Das Urteil 1C_263/2024 des Schweizerischen Bundesgerichts vom 11. September 2025 befasst sich mit einer Beschwerde gegen die kantonale Unterschutzstellung des Naturschutzgebiets Fraubrunnenmoos im Kanton Bern. Die Beschwerdeführenden, darunter die Einwohnergemeinde Fraubrunnen, Flurgenossenschaften, Vereine und Privatpersonen, rügten im Wesentlichen eine Verletzung des Anspruchs auf gleiche und gerechte Behandlung (Art. 29 Abs. 1 BV) wegen Befangenheit einer Sachbearbeiterin, die Unverhältnismässigkeit des Schutzgebiets (Art. 26 und Art. 36 BV) sowie eine unzureichende planerische Koordination (Art. 25a RPG).
I. Sachverhalt und Verfahrensgang
Das Fraubrunnenmoos, eine Fläche zwischen Fraubrunnen und Schalunen, zeichnet sich durch hohe Biodiversität aus und dient insbesondere dem Kiebitz als Lebensraum. Die Bernische Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz (Berner Ala) erwarb 2013 die Parzelle Nr. 587 ("Kiebitzfläche") und führte 2015 ökologische Aufwertungsmassnahmen durch. Bereits 2013 hatte die Abteilung Naturförderung (ANF) des Amts für Landwirtschaft und Natur (LANAT) des Kantons Bern die Absicht erklärt, die Fläche als kantonales Naturschutzgebiet auszuscheiden. Nach einem Mitwirkungsverfahren und öffentlichen Auflage der Unterlagen mit zahlreichen Einsprachen, stellte die Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion des Kantons Bern (WEU) das Fraubrunnenmoos mit Teilen des benachbarten Waldgebiets ("Erlen-Ischlag"), angrenzenden Flurwegen und einer Bachparzelle unter kantonalen Schutz und wies die Einsprachen ab.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die hiergegen erhobene Beschwerde der Beschwerdeführenden am 8. März 2024 ab. Die Beschwerdeführenden gelangten daraufhin an das Bundesgericht.
II. Wesentliche Rügen und Begründung des Bundesgerichts
1. Rüge der Befangenheit (Art. 29 Abs. 1 BV i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. f VRPG/BE)
Die Beschwerdeführenden beanstandeten eine unzulässige Mehrfachrolle von H.__, einer Mitarbeiterin der ANF, die massgeblich am Unterschutzstellungsverfahren mitwirkte und zugleich Vorstandsmitglied der Berner Ala war. Dies führe zu einer besonderen Beziehungsnähe und zumindest dem Anschein der Befangenheit.
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Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht erinnerte daran, dass der Anspruch auf Unbefangenheit für Exekutivbehörden nach Art. 29 Abs. 1 BV weniger streng ist als für Gerichte (Art. 30 BV). Es komme auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an, wobei "persönliches Interesse", "Vorbefassung" und "institutionelle Doppelrolle" relevante Aspekte seien. Im Kanton Bern regelt Art. 9 Abs. 1 VRPG/BE Ausstandsgründe, wobei lit. f als Generalklausel dient ("aus anderen Gründen in der Sache befangen sein könnte").
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Prüfung des persönlichen Interesses (Art. 9 Abs. 1 lit. a VRPG/BE):
- Die Vorinstanz hatte argumentiert, die Mitarbeiterin habe als Behördenvertreterin lediglich öffentliche Interessen wahrgenommen, was keine persönliche Betroffenheit begründe.
- Das Bundesgericht relativierte diese Ansicht als "zu kurz greifend". Es wies darauf hin, dass die Lehre ein enges Verständnis kritisiert und postuliert, dass auch Vertreter des Gemeinwesens in öffentlichen oder gemischtwirtschaftlichen Unternehmen an behördlichen Entscheiden, die Interessen des Unternehmens berühren, in der Regel nicht mitwirken dürften. Eine starke Identifikation mit der Gesellschaft könne dazu führen, dass staatliche Vertreter nicht nur öffentliche, sondern auch eigene Interessen verfolgen. Eine eingehende Prüfung des Einzelfalls sei geboten.
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Prüfung der Vorbefassung (Art. 9 Abs. 1 lit. b VRPG/BE):
- Eine Vorbefassung im engeren Sinne (Mitwirkung am Vorentscheid in oberer Instanz) wurde verneint, da die WEU als Verwaltungsbehörde den Schutzbeschluss erliess, nicht LANAT/ANF.
- Eine Vorbefassung im weiteren Sinne (z.B. durch Mitwirkung an früheren Baubewilligungsverfahren) wurde ebenfalls verneint, da es sich nicht um "dieselbe Angelegenheit" handle und die Bewilligungsbehörden (Regierungsstatthalteramt) organisatorisch und personell nicht mit dem LANAT verbunden seien.
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Prüfung der institutionellen Doppelrolle und Beziehungsnähe (Art. 9 Abs. 1 lit. f VRPG/BE):
- Die Organstellung in einer ideellen Vereinigung, deren zentrale Anliegen im Verfahren berührt werden, könne grundsätzlich einen Ausstandsgrund darstellen. Die Unterschutzstellung sei ein zentrales Anliegen der Berner Ala.
- Das Bundesgericht schloss sich jedoch der Vorinstanz an, dass hier keine relevante Interessenkollision vorliege. Es wurde festgestellt, dass die Mitarbeiterin als ANF-Vertreterin im Vorstand der Berner Ala sass und sowohl die ANF als auch die Berner Ala das Ziel der Unterschutzstellung des Gebiets verfolgten. Die Interessen des LANAT und der Berner Ala seien somit deckungsgleich. Die Unterstützung von Naturschutzorganisationen sei gemäss Art. 3 lit. k NSchG/BE sogar eine kantonale Aufgabe, womit der Gesetzgeber einen gewissen Interessenkonflikt in Kauf genommen habe (Querverweis auf BGE 143 II 588 E. 3.2).
- Zudem sei die Mitarbeiterin hierarchisch auf einer tiefen Ebene (Abteilung) tätig gewesen und habe nicht unmittelbar am Schutzbeschluss der übergeordneten Direktion (WEU) mitgewirkt. Die WEU habe bei ihrem Entscheid eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen und sei nicht an die Stellungnahme des LANAT gebunden.
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Prüfung des persönlichen Verhaltens:
- Die Rüge, die Mitarbeiterin habe durch Äusserungen im Vorfeld der Einspracheverhandlungen den Streitgegenstand verengt und sich abschliessend zu Rügen geäussert, wurde ebenfalls verworfen. Nur besonders krasse oder wiederholte Irrtümer könnten auf Voreingenommenheit schliessen lassen. Das Bundesgericht bestätigte die Vorinstanz, dass die Äusserungen keine Voreingenommenheit erkennen liessen.
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Fazit Befangenheit: Das Bundesgericht verneinte eine Verletzung des kantonalen Rechts oder von Art. 29 Abs. 1 BV.
2. Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie und des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 26 und Art. 36 BV)
Die Beschwerdeführenden beanstandeten eine unverhältnismässige Ausdehnung des Schutzgebiets.
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Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht verwies auf die Erfordernisse des Verhältnismässigkeitsprinzips: Die Massnahme muss geeignet, erforderlich und zumutbar sein. Schwerwiegende Eingriffe in die Eigentumsgarantie erfordern eine genügende gesetzliche Grundlage (Art. 36 Abs. 1 BV), ein hinreichendes öffentliches Interesse (Art. 36 Abs. 2 BV) und müssen verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 3 BV).
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Schwere des Eingriffs und öffentliches Interesse:
- Die Nutzungseinschränkungen (z.B. Betretungsverbote, Verbote des Befahrens, Düngens in Zone A, Bauverbote) stellen einen schweren Eingriff dar. Eine genügende formell-gesetzliche Grundlage durch das kantonale Naturschutzgesetz (Art. 36 ff. NSchG/BE) wurde jedoch bejaht.
- Das Bundesgericht bestätigte ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Unterschutzstellung. Das Fraubrunnenmoos beherberge das zweitgrösste Kiebitzvorkommen der Schweiz, eine Vogelart auf der Roten Liste, und sei ein Biotop von mindestens regionaler Bedeutung (Art. 18 NHG).
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Eignung der Massnahme:
- Die Beschwerdeführenden argumentierten, der Kiebitzbestand habe sich bereits optimal entwickelt und weitere Massnahmen brächten keinen relevanten Mehrnutzen.
- Das Bundesgericht erwiderte, dass die Eignung einer Massnahme bereits gegeben sei, wenn sie Wirkungen entfalten und nicht gänzlich am Zweck vorbeizielen könne (Querverweis auf BGE 144 I 126 E. 8.1). Da der Kiebitz weiterhin auf der Roten Liste stehe, seien Schutzmassnahmen geboten. Ein noch grösserer Bruterfolg könne zur Stabilisierung der Kiebitzpopulation in der Schweiz beitragen.
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Erforderlichkeit der Massnahme:
- Die Beschwerdeführenden verlangten mildere Mittel, z.B. nur die Unterschutzstellung der Parzelle 587 oder Hinweisschilder.
- Das Bundesgericht befand, dass die Unterschutzstellung des erweiterten Perimeters (inkl. Parzellen Nrn. 1137, 1152, 1153, 613 und 7) erforderlich sei. Kiebitze seien störungsempfindlich (Fluchtdistanz bis zu 100 m), und ein grösserer störungsfreier Abstand zu den Brutstätten sei notwendig, um den Bruterfolg effektiv zu fördern. Barrieren wie Bäche oder Zäune würden eine physische Präsenz des Menschen zwar vermindern, aber nicht das gleiche Schutzniveau wie ein Betretverbot erreichen. Das BAFU als Fachorgan erachte den Einbezug der genannten Parzellen als notwendig. Milder Mittel wie Hinweisschilder oder Leinenzwang seien aufgrund fehlender strikter Einhaltung weniger zwecktauglich und könnten das Ziel nicht im gleichen Masse erreichen.
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Zumutbarkeit der Massnahme (Übermassverbot):
- Die Beschwerdeführenden sahen die Nachteile für sich als überwiegend an, da bereits die Baubewilligung 2015 die öffentlichen Interessen gewahrt habe und kein konkreter Mehrnutzen ersichtlich sei.
- Das Bundesgericht bestätigte die Vorinstanz, wonach die Massnahmen zumutbar seien. Der Schutzbeschluss ändere nichts an den bestehenden Biotopschutzvorschriften, die ohnehin zu beachten seien. Land- oder forstwirtschaftliche Nutzung sei im Rahmen von Verträgen mit der ANF oder ohne Bewilligung weiterhin zulässig. Ein Düngerverbot auf Strassen oder in Gewässern sei entweder wenig zielführend oder bereits durch andere Vorschriften (Art. 41c Abs. 3 GSchV) geregelt. Die Befürchtungen bezüglich eines vergrösserten Gewässerraums und die Auswirkungen auf die Parzelle Nr. 407 wurden als unerheblich oder nicht substanziiert beurteilt. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die gewichtigen öffentlichen Interessen des Naturschutzes die geltend gemachten Nachteile überwiegen und der Eingriff insgesamt verhältnismässig ist.
3. Rüge der unzureichenden planerischen Koordination (Art. 25a RPG)
Die Beschwerdeführenden bemängelten eine mangelnde Koordination der Unterschutzstellung mit anderen Planungen und Projekten (z.B. Verkehrsrichtplan der EG Fraubrunnen, regionales Gesamtverkehrs- und Siedlungskonzept, Fruchtfolgeflächen, Gemeindeautonomie).
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Rechtliche Grundlagen: Das Bundesgericht erläuterte, dass eine Koordinationspflicht nach Art. 25a RPG nur bei einem derart engen Sachzusammenhang zwischen verschiedenen materiellrechtlichen Vorschriften bestehe, dass sie nicht getrennt und unabhängig voneinander angewendet werden dürfen. Nutzungsplan- und Baubewilligungsverfahren stünden auf verschiedenen Ebenen des planerischen Stufenbaus.
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Prüfung der Rügen:
- Verkehrsrichtplan und Nutzungskonflikte: Das Bundesgericht stimmte der Vorinstanz zu, dass kein derart enger sachlicher Zusammenhang zwischen der Unterschutzstellung und dem kommunalen Verkehrsrichtplan bestehe. Der Schutzperimeter umfasse nur einen sehr kleinen Teil des gemeindeweiten Richtplans, und die Strassenparzelle Nr. 7 sei im massgebenden Teilrichtplan nicht klassiert. Auch zukünftige Nutzungskonflikte bei Parkplätzen der Badeanstalt seien als untergeordnetes Problem ohne ausreichend engen Sachzusammenhang für eine Koordination anzusehen.
- Regionale Konzepte und Fruchtfolgeflächen (FFF): Die Beschwerdeführenden hätten nicht substanziiert dargelegt, inwiefern koordinationsrechtliche Vorgaben verletzt wurden.
- Gemeindeautonomie: Ein pauschaler Verweis auf Art. 50 Abs. 1 BV und die kantonale Autonomie in der Planung sei nicht ausreichend begründet.
- Art. 16 und 22 RPG: Der Verweis auf BGE 145 I 156, welcher die Erstellung einer nichtlandwirtschaftlichen Wohnbaute in der Landwirtschaftszone betraf, sei mangels einer Baute vorliegend nicht einschlägig.
- Pufferzonen und Nutzungskonflikte: Die Befürchtung, der Einbezug der Strassenparzellen führe zum Verlust von Pufferzonen (Art. 14 Abs. 2 lit. d NHV) und zu Nutzungskonflikten mit intensiv genutzten Fruchtfolgeflächen, wurde als reine Vermutung oder als bereits durch andere Vorschriften geregelt beurteilt.
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Fazit Koordination: Das Bundesgericht verneinte eine Verletzung der Koordinationspflicht.
III. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte
Das Bundesgericht weist die Beschwerde gegen die Unterschutzstellung des Fraubrunnenmooses ab. Es bestätigt, dass:
1. Keine Befangenheit der involvierten Sachbearbeiterin vorliegt, da trotz ihrer Doppelrolle (ANF-Mitarbeiterin und Vorstandsmitglied Berner Ala) die öffentlichen und privaten Interessen in diesem Kontext als deckungsgleich beurteilt werden und die Entscheidungskompetenz bei einer hierarchisch übergeordneten Behörde lag.
2. Die Unterschutzstellung verhältnismässig ist und die Eigentumsgarantie der Beschwerdeführenden nicht verletzt. Ein gewichtiges öffentliches Interesse am Schutz des Kiebitzes und des Biotops besteht, und die gewählten Massnahmen (inkl. der Perimeterausweitung) sind geeignet, erforderlich und den Betroffenen zumutbar, da die Nachteile die öffentlichen Interessen nicht überwiegen.
3. Die planerische Koordination mit anderen Projekten und Planungen ausreichend war und kein enger Sachzusammenhang bestand, der eine weitergehende Koordination zwingend erforderlich gemacht hätte.
IV. Entscheid des Bundesgerichts
Die Beschwerde wurde abgewiesen. Die Gerichtskosten wurden den Beschwerdeführenden auferlegt, mit Ausnahme der Einwohnergemeinde Fraubrunnen.