Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:
Bundesgericht, Urteil 1C_271/2025 vom 8. September 2025
1. Rubrum und Streitgegenstand
Das Bundesgericht (I. öffentlich-rechtliche Abteilung) befasste sich mit einem Rekurs der A.__ SA (Beschwerdeführerin) gegen ein Urteil des Kantonsgerichts Freiburg vom 31. März 2025. Streitgegenstand war die Verweigerung einer Baubewilligung für den Einbau eines Liftes in ein denkmalgeschütztes Gebäude in Estavayer-le-Lac.
2. Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin einer Parzelle im Sektor der Altstadt von Estavayer-le-Lac. Dieser Sektor ist im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) mit dem Schutzziel A ("conservation intégrale de toutes les constructions et composantes du site, de tous les espaces libres; suppression des interventions parasites") und im kantonalen Richtplan (PDCant) in der Schutzkategorie 1 ("haute qualité", Schutz der ursprünglichen Substanz) verzeichnet.
Am 2. Juli 2024 beantragte die Beschwerdeführerin eine Baubewilligung für den Einbau eines Liftes in ihrem Gebäude. Die Gemeinde gab eine positive Vorprüfung ab, es gab keine Einsprachen. Die kantonalen Fachdienste (Denkmalpflege [SBC] und Archäologie [SAEF]) sprachen sich jedoch gegen das Projekt aus, da der Lift die geschützte archäologische Substanz beeinträchtigen würde. Gestützt darauf erteilte der kantonale Bau- und Raumplanungsdienst (SeCA) eine negative Gesamtbeurteilung. Die Präfektur des Broye-Bezirks verweigerte am 3. Dezember 2024 die Baubewilligung mit der Begründung, dass keine besonderen Umstände eine Ausnahme von den Denkmalschutzbestimmungen rechtfertigen würden. Das Kantonsgericht Freiburg bestätigte diese Entscheidung.
3. Rechtliche Grundlagen und Argumentation des Bundesgerichts
3.1. Zulässigkeit des Rekurses
Das Bundesgericht trat auf den Rekurs in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 ff. BGG i.V.m. Art. 34 Abs. 1 RPG ein. Die Beschwerdeführerin war als Eigentümerin und Adressatin des ablehnenden Entscheids zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG).
3.2. Prüfungsrahmen und gerügte Rechtsverletzungen
Die Beschwerdeführerin rügte im Wesentlichen eine offensichtlich unrichtige und unvollständige Sachverhaltsfeststellung sowie eine willkürliche Verweigerung einer Ausnahmebewilligung von den Schutzzielen. Die Verweigerung der Baubewilligung stelle einen schwerwiegenden Eingriff in die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) dar und müsse auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 1-3 BV). Das Bundesgericht prüft Sachverhaltsfeststellungen nur, wenn sie willkürlich sind oder gegen das Recht verstossen (Art. 97 Abs. 1, 105 Abs. 2 BGG).
3.3. Öffentliches Interesse am Schutz des Gebäudes
- Rechtliche Verankerung des Denkmalschutzes:
- Gemäss Fiche T115 des PDCant gilt das ISOS im Kanton Freiburg als kantonales Inventar im Sinne des kantonalen Kulturgüterschutzgesetzes (LPBC). Das PDCant informiert die Gemeinden über schützenswerte Orte und deren Auswirkungen auf die Gemeindeentwicklung.
- Der Kulturgüterschutz (Art. 3 LPBC) zielt auf die materielle Erhaltung von Gebäuden als Zeugen wirtschaftlicher, geistiger, künstlerischer, handwerklicher oder sozialer Tätigkeit ab. Er soll als Qualitätsfaktor in der Raumplanung verstanden werden (PDCant, Fiche T117).
- Die kommunale Bauordnung (RCU Art. 10; nRCU Art. 11 Anhang 2) schreibt vor, dass geschützte Gebäude in ihrer Substanz und ihren Hauptkomponenten erhalten bleiben müssen.
- Für ISOS-Schutzziel A und PDCant Kategorie 1 ist der Schutz umfassend: Er erstreckt sich auf die Gebäudehülle, die primäre Tragstruktur, das Grobwerk, das Umfeld, die sekundäre Tragstruktur, die allgemeine Organisation der Innenräume und deren Materialisierung, dekorative Elemente und innere Ausstattungen. Für Kategorie 1 wird explizit die Erhaltung der Tragstruktur (Wände, Balken, Dachstuhl) sowie die Beibehaltung repräsentativer Elemente von Trennwänden, Decken und Böden gefordert; interne Umbauten müssen dies berücksichtigen.
- Grundsatz zum öffentlichen Interesse:
Beschränkungen des Eigentums zum Schutz von Denkmälern und Ortsbildern liegen grundsätzlich im öffentlichen Interesse (BGE 135 I 176 E. 6.1). Dieses überwiegt in der Regel das private Interesse an einer optimalen finanziellen Nutzung (BGE 120 Ia 270 E. 6c). Die Festlegung schützenswerter Objekte obliegt primär den kantonalen Behörden. Die Bewertung muss objektiv und wissenschaftlich erfolgen und den kulturellen, historischen, künstlerischen und städtebaulichen Kontext berücksichtigen (BGE 1C_75/2023 E. 7.2.1). Das Bundesgericht übt bei reinen Ermessensfragen und Berücksichtigung lokaler Umstände eine gewisse Zurückhaltung aus (BGE 142 I 162 E. 3.2.2). Das ISOS entfaltet dabei keine direkt bindende Wirkung, sondern drückt ein eidgenössisches Schutzinteresse aus, das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist (BGE 1C_572/2022 E. 3.2).
- Abweisung der Einwände der Beschwerdeführerin:
- Beeinträchtigung der Struktur: Die Beschwerdeführerin kritisierte, die Vorinstanz habe unzutreffend festgehalten, der Liftbau erfordere den "Abriss" von Balken. Das Bundesgericht stellt klar, dass "démolition" hier im Sinne von "Demontage" und Wiederverwendung zu verstehen sei. Entscheidend sei jedoch, dass der Liftbau die "allgemeine Organisation der Innenräume und deren Zirkulation" stören würde, was ein geschütztes Element bei Objekten der Kategorie 1 mit Schutzziel A darstellt.
- Denkmalwert trotz früherer Umbauten: Die Beschwerdeführerin machte geltend, das Gebäude sei durch frühere Renovationen (u.a. 1970) stark verändert worden, wodurch sein ursprünglicher Charakter beeinträchtigt und die Holzkonstruktion nicht mehr original sei.
- Das Bundesgericht folgte dieser Argumentation nicht. Dendrochronologische Analysen hätten gezeigt, dass die meisten Balken im betreffenden Untergeschoss aus dem 14. und 17. Jahrhundert stammten und somit originär seien. Auch wenn einige Balken aus dem 19. Jahrhundert stammen, sei die Struktur als "homogen" zu betrachten.
- Der Umstand, dass das Gebäude bereits früher Umbauten erfahren hat, entziehe ihm nicht den Denkmalschutz. Vielmehr gehe es darum, die bestehende historische Substanz zu erhalten. Die Fachdienste (SBC und SAEF) hätten, gestützt auf dendrochronologische Daten, bestätigt, dass trotz der Umbauten ein "erhaltenes und kohärentes archäologisches Ensemble" vorliege. Jede Phase der architektonischen Chronologie müsse geschützt werden. Das Bundesgericht erachtete die Stellungnahmen der Fachdienste als schlüssig und glaubhaft (vgl. BGE 1C_696/2024 E. 5.3.2).
- Vergleich mit anderen Gebäuden: Der Einwand, andere Gebäude in der Altstadt hätten Aufzüge, sei nicht stichhaltig, da die Beschwerdeführerin keine vergleichbaren Auswirkungen auf deren Struktur darlegen konnte.
- Positive Stellungnahme der Gemeinde: Die positive Vorprüfung der Gemeinde Estavayer-le-Lac sei nicht massgebend, da die Denkmalschutzfrage spezialisiertes Fachwissen erfordert und in die Kompetenz der kantonalen Fachdienste fällt (Art. 53 ff. LPBC). Zudem habe die Gemeinde selbst auf die Stellungnahmen der kantonalen Dienste verwiesen und den Entscheid der Präfektur nicht angefochten.
- Fazit zum öffentlichen Interesse: Das Bundesgericht bestätigte, dass das Gebäude im Herzen des mittelalterlichen Stadtkerns von Estavayer-le-Lac mit seinen aussergewöhnlichen räumlichen und historisch-architektonischen Qualitäten einen unzweifelhaften Denkmalwert besitzt. Das geplante Liftprojekt würde diesen Wert in Frage stellen, weshalb ein wichtiges öffentliches Interesse an dessen Erhaltung bestehe.
3.4. Verhältnismässigkeit der Massnahme und Ablehnung einer Ausnahmebewilligung
- Grundsatz der Verhältnismässigkeit: Eine Massnahme muss geeignet, erforderlich und zumutbar sein. Eine Denkmalschutzmassnahme ist unverhältnismässig, wenn sie für den Eigentümer unzumutbare Auswirkungen hat oder keine akzeptable Rendite mehr zulässt (BGE 126 I 219 E. 6c).
- Grundsatz der Ausnahmebewilligung (Art. 148 Abs. 1 LATeC): Ausnahmen können nur bei "besonderen Umständen" gewährt werden und dürfen keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen verletzen. Dies darf nicht zur Regel werden. Wirtschaftliche Gründe oder das Ziel einer optimalen Nutzung genügen nicht. Eine Ausnahme ist gerechtfertigt, wenn die Anwendung einer Vorschrift deren Zweck zuwiderliefe oder dem Eigentümer einen übermässigen Schaden zufügen würde (BGE 117 Ib 125 E. 6d).
- Abwägung der Interessen:
- Interesse der Beschwerdeführerin (Zugänglichkeit): Die Beschwerdeführerin berief sich auf das öffentliche Interesse an barrierefreiem Wohnraum für Personen mit eingeschränkter Mobilität.
- Gegenargumente des Gerichts:
- Charakteristik historischer Gebäude: Es sei üblich und charakteristisch für Gebäude in mittelalterlichen Altstädten, dass sie Zugänglichkeitsschwierigkeiten aufweisen und keinen Lift haben. Die Entscheidung, an solchen Orten zu wohnen, impliziere gewisse Abstriche in Bezug auf den Komfort.
- Keine Anwendbarkeit der LHand: Das Gebäude fällt nicht in den Anwendungsbereich des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG), das barrierefreien Zugang zu öffentlichen Gebäuden vorschreibt. Die Beschwerdeführerin habe auch keinen allgemeinen Mangel an barrierefreiem Wohnraum in Estavayer-le-Lac nachgewiesen.
- Alternative Zugänglichkeit: Das Bundesgericht wies auf ein früher installiertes motorisiertes Treppenliftsystem (Foto im Dossier) hin. Die Beschwerdeführerin konnte nicht definitiv nachweisen, dass eine ähnliche Installation aufgrund brandschutzrechtlicher Vorschriften heute nicht mehr möglich wäre.
- Interessenabwägung: Das legitime, aber nicht überwiegende private Interesse an verbesserter Zugänglichkeit kann das gewichtige öffentliche Interesse am Schutz eines hochrangig inventarisierten Gebäudes (ISOS A) nicht überwiegen (vgl. BGE 1C_357/2020 E. 5.4). Es sei nicht willkürlich, dieses Interesse als nicht präponderant einzustufen.
- Fazit zur Verhältnismässigkeit: Die Verweigerung der Baubewilligung und der Ausnahmebewilligung ist verhältnismässig. Es liegt keine unzumutbare Belastung vor, die das öffentliche Schutzinteresse überwiegen würde.
3.5. Verletzung des rechtlichen Gehörs
Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs, da die Frage der "positiven Vorwirkung des Plans" (effet anticipé positif des plans) im Hinblick auf eine in Genehmigung befindliche revidierte lokale Planung nicht geprüft worden sei. Das Bundesgericht erachtete diesen Einwand als gegenstandslos, da die Beschwerdeführerin keine Ausnahmebewilligung gemäss der zukünftigen Regelung erhalten hätte.
4. Schlussfolgerung
Das Bundesgericht wies den Rekurs ab. Die Kosten des Verfahrens wurden der Beschwerdeführerin auferlegt.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht hat die Verweigerung einer Baubewilligung für den Einbau eines Liftes in ein gemäss ISOS (Schutzziel A) und kantonalem Richtplan (Kategorie 1) hochrangig geschütztes Gebäude in Estavayer-le-Lac bestätigt. Es anerkannte ein überwiegendes öffentliches Interesse am Denkmalschutz, welches die private Eigentumsgarantie im vorliegenden Fall beschränken darf.
Zentrale Begründungspunkte:
- Hoher Denkmalwert des Gebäudes: Das Gebäude befindet sich im mittelalterlichen Altstadtkern und ist als ISOS-Objekt mit Schutzziel A und Kategorie 1 klassifiziert, was eine integrale Erhaltung der Substanz, Struktur und Innenraumorganisation vorsieht.
- Beeinträchtigung der geschützten Substanz: Der geplante Lift hätte die Tragstruktur und die "allgemeine Organisation der Innenräume und deren Zirkulation" signifikant und irreversibel beeinträchtigt, was den Schutzzielen widerspricht.
- Bedeutung der Originalität: Trotz früherer Umbauten wurde anhand dendrochronologischer Analysen die Originalität wesentlicher Bauteile aus dem 14./17. Jahrhundert bestätigt. Frühere Eingriffe mindern den Denkmalwert eines kohärenten archäologischen Ensembles nicht und berechtigen nicht zu weiteren substanziellen Eingriffen.
- Verhältnismässigkeit und Ablehnung der Ausnahmebewilligung:
- Das Gericht wog das öffentliche Interesse am Denkmalschutz gegen das private Interesse an verbesserter Zugänglichkeit (für Menschen mit eingeschränkter Mobilität) ab.
- Es stellte fest, dass Barrierefreiheit zwar ein legitimes Anliegen ist, in historischen Gebäuden jedoch typischerweise Schwierigkeiten bestehen. Ein Umzug in ein solches Gebäude impliziert die Akzeptanz gewisser Einschränkungen.
- Das Gebäude untersteht nicht dem BehiG, und es wurde kein genereller Mangel an barrierefreiem Wohnraum nachgewiesen.
- Alternative Lösungen (wie ein früherer Treppenlift) wurden als denkbar erachtet.
- Das Interesse an verbesserter Zugänglichkeit überwiegt das gewichtige öffentliche Interesse am Schutz dieses spezifischen, hochrangigen Kulturgutes nicht. Die Massnahme ist verhältnismässig.
Der Rekurs wurde folglich abgewiesen, da die Beschwerdeführerin keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung oder eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips nachweisen konnte.