Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_575/2025 vom 10. November 2025

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Gerne, hier ist eine detaillierte Zusammenfassung des Urteils 2C_575/2025 des schweizerischen Bundesgerichts:

Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 2C_575/2025 vom 10. November 2025

1. Einleitung und Parteien

Das Bundesgericht, II. öffentlich-rechtliche Abteilung, befasste sich mit einem Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (recours en matière de droit public) gegen ein Urteil des Kantonsgerichtshofs (Cour de justice) des Kantons Genf. Der Beschwerdeführer, A.__ (geb. 1982), ein algerischer Staatsangehöriger, beantragte die sofortige Freilassung aus der Administrativhaft und die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils, welches seine Ausschaffungshaft bestätigte. Die Beschwerde richtete sich gegen den Polizeikommissar des Kantons Genf und das Kantonale Amt für Bevölkerung und Migration des Kantons Genf.

2. Sachverhalt

A.__ ist ein algerischer Staatsangehöriger, der seit 2021 in der Schweiz ist. Sein Asylgesuch wurde im Dezember 2021 nach wiederholtem Untertauchen sistiert und im Juni 2024 endgültig abgelehnt. Der Beschwerdeführer ist umfassend straffällig geworden, mit zehn Verurteilungen zwischen November 2021 und Mai 2025. Bereits im März 2022 wurde er vom Polizeigericht Genf wegen diverser Delikte (versuchter Diebstahl, mehrfacher Diebstahl, mehrfache Sachbeschädigung, illegaler Aufenthalt und Einreise, betrügerischer Bezug geringwertiger Leistungen, Widerhandlung gegen das Personenbeförderungsgesetz) zu einer Landesverweisung von drei Jahren verurteilt und im Schengener Informationssystem ausgeschrieben. Die Aufschiebung dieser richterlichen Landesverweisung wurde im April 2022 vom Kantonalen Amt für Bevölkerung und Migration (OCPM) abgelehnt.

Die kantonalen Behörden nahmen im April 2024 Kontakt mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM) auf, um die Ausschaffung vorzubereiten. Das SEM ersuchte die algerischen Behörden im Mai 2024, und erneut im Juli und Oktober 2024, um die Identifizierung des Beschwerdeführers. Im Juni 2024 wurde A._, noch vor seiner Identifizierung, aus der Strafhaft entlassen und tauchte erneut unter. Nach einer weiteren Verurteilung im September 2024 (u.a. wegen Diebstahl und Art. 291 StGB [Verletzung eines Verbots]) erfolgte schliesslich im November 2024 die Identifizierung durch die algerischen Behörden als A._.

Am 8. März 2025 wurde A.__ erneut inhaftiert, um verschiedene Strafen, einschliesslich umgewandelter Geldstrafen, zu verbüssen. Das ursprünglich geplante Haftende war der 11. Februar 2026, wobei zwei Drittel der Strafe am 19. Oktober 2025 verbüsst gewesen wären. Während dieser Strafhaft bemühte sich das SEM um die Anberaumung eines konsularischen Interviews mit den algerischen Behörden, welches für den 28. August 2025 angesetzt wurde (OCPM am 8. August 2025 informiert).

Eine entscheidende Wende trat ein, als A.__ die gegen ihn verhängten Geldstrafen bezahlte. Dies führte zu einer proportionalen Reduktion seiner Haftdauer. Das Amt für den Straf- und Massnahmenvollzug des Kantons Genf ordnete daraufhin am 21. August 2025 – gegen die Vorentscheide aller beteiligten Dienste – die Freilassung des Beschwerdeführers für den Folgetag an.

Unmittelbar nach seiner Freilassung am 22. August 2025, um 20:10 Uhr, ordnete der Polizeikommissar von Genf die Administrativhaft von A.__ für vier Monate an. Diese Anordnung wurde vom Verwaltungsgericht erster Instanz am 26. August 2025 bis zum 21. Dezember 2025 bestätigt. Der Kantonsgerichtshof wies die Beschwerde von A.__ am 10. September 2025 ab.

3. Rechtliche Würdigung durch das Bundesgericht

3.1 Zulässigkeit der Beschwerde Das Bundesgericht stellte fest, dass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) gegen Entscheide über Zwangsmassnahmen zur Ausschaffung grundsätzlich zulässig ist. Die Vorinstanz stellte einen Endentscheid dar, und der Beschwerdeführer war beschwerdeberechtigt. Die formalen Voraussetzungen wurden erfüllt.

3.2 Prüfungsstandard Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Bundesrecht frei. Bei Rügen von Grundrechtsverletzungen gelten erhöhte Begründungspflichten (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Gericht ist an den Sachverhalt der Vorinstanz gebunden, es sei denn, dieser wurde willkürlich oder unter Verletzung von Bundesrecht festgestellt (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

3.3 Inhalt des Rechtsstreits und die Rüge des Beschwerdeführers Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass ein Haftgrund für die Ausschaffungshaft gemäss Art. 75 und 76 AIG (Ausländer- und Integrationsgesetz) vorliegt. Seine einzige Rüge betrifft die Verletzung des Eilgrundsatzes (principe de célérité). Er macht geltend, die Behörden hätten während seiner Strafhaft untätig zu lange gewartet, um Massnahmen zur Ausschaffung zu treffen.

3.4 Der Eilgrundsatz in der Ausschaffungshaft

  • Rechtliche Grundlagen: Der Eilgrundsatz leitet sich aus Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK und innerstaatlich aus Art. 76 Abs. 4 AIG ab, welcher verlangt, dass die notwendigen Schritte zur Vollzug der Wegweisung oder richterlichen Landesverweisung unverzüglich einzuleiten sind.
  • Definition der Verletzung: Eine Verletzung liegt vor, wenn die zuständigen ausländerrechtlichen Behörden (kantonale oder eidgenössische) über mehr als zwei Monate hinweg keine Massnahmen zur Wegweisung oder Ausschaffung ergriffen haben, es sei denn, die Verzögerung ist primär dem Verhalten ausländischer Behörden oder dem betroffenen Ausländer selbst zuzurechnen (ATF 139 I 206 E. 2.1). Die Behörden können sich jedoch nicht auf mangelnde Kooperation des Ausländers berufen, wenn sie selbst untätig blieben. Sie müssen die Wegweisungsprozedur ernsthaft und beharrlich vorantreiben, die Identität feststellen und die notwendigen Reisedokumente rasch beschaffen, auch ohne Mitwirkung des Betroffenen. Sie müssen auch die ausländischen Behörden nachdrücklich anfragen und dürfen nicht passiv warten (2C_204/2025 E. 6.3).
  • Vorbereitung während der Strafhaft: Entscheidend ist die Rechtsprechung, die besagt, dass, wenn sich eine Person in Untersuchungs- oder Strafhaft befindet, die Behörden nach Möglichkeit die notwendigen Schritte bereits vor der Entlassung aus der Strafhaft einleiten müssen, um eine Administrativhaft zu vermeiden oder ihre Dauer unnötig zu verkürzen (ATF 130 II 488 E. 4.1; 124 II 49 E. 3a). Dies dient dem Schutz der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und der wirtschaftlichen Nutzung öffentlicher Gelder.

3.5 Anwendung des Eilgrundsatzes auf den vorliegenden Fall

Das Bundesgericht gelangt zur Überzeugung, dass die zuständigen Behörden im Fall von A.__ nicht untätig geblieben sind:

  1. Vorbereitende Massnahmen vor der letzten Strafhaft: Bereits vor der letzten Inhaftierung des Beschwerdeführers am 8. März 2025 hatten die Behörden (SEM auf Anfrage Genfs) die notwendigen Schritte zur Identifizierung des Beschwerdeführers eingeleitet, welche im November 2024 erfolgreich abgeschlossen wurden. Dies war ein unverzichtbarer Schritt vor jeder Ausschaffung.
  2. Massnahmen während der Strafhaft: Während der Strafhaft des Beschwerdeführers ab März 2025 hat das SEM das konsularische Interview mit den algerischen Vertretern geplant und für den 28. August 2025 angesetzt. Das kantonale Amt wurde am 8. August 2025 darüber informiert. Dies belegt, dass die Behörden Massnahmen zur Ausschaffung ergriffen haben, während der Beschwerdeführer noch seine Strafen verbüsste.
  3. Unerwartete Entlassung: Das Bundesgericht anerkannte, dass die kantonale Behörde die plötzliche Entlassung des Beschwerdeführers am 22. August 2025 nicht vorhersehen konnte. Diese erfolgte aufgrund der Bezahlung von Geldstrafen, die seine Haftdauer verkürzten, und wurde gegen die Empfehlungen aller beteiligten Dienste angeordnet. Es sei den ausländerrechtlichen Behörden nicht vorzuwerfen, diese kurzfristige Entwicklung nicht antizipiert zu haben.
  4. Zeitpunkt des Konsularinterviews: Das Interview fand am 28. August 2025 statt, also nur wenige Tage nach Beginn der Administrativhaft.
  5. Schwierigkeiten bei der Terminfindung: Das Gericht berücksichtigte die Erklärungen des SEM, wonach im Juli 2025 keine konsularischen Interviews stattfanden und dass nur eine begrenzte Anzahl (20) von Plätzen pro Interviewtag zur Verfügung steht, die unter den Kantonen rotierend verteilt werden. In diesem Kontext sei es gerechtfertigt, dass die kantonalen Behörden Personen in Administrativhaft oder am Ende ihrer Strafhaft bei der Zuweisung von Interviewplätzen prioritär behandeln.
  6. Fortgesetzte Bemühungen: Das SEM konnte darlegen, dass die Bemühungen zur Beschaffung eines Laissez-passer erfolgreich waren und das algerische Generalkonsulat am 9. September 2025 (einen Tag vor dem Urteil des Kantonsgerichtshofs) eine positive Antwort bezüglich der Ausstellung eines Laissez-passer gegeben hatte. Dies zeigt die anhaltende Intensität der Ausschaffungsbemühungen auch während der Administrativhaft.

Angesichts dieser Umstände konnte den Behörden weder während der Strafhaft noch während der Administrativhaft eine Verzögerung vorgeworfen werden. Die Rüge der Verletzung des Eilgrundsatzes wurde daher zurückgewiesen.

3.6 Verhältnismässigkeit und andere Rügen Das Bundesgericht stellte zudem fest, dass die Dauer der ersten Ausschaffungshaft von vier Monaten weder dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 96 AIG; Art. 5 Abs. 2, 36 Abs. 3 BV) widerspricht noch anderweitig gegen Bundesrecht verstösst. Der Beschwerdeführer hatte in dieser Hinsicht keine weiteren Rügen erhoben. Die Dauer von vier Monaten ist angesichts der Verweigerung der Rückkehr durch den Beschwerdeführer und seiner umfangreichen Straffälligkeit als angemessen zu betrachten und liegt unter der gesetzlichen Höchstgrenze von sechs Monaten gemäss Art. 79 AIG.

4. Entscheid und Kosten

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wurde mangels Erfolgsaussichten der Beschwerde abgelehnt. Angesichts der Situation des Beschwerdeführers, der sich in Haft befindet und kurz vor der Ausschaffung steht, wurden jedoch keine Gerichtskosten erhoben.

Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

  • Hintergrund: Ein mehrfach vorbestrafter algerischer Staatsangehöriger wurde gerichtlich des Landes verwiesen und in Ausschaffungshaft genommen.
  • Kernfrage: Der Beschwerdeführer rügte einzig eine Verletzung des Eilgrundsatzes bei den Ausschaffungsbemühungen der Behörden.
  • Eilgrundsatz-Interpretation: Das Bundesgericht betonte die Pflicht der Behörden, die Ausschaffung aktiv und zielgerichtet vorzubereiten, auch während der Strafhaft ("nach Möglichkeit"), um unnötige Ausschaffungshaft zu vermeiden oder zu verkürzen. Die 2-Monats-Regel für Inaktivität gilt primär während der Administrativhaft.
  • Keine Verletzung festgestellt: Die Behörden hatten bereits vor der letzten Strafhaft Massnahmen zur Identifizierung ergriffen und während der Strafhaft ein konsularisches Interview angesetzt.
  • Unvorhersehbare Entlassung: Die plötzliche und gegen die Empfehlungen erfolgte Freilassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft entlastete die Behörden von dem Vorwurf, das Interview nicht früher durchgeführt zu haben.
  • Anhaltende Bemühungen: Auch während der Administrativhaft wurden die Bemühungen fortgesetzt und führten zur positiven Antwort bezüglich des Laissez-passer.
  • Resultat: Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab und bestätigte die Rechtmässigkeit der viermonatigen Ausschaffungshaft. Die beantragte unentgeltliche Rechtspflege wurde mangels Erfolgsaussichten abgewiesen, jedoch auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet.