Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_683/2023 vom 24. September 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 2C_683/2023 vom 24. September 2025

Einleitung und Streitgegenstand

Das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (BGer) 2C_683/2023 vom 24. September 2025 befasst sich mit einer Beschwerde der Sunrise GmbH (vormals UPC Schweiz GmbH) gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) vom 31. Oktober 2023. Gegenstand ist eine kartellrechtliche Sanktion und Massnahme der Wettbewerbskommission (WEKO) wegen unzulässiger Verweigerung von Geschäftsbeziehungen im Bereich der Übertragung von Schweizer Eishockeyligen im Pay-TV. Die Sunrise GmbH wird beschuldigt, als marktbeherrschendes Unternehmen die Bereitstellung von Schweizer Eishockeyübertragungen im Rahmen eines Liga-Wettbewerbs im Pay-TV gegenüber der Swisscom (Schweiz) AG und der A.__ AG (nachfolgend: Beschwerdegegnerinnen) verweigert zu haben.

Sachverhaltsübersicht

Die UPC Schweiz GmbH erwarb im Sommer 2016 die exklusiven Übertragungsrechte für die obersten Schweizer Eishockeyligen (NLA und NLB) ab der Saison 2017/2018 für fünf Jahre und verwertete diese in ihrem 2017 lancierten Sportsender "MySports". Zuvor hatte die Swisscom über ihre Beteiligung an der B._ AG (resp. D._ AG) diese Rechte inne. Im März 2017 zeigten die Swisscom und B.__ die UPC bei der WEKO an, da diese ihnen keine Distributionsofferte für das "MySports"-Angebot oder eine Sublizenzierung der Eishockeyübertragungen unterbreitet habe. Die WEKO eröffnete ein Untersuchungsverfahren und stellte mit Verfügung vom 7. September 2020 eine marktbeherrschende Stellung der UPC auf dem relevanten Markt fest. Sie verpflichtete die UPC, allen ersuchenden TV-Plattformen das Rohsignal oder das "MySports"-Angebot zu nicht-diskriminierenden Bedingungen anzubieten, und belegte sie mit einer Sanktion von CHF 29'995'979.--. Das BVGer bestätigte im Wesentlichen die WEKO-Verfügung, reduzierte jedoch die Sanktion auf CHF 29'093'844.-- aufgrund einer kürzeren Dauer des Verstosses.

Gerichtliche Würdigung der Rügen der Beschwerdeführerin

Das Bundesgericht prüft die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und geht dabei von den vom BVGer festgestellten Tatsachen aus, sofern diese nicht offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung beruhen.

I. Formelle Rügen

  1. Anklagegrundsatz (Art. 30 Abs. 2 Kartellgesetz [KG], Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 EMRK, Art. 32 BV): Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung des Anklagegrundsatzes, da ihr der Vorwurf einer "Verzögerungsstrategie" erst in der Sanktionsverfügung der WEKO, nicht aber im ursprünglichen Verfügungsentwurf des Sekretariats der WEKO, konkret angelastet worden sei. Das Bundesgericht weist diese Rüge ab. Es hält fest, dass die WEKO nicht an die Begründung des Verfügungsentwurfs ihres Sekretariats gebunden ist. Die Möglichkeit zur Stellungnahme gemäss Art. 30 Abs. 2 Satz 1 KG ist eine Erweiterung des verfassungsrechtlichen Gehörsanspruchs, verlangt aber nicht, dass Parteien sich zu jedem denkbaren Ergebnis äussern können. Das Sekretariat hatte in seinem Antrag bereits eine "Hinhaltetaktik" thematisiert. Die Beschwerdeführerin konnte sich zu den tatsächlichen Grundlagen der Verfügung äussern, auch zu Ereignissen nach dem 17. März 2017. Eine wesentliche und sanktionserhöhende Abweichung in der Begründung lag nicht vor. Bezüglich Art. 6 EMRK und Art. 32 BV bekräftigt das Bundesgericht den strafrechtsähnlichen Charakter von Kartellsanktionen. Der Anklagegrundsatz ist jedoch im Kartellverwaltungsverfahren in einer funktional modifizierten Form – als Recht auf Information – anwendbar (vgl. dazu Urteil des EGMR Pélissier und Sassi gegen Frankreich). Die Beschwerdeführerin war hinreichend über den Tatvorwurf (direkte Ablehnung und Hinhaltetaktik) informiert.

  2. Grundsatz von Treu und Glauben und Vertrauensschutz (Art. 9 BV): Die Beschwerdeführerin machte geltend, der Erwerb der Eishockeyrechte sei von der WEKO begleitet worden, was ein Vertrauen in die zulässige exklusive Verwertung geschaffen habe. Das widersprüchliche Vorgehen der WEKO (Zulassung des Erwerbs, aber Verbot der Verwertung) verletze Art. 9 BV. Das Bundesgericht verwirft diese Argumentation. Es verweist auf sein Urteil 2C_561/2022 vom 23. April 2024 ("Sport im Pay-TV"), in dem bereits festgestellt wurde, dass die Situation in der Schweiz aufgrund der vertikalen Integration der TV-Plattformanbieter (wie Sunrise und Swisscom) eine andere sei als im europäischen Ausland. Dort hätten keine vergleichbaren wettbewerbsrechtlichen Probleme auf der Rechteverwertungsebene bestanden. Die Beschwerdeführerin ist auf allen drei Ebenen der Wertschöpfungskette (Content-, Programm- und Distributionsebene) tätig. Die WEKO hatte somit Grund, auf der Ebene der Rechteverwertung einzugreifen. Eine Begleitung der Rechtevergabe durch die WEKO schafft keine Vertrauensgrundlage für die nachgelagerte Rechteverwertung. Eine Verletzung des Vertrauensschutzes liegt nicht vor.

II. Materielle Prüfung des Kartellrechtsverstosses (Art. 7 aAbs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 2 lit. a KG)

Das Bundesgericht wendet die alte Fassung von Art. 7 KG an, die im Zeitpunkt der WEKO-Verfügung (7. September 2020) massgebend war.

  1. Marktabgrenzung und Marktbeherrschung: Die Beschwerdeführerin bestreitet im vorliegenden Verfahren nicht mehr die vom BVGer bestätigte Marktabgrenzung (nationaler Markt für die Bereitstellung von Schweizer Eishockeyübertragungen im Rahmen eines Liga-Wettbewerbs im Pay-TV) und ihre 100%ige marktbeherrschende Stellung in diesem Markt.

  2. Feststellung der Geschäftsverweigerung (Dauer des Verstosses): Die Beschwerdeführerin rügte die Feststellungen zur Dauer des Verstosses. Das BGer bestätigt die vorinstanzliche Beweiswürdigung, wonach eine direkte Verweigerung mit dem Schreiben vom 17. März 2017 vorlag. Auch danach, bis zum 5. Februar 2020, habe die Beschwerdeführerin eine indirekte Verweigerungshaltung durch eine "Hinhaltetaktik" bzw. "Verzögerungsstrategie" verfolgt. Aussagen des ehemaligen UPC CEO ("competitive tool against Swisscom") und des "MySports"-Programmverantwortlichen ("Diskussion in 3 Jahren") stützen diese Annahme. Die vom BVGer festgestellte Dauer des Verstosses vom 17. März 2017 bis zum 5. Februar 2020 ist willkürfrei. Die Rüge einer Verletzung der Unschuldsvermutung und des "in dubio pro reo"-Grundsatzes wird abgewiesen.

  3. Objektive Notwendigkeit des Gutes ("unerlässlicher Input"): Die Beschwerdeführerin bestritt, dass Eishockeyübertragungen ein objektiv notwendiges Gut für die Konkurrenzfähigkeit auf dem TV-Plattformmarkt seien und verwies auf Ausweichmöglichkeiten im Internet und Free-TV. Das Bundesgericht bestätigt die Einschätzung des BVGer. Es verweist auf eine Marktbefragung, wonach die NLA "sehr wichtig" für die Kundengewinnung und -bindung sei. Eishockey habe neben Fussball eine "Hauptsportart"-Stellung in der Schweiz. Die Beschwerdeführerin selbst warb primär mit Eishockey für "MySports". Ausweichmöglichkeiten im Free-TV (wenige Playoff-Spiele) und bei den sogenannten "Over-the-Top"-Angeboten (OTT-Angebote) wurden als ungenügend beurteilt. Insbesondere seien OTT-Angebote für Endkonsumenten über das offene Internet zugänglich, könnten aber nicht in konkurrierende TV-Plattformen integriert werden, was den Beschwerdegegnerinnen die Möglichkeit nahm, das "MySports"-Angebot über ihre eigene TV-Plattform anzubieten. Wie im Urteil 2C_561/2022 wurde auch hier festgestellt, dass ein Grundangebot an Schweizer Eishockeyübertragungen objektiv notwendig war.

  4. Wettbewerbsbehindernde Wirkung (Kausalität): Die Beschwerdeführerin argumentierte, es sei zu keiner Marktverschliessung gekommen und der Wettbewerb sei nicht beseitigt worden. Das Bundesgericht präzisiert, dass keine gänzliche Beseitigung des Wettbewerbs erforderlich ist. Es genügt eine tatsächliche, auf den Umständen des konkreten Falls beruhende Eignung, den Wettbewerb zu behindern (vgl. Urteil 2C_244/2022 vom 23. Januar 2025). Die Aussage des ehemaligen CEO von UPC ("competitive tool against Swisscom") zeige die Absicht, den Wettbewerb zu behindern. Da TV-Kunden in der Regel nur eine TV-Plattform nutzten ("single-homing"), sei die Verweigerung geeignet, Wettbewerb zu behindern. Zudem seien die Änderungen der Marktanteile nicht entscheidend, da ohne das missbräuchliche Verhalten die Marktanteile anders hätten verlaufen können. Die Bedeutung von "Bündelangeboten" unterstreicht, dass ein fehlendes Sportangebot auch den Wettbewerb auf benachbarten Fernmeldemärkten (Internet, Festnetztelefonie, Mobilfunk) behindert.

  5. Fehlen legitimer Gründe ("legitimate business reasons"): Die Beschwerdeführerin berief sich auf Investitionsschutz und die Verweigerung des Zugangs der Beschwerdegegnerinnen zu D._-Sportangeboten. Das Bundesgericht verneint das Vorliegen legitimer Gründe. Der Investitionsschutz könne nur im Umfang zugestanden werden, wie er ohne die vertikale Integration im Wettbewerb durchsetzbar gewesen wäre. Die Totalverweigerung des "MySports"-Angebots durch die Beschwerdeführerin sei eine unverhältnismässige Retorsionsmassnahme gewesen, da die Beschwerdegegnerinnen ihrerseits nur teilweise den Zugang zu D._-Kanälen verweigert hatten. Effizienzgründe seien ebenfalls nicht ersichtlich. Der Verweis auf die europäische Praxis (3-4 Jahre Investitionsschutz) ist aufgrund der besonderen schweizerischen Situation der vertikalen Integration nicht übertragbar.

III. Sanktionsbemessung (Art. 49a aAbs. 1 KG, KG-Sanktionsverordnung [SVKG])

  1. Verschulden: Das Bundesgericht bestätigt das Verschulden der Beschwerdeführerin. Spätestens seit dem Untersuchungsverfahren gegen die Beschwerdegegnerinnen (2C_561/2022) war bekannt, dass exklusive Sportübertragungsrechte zu einer marktbeherrschenden Stellung führen können.

  2. Basisbetrag (Art. 3 SVKG): Die Beschwerdeführerin kritisierte, dass der Basisbetrag auf Umsätzen berechnet wurde, die nicht nur den relevanten Bereitstellungsmarkt, sondern auch vor- und nachgelagerte Märkte umfassten. Das Bundesgericht bekräftigt, dass für vertikal integrierte Unternehmen wie die Beschwerdeführerin nicht nur die Umsätze auf den Bereitstellungsmärkten, sondern auch auf den nachgelagerten Endkundenmärkten (TV-Plattformmärkte) relevant sind. Dies, weil die missbräuchliche Verhaltensweise auf dem Bereitstellungsmarkt unmittelbar auf diese Endkundenmärkte auswirkt. Dies verstösst weder gegen Art. 5 Abs. 1 BV ("nulla poena sine lege") noch gegen Art. 7 EMRK.

  3. Dauerzuschlag (Art. 4 SVKG): Die Beschwerdeführerin beanstandete die Berechnung des Dauerzuschlags. Das Bundesgericht hat bereits in BGE 146 II 217 und Urteil 2C_395/2021 vom 9. Mai 2023 bestätigt, dass eine monatliche Berechnung anhand eines Multiplikators von 0.8333% pro Monat ab dem ersten Monat (50 % geteilt durch 60 Monate) nicht gegen Bundesrecht verstösst. Die vorinstanzlich berechneten 29 % für 35 Monate sind somit korrekt und verletzen weder das Willkürverbot noch das Gleichbehandlungsgebot.

  4. Erschwerende/Mildernde Umstände: Da das BVGer keine erschwerenden oder mildernden Umstände festgestellt hat und dies nicht beanstandet wurde, ist die Sanktion von CHF 29'093'844.-- bestätigt.

IV. Massnahme (Art. 30 Abs. 1 KG)

  1. Gesetzmässigkeit und Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 1 und 2 BV): Die Beschwerdeführerin rügte die Massnahme, die sie zur Bereitstellung des Rohsignals oder des "MySports"-Angebots verpflichtet, als nicht verhältnismässig und nicht hinreichend gesetzlich abgestützt. Das Bundesgericht bestätigt, dass Massnahmen nach Art. 30 Abs. 1 KG präventiv und zukunftsgerichtet sein können, um eine Wiederholung des festgestellten Wettbewerbsverstosses zu verhindern (vgl. BGE 148 II 475). Die Massnahme ist geeignet, da die getroffene Vereinbarung zwischen den Parteien zukünftige Verstösse nicht ausschliesst. Eine unbefristete Anordnung ist notwendig, da die zugrunde liegenden kartellrechtlichen Pflichten ebenfalls unbefristet gelten. Die WEKO und das BVGer haben zudem klargestellt, dass die Verpflichtung nur solange besteht, wie die Beschwerdeführerin selbst über die exklusiven Rechte verfügt. Hinsichtlich der sachlichen Begrenzung auf ein "Grundangebot" stellt das BGer fest, dass das BVGer mangels definierbarer einzelner "MySports"-Kanäle, die ein Grundangebot bilden könnten, die Massnahme nicht auf einzelne Kanäle beschränken konnte. Die Massnahme ist aber im Lichte der Begründung zu verstehen, die lediglich ein Grundangebot als objektiv notwendig erachtet. Die Massnahme verletzt weder Art. 30 Abs. 1 KG noch die Grundsätze der Gesetzmässigkeit und Verhältnismässigkeit.

Fazit der gerichtlichen Würdigung

Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Sunrise GmbH ab. Es bestätigt die Beurteilung des BVGer, wonach die Sunrise GmbH (UPC) durch die Verweigerung von Geschäftsbeziehungen betreffend Schweizer Eishockeyübertragungen im Pay-TV ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht hat. Die Sanktion von CHF 29'093'844.-- und die angeordnete Massnahme werden ebenfalls bestätigt.

Zusammenfassende Essenz

Das Bundesgericht bestätigt die kartellrechtliche Sanktion und Massnahme gegen Sunrise (vormals UPC) wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch Verweigerung von Geschäftsbeziehungen im Bereich der Pay-TV-Übertragung von Schweizer Eishockey. Die Verweigerung, sowohl direkt als auch mittels Verzögerungstaktik, wurde als unzulässig erachtet, da Schweizer Eishockeyübertragungen einen objektiv notwendigen Input für den Wettbewerb auf dem TV-Plattformmarkt darstellten und keine legitimen Geschäftsgründe vorlagen. Bei der Sanktionsbemessung dürfen für vertikal integrierte Unternehmen auch Umsätze auf nachgelagerten Endkundenmärkten berücksichtigt werden, und der Dauerzuschlag wurde als rechtskonform bestätigt. Die präventive Massnahme zur Sicherstellung zukünftigen Wettbewerbs wurde ebenfalls als verhältnismässig und gesetzlich abgestützt befunden. Das Urteil unterstreicht die Verantwortung marktbeherrschender, vertikal integrierter Unternehmen im Schweizer Wettbewerbsrecht.