Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_274/2025 vom 9. September 2025

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Im vorliegenden Urteil 4A_274/2025 vom 9. September 2025 hatte sich das Bundesgericht mit einer Forderung aus Urheberrechtsverletzung, insbesondere der Berechnung und Aufteilung eines Gewinnherausgabeanspruchs, zu befassen. Der Beschwerdeführer (A._) hatte gegen den Beschwerdegegner (B._) geklagt, nachdem dieser Teile seiner urheberrechtlich geschützten Lehrbücher für eigene Unterrichtsmaterialien zum "Gesichterlesen" verwendet hatte.

I. Sachverhalt und Vorinstanzlicher Entscheid

Der Beschwerdeführer, Autor von Lehrbüchern über "Menschenkenntnisse" und "Die Kunst des Gesichterlesens" basierend auf altägyptischen Weisheiten, entdeckte, dass der Beschwerdegegner, ein ehemaliger Kursteilnehmer, ebenfalls unter diesen Titeln Lehrmittel verfasst hatte, die teilweise auf den Werken des Beschwerdeführers beruhten.

Im Rahmen eines Ausbildungs- und Dozentenvertrags mit D._ im Jahr 2009 schulte der Beschwerdegegner D._ im Gesichterlesen und händigte ihm dabei seine eigenen Lehrbücher sowie weiteres Unterrichtsmaterial aus. D.__ zahlte hierfür CHF 30'000 (anstatt der vereinbarten CHF 45'000).

Nachdem der Beschwerdeführer von der Urheberrechtsverletzung erfahren hatte, erstattete er Strafanzeige. Ein gerichtlich bestellter Gutachter bezifferte das Ausmass der urheberrechtsverletzenden Übernahmen auf "unter 10%". Das Bezirksgericht Münchwilen sprach den Beschwerdegegner 2018 wegen gewerbsmässiger Urheberrechtsverletzung gemäss Art. 67 Abs. 1 lit. a, c, d, e und f i.V.m. Abs. 2 URG schuldig und verwies die Zivilansprüche auf den Zivilweg.

In der Folge reichte der Beschwerdeführer eine Zivilklage beim Obergericht des Kantons Thurgau ein, in der er die Gewinnherausgabe von CHF 30'000 (nebst Zinsen) gestützt auf Art. 62 Abs. 2 URG i.V.m. Art. 423 Abs. 1 OR sowie eine Genugtuung von CHF 2'000 forderte.

Das Obergericht des Kantons Thurgau hiess die Klage teilweise gut und verpflichtete den Beschwerdegegner zur Zahlung von CHF 2'321 zuzüglich Zinsen. Es ermittelte einen Bruttoertrag von CHF 30'000 aus dem Vertrag mit D.__. Davon zog es Schulungsunkosten von CHF 6'790.16 ab, die unter anderem CHF 5'581.55 für Konzeptions- und Druckkosten der Lehrmittel umfassten. Dies führte zu einem Nettogewinn von CHF 23'209.84. Gestützt auf das Gutachten, wonach die Lehrbücher des Beschwerdegegners lediglich zu 10% urheberrechtsverletzende Passagen enthielten, sprach das Obergericht dem Beschwerdeführer 10% dieses Nettogewinns, mithin CHF 2'321, zu. Die Genugtuungsforderung wurde abgewiesen (dieser Punkt wurde vor Bundesgericht nicht mehr gerügt).

II. Rügen des Beschwerdeführers vor Bundesgericht

Der Beschwerdeführer erhob Beschwerde in Zivilsachen vor dem Bundesgericht und beantragte die Verpflichtung des Beschwerdegegners zur Zahlung von CHF 27'791.40. Er rügte im Wesentlichen:

  1. Falsche Berechnung des Nettogewinns: Die vom Obergericht für Konzeptions- und Druckkosten berücksichtigten CHF 5'581.55 seien zu hoch. Er argumentierte, diese Kosten dürften nicht einfach zu einem Zehntel (im Verhältnis zu zehn Kursteilnehmern) der Ausbildung von D.__ zugerechnet werden, und es fehle am Nachweis, dass diese Kosten ausschliesslich dem verletzenden Produkt zuzuordnen seien.
  2. Falsche Verteilung des Nettogewinns: Die quantitative Aufteilung des Gewinns im Verhältnis von 10% zugunsten des Beschwerdeführers sei unzutreffend. Die urheberrechtsverletzenden Passagen seien von viel grösserer qualitativer Bedeutung gewesen und hätten eine "conditio sine qua non" für den Lehrgang gebildet. Eine rein prozentuale Zuweisung verkenne die zentrale Rolle der entliehenen Inhalte.
  3. Verletzung der Begründungspflicht: Das Obergericht habe seinen Antrag auf Vormerknahme einer Teilklage im Dispositiv nicht behandelt.

III. Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde ein, soweit die Begründungsanforderungen erfüllt waren. Es prüfte die Rügen des Beschwerdeführers wie folgt:

  1. Zur Berechnung des Nettogewinns (Konzeptions- und Druckkosten):

    • Das Bundesgericht wies die Rüge des Beschwerdeführers zurück. Es hielt fest, dass das Urheberrechtsgesetz (URG) in Art. 62 Abs. 2 URG für die Gewinnherausgabe auf die obligationenrechtlichen Bestimmungen der Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 423 OR) verweist. Bei der unechten Geschäftsführung ohne Auftrag (Geschäftsanmassung) sei der Geschädigte berechtigt, die aus der Führung seiner Geschäfte entspringenden Vorteile sich anzueignen (Art. 423 Abs. 1 OR), jedoch nur den Nettogewinn (Art. 423 Abs. 2 OR). Abzugsfähig seien dabei alle effektiv angefallenen Unkosten, die objektiv erforderlich waren und ausschliesslich für die Erzielung des Gewinns aus der Schutzrechtsverletzung getätigt wurden (BGE 134 III 306 E. 4.1.4).
    • Der Beschwerdeführer hatte die vorinstanzlich festgestellte Höhe der Konzeptions- und Druckkosten von CHF 55'815.55 nicht als offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG dargelegt. Die Aufteilung dieser Kosten zu einem Zehntel auf D._, basierend auf einer angenommenen Anzahl von zehn Kursteilnehmern, wurde vom Bundesgericht als zulässig erachtet. Der Einwand des Beschwerdeführers, eine solche prozentuale Berücksichtigung sei bei einer geringeren Teilnehmerzahl unangemessen, wurde als unbeachtlich qualifiziert, da er keinen Nachweis für eine Teilnehmerzahl erbrachte, die eine niedrigere anteilige Kostenlast für D._ ergeben hätte.
  2. Zur Aufteilung des Nettogewinns (qualitative Bedeutung):

    • Das Bundesgericht bestätigte die quantitative Gewinnaufteilung des Obergerichts. Es erinnerte daran, dass zwischen dem unrechtmässigen Eingriff und dem erzielten Gewinn ein Kausalzusammenhang bestehen muss (BGE 133 III 153 E. 3.3). Der Geschäftsherr könne nur denjenigen Anteil am Gesamtgewinn herausverlangen, der auf den Schutzrechtseingriff selbst zurückzuführen sei. Wenn weitere Gründe den Gewinn mitverursacht haben (sogenannter Kombinationseingriff), müssen diese Gewinnanteile dem Geschäftsherrn nicht herausgegeben werden. Bei der Aufschlüsselung und prozentualen Aufteilung (sogenannte Faktorenanalyse) des Gewinns kann das Gericht bei komplexen Sachverhalten auf sein Ermessen gestützt auf Art. 42 Abs. 2 OR i.V.m. Art. 4 ZGB zurückgreifen. Solche Ermessensentscheidungen sind der Überprüfung durch das Bundesgericht grundsätzlich entzogen, sofern sie nicht willkürlich sind (BGE 143 III 297 E. 8.2.5.2).
    • Die Rüge des Beschwerdeführers, die Verletzung habe einen viel grösseren Umfang oder eine höhere qualitative Bedeutung gehabt, wurde vom Bundesgericht als unzulässige Sachverhaltskritik gewertet. Der Beschwerdeführer konnte nicht darlegen, dass die vorinstanzliche Feststellung von "weniger als 10%" urheberrechtsverletzenden Passagen (basierend auf dem Gutachten von Rechtsanwalt E.__) offensichtlich unrichtig oder willkürlich sei.
    • Entscheidend für die quantitative Aufteilung war die Feststellung, dass D._ den Ausbildungsvertrag mit dem Beschwerdegegner abgeschlossen und bezahlt hatte, ohne zuvor die dazugehörigen Lehrmittel angesehen zu haben. Da D._ bei Vertragsabschluss somit keine Kenntnis vom genauen Lehrmittelinhalt hatte, konnten sich die einzelnen urheberrechtsverletzenden Passagen nicht auf seinen Vertragsschlusswillen ausgewirkt haben. Ein Anspruch des Beschwerdeführers auf eine überwiegende oder vollumfängliche Beteiligung am Nettogewinn aufgrund der angeblich besonders bedeutsamen Textpassagen war daher nicht gegeben. Die vorinstanzliche Zuweisung von 10% des Gewinns an den Beschwerdeführer wurde somit bestätigt.
  3. Zur Begründungspflicht (Teilklage):

    • Das Bundesgericht stellte fest, dass die Vorinstanz keine Begründungspflicht verletzt hatte. Bei einer betragsmässig beschränkten Teilklage (Art. 86 ZPO), die ganz oder teilweise abgewiesen wird, kann die klagende Partei später keinen zusätzlichen Teilbetrag aus derselben Gesamtforderung mehr einklagen (BGE 147 III 345 E. 6.5). Da im vorliegenden Fall weitere Klagen in derselben Angelegenheit (hinsichtlich der spezifischen Forderung von CHF 30'000 aus dem Vertrag mit D.__) von vornherein ausser Betracht fielen, war es nicht erforderlich, dass das Obergericht einen expliziten "Vormerk" zur Teilklage in sein Dispositiv aufnahm.

IV. Entscheid und Quintessenz

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten wurde.

Quintessenz:

Das Bundesgericht präzisiert im vorliegenden Entscheid die Grundsätze der Gewinnherausgabe bei Urheberrechtsverletzungen:

  1. Nettogewinnprinzip: Der Herausgabeanspruch beschränkt sich auf den Nettogewinn, wobei nur solche Kosten abzugsfähig sind, die objektiv erforderlich und ausschliesslich für die Erzielung des rechtsverletzenden Gewinns angefallen sind.
  2. Kausalität und Faktorenanalyse: Bei einem Kombinationseingriff, bei dem der Gewinn sowohl durch die Rechtsverletzung als auch durch Eigenleistungen des Verletzers erzielt wird, muss der Gewinn durch eine Faktorenanalyse aufgeteilt werden. Das Gericht kann hierbei auf sein Ermessen zurückgreifen.
  3. Massgeblichkeit der Sachverhaltsfeststellung: Das Bundesgericht ist an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden, es sei denn, diese sind offensichtlich unrichtig oder beruhen auf einer Rechtsverletzung, was vom Beschwerdeführer qualifiziert darzulegen ist.
  4. Einwirken auf den Vertragsentschluss: Die qualitative Bedeutung urheberrechtsverletzender Passagen für die Gewinnaufteilung wird dann relevant, wenn sie den Vertragsentschluss eines Dritten nachweislich beeinflusst hat. Fehlt ein solcher Einfluss (z.B. weil der Dritte den Inhalt vorab nicht kannte), ist eine rein quantitative Aufteilung des Gewinns entsprechend dem Ausmass der Verletzung gerechtfertigt.
  5. Teilklagevermerk: Ein Vormerk zur Teilklage im Dispositiv ist nicht zwingend erforderlich, wenn die abgeurteilte Forderung aus demselben Lebenssachverhalt nach dem Urteil ohnehin nicht mehr Gegenstand weiterer Klagen sein kann.