bundesgericht, um das Kopierverbot wiederherzustellen.

3. Rechtliche Würdigung und Begründung des Bundesgerichts

3.1. Anwendbares Recht: Priorität des Urheberrechtsgesetzes (LDA) Das Bundesgericht prüft zunächst die Anwendbarkeit der Rechtsnormen. Art. 15 des Waadtländer Gesetzes über die Information vom 24. September 2002 (LInfo) enthält einen Vorbehalt zugunsten anderer Gesetze, die die Informationsübermittlung oder den Zugang zu Dokumenten einschränken oder ausschliessen, einschliesslich der Bestimmungen zum Schutz des Urheberrechts. Das Bundesgericht bestätigt, dass das Urheberrechtsgesetz (LDA; SR 231.1) hier als lex specialis vorrangig ist. Obwohl die LInfo jünger als das LDA ist, verweist sie explizit auf den Schutz des Urheberrechts, was die Anwendung des LDA als Spezialgesetz rechtfertigt (vgl. Erw. 2.1).

3.2. Grundlagen des Urheberrechts und der Offenbarung * Werkbegriff: Das LDA schützt literarische und künstlerische Werke (Art. 1 Abs. 1 lit. a LDA). Als Werk gilt jede geistige Schöpfung mit individuellem Charakter (Art. 2 Abs. 1 LDA). Dazu gehören wissenschaftliche oder technische Werke wie Zeichnungen, Pläne, Karten und insbesondere auch architektonische Werke (Art. 2 Abs. 2 lit. d und e LDA). Pläne und Modelle, die Ausdruck eines geschützten architektonischen Werks sind, geniessen Urheberrechtsschutz, unabhängig davon, ob das Bauwerk realisiert wurde (vgl. BGE 125 III 328 E. 4b). * Urheber: Urheber ist gemäss Art. 6 LDA die natürliche Person, die das Werk geschaffen hat. Eine juristische Person kann zwar Urheberrechte erwerben (Art. 16 LDA), dies wurde aber von der Beschwerdeführerin (einer Aktiengesellschaft) nicht geltend gemacht. Die Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin war daher zweifelhaft, wurde aber im Ergebnis offen gelassen (vgl. Erw. 1 und 2.4.1). * Ausschliessliches Recht des Urhebers: Dem Urheber steht gemäss Art. 10 Abs. 1 LDA das ausschliessliche Recht zu, über die Nutzung seines Werkes zu bestimmen. * Privatgebrauch: Dieses ausschliessliche Recht wird durch die Schranke des Privatgebrauchs eingeschränkt: Gemäss Art. 19 Abs. 1 LDA ist der Privatgebrauch eines offenbarten Werkes gestattet. Als Privatgebrauch gilt insbesondere jede Verwendung für persönliche Zwecke oder im Kreis eng verbundener Personen (Art. 19 Abs. 1 lit. a LDA). * Offenbarung: Ein Werk ist gemäss Art. 9 Abs. 3 LDA offenbart, wenn es erstmals vom Urheber oder mit dessen Zustimmung einer grossen Zahl von Personen zugänglich gemacht wird, die nicht einen eng verbundenen Personenkreis im Sinne von Art. 19 Abs. 1 lit. a LDA bilden.

3.3. Die Offenbarung durch öffentliche Auflage Das Bundesgericht bejaht die Offenbarung der Pläne und Dokumente durch die öffentliche Auflage im Baubewilligungsverfahren. * Zugang für eine grosse Zahl von Personen: Durch die öffentliche Auflage werden die Dokumente dem Zugriff einer unbestimmten Anzahl von Personen entzogen, über die der Urheber keine direkte Kontrolle mehr hat. Der Einwand der Beschwerdeführerin, die Einsichtnehmenden bildeten einen "eng verbundenen Personenkreis" aufgrund geografischer Nähe und Interessen, wird verworfen. Die Zugänglichkeit im Rahmen einer öffentlichen Auflage ist nicht auf Personen mit Rekursrecht beschränkt, sondern steht "allen Interessierten" offen (Art. 109 LATC [Waadtländer Planungs- und Baugesetz], Art. 72 Abs. 2 RLATC [Ausführungsreglement zur LATC]), was eine grosse Zahl von Personen darstellt. Es ist dabei unerheblich, ob die Öffentlichkeit tatsächlich Kenntnis vom Werk nimmt (vgl. Erw. 2.4.1). * Freiwillige Offenbarung: Auch wenn die Einreichung von Plänen für ein Baugesuch obligatorisch ist, sei es doch die freie Entscheidung der Beschwerdeführerin gewesen, ein Bauprojekt überhaupt zu initiieren und die Pläne einzureichen. Damit habe sie der öffentlichen Auflage und somit der Offenbarung zugestimmt (Art. 9 Abs. 3 LDA). * Definitivität der Offenbarung: Die Offenbarung ist als "erstes Verlassen der Privatsphäre des Urhebers" definitiv. Die Befristung der öffentlichen Auflage auf 30 Tage ist für die Frage der Offenbarung irrelevant (vgl. Erw. 2.4.2).

3.4. Zulässigkeit des Privatgebrauchs und der Kopien Da die Pläne und Dokumente als offenbart gelten, ist deren Privatgebrauch gemäss Art. 19 Abs. 1 LDA zulässig. Dies schliesst die Vervielfältigung der Werke für persönliche Zwecke oder im engen Familien- und Freundeskreis ein, auch ohne Zustimmung der Rechtsinhaber. Das Bundesgericht verweist auch auf Art. 6 des Bundesgesetzes über die Transparenz (LTrans), wo der Urheberrechtsschutz keine Einschränkung der Übergabe von Kopien bewirkt (vgl. Erw. 2.5).

3.5. Keine entgegenstehenden überwiegenden Interessen Die Beschwerdeführerin berief sich auf Art. 16 LInfo, der unter bestimmten Umständen die Verweigerung der Herausgabe von Informationen bei überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen erlaubt. Das Bundesgericht weist diesen Einwand zurück, da die Frage der Einsichtnahme und des Kopierrechts aufgrund der Vorrangigkeit des LDA (als lex specialis) nicht unter die LInfo fällt. Der Bundesgesetzgeber hat die Interessenabwägung zwischen Urheber und Öffentlichkeit bereits bei der Schaffung der Schrankenbestimmung für den Privatgebrauch (Art. 19 Abs. 1 lit. a LDA) vorgenommen (vgl. Erw. 2.6).

3.6. Ergebnis und Warnhinweis Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass die Vorinstanz zu Recht den Intimierten nicht nur das Recht zur Einsichtnahme, sondern auch die Möglichkeit zur Anfertigung von Kopien eingeräumt hat. Die Befürchtungen der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer missbräuchlichen Verwendung der Kopien sind zum jetzigen Zeitpunkt hypothetisch und irrelevant. Eine allfällige unrechtmässige Nutzung der Kopien für andere als private Zwecke würde zivil- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (Art. 61 ff. LDA, Art. 41 und 49 OR, Art. 67 ff. LDA).

4. Entscheid Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin auferlegt. Den Intimierten werden keine Parteientschädigungen zugesprochen, da sie nicht geantwortet und sich ohne Anwalt vertreten liessen. Die Anträge der Intimierten auf Akteneinsicht und Ausschluss des Anwalts der Beschwerdeführerin werden als gegenstandslos erklärt.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat entschieden, dass die öffentliche Auflage von Bauplänen im Rahmen eines Baubewilligungsverfahrens eine "Offenbarung" des Werkes im Sinne des Urheberrechtsgesetzes (LDA) darstellt. Dies führt dazu, dass die Pläne für den "Privatgebrauch" frei sind, was gemäss Art. 19 Abs. 1 LDA auch das Recht zur Anfertigung von Kopien für persönliche Zwecke oder im Kreis eng verbundener Personen einschliesst, und zwar ohne Zustimmung des Urhebers. Das Gericht hielt fest, dass das kantonale Informationsgesetz das Urheberrechtsgesetz als lex specialis respektiert und dass der Bundesgesetzgeber die Interessenabwägung zwischen Urheber und Öffentlichkeit bereits bei der Schaffung der Schrankenbestimmung des Privatgebrauchs vorgenommen hat. Bedenken hinsichtlich eines potenziellen missbräuchlichen Gebrauchs von Kopien sind hypothetisch und müssen im Falle einer tatsächlichen Urheberrechtsverletzung auf anderen Rechtswegen verfolgt werden.