Zusammenfassung von BGer-Urteil 8C_92/2025 vom 29. Oktober 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 8C_92/2025 vom 29. Oktober 2025

1. Einleitung und Sachverhalt

Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu entscheiden, die sich gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. Dezember 2024 richtete. Streitgegenstand war der Anspruch der Beschwerdeführerin, A.__ (geboren 1980), auf Leistungen der Invalidenversicherung, namentlich eine Invalidenrente, gestützt auf geltend gemachte Arbeitsunfähigkeit.

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige U.__, reiste 1997 in die Schweiz ein und war zuletzt in der Produktion tätig. Im Mai 2013 kündigte sie ihr Arbeitsverhältnis fristlos und meldete sich im November 2013 wegen Rückenbeschwerden bei der Invalidenversicherung an. Im Rahmen der Abklärungen wurden unter anderem ein polydisziplinäres Gutachten der ZVMB GmbH (2015) und ein weiteres der Videmus AG (2022) eingeholt. Die IV-Stelle des Kantons Zürich verneinte mit Verfügung vom 31. Oktober 2023 einen Rentenanspruch, da sie gestützt auf das Videmus-Gutachten einen Invaliditätsgrad von 33% ermittelte, was unterhalb des rentenbegründenden Schwellenwerts von 40% liegt. Das kantonale Sozialversicherungsgericht bestätigte diese Verneinung.

2. Rechtliche Grundlagen und Überprüfungsrahmen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht prüft Rechtsverletzungen frei (Art. 95 f., 106 Abs. 1 BGG). Sachverhaltsfeststellungen, die auf medizinischen Gutachten beruhen, sowie die konkrete Beweiswürdigung sind grundsätzlich Sachverhaltsfragen und können nur auf offensichtliche Unrichtigkeit (Willkür) hin überprüft werden (Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 2 BGG). Die Frage, ob und in welchem Umfang ärztliche Feststellungen auf Arbeitsunfähigkeit schliessen lassen, ist hingegen eine frei überprüfbare Rechtsfrage (BGE 141 V 281 E. 7). Dem Sachgericht steht bei der Beweiswürdigung ein erheblicher Ermessensspielraum zu.

Die Vorinstanz hatte die massgebenden Rechtsgrundlagen zur Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), Invalidität (Art. 8 ATSG), den Rentenanspruch (Art. 28 IVG a.F., Art. 28b IVG n.F.), die Invaliditätsbemessung nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG), den Untersuchungsgrundsatz (Art. 43, 61 lit. c ATSG), den Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit sowie die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit bei psychischen Erkrankungen (BGE 141 V 281, 145 V 215, 148 V 49) und den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351, 137 V 210, 134 V 231) korrekt dargelegt.

3. Analyse der Streitpunkte und Begründung des Bundesgerichts

Die Beschwerdeführerin rügte primär eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und des Willkürverbots durch die Vorinstanz. Sie machte geltend, das kantonale Gericht habe wegen Aggravation/Simulation zu Unrecht auf Beweislosigkeit geschlossen und weitere Abklärungen zur Bereinigung der Auswirkungen der Aggravation veranlassen müssen. Zudem sei zu Unrecht kein leidensbedingter Tabellenlohnabzug vorgenommen worden.

3.1. Beweiswert des Videmus-Gutachtens und Untersuchungsgrundsatz

Das Bundesgericht bestätigte, dass Gerichte den von externen Spezialärzten erstellten Gutachten, die den praxisgemässen Anforderungen entsprechen, vollen Beweiswert zukommen lassen dürfen, solange keine konkreten Indizien gegen deren Zuverlässigkeit sprechen (BGE 137 V 210 E. 1.3.4). Ein Gutachten muss dabei auf Kenntnis der Akten basieren, eigene Erhebungen auswerten und eine umfassende, fachmedizinische Einschätzung abgeben.

  • Neurochirurgische Einschränkungen (E. 6.1): Die Vorinstanz stellte gestützt auf das Videmus-Gutachten eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit aus neurochirurgischer Sicht in einer optimal leidensangepassten Tätigkeit von 30% fest. Das Bundesgericht wies die Rüge der Beschwerdeführerin, diese Feststellung sei willkürlich, mangels substanziierter Begründung zurück. Es hielt fest, dass die vorinstanzliche Auseinandersetzung mit dem Einwand der Widersprüchlichkeit des neurochirurgischen Teilgutachtens rechtsgenüglich erfolgt sei und dessen Aussagen schlüssig und widerspruchsfrei seien und zudem im Wesentlichen mit dem früheren ZVMB-Gutachten übereinstimmten.

  • Psychische Einschränkungen und Aggravation/Simulation (E. 6.2): Die Beschwerdeführerin monierte, die Vorinstanz habe zu Unrecht auf Beweislosigkeit hinsichtlich einer psychisch bedingten, invalidisierenden Leistungseinschränkung geschlossen. Das Bundesgericht erläuterte die rechtlichen Grundsätze zu Aggravation und Simulation (BGE 141 V 281 E. 2.2.1). Eine Leistungseinschränkung, die ausschliesslich auf Aggravation oder ähnlichen Erscheinungen beruht, stellt keine versicherte Gesundheitsschädigung dar. Treten solche Anzeichen neben einer ausgewiesenen, verselbstständigten Gesundheitsschädigung auf, sind ihre Auswirkungen im Umfang der Aggravation zu bereinigen (BGE 141 V 281 E. 2.2.2). Die Frage, ob Aggravation vorliegt, ist eine frei überprüfbare Rechtsfrage.

    Im konkreten Fall stellte das Bundesgericht fest, dass im Rahmen der neuropsychologischen Exploration des Videmus-Gutachtens eine Aggravation oder gar Simulation der neurokognitiven Beschwerden mit "hoher Wahrscheinlichkeit" festgestellt wurde. Dies führte dazu, dass der psychiatrische Videmus-Gutachter den Angaben der Beschwerdeführerin anlässlich der psychiatrischen Begutachtung keinen Glauben schenkte und auf bereits zuvor erhobene Inkonsistenzen im ZVMB-Gutachten verwies. Das Gericht betonte die Bedeutung der interdisziplinären Konsensbeurteilung (BGE 143 V 124, 137 V 210), welche die differenzialdiagnostische Relativierung der psychiatrischen Befunde nach Kenntnisnahme der neuropsychologischen Ergebnisse berücksichtigt hatte. Die versicherungsmedizinische Beurteilung des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) der IV-Stelle stützte ebenfalls die Schlussfolgerungen des Videmus-Gutachtens. Das Bundesgericht befand, dass die Vorinstanz nicht bundesrechtswidrig handelte, indem sie gestützt auf die festgestellte Aggravation/Simulation und die negativen Antwortverzerrungen anlässlich der Symptomvalidierungsverfahren auf Beweislosigkeit hinsichtlich einer über die somatischen Einschränkungen hinausgehenden psychisch bedingten Beeinträchtigung schloss. Die Beschwerdeführerin vermochte keine abweichenden, fachärztlich begründeten Einschätzungen entgegenzuhalten.

  • Antizipierte Beweiswürdigung (E. 6.3): Da das Videmus-Gutachten den beweisrechtlichen Anforderungen genügte und die vorinstanzliche Beweiswürdigung nicht offensichtlich unrichtig war, bestätigte das Bundesgericht den Verzicht auf weitere Abklärungen als zulässige antizipierte Beweiswürdigung (BGE 144 V 361, 136 I 229). Eine Willkürverletzung wurde verneint.

3.2. Invaliditätsbemessung und Tabellenlohnabzug

Die Beschwerdeführerin machte geltend, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie beim Einkommensvergleich keinen leidensbedingten Tabellenlohnabzug von mindestens 15% vorgenommen habe.

Das beweiskräftige Videmus-Gutachten attestierte der Beschwerdeführerin eine Restarbeitsfähigkeit von 70% in einer optimal leidensangepassten leichten Tätigkeit. Diese Tätigkeit sollte ohne ständiges Sitzen oder Stehen, mit wenig körperlicher Belastung (insbesondere kein Heben/Tragen von über 6-8 kg) und idealerweise mit der Möglichkeit des Abliegens oder freier Zeiteinteilung (z.B. Heimtätigkeit) auskommen.

Das Bundesgericht wies die Rüge des nicht vorgenommenen Tabellenlohnabzugs zurück. Die Vorinstanz ging bundesrechtskonform davon aus, dass der ausgeglichene Arbeitsmarkt auch für Behinderte mit sozialem Entgegenkommen seitens der Arbeitgeber Nischenarbeitsplätze (BGE 148 V 174 E. 9.1) umfasse, die ein solches Belastungsprofil berücksichtigen. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente wie die beispielhaft erwähnte Heimarbeit, die langjährige Abwesenheit vom Arbeitsmarkt oder mangelhafte Sprachkenntnisse rechtfertigen keinen Tabellenlohnabzug, insbesondere wenn – wie hier – als Invalidentätigkeiten nur Hilfstätigkeiten des untersten Kompetenzniveaus in Frage kommen (Querverweise auf BGE 9C_223/2020 E. 4.3.5 und 8C_549/2019 E. 7.7).

4. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Zusammenfassend bestätigte das Bundesgericht, dass das kantonale Gericht bundesrechtskonform gehandelt hatte, indem es das Videmus-Gutachten als beweiswertig erachtete, die Annahme von Aggravation/Simulation begründete und folglich eine psychische Leistungseinschränkung über die somatischen Befunde hinaus verneinte. Ebenso wurde die Nichtberücksichtigung eines leidensbedingten Tabellenlohnabzugs bestätigt. Da der Invaliditätsgrad von 33% den für einen Rentenanspruch erforderlichen Schwellenwert von 40% nicht erreichte, wurde die Beschwerde abgewiesen.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat die Beschwerde der A.__ abgewiesen und den Anspruch auf eine Invalidenrente verneint. Es bestätigte die vorinstanzliche Beweiswürdigung, welche sich primär auf das polydisziplinäre Videmus-Gutachten stützte. Entscheidend war die Feststellung einer mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegenden Aggravation oder Simulation neuropsychologischer und psychischer Beschwerden, welche die Annahme einer invalidisierenden Leistungseinschränkung über die somatischen Befunde hinaus verunmöglichte und zum Schluss auf Beweislosigkeit führte. Der Verzicht auf weitere medizinische Abklärungen aufgrund antizipierter Beweiswürdigung wurde gebilligt. Zudem wurde ein leidensbedingter Tabellenlohnabzug verneint, da die im Gutachten attestierte Restarbeitsfähigkeit von 70% in einer optimal leidensangepassten Tätigkeit (Nischenarbeitsplätze des untersten Kompetenzniveaus) eine solche nicht rechtfertigt, auch unter Berücksichtigung von Sprachkenntnissen oder langer Arbeitsmarktferne. Der ermittelte Invaliditätsgrad von 33% blieb somit unter dem für eine Invalidenrente massgebenden Schwellenwert von 40%.