Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_573/2023 vom 9. September 2025

Es handelt sich um ein experimentelles Feature. Es besteht keine Gewähr für die Richtigkeit der Zusammenfassung.

Gerne fasse ich das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 2C_573/2023 vom 9. September 2025 detailliert zusammen.

I. Einleitung und Sachverhalt

Das Bundesgericht hatte über eine Beschwerde der A._ AG, die ein Rehabilitationszentrum für psychisch kranke Menschen betreibt, zu befinden. Gegenstand der Beschwerde war die Frage des Ausstands von B._, dem Leiter des Amts für Soziales des Kantons Appenzell Ausserrhoden, in einem aufsichtsrechtlichen Verfahren. Dieses Verfahren wurde aufgrund eines Hinweises des Gemeindepräsidenten C._ eingeleitet, der "angezeigte Vorfälle" betraf. Die A._ AG forderte den Ausstand von B._, doch sowohl das kantonale Departement Gesundheit und Soziales als auch das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden wiesen das Begehren ab. Die A._ AG gelangte daraufhin an das Bundesgericht.

II. Hauptproblemstellung vor Bundesgericht

Die zentrale Frage vor dem Bundesgericht war, ob B.__ aufgrund geltend gemachter Befangenheitsgründe seiner Pflicht zum Ausstand im aufsichtsrechtlichen Verfahren nachkommen muss. Die Beschwerdeführerin erhob dabei primär Rügen formeller Natur bezüglich der Verfahrensführung der kantonalen Instanzen.

III. Rechtliche Grundlagen und allgemeine Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht befasste sich zunächst mit den allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen, insbesondere dem verfassungsmässigen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 1 und 2 BV. Es erinnerte daran, dass: * Eine formelle Rechtsverweigerung vorliegt, wenn eine Behörde auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache oder einzelne Anträge nicht eintritt oder diese nicht behandelt (E. 3.1). * Das rechtliche Gehör ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht darstellt, das der Sachaufklärung dient und alle Befugnisse umfasst, die einer Partei zur wirksamen Geltendmachung ihres Standpunkts zustehen. Dazu gehören insbesondere das Recht, sich vor Entscheid zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen (E. 3.2), das Replikrecht (Recht, zu gegnerischen Stellungnahmen Stellung zu nehmen, bevor sie gutgeheissen werden, E. 3.3) und das Akteneinsichtsrecht bezüglich sämtlicher verfahrensrelevanter Akten (E. 3.3). * Der Anspruch auf rechtliches Gehör auch das Recht auf Abnahme rechtserheblicher Beweismittel umfasst, wobei eine antizipierte Beweiswürdigung durch das Gericht zulässig ist, wenn es aufgrund bereits abgenommener Beweise seine Überzeugung gebildet hat und weitere Beweise diese nicht ändern würden (E. 3.4). * Die Begründungspflicht der Behörde vorschreibt, ihren Entscheid so abzufassen, dass sich der Betroffene über die Tragweite Rechenschaft geben und ihn anfechten kann, wobei sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken darf, jedoch nicht implizit wesentliche Vorbringen ignorieren darf (E. 3.5).

IV. Prüfung der Rügen der Beschwerdeführerin im konkreten Fall

Das Bundesgericht prüfte die von der A.__ AG erhobenen Rügen unter Berücksichtigung dieser Grundsätze:

  1. Geheilte Verletzung des Replikrechts (E. 4.1-4.3):

    • Die Beschwerdeführerin rügte eine Verletzung ihres Replikrechts, da das Departement Gesundheit und Soziales ihren Rekursentscheid erliess, bevor ihre Replik vom 31. Januar 2023 einging. Das Bundesgericht bestätigte, dass der Rekursentscheid zur Wahrung des Replikrechts jedenfalls nicht vor dem 4. Februar 2023 hätte gefällt werden dürfen.
    • Die Vorinstanz (Obergericht) ging jedoch zutreffend davon aus, dass diese Verletzung des Replikrechts im Rahmen des obergerichtlichen Beschwerdeverfahrens geheilt werden konnte. Die Beschwerdeführerin hatte die Möglichkeit, im Beschwerdeverfahren umfassend Stellung zur Vernehmlassung des Amts für Soziales zu nehmen und ihre Rügen vorzubringen. Die Überprüfungsbefugnis des Obergerichts war nach kantonalem Verfahrensrecht (Art. 56 Abs. 1 VRPG/AR) nicht eingeschränkt, sondern umfasste eine vollständige Rechts- und Sachverhaltskontrolle. Somit führte die Heilung zu keinem formalistischen Leerlauf.
  2. Ungenügende Sachverhaltsermittlung und Verletzung der Begründungspflicht im Zusammenhang mit dem Verfahren O4V 22 30 (E. 4.4):

    • Die A._ AG machte geltend, dass der Beschwerdegegner B._ in einem anderen, ebenfalls hängigen Verfahren (O4V 22 30, betreffend die Bewilligung von 18 Wohnplätzen) wesentliche Verfahrensfehler begangen habe, die einen Ausstandsgrund darstellen könnten.
    • Das Bundesgericht rügte, dass die Vorinstanz darauf nur unzureichend eingegangen sei. Sie führte zwar aus, nur schwere Verfahrensfehler könnten eine Befangenheit bewirken und solche seien "im vorliegenden Verfahren" nicht ersichtlich, liess aber unklar, ob sie damit nur das aufsichtsrechtliche Verfahren oder auch das Bewilligungsverfahren O4V 22 30 meinte. Zudem begründete sie nicht näher, weshalb sie einen schweren Verfahrensfehler verneinte.
    • Entgegen der Vorinstanz sah das Bundesgericht einen hinreichenden Zusammenhang zwischen den Verfahren O4V 22 30 und dem aufsichtsrechtlichen Verfahren, da der Beschwerdegegner auch im Bewilligungsverfahren involviert war und das Amt für Soziales in seinem ursprünglichen Schreiben vom 10. November 2022 das Bewilligungsverfahren erwähnte.
    • Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Vorinstanz ihrer Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sei und zudem die Akten des Verfahrens O4V 22 30 hätte beiziehen müssen, um den rechtserheblichen Sachverhalt vollständig zu erstellen. Dies stellt eine Verletzung des Akteneinsichtsrechts und der Pflicht zur Sachverhaltsermittlung dar.
  3. Nichtbeachtung des Beweisantrags auf Befragung (E. 4.5):

    • Die Beschwerdeführerin hatte beantragt, der Beschwerdegegner und der Gemeindepräsident (der den Hinweis gab) seien zu befragen, um die Natur ihrer Beziehung und mögliche Befangenheit zu klären.
    • Die Vorinstanz liess diesen Antrag unberücksichtigt. Das Bundesgericht verneinte, dass die Aussage der Vorinstanz, es bestünden keine Anhaltspunkte für eine über ein Duzverhältnis hinausgehende Nähe, als implizite antizipierte Beweiswürdigung gewertet werden könne. Indem die Vorinstanz auf den Beweisantrag nicht einging, verletzte sie den Anspruch auf rechtliches Gehör.
  4. Nichtbeachtung der Akteneinsichtsbegehren (E. 4.6):

    • Die A.__ AG hatte zudem Akteneinsicht in die ungeschwärzte Fassung des Schreibens des Gemeindepräsidenten vom 2. November 2022 sowie in eine separate E-Mail bzw. ein separates Schreiben vom gleichen Datum verlangt.
    • Auch auf diese Anträge ging die Vorinstanz nicht oder nur unzureichend ein. Insbesondere wurde nicht ersichtlich, auf welcher Begründung und welchen tatsächlichen Feststellungen die Vorinstanz zu dem Schluss gelangte, dass ein separates Schreiben oder eine separate E-Mail nicht existierte (Verletzung von Art. 112 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 BGG). Dies stellte eine weitere Verletzung des Akteneinsichtsrechts und der Begründungspflicht dar.

V. Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Zusammenfassend stellte das Bundesgericht fest, dass die fehlende Berücksichtigung der Beweisanträge und die unzureichende Begründung dazu führten, dass der Beschwerdeführerin keine hinreichende Möglichkeit zur Mitwirkung an der Beweiserhebung und zur umfassenden Kenntnisnahme der Entscheidgrundlagen gegeben wurde. Da die Verletzung des rechtlichen Gehörs ein formeller Mangel ist, führt sie – ungeachtet der materiellen Begründetheit der Rügen – zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (E. 4.7).

VI. Dispositiv

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, soweit darauf einzutreten war. Es hob das Urteil des Obergerichts des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 29. Juni 2023 auf und wies die Sache zur ergänzenden Beweiserhebung und Sachverhaltsfeststellung sowie zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Es wurden keine Gerichtskosten erhoben, und der Kanton Appenzell Ausserrhoden wurde verpflichtet, der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren zu entrichten.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht hob das Urteil des Obergerichts des Kantons Appenzell Ausserrhoden auf, weil es mehrere Verletzungen des verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) feststellte. Während eine Verletzung des Replikrechts im vorinstanzlichen Verfahren als geheilt galt, rügte das Bundesgericht die unzureichende Sachverhaltsermittlung und Begründung bezüglich behaupteter Verfahrensfehler in einem anderen, jedoch zusammenhängenden Bewilligungsverfahren. Weiter wurden die Nichtbehandlung eines Antrags auf Befragung der involvierten Personen sowie die unzureichende Behandlung von Akteneinsichtsbegehren als Verletzungen des rechtlichen Gehörs qualifiziert. Da diese Mängel formeller Natur sind, führte ihre Feststellung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung nach ergänzenden Beweiserhebungen und Sachverhaltsfeststellungen.