Zusammenfassung von BGer-Urteil 1C_302/2023 vom 28. Oktober 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (1C_302/2023 vom 28. Oktober 2025) detailliert zusammen:

Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichts 1C_302/2023 vom 28. Oktober 2025

1. Einleitung und Streitgegenstand Das Bundesgericht hatte in diesem Verfahren über einen Anspruch auf Entschädigung wegen materieller Enteignung zu befinden. Der Kanton Waadt (Beschwerdeführer) begehrte die Abweisung einer Entschädigungsforderung von A.__ (Intimierter), dessen Parzelle durch eine Zonenplanrevision in der Gemeinde Ormont-Dessus von der Bauzone in die Landwirtschaftszone umgezont wurde. Die zentrale Rechtsfrage war, ob es sich bei dieser Umzonung um eine "Auszonung" (déclassement) handelte, die grundsätzlich entschädigungspflichtig sein kann, oder um eine "Nichteinzonung" (refus de classement), die in der Regel keinen Entschädigungsanspruch begründet.

2. Sachverhalt und Vorinstanzen A._ ist Eigentümer der Parzelle Nr. 2791 in Ormont-Dessus, welche im 1982 genehmigten Zonenplan (nachfolgend: Zonenplan 1982) als Chaletzone (Bauland) klassifiziert war. Im Rahmen einer Revision des kommunalen Richtplans und des Zonenplans (MPE) im Jahr 2016, die u.a. einer Überdimensionierung der Bauzonen Rechnung tragen sollte (die Gemeinde verfügte 2014 über eine Kapazität für über 2'000 neue Einwohner, während nur ca. 440 erwartet wurden), wurde die Parzelle Nr. 2791 mit Inkrafttreten der MPE am 14. März 2018 in die Landwirtschaftszone umgezont. A._ machte daraufhin einen Entschädigungsanspruch wegen materieller Enteignung geltend.

Die Direktion für Raumentwicklung und Wohnungsbau des Kantons Waadt (DGTL) wies die Forderung mit der Begründung ab, es handle sich um eine Nichteinzonung. Die Cour de droit administratif et public (CDAP) des Kantonalen Verwaltungsgerichts Waadt gab der Beschwerde von A.__ teilweise statt. Sie qualifizierte die Umzonung als Auszonung, da der Zonenplan 1982 die Vermutung der Konformität mit dem Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG) geniessen müsse. Die Sache wurde zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeit der künftigen Überbauung und der Entschädigungshöhe an die DGTL zurückgewiesen. Der Kanton Waadt focht diesen Entscheid beim Bundesgericht an.

3. Massgebende Rechtsgrundlagen und Grundsätze der materiellen Enteignung Das Bundesgericht legte zunächst die Grundsätze der materiellen Enteignung dar: * Definition (Art. 26 Abs. 2 BV, Art. 5 Abs. 2 RPG): Eine materielle Enteignung liegt vor, wenn der bisherige oder voraussichtlich zukünftige Gebrauch einer Sache in besonders schwerwiegender Weise verboten oder eingeschränkt wird, sodass der Eigentümer eines wesentlichen Attributs seines Eigentumsrechts beraubt wird. Eine Entschädigung ist auch geschuldet, wenn eine weniger schwerwiegende Einschränkung einen oder mehrere Eigentümer in einer Weise trifft, dass sie ein zu grosses Opfer zugunsten der Allgemeinheit tragen müssten (Opfertheorie). Die künftige Nutzung muss dabei zum massgebenden Zeitpunkt in naher Zukunft sehr wahrscheinlich sein. * Abgrenzung Nichteinzonung vs. Auszonung: * Auszonung: Ein Grundstück wird aus einer Bauzone entlassen, die nach den Vorschriften des RPG materiell und formell korrekt erlassen wurde. Dies kann einen Entschädigungsanspruch begründen, sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. In diesem Kontext erwähnte das Bundesgericht neuere Rechtsprechung (BGE 1C_275/2022), welche die Rolle des 15-jährigen Planungszeitraums nach Art. 15 Abs. 1 RPG bei der Entschädigungsfrage beleuchtet, die Frage aber im Ergebnis noch offenliess. Ein Eigentümer könne nicht erwarten, dass die Baulandmöglichkeiten über 15 Jahre hinaus aufrechterhalten blieben. * Nichteinzonung: Ein Grundstück wird einer Nichtbauzone zugewiesen, obwohl es zuvor nach einer nicht RPG-konformen Regelung bebaubar war. Hier besteht grundsätzlich kein Entschädigungsanspruch. Dies gilt auch für Zonenpläne, die nach Inkrafttreten des RPG erlassen wurden, aber den materiellen Anforderungen des Bundesrechts nicht vollständig genügten. Massgeblich ist die Gesamtkonformität des früheren Plans mit den raumplanungsrechtlichen Grundsätzen, nicht nur die Eignung einzelner Parzellen. * Art. 15 Abs. 1 aRPG: Die Bauzonen umfassen die für die Bebauung geeigneten, weitgehend überbauten Grundstücke (lit. a) oder die in den nächsten 15 Jahren voraussichtlich für die Bebauung benötigt und erschlossen werden (lit. b). * Vermutung der RPG-Konformität: Nur Zonenpläne, die unter Geltung des RPG erlassen wurden und dessen Ziele und Grundsätze umsetzen, geniessen eine Vermutung ihrer Gültigkeit und Stabilität. Alte Pläne, die noch nicht an die RPG-Anforderungen angepasst wurden, geniessen diese Vermutung nicht. * Rechtsfrage: Die Qualifikation als Auszonung oder Nichteinzonung ist eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei prüft.

4. Begründung des Bundesgerichts im vorliegenden Fall

Das Bundesgericht untersuchte, ob der Zonenplan 1982 bereits RPG-konform war oder ob die Zonenplanrevision 2018 noch der Anpassung an die RPG-Anforderungen diente.

  • Trennprinzip: Das Bundesgericht stellte fest, dass der Zonenplan 1982 das RPG-Ziel der Trennung von Bau- und Nichtbauzonen grundsätzlich respektierte. Er trennte die Landwirtschafts- und Alpzone klar von der Chaletzone, wobei letztere im Anschluss an die Dorfzone nördlich eines Flusses angelegt wurde. Die kommunalen Dokumente von 1981 zeigten den Willen, die linke Uferseite des Flusses der Bodennutzung vorzubehalten und dort keine Bauzone vorzusehen.
  • Dimensionierung der Bauzone (Art. 15 RPG): Hier lag der entscheidende Punkt.
    • Das Bundesgericht hielt fest, dass aus den Akten keine Hinweise darauf hervorgingen, dass der Zonenplan 1982 die damals neue Bundesgesetzgebung zur Raumplanung explizit berücksichtigte.
    • Die Gemeinde Ormont-Dessus war sich 1982 bewusst, dass ihre Bauzonen "für lange Zeit noch weitgehend ausreichend" waren. Dennoch wurde im Rahmen der Erstellung des Zonenplans 1982 keine Berechnung des zukünftigen Bedarfs für den damals massgebenden Planungszeitraum von 10 (kantonal) oder 15 (bundesrechtlich) Jahren vorgenommen. Stattdessen orientierte sich der Plan 1982 im Wesentlichen am Plan von 1968.
    • Die spätere Einführung des Zweitwohnungsgesetzes (LRS) im Jahr 2015, welches die Entwicklung der Gemeinde und ihrer Chaletzonen stark beeinflusste, erfolgte rund 30 Jahre nach dem Zonenplan 1982 und damit weit ausserhalb des Planungszeitraums. Sie konnte daher nicht als entscheidende, unvorhersehbare Umstandsänderung qualifiziert werden, die eine ursprünglich korrekte Planung nachträglich als überdimensioniert erscheinen liess.
    • Fazit des Bundesgerichts: Der Zonenplan 1982 missachtete die Grundsätze und Ziele des RPG bezüglich der Dimensionierung der Bauzonen. Es handelte sich um ein Fehlen einer Bedarfsabschätzung von Anfang an, nicht um eine nachträgliche Fehlprognose aufgrund unvorhergesehener Entwicklungen. Daher konnte der Zonenplan 1982 keine Vermutung der RPG-Konformität beanspruchen.

5. Schlussfolgerung und Rückweisung Das Bundesgericht kam zum Ergebnis, dass die Umzonung der Parzelle Nr. 2791 im Jahr 2018 von der Bauzone in die Landwirtschaftszone als Nichteinzonung zu qualifizieren ist. Folglich hiess das Bundesgericht die Beschwerde des Kantons Waadt gut, hob den angefochtenen Entscheid der CDAP auf und wies die Sache an die CDAP zurück. Diese hat nun zu prüfen, ob der vorliegende Fall einer Nichteinzonung ausnahmsweise einen Entschädigungsanspruch wegen materieller Enteignung begründet (vgl. BGE 132 II 218).

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht qualifizierte die Umzonung einer Parzelle von der Bauzone in die Landwirtschaftszone als Nichteinzonung statt als Auszonung. Dies, weil der ursprüngliche Zonenplan von 1982 die bundesrechtlichen Anforderungen an die Dimensionierung von Bauzonen (Art. 15 RPG) von Anfang an missachtete, indem er keine Bedarfsberechnung vornahm, obwohl die Gemeinde wusste, dass die Bauzonen "für lange Zeit noch weitgehend ausreichend" waren. Der Plan von 1982 genoss somit keine Vermutung der RPG-Konformität. Die Sache wurde an die Vorinstanz zurückgewiesen, um zu prüfen, ob es sich trotz Nichteinzonung um einen seltenen Ausnahmefall einer entschädigungspflichtigen materiellen Enteignung handelt.