Das Schweizerische Bundesgericht, II. strafrechtliche Abteilung, hatte im Urteil 7B_482/2025 vom 2. Oktober 2025 über die Beschwerde von A.__ gegen die Verweigerung seiner bedingten Entlassung aus einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe bei gleichzeitig angeordneter Verwahrung zu entscheiden.
1. Sachverhalt und Vorinstanzenentscheide
A._ wurde am 22. Februar 2017 vom Obergericht des Kantons Zug wegen mehrfachen Mordes und weiterer Delikte zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt, verbunden mit einer Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB. Dieses Urteil wurde vom Bundesgericht am 6. November 2017 bestätigt. Nachdem A._ am 22. April 2024 die Mindestverbüssungsdauer von 15 Jahren erreicht hatte, beantragte der Vollzugs- und Bewährungsdienst des Kantons Zug die Ablehnung der bedingten Entlassung. Sowohl das Strafgericht des Kantons Zug (9. April 2024) als auch das Obergericht des Kantons Zug (10. April 2025) verweigerten die bedingte Entlassung.
Die Vorinstanz stützte ihren Entscheid massgeblich auf ein Gutachten von Dr. med. B._ vom 31. August 2020 sowie dessen mündliche Ergänzungen vom 10. März 2025. Das Gutachten stellte bei A._ eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, akzentuierte Persönlichkeitszüge und ausgeprägte psychopathische Persönlichkeitsmerkmale fest. Die Legalprognose wurde mittels VRAG-R und FOTRES erstellt und kam zu dem Schluss, dass die Rückfallgefahr für Eigentums- und Drogenkonsumdelikte sehr hoch, für Raubdelikte deutlich bis hoch und für schwere Gewaltdelikte einschliesslich Tötungsdelikte deutlich sei. Das Obergericht kam zum Ergebnis, dass sich die Legalprognose nicht verbessert habe und die rechtlich erforderliche "hohe Wahrscheinlichkeit der Bewährung in Freiheit" nicht gegeben sei.
2. Massgebliche Rechtsgrundlagen
Die bedingte Entlassung aus der Verwahrung richtet sich gemäss Art. 64 Abs. 3 StGB nach Art. 64a StGB. Voraussetzung ist, dass "zu erwarten ist, dass er sich in der Freiheit bewährt". Die Rechtsprechung legt diesen Massstab sehr streng aus und verlangt eine hohe Wahrscheinlichkeit der Bewährung in Freiheit (BGE 136 IV 165 E. 2.1.1). Der Entscheid über die bedingte Entlassung stützt sich auf einen Bericht der Anstaltsleitung, eine unabhängige sachverständige Begutachtung (Art. 56 Abs. 4 StGB), die Anhörung einer Kommission (Art. 62d Abs. 2 StGB) und die Anhörung des Täters (Art. 64b Abs. 2 StGB). Die Zuständigkeit für den Straf- und Massnahmenvollzug liegt bei den Kantonen (Art. 123 Abs. 2 BV und Art. 372 Abs. 1 StGB), wobei der Gefangene gemäss Art. 75 Abs. 4 StGB aktiv an Sozialisierungs- und Entlassungsvorbereitungen mitzuwirken hat.
3. Rügen des Beschwerdeführers und Erwägungen des Bundesgerichts
Der Beschwerdeführer erhob diverse Rügen, die das Bundesgericht detailliert prüfte und im Wesentlichen abwies:
3.1. Keine völkerrechtskonforme Entlassungsperspektive / EMRK-Verletzung (Art. 3, 13 EMRK)
Der Beschwerdeführer beanstandete, ihm sei seit 2009 keine deliktsorientierte Therapie angeboten worden, um seine soziale Wiedereingliederung vorzubereiten. Er beantragte die Sistierung des Verfahrens, um eine Therapie zu absolvieren und danach ein neues Gutachten einzuholen. Die verweigerte Mitwirkung an einem Gutachten sei ihm nicht vorzuwerfen, da ihm vorgängig keine Therapie gewährt wurde. Dies verletze Art. 3 und 13 EMRK.
- Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht bekräftigte die Ausführungen der Vorinstanz zur Zuständigkeitsverteilung. Die Durchführung einer vollzugsbegleitenden Therapie ist eine Modalität des Strafvollzugs gemäss Art. 75 StGB und fällt in die Zuständigkeit der Vollzugsbehörde (im Kanton Zug des Vollzugs- und Bewährungsdienstes). Die Gerichte sind im Nachverfahren einzig für die Beurteilung der bedingten Entlassung zuständig und haben nicht die Aufgabe, die materiellen Voraussetzungen für die Entlassung zu schaffen.
- Die Richterpflicht zur Schaffung von Entscheidungsgrundlagen bedeutet nicht, dass das Gericht die Therapie selbst anordnen muss. Vielmehr obliegt die Initiierung und Installation einer vollzugsbegleitenden Therapie der Vollzugsbehörde. Die Vorinstanz stellte fest, dass der Beschwerdeführer bis 2019 nie eine Therapie gewünscht hatte und dann die Mitwirkung an der Begutachtung zur Therapiefähigkeit verweigerte. Diese Weigerung wurde als widersprüchlich und selbstverschuldet eingestuft. Angesichts der manipulativen Biografie und der Einschätzung, dass eine Therapie ohne vorherige Abklärung der Therapieeignung kontraproduktiv sein könnte, war die Forderung nach einer gutachterlichen Abklärung der Therapiefähigkeit vor Beginn einer Therapie als notwendig erachtet worden. Der Beschwerdeführer konnte der Vorinstanz daher keine Verletzung von Art. 3 EMRK vorwerfen, da er seinen Beitrag zur Schaffung der Entscheidungsgrundlagen verweigert hatte.
3.2. Mängel des Gutachtens von Dr. med. B.__
3.2.1. Unzureichende Aktenbasis und Unzulässigkeit eines Aktengutachtens:
Der Beschwerdeführer rügte, es sei unklar, welche Akten dem Gutachter vorlagen, und das Gutachten sei unzulässig, da es ausschliesslich als Aktengutachten ohne persönliche Exploration erstellt wurde.
- Begründung des Bundesgerichts: Der Beschwerdeführer wusste um die Aktenbasis und hätte fehlende Dokumente geltend machen können, was er unterliess. Die Tatsache, dass es sich um ein Aktengutachten handelt, ist allein seiner Mitwirkungsverweigerung geschuldet. Nach ständiger Rechtsprechung verhält sich ein Täter, der eine persönliche Untersuchung verweigert, widersprüchlich, wenn er anschliessend die Unverwertbarkeit eines Aktengutachtens rügt (BGE 146 IV 1 E. 3.2.2). Der Sachverständige hatte zudem dargelegt, dass Aussagen zur Legalprognose – im Gegensatz zur Therapiefähigkeit – auch ohne Explorationsgespräch möglich seien, da die festgestellten psychischen Störungen ohne Behandlung unverändert fortbestehen würden.
3.2.2. Verwertung des Vorgutachtens von Dr. med. C.__:
Der Beschwerdeführer monierte, das aktuelle Gutachten stütze sich massgeblich auf das Vorgutachten von Dr. med. C.__ aus dem Jahr 2011, welches im Urteil vom 30. Oktober 2013 für unverwertbar erklärt worden sei.
- Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht stellte klar, dass die Unverwertbarkeit des Gutachtens von Dr. med. C._ sich spezifisch auf die Prüfung der lebenslänglichen Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1bis StGB bezog. Diese Bestimmung (Art. 56 Abs. 4bis StGB) verlangt Gutachten von mindestens zwei erfahrenen und voneinander unabhängigen Sachverständigen, die den Täter weder behandelt noch in anderer Weise betreut haben. Das Strafgericht hatte 2013 festgestellt, dass Dr. C._ aufgrund des Bezugs auf das Erstgutachten für diese spezifische Frage nicht als hinreichend unabhängig qualifiziert werden konnte. Dies bedeutet keine allgemeine prozessuale Unverwertbarkeit nach Art. 140 ff. StPO. Zudem wurde damals kein fristgerechtes Gesuch zur Aufhebung und Wiederholung von Verfahrenshandlungen (Art. 60 Abs. 1 StPO) gestellt.
3.2.3. Mangelnde Aktualität des Gutachtens:
Der Beschwerdeführer bemängelte die mangelnde Aktualität des Gutachtens von Dr. med. B.__, da es fünf Jahre alt sei.
- Begründung des Bundesgerichts: Für die Aktualität eines Gutachtens ist gemäss Rechtsprechung nicht primär das Alter massgebend, sondern die materielle Frage, ob sich die Ausgangslage seit der Erstellung des Gutachtens wesentlich gewandelt hat (BGE 134 IV 246 E. 4.3). Die Vorinstanz hatte den Gutachter an der Berufungsverhandlung vom 10. März 2025 mündlich zu Ergänzungen befragt, nachdem ihm die Vollzugsberichte seit 2020 zugestellt worden waren. Der Gutachter bewertete die weiteren Vollzugsentwicklungen und kam zum Schluss, dass diese seinen Befund nicht ändern. Damit war für eine hinreichende Aktualität gesorgt.
3.2.4. Weitere inhaltliche Mängel:
Der Beschwerdeführer rügte fehlendes Problembewusstsein, Veränderungswillen und Therapiemotivation.
- Begründung des Bundesgerichts: Der Gutachter hatte den geäusserten Therapiewillen des Beschwerdeführers berücksichtigt, aber angesichts der Verweigerung der Mitwirkung an der Therapiefähigkeitsabklärung keine massgebliche Veränderung erkennen können. Das Bundesgericht bestätigte, dass aus positivem intramuralem Verhalten nicht direkt auf eine günstige extramurale Legalprognose geschlossen werden kann, insbesondere angesichts der manipulativen Tendenzen.
3.3. Mängel der Beurteilung der Konkordatlichen Fachkommission (KoFaKo)
Der Beschwerdeführer hielt die Beurteilung der KoFaKo vom 26. April 2023 für unbrauchbar, da sie das Gutachten von Dr. med. B.__ lediglich rezitiere und keine eigenständige Analyse vornehme.
- Begründung des Bundesgerichts: Die Vorinstanz mass der Beurteilung der KoFaKo nur untergeordnete Bedeutung bei, da diese den Charakter einer Empfehlung habe. Wesentlich sei die eigenverantwortliche Prüfung des forensisch-psychiatrischen Gutachtens durch das Gericht. Da der Beschwerdeführer nicht darlegte, inwiefern eine gänzliche Ausserachtlassung des KoFaKo-Berichts den Entscheid beeinflusst hätte, war die Rüge unerheblich.
3.4. Verfahrensfehler bei Urteilseröffnung (Art. 84 StPO)
Der Beschwerdeführer machte geltend, er habe das vollständig begründete Urteil direkt zugestellt erhalten, ohne vorgängige Eröffnung des Dispositivs. Dies sei eine Verletzung von Art. 84 Abs. 2 StPO und entziehe ihm die Möglichkeit zur Prüfung des weiteren Vorgehens.
- Begründung des Bundesgerichts: Die Vorinstanz handelte korrekt nach Art. 84 Abs. 3 StPO. Die Parteien hatten nach der Berufungsverhandlung auf eine öffentliche Urteilsverkündung verzichtet. Das Urteil wurde am 10. April 2025 beraten und gleichentags gefällt, am 11. April 2025 verschickt und am 14. April 2025 zugestellt. Die Zustellung erfolgte somit "sofort" nach der Urteilsfällung. Ein gesetzlicher Anspruch, bereits vor der fristauslösenden Eröffnung des begründeten Entscheids über das Ergebnis informiert zu werden, besteht nicht. Die Zeitdauer von einem Monat zwischen Verhandlung und Urteilsberatung/Ausfertigung ist verhältnismässig kurz und steht im Einklang mit dem Konzentrationsgrundsatz.
4. Fazit und Kosten
Das Bundesgericht wies die Beschwerde in allen Punkten ab, soweit darauf eingetreten wurde. Es bestätigte, dass die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nicht erfüllt sind, da die "hohe Wahrscheinlichkeit der Bewährung in Freiheit" nicht vorliegt. Die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich Verfahrens- und Gutachtenmängeln wurden als unbegründet erachtet.
Dem Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wurde stattgegeben. Es wurden keine Gerichtskosten erhoben, und sein Rechtsvertreter wurde aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.
Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht bestätigt die Verweigerung der bedingten Entlassung von A.__ aus der lebenslänglichen Freiheitsstrafe bei gleichzeitiger Verwahrung. Die Kernpunkte des Entscheids sind:
- Strenge Anforderungen an die Legalprognose: Die bedingte Entlassung aus der Verwahrung setzt eine "hohe Wahrscheinlichkeit der Bewährung in Freiheit" voraus, die hier angesichts der hohen Rückfallgefahr für schwere Gewaltdelikte nicht gegeben war.
- Zuständigkeitstrennung: Die Anordnung einer vollzugsbegleitenden Therapie ist eine Angelegenheit der Vollzugsbehörden (Art. 75 StGB), nicht der Gerichte, die über die bedingte Entlassung entscheiden. Das Gericht ist nicht verpflichtet, die Voraussetzungen für die Entlassung zu schaffen.
- Mitwirkungsverweigerung des Verurteilten: Die Weigerung des Beschwerdeführers, an der gutachterlichen Abklärung seiner Therapiefähigkeit mitzuwirken, wurde als selbstverschuldet und widersprüchlich gewertet. Eine EMRK-Verletzung wurde verneint.
- Zulässigkeit des Aktengutachtens: Da der Beschwerdeführer eine persönliche Exploration verweigerte, konnte das Gutachten als Aktengutachten verwertet werden, zumal der Sachverständige begründet hatte, dass Prognoseaussagen auch ohne direkte Untersuchung möglich waren.
- Verwertbarkeit von Vorgutachten: Ein früher als für die lebenslängliche Verwahrung ungeeignet (Art. 56 Abs. 4bis StGB) befundenes Gutachten war für die allgemeine Prognosebeurteilung verwertbar, da keine prozessuale Unverwertbarkeit im Sinne der StPO vorlag.
- Aktualität des Gutachtens: Die Aktualität des Gutachtens wurde durch die mündliche Befragung des Sachverständigen unter Berücksichtigung der neuesten Vollzugsberichte vor dem Obergericht gewährleistet.
- Korrekte Urteilseröffnung: Die Urteilseröffnung erfolgte konform mit Art. 84 Abs. 3 StPO, da die Parteien auf eine öffentliche Verkündung verzichtet hatten und das begründete Urteil umgehend nach der Beratung zugestellt wurde.