Zusammenfassung von BGer-Urteil 7B_487/2025 vom 24. September 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das vorliegende Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (7B_487/2025 vom 24. September 2025) detailliert zusammen:

1. Einleitung und Verfahrensgegenstand

Das Bundesgericht hatte in diesem Fall über eine Beschwerde in Strafsachen von A.__ (Beschwerdeführer) zu befinden. Dieser wandte sich gegen einen Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, mit dem sein Gesuch um Einsetzung eines notwendigen, eventuell eines amtlichen Verteidigers in der Person von Rechtsanwalt Jürg Oskar Luginbühl ab dem 2. Dezember 2024 abgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer ist Gegenstand einer Strafuntersuchung der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich wegen sexueller Handlungen mit Kindern.

2. Sachverhalt (relevant für die rechtliche Beurteilung)

Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich lehnte am 30. Januar 2025 ein Gesuch des Rechtsanwalts Jürg Oskar Luginbühl um Einsetzung als amtlicher Verteidiger ab. Die dagegen erhobene Beschwerde des A.__ wies das Obergericht des Kantons Zürich am 23. April 2025 ab, soweit es darauf eintrat. Der Beschwerdeführer hatte Rechtsanwalt Luginbühl bereits am 10. September 2024, also zu Beginn des Vorverfahrens, als seinen Wahlverteidiger mandatiert. Er ist volljährig und absolviert eine Lehre, verfügt aber noch nicht über eine angemessene Erstausbildung. Trotz mehrfacher Aufforderung durch die Staatsanwaltschaft und die Oberstaatsanwaltschaft legte er seine eigenen finanziellen Verhältnisse sowie die seiner Eltern nicht detailliert dar und reichte keine Belege ein.

3. Verfahrensrechtliche Rügen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer monierte mehrere Verfahrensmängel:

  • Unvollständige und willkürliche Aktengrundlage: Das Bundesgericht wies diesen Einwand zurück. Der Beschwerdeführer sei den Begründungsanforderungen gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG nicht gerecht geworden, da er nicht hinreichend dargelegt habe, welche relevanten Aktenstücke der Oberstaatsanwaltschaft hätten vorliegen müssen und inwiefern ein unterlassener Aktenbeizug einen groben Verfahrensfehler darstelle.
  • Ignoriertes Ausstandsgesuch: Der Beschwerdeführer hatte am 15. Januar 2025 per E-Mail den Anschein der Befangenheit des Oberstaatsanwalts Philipp geltend gemacht. Das Bundesgericht bestätigte die Ansicht der Vorinstanz, dass die E-Mail keine formgültige Eingabe darstellte und daher kein ordentliches Ausstandsverfahren auslöste. Gemäss Art. 110 Abs. 2 StPO müssen elektronische Eingaben mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein, was bei der fraglichen E-Mail nicht der Fall war. Von Rechtsanwälten könne erwartet werden, dass sie Eingaben formgerecht einreichen (unter Verweis auf Urteile 1B_466/2019 E. 3 und BGE 142 IV 299 E. 1.3.4 f.). Eine Verletzung des Gehörsanspruchs liege somit nicht vor.
  • Allgemeine Gehörsverletzungen: Der Beschwerdeführer sah zudem weitere Gehörsverletzungen in der Begründung des vorinstanzlichen Entscheids. Das Bundesgericht verneinte dies und hielt fest, dass die Vorinstanz ihre Überlegungen nachvollziehbar dargelegt und sich hinreichend mit den Rügen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe. Es sei nicht erforderlich, dass sich das Gericht mit jedem einzelnen Parteistandpunkt ausdrücklich auseinandersetze (BGE 147 IV 409 E. 5.3.4).

4. Notwendige Verteidigung (Art. 130 ff. StPO)

Das Bundesgericht befasste sich mit dem Antrag des Beschwerdeführers auf rückwirkende Bestellung seines Wahlverteidigers als notwendigen Verteidiger.

  • Rechtlich geschütztes Interesse (Art. 382 Abs. 1 StPO): Die Vorinstanz war auf diesen Antrag nicht eingetreten, da sie dem Beschwerdeführer mangels eines rechtlich geschützten Interesses die Parteifähigkeit absprach. Das Bundesgericht bestätigte diese Auffassung. Ein rechtlich geschütztes Interesse erfordere, dass der Beschwerdeführer aktuell und praktisch von einer Rechtsverletzung betroffen sei und die angefochtene Norm seine Interessen schütze (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG, BGE 144 IV 81 E. 2.3.1; 145 IV 161 E. 3.1).
  • Differenzierung zwischen notwendiger und amtlicher/gewillkürter Verteidigung: Das Bundesgericht stellte klar, dass der Zweck der notwendigen Verteidigung (Art. 131 StPO) darin besteht, der beschuldigten Person einen fairen Prozess und Waffengleichheit zu sichern (BGE 145 IV 407 E. 1.3.1). Dieser Zweck war im vorliegenden Fall stets gewahrt, da der Beschwerdeführer bereits seit dem 10. September 2024 durch einen selbst gewählten (Wahl-)Verteidiger (Art. 129 Abs. 1 StPO) vertreten war. Das Bundesgericht betonte die Unterscheidung zwischen der Notwendigkeit einer Verteidigung (obligatorische Anwesenheit eines Rechtsbeistands) und der Frage, wer diesen Rechtsbeistand wählt und entschädigt (Wahl- oder amtliche Verteidigung) (BGE 143 I 164 E. 2.2; 131 I 350 E. 2.1).
  • Schlussfolgerung zur notwendigen Verteidigung: Da der Beschwerdeführer durch seinen Wahlverteidiger jederzeit wirksam vertreten war, hatte er kein darüber hinausgehendes rechtliches oder praktisches Interesse an einer zusätzlichen Feststellung, ob es sich um einen Fall der notwendigen Verteidigung handle. Sein Interesse beschränkte sich auf die Frage, ob sein Wahlverteidiger als amtlicher Verteidiger eingesetzt und vom Staat bezahlt würde (Art. 135 StPO), was eine separate Problematik darstellt.

5. Amtliche Verteidigung wegen Mittellosigkeit (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO)

Dies war der Kernpunkt der materiellen Prüfung, da die Einsetzung als amtlicher Verteidiger aufgrund Mittellosigkeit von der Vorinstanz geprüft worden war.

  • Anwendbare Bestimmung: Das Bundesgericht hielt fest, dass ausschliesslich Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO (Mittellosigkeit) zur Anwendung gelangt, da der Beschwerdeführer bereits über einen Wahlverteidiger verfügte und somit Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO (Fehlen einer Wahlverteidigung) nicht einschlägig war.
  • Rechtsauffassung der Vorinstanz und des Bundesgerichts:
    • Begriff der Bedürftigkeit: Eine Partei ist bedürftig, wenn sie die Prozesskosten nur durch Angreifen von Mitteln aufbringen könnte, die zur Deckung des Grundbedarfs für sich und ihre Familie notwendig sind (BGE 135 I 221 E. 5.1). Die Beurteilung erfolgt anhand der gesamten wirtschaftlichen Situation des Gesuchstellers zum Zeitpunkt des Gesuchs.
    • Prozessuale Mitwirkungsobliegenheit: Die antragstellende Partei hat ihre aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend aufzuzeigen und zu belegen (BGE 125 IV 161 E. 4a). Diesbezüglich kann sie sich nicht auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen. Bei Nichterfüllung dieser Obliegenheit ist das Gesuch abzuweisen.
    • Elterliche Unterstützungspflicht: Die familienrechtlichen Unterstützungspflichten gehen der staatlichen Pflicht zur Gewährung unentgeltlicher Rechtspflege vor (BGE 138 III 672 E. 4.2.1). Gemäss Art. 277 Abs. 2 ZGB müssen Eltern für den Unterhalt volljähriger Kinder, die sich noch in Ausbildung befinden, aufkommen, soweit es ihnen zumutbar ist. Diese Pflicht erstreckt sich grundsätzlich auch auf Rechtsschutzkosten, einschliesslich der Mandatierung eines Anwalts (BGE 127 I 202 E. 3f). Daher sind bei der Beurteilung der Bedürftigkeit eines volljährigen Kindes in Ausbildung auch die finanziellen Verhältnisse der Eltern zu berücksichtigen (BGE 127 I 202 E. 3g).
    • Übertragbarkeit der Rechtsprechung: Das Bundesgericht betonte, dass die Grundsätze zur unentgeltlichen Verbeiständung (Art. 29 Abs. 3 BV, Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK), wie sie für geschädigte Personen entwickelt wurden (z.B. in BGE 127 I 202), auch auf die amtliche Verteidigung beschuldigter Personen im Sinne von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO übertragbar sind. Auch der Leitfaden der Oberstaatsanwaltschaft Zürich bestätige, dass volljährige Gesuchsteller in Ausbildung grundsätzlich Auskunft über die finanziellen Verhältnisse ihrer unterhaltspflichtigen Eltern zu geben haben.
  • Anwendung auf den Fall: Der volljährige Beschwerdeführer absolviert eine Lehre und hat noch keine angemessene Erstausbildung. Folglich greift die elterliche Unterstützungspflicht nach Art. 277 Abs. 2 ZGB. Der Beschwerdeführer war daher verpflichtet, Auskunft über seine eigenen und die finanziellen Verhältnisse seiner Eltern zu geben. Dies tat er trotz mehrfacher Aufforderung nicht. Er legte keine Belege vor und berief sich auf die bereits in den Akten befindlichen Informationen, was die Vorinstanz jedoch als unzutreffend feststellte.
  • Schlussfolgerung zur amtlichen Verteidigung: Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass der Beschwerdeführer seiner Mitwirkungspflicht zur Offenlegung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachgekommen ist. Sein Gesuch um Einsetzung eines amtlichen Verteidigers wurde daher zu Recht abgewiesen.

6. Ergebnis und Kosten

Die Beschwerde des A.__ wurde abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wurde wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde (Art. 64 Abs. 1 BGG) ebenfalls abgewiesen. Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- wurden dem Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 2 BGG).

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hat die Beschwerde des A.__ abgewiesen. Es bestätigte, dass die Oberstaatsanwaltschaft ein per E-Mail ohne qualifizierte Signatur gestelltes Ausstandsgesuch nicht behandeln musste und keine weiteren Verfahrensmängel vorlagen. Den Antrag auf rückwirkende Bestellung einer notwendigen Verteidigung wies das Bundesgericht mangels rechtlich geschützten Interesses zurück, da der Beschwerdeführer bereits einen Wahlverteidiger hatte und somit der Zweck einer fairen Verteidigung erfüllt war. Hinsichtlich der amtlichen Verteidigung aufgrund Mittellosigkeit bekräftigte das Bundesgericht die prozessuale Mitwirkungsobliegenheit des Beschuldigten, seine eigenen und die finanziellen Verhältnisse seiner unterhaltspflichtigen Eltern (gemäss Art. 277 Abs. 2 ZGB, da in Ausbildung) offenzulegen und zu belegen. Da der Beschwerdeführer dieser Obliegenheit nicht nachkam, wurde sein Gesuch auf amtliche Verteidigung zu Recht abgewiesen.