Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_578/2024 vom 25. September 2025
1. Parteien und Gegenstand
In diesem Verfahren standen sich A._ SA (nachfolgend: die Beschwerdeführerin) als Bestellerin und B._ SA (nachfolgend: die Intimée) als Unternehmerin gegenüber. Gegenstand des Rechtsstreits war ein Werkvertrag über die Herstellung von Metallkammern (Kesseln für Sterilisationsanlagen), wobei die Beschwerdeführerin die Zahlung eines Restbetrags des Werklohns verweigerte und die Intimée diesen gerichtlich geltend machte.
2. Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin, ein Unternehmen im Bereich Industrie-Ingenieurdienstleistungen, bestellte am 12. Februar 2018 bei der Intimée, einer Blechverarbeitungsfirma, zwei Metallkammern (xxx und yyy) zu einem Preis von CHF 38'772 resp. CHF 59'235 (inkl. MWST). Die Lieferfristen wurden auf den 4. resp. 6. April 2018 festgelegt. Am 14. Juni 2018 erfolgte eine dritte Bestellung für Zusatzarbeiten an der ersten Kammer (xxx) zum Preis von CHF 34'089.15 (inkl. MWST).
Die Beschwerdeführerin hatte ihrerseits Verträge mit einer portugiesischen (C._ SA) und einer russischen (D._ Limited) Kundin, für welche die bei der Intimée bestellten Kammern bestimmt waren. Für die portugiesische Kundin war ein "Factory Acceptance Test" bis Ende Mai 2018 in der Schweiz vorgesehen, für die russische Kundin eine Lieferung und Installation bis Februar 2018, verschoben auf Ende August 2018.
Die Kammer xxx wurde im Juli 2018, die Kammer yyy am 18. Dezember 2018 an die Beschwerdeführerin geliefert. Diese beauftragte die Drittfirma E.__ SA mit Isolations- und Bodenverlegearbeiten an beiden Kammern, wofür Rechnungen vom 30. August 2018 und 30. Januar 2019 über insgesamt CHF 31'588.40 ausgestellt wurden.
Die Beschwerdeführerin beglich die Rechnungen der Intimée nicht vollständig. Sie berief sich auf einen ihr entstandenen Schaden aufgrund von Lieferverzögerungen der Intimée sowie darauf, dass bestimmte Arbeiten (Isolation, Bodenverlegung und weitere Arbeiten an Kammer yyy) von der Intimée nicht ausgeführt worden seien. Sie hatte Akontozahlungen von CHF 75'848.80 geleistet, der Restbetrag von CHF 56'247.40 wurde bestritten. Die Intimée wies die Verzögerungsvorwürfe zurück und begründete allfällige Terminverschiebungen mit der Säumigkeit der Beschwerdeführerin bei Akontozahlungen und Materiallieferungen. Zudem bestritt sie jegliche vertragliche Vereinbarung betreffend Isolations- und Bodenverlegearbeiten.
3. Prozessgeschichte
Nach ergebnisloser Schlichtung erhob die Intimée Klage vor dem Tribunal de première instance des Kantons Jura. Dieses verurteilte die Beschwerdeführerin am 1. Februar 2024 zur Zahlung von CHF 56'247.40 zuzüglich CHF 4'529.80 für Inkassokosten. Die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wurde vom Cour civile des Tribunal cantonal jurassien am 30. September 2024 abgewiesen. Die Beschwerdeführerin gelangte daraufhin an das Bundesgericht.
4. Rügen und Begründung des Bundesgerichts
Die Beschwerdeführerin bestritt die Zahlung des Restwerklohns in Höhe von CHF 56'247.40 hauptsächlich mit zwei Argumenten: Erstens, durch eine Minderung des Pauschalpreises aufgrund nicht ausgeführter Arbeiten (Isolation und Bodenverlegung); zweitens, durch eine Verrechnung mit einer Schadenersatzforderung von CHF 250'000 aus entgangenem Gewinn aufgrund des Lieferverzugs der Intimée.
4.1. Rüge I: Preisminderung wegen unvollendeter Arbeiten (Wärmedämmung und Bodenverlegung)
- Standpunkt der Beschwerdeführerin: Die Vorinstanz habe zu Unrecht von einem Werkmangel gesprochen, obwohl sie (die Beschwerdeführerin) die Unvollendung des Werkes geltend gemacht habe. Insbesondere habe die Vorinstanz verkannt, dass bei Pauschalverträgen eine Preisminderung möglich sei, wenn der Unternehmer bestimmte vereinbarte Werkteile nicht ausführt und der Besteller deren Vollendung nicht verlangt (Verweis auf ATF 94 II 161 E. 2e). Die Vorinstanz habe zu Unrecht angenommen, die umstrittenen Arbeiten seien von geringer Bedeutung, und die Regeln der Mängelgewährleistung angewendet.
- Begründung der Vorinstanz: Die Vorinstanz liess offen, ob die Isolations- und Bodenverlegearbeiten vertraglich vereinbart waren. Sie argumentierte, selbst wenn dies der Fall wäre, handelte es sich um Arbeiten von geringer Bedeutung und sekundärer Natur im Verhältnis zum Gesamtwerk. Die Beschwerdeführerin dürfe die Lieferung des Werkes nicht unter Berufung auf die Nichtausführung dieser Arbeiten bestreiten, da dies einen Rechtsmissbrauch (Art. 2 ZGB) darstelle. Die Beschwerdeführerin habe zudem die Obliegenheiten nach Art. 366 OR nicht eingehalten (keine Nachfrist, keine Androhung der Beauftragung eines Dritten). In jedem Fall seien die Regeln zur Mängelgewährleistung anwendbar, und die Beschwerdeführerin habe die Werke explizit abgenommen und die Mängelrüge (bezüglich der fehlenden Arbeiten) erst im März 2019 erhoben, was offensichtlich verspätet sei.
- Detaillierte Begründung des Bundesgerichts:
- Das Bundesgericht schloss sich der Argumentation der Vorinstanz im Ergebnis an, betonte aber einen zentralen Punkt: die explizite Abnahme der Werke durch die Beschwerdeführerin im Juli resp. Dezember 2018, die von der Beschwerdeführerin im bundesgerichtlichen Verfahren nicht mehr bestritten wurde.
- Das Bundesgericht hielt fest, dass der Grundsatz der Werkvollendung seine Grenzen im Gebot von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) findet. Wenn der Besteller das Werk explizit so wie es ist abgenommen hat, kann er nicht viel später geltend machen, das Werk sei unvollendet. Ein solches Verhalten sei mit Treu und Glauben unvereinbar und verdiene keinen Schutz (Verweis auf Peter Gauch, Der Werkvertrag, 6. Aufl. 2019, N. 104).
- Die Beschwerdeführerin sei gegenüber der Intimée passiv geblieben, obwohl sie bereits viel früher (durch die Rechnungen der Drittfirma vom August 2018 und Januar 2019) Kenntnis von den angeblich fehlenden Arbeiten hatte. Die Rüge vom 11. März 2019 sei daher verspätet.
- Der von der Beschwerdeführerin zitierte Präzedenzfall ATF 94 II 161 E. 2e sei aufgrund der expliziten Abnahme des Werks durch die Beschwerdeführerin nicht anwendbar.
- Angesichts dessen erachtete das Bundesgericht es als unerheblich, ob die umstrittenen Arbeiten tatsächlich zwischen den Parteien vereinbart waren oder ob es sich um "sekundäre" Arbeiten handelte.
- Die Rüge der Beschwerdeführerin bezüglich willkürlicher Sachverhaltsfeststellung (angebliche Anerkennung der Arbeiten durch die Intimée in einer E-Mail) wurde als appellatorische Kritik zurückgewiesen, da sie keine Willkür darlegte und die explizite Abnahme des Werkes ohnehin entscheidend war.
- Ergebnis: Die erste Rüge der Beschwerdeführerin wurde abgewiesen.
4.2. Rüge II: Schadenersatz wegen entgangenem Gewinn (Vertrag mit portugiesischer Kundin)
- Standpunkt der Beschwerdeführerin: Die Vorinstanz habe zu Unrecht das Vorliegen eines Schadens und des Kausalzusammenhangs zwischen dem Lieferverzug der Intimée und der Kündigung des Vertrags mit der portugiesischen Kundin bestritten. Der Schaden von CHF 250'000 entspreche dem entgangenen Gewinn aus dem portugiesischen Vertrag. Ihre Behauptung, sie hätte mit ihrer südafrikanischen Kundin ohnehin einen Vertrag geschlossen, zusätzlich zu dem mit der portugiesischen Kundin, sei belegbar. Die Vorinstanz habe das Zeugnis des ehemaligen Mitarbeiters F.__ zu Unrecht unberücksichtigt gelassen.
- Rechtliche Grundlage: Gemäss Art. 103 OR schuldet der säumige Schuldner Schadenersatz wegen verspäteter Erfüllung. Die Feststellung, ob ein Schaden vorliegt und wie hoch er ist, ist eine Sachverhaltsfrage, die das Bundesgericht bindet (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Die Frage, ob der Rechtsbegriff des Schadens verkannt wurde, ist hingegen eine Rechtsfrage.
- Begründung der Vorinstanz: Die Vorinstanz bejahte den Lieferverzug der Intimée hinsichtlich der für die portugiesische Kundin bestimmten Kammer. Sie verneinte jedoch, dass die Beschwerdeführerin einen daraus resultierenden Schaden nachgewiesen habe. Die ursprünglich für Portugal bestimmte Kammer sei letztlich an eine südafrikanische Kundin verkauft worden. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, sie hätte drei statt zwei Verträge abgeschlossen, sei hypothetisch. Vielmehr habe die Verfügbarkeit der Kammer (die ja ursprünglich für Portugal vorgesehen war) sogar dazu beigetragen, den Vertrag mit der südafrikanischen Kundin abzuschliessen. Die Beschwerdeführerin habe die Möglichkeit gehabt, das Werk weiterzuverkaufen, wodurch ihr Schaden zumindest teilweise, wenn nicht ganz, reduziert worden sei. Der Umsatz aus dem Südafrika-Verkauf sei sogar um CHF 50'000 höher gewesen als der mit der portugiesischen Kundin erwartete. Die Beschwerdeführerin habe somit nicht dargelegt, dass sie sich in einer ungünstigeren Lage befunden hätte, als wenn die Intimée nicht in Verzug geraten wäre, und habe daher keinen Schaden nachgewiesen. Die Vorinstanz fügte überflüssigerweise hinzu, dass auch der Kausalzusammenhang zwischen dem Lieferverzug und der Vertragsauflösung mit der portugiesischen Gesellschaft nicht durch die Akten belegt sei.
- Detaillierte Begründung des Bundesgerichts:
- Das Bundesgericht wies die Rüge der Beschwerdeführerin als eigene Beweiswürdigung zurück, die keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz belegen konnte.
- Die Feststellung der Vorinstanz, dass die Beschwerdeführerin die Kammer an die südafrikanische Kundin liefern konnte, weil sie eine solche zur Verfügung hatte, und dies sogar zur Vertragsanbahnung beigetragen haben könnte, sei nicht unhaltbar. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, die südafrikanische Kundin hätte sowieso bestellt, sei spekulativ, insbesondere angesichts der kürzeren Lieferzeiten, die durch die Verfügbarkeit der Kammer ermöglicht wurden. Willkür liege nicht bereits dann vor, wenn eine andere Lösung denkbar oder sogar vorzugswürdig wäre.
- Die Beschwerdeführerin berief sich auf die Aussage eines ehemaligen Mitarbeiters (F.__). Diese Aussage sei jedoch nicht in den von der kantonalen Instanz festgestellten Sachverhalt aufgenommen worden, und die Beschwerdeführerin habe keine gültige Sachverhaltsergänzung beantragt. Die Zeugenaussage konnte daher in dieser Instanz nicht berücksichtigt werden.
- Die Beschwerdeführerin bestritt zudem nicht, dass der mit dem Südafrika-Geschäft erzielte Umsatz höher war als der mit der portugiesischen Kundin vorgesehene.
- Ergebnis: Das Bundesgericht bestätigte, dass die Vorinstanz willkürfrei zum Schluss gelangte, ein allfälliger Schaden sei nicht nachgewiesen. Eine weitere Analyse der Kausalität zwischen dem behaupteten Schaden und dem Verzug der Intimée erübrigte sich somit. Die zweite Rüge der Beschwerdeführerin wurde abgewiesen.
4.3. Rüge III: Inkassokosten
- Standpunkt der Beschwerdeführerin: Die Vorinstanz habe willkürlich und unter Verletzung von Art. 311 ZPO entschieden, dass die Inkassokosten dem Schicksal der Hauptforderung folgen würden, und ihre Berufung gegen die Hauptforderung hätte auch die Inkassokosten umfassen müssen.
- Begründung des Bundesgerichts: Da das Bundesgericht die Hauptforderung der Intimée bestätigt hatte, wurde die Akzessorietät der Inkassokosten irrelevant. Im Übrigen hatte die Beschwerdeführerin die Höhe der Inkassokosten nicht bestritten und auch nicht geltend gemacht, dies in den Vorinstanzen getan zu haben (Erschöpfung des Rechtswegs, vgl. E. 2.1). Die Rüge war somit unzulässig.
- Ergebnis: Die dritte Rüge der Beschwerdeführerin wurde abgewiesen.
5. Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung der Beschwerdeführerin zur Zahlung des Restwerklohns an die Intimée.
- Explizite Abnahme des Werks: Die entscheidende Rolle spielte die unbestrittene explizite Abnahme der Metallkammern durch die Beschwerdeführerin. Das Bundesgericht hielt fest, dass eine spätere Rüge der "Unvollendung" von Arbeiten nach einer solchen Abnahme gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) verstösst und nicht geschützt werden kann. Die Kenntnis der angeblich fehlenden Arbeiten zu einem früheren Zeitpunkt (durch Beauftragung eines Dritten) verstärkte diese Argumentation.
- Schaden nicht nachgewiesen: Hinsichtlich der geltend gemachten Schadenersatzforderung wegen Lieferverzugs wurde der Beschwerdeführerin der Nachweis des Schadens nicht geglückt. Insbesondere konnte sie nicht schlüssig darlegen, dass ihr durch den Weiterverkauf der ursprünglich für die portugiesische Kundin vorgesehenen Kammer an eine südafrikanische Kundin tatsächlich ein Schaden entstanden ist. Vielmehr konnte sie einen höheren Umsatz erzielen, und die Vorinstanz beurteilte willkürfrei, dass die Verfügbarkeit der Kammer zum Abschluss des Ersatzgeschäfts beigetragen hatte.
Das Bundesgericht wies die Beschwerde in allen Punkten ab, da die Rügen der Beschwerdeführerin entweder rechtlich unbegründet, auf nicht nachgewiesenen Sachverhalten basierend oder prozedural unzulässig waren.