Zusammenfassung von BGer-Urteil 2C_246/2025 vom 4. November 2025

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Dieses Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (2C_246/2025 vom 4. November 2025) befasst sich detailliert mit der Berechnung einer CO2-Sanktion für das Referenzjahr 2021 im Kontext des CO2-Gesetzes und der dazugehörigen Verordnung. Kernpunkt des Streits ist die rechtzeitige Einreichung von fahrzeugspezifischen CO2-Emissionsdaten durch einen Grossimporteur.

Einleitung und Sachverhalt

Die A._ AG (Beschwerdeführerin), ein Grossimporteur von Personenwagen, reichte für das Referenzjahr 2021 CoC-basierte (Certificate of Conformity) Daten für einen Teil ihrer Neuwagenflotte fristgerecht bis zum 31. Januar 2022 beim Bundesamt für Strassen (ASTRA) ein. Für weitere 27 Fahrzeuge meldete sie diese fahrzeugspezifischen Emissionswerte jedoch erst am 10. März 2022, nachdem sie die provisorische Jahresschlussrechnung vom Bundesamt für Energie (BFE) erhalten hatte. Das BFE lehnte die nachträgliche Berücksichtigung dieser Daten ab und legte die CO2-Sanktion gestützt auf die primären Daten aus der Typengenehmigung auf Fr. 52'609.05 fest. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Sanktion, woraufhin die A._ AG Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht einreichte. Sie beantragte die Neuberechnung der Sanktion unter Berücksichtigung der verspätet eingereichten CoC-Werte.

Rechtliche Grundlagen und Ausgangslage

Das Bundesgericht legte die Beurteilung der CO2-Sanktion für das Referenzjahr 2021 unter Anwendung des CO2-Gesetzes und der CO2-Verordnung in der Fassung vom 1. Januar 2021 (nachfolgend: aArt.) zugrunde.

  1. Ziel und Instrumentarium des CO2-Gesetzes: Das Gesetz bezweckt die Reduktion von Treibhausgasemissionen. Ein zentrales Instrument ist die Verminderung der CO2-Emissionen von Personenwagen durch technische Massnahmen (aArt. 10 ff. CO2-Gesetz). Fahrzeugimporteure haben eine individuelle Zielvorgabe für die durchschnittlichen CO2-Emissionen ihrer Neuwagenflotte einzuhalten (aArt. 10 Abs. 3 CO2-Gesetz). Bei Nichterreichung wird eine Sanktion fällig (aArt. 13 Abs. 1 lit. b CO2-Gesetz).
  2. Berechnung und Datenquellen: Der Bundesrat legt die Berechnungsmethode für die individuelle Zielvorgabe fest, unter Berücksichtigung der Fahrzeugeigenschaften und des EU-Rechts (aArt. 11 CO2-Gesetz). Das BFE ist für die Berechnung zuständig (aArt. 12 Abs. 1 CO2-Gesetz). Für die Bestimmung der CO2-Emissionen wird das weltweit harmonisierte Prüfverfahren für leichte Nutzfahrzeuge (WLTP) angewendet, wobei der Zielwert für 2021 bei 118 g CO2/km lag (aArt. 17b CO2-Verordnung).
  3. Wahlrecht und Fristen für Datenlieferung:
    • Grundsätzlich sind für typengenehmigte Fahrzeuge die Daten in der Typengenehmigung massgebend, sofern es sich um WLTP-Werte handelt (aArt. 24 Abs. 1 und 1bis CO2-Verordnung). Dies gilt als die "primäre Datenquelle".
    • Grossimporteuren steht ein Wahlrecht zu: Sie können statt der Typengenehmigungsdaten auch die fahrzeugspezifischen CoC-basierten Daten (Fahrzeugidentifikationsnummer, CO2-Emissionen, Leergewicht) einreichen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die CoC-Daten dem ASTRA bis zum 31. Januar nach Ablauf des Referenzjahres eingereicht werden (aArt. 24 Abs. 1ter und 5 CO2-Verordnung). Bei Nichtmeldung oder verspäteter Meldung wird auf die Daten der Typengenehmigung abgestellt.

Rügen der Beschwerdeführerin und Prüfung durch das Bundesgericht

Die Beschwerdeführerin rügte im Wesentlichen die unzutreffende Qualifikation der Frist als Verwirkungsfrist, die Verletzung des Vertrauensschutzes und des Verbots widersprüchlichen Verhaltens sowie eine Unverhältnismässigkeit und die Verletzung des rechtlichen Gehörs.

I. Qualifikation der Frist (Ordnungs- vs. Verwirkungsfrist)

Die Beschwerdeführerin argumentierte, die Frist nach aArt. 24 Abs. 5 CO2-Verordnung sei eine blosse Ordnungsfrist, deren Versäumung keine Verwirkungsfolge nach sich ziehe.

  1. Definition der Verwirkungsfrist: Das Bundesgericht hielt fest, dass eine Verwirkungsfrist weder erstreckt noch unterbrochen werden kann und bei Nichteinhaltung zum Untergang eines Rechts führt. Ob eine Frist eine Verwirkungsfrist ist, sei durch Auslegung zu ermitteln. Bei unklarem Wortlaut sei von einer Verwirkungsfrist auszugehen, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Verwaltungstechnik eine endgültige Festlegung der Rechtsbeziehungen nach Fristablauf notwendig sei (vgl. BGE 125 V 262 E. 5a).
  2. Gesetzliche Grundlage für die Verwirkungsfrist: Die Beschwerdeführerin stellte implizit die Befugnis des Bundesrats zur Festsetzung einer Verwirkungsfrist in der CO2-Verordnung in Frage. Das Bundesgericht bejahte die Delegationskompetenz des Bundesrats. Art. 11 CO2-Gesetz ermächtigt den Bundesrat, die Berechnungsmethode für die Zielvorgaben festzulegen, was auch die Definition der Datenquellen einschliesse. Zudem ermächtigt aArt. 12 Abs. 2 CO2-Gesetz den Bundesrat explizit, bei Fahrzeugen ohne Typengenehmigung Fristen und pauschale Emissionswerte festzulegen. Es wäre nicht sinnvoll, so das Gericht, dem Bundesrat diese Kompetenz bei typengenehmigten Fahrzeugen zu verneinen, bei denen er freiwillig alternative Datenquellen zulässt. Das CO2-Gesetz bilde somit eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die verwaltungsrechtliche Verwirkungsfrist.
  3. Auslegung von aArt. 24 Abs. 5 CO2-Verordnung:
    • Verwaltungstechnische Gründe: Das Bundesgericht folgte der Argumentation des BFE, wonach die Frist dazu diene, die Datengrundlage für die Sanktionsbemessung im Sinne eines effizienten jährlichen Vollzugs für alle Importeure abschliessend festzulegen. Angesichts von rund 243'000 neu in Verkehr gesetzten Fahrzeugen pro Jahr sei ein geordneter Vollzug ohne eine definitive Datengrundlage zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht möglich. Dies seien gewichtige verwaltungstechnische Gründe für eine Verwirkungsfrist.
    • Systematik der Verordnung: Die Bezugnahme auf die "fristgerechte" Einreichung in aArt. 24 Abs. 1ter und 3 CO2-Verordnung zeige deutlich, dass der Verordnungsgeber die Möglichkeit der Importeure zur Verwendung CoC-basierter Daten an die rechtzeitige Meldung gebunden habe. Ein nachträgliches Melden stünde im Widerspruch zu dieser Systematik.
    • Replik auf Argumente der Beschwerdeführerin:
      • Fehlende explizite Verwirkungsfolge: Eine ausdrückliche Formulierung sei nicht zwingend, da sich der Gesetz- oder Verordnungsgeber unterschiedlicher Formulierungen bedienen könne.
      • Provisorische Jahresrechnung als Indiz für Flexibilität: Die Zustellung einer provisorischen Jahresrechnung diene lediglich der Bereinigung von Rechenfehlern, nicht aber der Änderung der bis Ende Januar festgelegten Datengrundlage. Eine abweichende Verwaltungspraxis sei nicht dargelegt.
      • Untergrabung der Gesetzesziele: Die Typengenehmigung sei von Gesetzes wegen die primäre Datengrundlage. Das Wahlrecht für CoC-Daten mit einer strikten Frist widerspreche den Gesetzeszielen nicht, da das Gesetz diese Möglichkeit nicht einmal zwingend vorsehe.

Das Bundesgericht bestätigte, dass die Frist gemäss aArt. 24 Abs. 5 CO2-Verordnung eine Verwirkungsfrist darstellt.

II. Vertrauensschutz und Verbot widersprüchlichen Verhaltens

Die Beschwerdeführerin machte geltend, das Informationsschreiben des BFE vom 9. Dezember 2021 habe suggeriert, dass Angaben bis zum 18. März 2022 abänderbar seien, und das widersprüchliche Verhalten des BFE verletze den Vertrauensschutz.

  1. Grundsätze: Der Vertrauensschutz (Art. 9 BV) erfordert eine berechtigte Vertrauensgrundlage in behördliche Zusicherungen oder Verhalten, das sich auf eine konkrete, den Betroffenen berührende Angelegenheit bezieht, sowie nachteilige, nicht mehr rückgängig zu machende Dispositionen. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (Art. 9 BV) untersagt Behörden, ohne sachlichen Grund von einem einmal eingenommenen Standpunkt abzuweichen. Die Voraussetzungen sind in beiden Fällen gleich.
  2. Analyse des Informationsschreibens: Das Bundesgericht prüfte den objektiven Sinn des Schreibens vom 9. Dezember 2021 und der beigefügten Unterlagen (insbesondere des Terminplans und des Dokuments "Datengrundlage und Sanktionsberechnung 2021"). Es stellte fest:
    • Der Terminplan wies explizit auf die Frist "31.01.2022 - Einreichfrist für COC-Daten für die Jahresschlussrechnung an ASTRA" hin.
    • Das Zeitfenster vom 18. Februar bis 18. März 2022 war für "Einsicht in Fahrzeugliste und Berechnungsresultate und Rücksprache mit BFE" vorgesehen, nicht für die Einreichung neuer Primärdaten (CoC-Daten).
    • Die Korrektur von "Unklarheiten oder Fehlern in der Fahrzeugliste" bezog sich auf die bereits vorliegenden Daten und erforderte den Nachweis korrigierender Werte, implizierte aber nicht die Nachreichung versäumter CoC-Daten.
    • Die Einreichung CoC-basierter Daten erfolgt beim ASTRA, während die Rückmeldung von Fehlern beim BFE stattfand, was eine klare Trennung der Prozesse indiziert.
  3. Schlussfolgerung: Das Schreiben des BFE bot keine taugliche Grundlage für ein schutzwürdiges Vertrauen, dass CoC-Daten auch nach dem 31. Januar 2022 noch gemeldet werden könnten. Die Weigerung des BFE, die verspäteten Daten zu berücksichtigen, stellte weder eine Abweichung von angekündigter Praxis noch ein widersprüchliches Verhalten dar.

III. Verhältnismässigkeit und rechtliches Gehör

Die Beschwerdeführerin rügte, die strikte Handhabung der Frist sei unverhältnismässig und verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör.

  1. Verhältnismässigkeit und Fristwiederherstellung: Eine Verwirkungsfrist kann bei unverschuldeter Fristversäumnis wiederhergestellt werden. Der Massstab ist jedoch streng: Nur klare Schuldlosigkeit, die auf die Unmöglichkeit, rechtzeitig zu handeln, zurückzuführen ist, führt zur Fristwiederherstellung. Ein auf Unachtsamkeit beruhendes Versehen genügt nicht (vgl. Urteil 2C_645/2024 vom 30. April 2025 E. 4.2). Die Beschwerdeführerin begründete die Verspätung mit unbekannten WLTP-Werten, obwohl diese öffentlich zugänglich gewesen wären oder beim ASTRA hätten nachgefragt werden können. Da die Beschwerdeführerin keine unverschuldete Fristversäumnis geltend machen konnte, scheiterte die Rüge der Unverhältnismässigkeit.
  2. Anspruch auf rechtliches Gehör: Der Anspruch auf rechtliches Gehör erfordert, dass Behörden die Vorbringen der Parteien prüfen und berücksichtigen. Dies setzt jedoch die Einhaltung einschlägiger Form- und Fristvorgaben voraus. Für nicht fristgerecht eingereichte Eingaben besteht kein Gehörsanspruch.

Schlussfolgerung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht wies die Beschwerde der A.__ AG ab. Es bestätigte die vorinstanzliche Beurteilung, wonach die Frist zur Einreichung CoC-basierter Daten eine Verwirkungsfrist sei, kein Vertrauensschutz verletzt wurde und die Rügen der Unverhältnismässigkeit sowie der Verletzung des rechtlichen Gehörs unbegründet sind.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigte, dass die Frist vom 31. Januar nach dem Referenzjahr für die Einreichung CoC-basierter CO2-Emissionsdaten durch Fahrzeugimporteure (aArt. 24 Abs. 5 CO2-Verordnung) eine Verwirkungsfrist ist. Diese Frist ist verwaltungstechnisch notwendig für den effizienten Vollzug der CO2-Gesetzgebung und hat eine ausreichende gesetzliche Grundlage im CO2-Gesetz. Das Informationsschreiben des BFE an die Importeure wurde nicht als vertrauensbildende Grundlage für eine nachträgliche Datenlieferung gewertet, womit Vertrauensschutz und Verbot widersprüchlichen Verhaltens nicht verletzt wurden. Eine Wiederherstellung der Frist war aufgrund der mangelnden "klaren Schuldlosigkeit" der Beschwerdeführerin ausgeschlossen, und der Anspruch auf rechtliches Gehör gilt nicht für verspätete Eingaben. Die CO2-Sanktion für das Jahr 2021 wurde somit korrekterweise auf Basis der Typengenehmigungsdaten berechnet.