Gerne fasse ich das bereitgestellte Urteil des schweizerischen Bundesgerichts detailliert zusammen:
Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts (4A_542/2024 vom 9. September 2025)
I. Parteien und Streitgegenstand
- Beschwerdeführer (Arbeitnehmer): A.__, vertreten durch Me Inès Feldmann.
- Beschwerdegegnerin (Arbeitgeberin): B._AG (vormals C._ AG), vertreten durch Me Joachim Lerf.
- Streitgegenstand: Arbeitsvertragliche Forderungen (insbesondere Lohn und Arbeitszeugnis).
- Zentrale Rechtsfrage: Die örtliche Zuständigkeit (ratione loci) des Gerichts am Ort der Klageerhebung, wovon die Zulässigkeit der Klage abhängt.
II. Sachverhalt und Prozessgeschichte
- Arbeitsverhältnis: A._ wurde per 1. Januar 2018 als Handelsreisender unbefristet und im Vollzeitpensum von C._ AG (später B._ AG) eingestellt. Der Arbeitsort wurde vertraglich als "Région de vente Romandie" angegeben. Der Arbeitnehmer übte seine Tätigkeit im Homeoffice aus, zunächst von U._ aus.
- Wohnsitzwechsel: Am 1. August 2019 verlegte der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz von U._ nach V._.
- Kündigung und Vertragsende: Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis am 5. August 2019 per 30. November 2019. Aufgrund mehrerer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeiten des Arbeitnehmers verlängerte sich das effektive Vertragsende gemäss den Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts bis zum 31. März 2020.
- Klage und Vorinstanzen:
- Am 25. Januar 2021 reichte der Arbeitnehmer Klage beim Tribunal civil de l'arrondissement de Lausanne (Arrondissementsgericht Lausanne) ein.
- Die Arbeitgeberin bestritt die örtliche Zuständigkeit des Gerichts von Lausanne und beantragte primär die Unzulässigkeit der Klage.
- Das Arrondissementsgericht Lausanne hiess die Klage des Arbeitnehmers im April 2023 teilweise gut, bejahte somit implizit seine Zuständigkeit.
- Die Cour d'appel civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud (Kantonales Appellationsgericht Waadt) hiess die Berufung der Arbeitgeberin gut und erklärte die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit als unzulässig. Es stellte fest, dass der massgebende Tätigkeitsort in V._ und damit im Arrondissement de l'Est vaudois liege, nicht aber im Arrondissement von Lausanne (wo U._ liegt).
- Beschwerde an das Bundesgericht: Der Arbeitnehmer focht diesen Entscheid vor dem Bundesgericht an und beantragte die Aufhebung des kantonalen Urteils sowie die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung.
III. Erwägungen des Bundesgerichts
Das Bundesgericht prüfte zunächst die Zulässigkeit der Beschwerde, welche es im Grundsatz bejahte (Rz. 1). Anschliessend ging es auf die Tragweite seiner Überprüfung (Rz. 2) und die rechtlichen Grundlagen der örtlichen Zuständigkeit im Arbeitsrecht (Rz. 3) ein, bevor es diese auf den vorliegenden Fall anwandte (Rz. 4).
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Prüfungsrahmen des Bundesgerichts (Rz. 2):
- Das Bundesgericht überprüft die Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft aber nur die gerügten Punkte, es sei denn, eine Rechtsverletzung sei offensichtlich.
- Es ist an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Berichtigung oder Ergänzung ist nur möglich, wenn die Feststellungen offensichtlich unrichtig (d.h. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV) sind oder auf einer Rechtsverletzung beruhen und für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein können (Art. 105 Abs. 2, Art. 97 Abs. 1 BGG).
- Eine Sachverhaltsrüge unterliegt dem strengen Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG), und blosse appellatorische Kritik ist unzulässig. Willkür bei der Beweiswürdigung liegt nur vor, wenn der Richter den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt, ohne sachlichen Grund relevante Beweise nicht berücksichtigt oder gestützt auf die erhobenen Beweise unhaltbare Schlüsse gezogen hat.
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Rechtliche Grundlagen zur örtlichen Zuständigkeit im Arbeitsrecht (Rz. 3):
- Grundsatz (Rz. 3.1): Eine natürliche oder juristische Person hat das Recht, vor dem Gericht ihres Wohnsitzes bzw. Sitzes verklagt zu werden (Art. 10 ZPO i.V.m. Art. 30 Abs. 2 BV).
- Sondergerichtsstand im Arbeitsrecht (Rz. 3.1): Art. 34 Abs. 1 ZPO sieht einen alternativen Gerichtsstand für arbeitsrechtliche Streitigkeiten vor: "Das Gericht am Wohnsitz oder Sitz des Beklagten oder an dem Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine berufliche Tätigkeit ausübt, ist für Klagen aus dem Arbeitsrecht zuständig."
- Schutzzweck: Diese Bestimmung schützt den Arbeitnehmer als die sozial schwächere Partei. Ein Verzicht auf diesen Gerichtsstand vor Entstehung der Streitigkeit oder durch stillschweigende Annahme ist ausgeschlossen (Art. 35 Abs. 1 lit. d ZPO).
- Definition des "gewöhnlichen Tätigkeitsorts" (Rz. 3.2):
- Massgebend ist der effektive Schwerpunkt der Tätigkeit. Ein theoretisch vertraglich festgelegter Arbeitsort ist unbeachtlich, wenn dort keine Tätigkeit ausgeübt wurde. Die konkreten Umstände des Einzelfalls sind entscheidend, wobei quantitative und qualitative Aspekte zu berücksichtigen sind. Die tatsächliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses geht einem vorgängigen theoretischen Abkommen vor.
- Ein rein ephemerer oder vorübergehender Tätigkeitsort genügt nicht.
- Bei Telearbeit (Homeoffice) ist der Ort der Tätigkeit ein Element unter anderen in der Gesamtbeurteilung.
- Bei mehreren Tätigkeitsorten ist derjenige massgebend, der sich als offensichtlich zentral erweist (quantitatives Kriterium: der Ort, an dem der Arbeitnehmer den Grossteil seiner Arbeitszeit verbringt) oder eine hinreichend stabile und intensive Beziehung zum Streitgegenstand aufweist (qualitatives Kriterium).
- Für Handelsreisende oder Aussendienstmitarbeiter kann der gewöhnliche Tätigkeitsort ihr persönlicher Wohnsitz sein, wenn sie von dort aus ihre Reisen planen, organisieren und administrative Aufgaben erledigen.
- Der Gerichtsstand kann somit auch dort liegen, wo der Arbeitgeber keine Niederlassung hat.
- Selbst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bleibt der Gerichtsstand am Ort der gewöhnlich ausgeübten Tätigkeit bestehen.
- Änderung des Tätigkeitsorts während des Vertragsverhältnisses (Rz. 3.3):
- Wechselt der effektive Tätigkeitsort während der Vertragsdauer (z.B. durch Verlegung des Büros oder Änderung des Tätigkeitsbereichs), so ist der Gerichtsstand am Ort der jüngsten Tätigkeitsperiode massgebend, sofern dieser Ort dazu bestimmt war, der neue gewöhnliche Arbeitsort zu werden.
- Querverweis: Das Bundesgericht verweist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), insbesondere das Urteil vom 27. Februar 2002 in der Rechtssache C-37/00 Herbert Weber und Universal Ogden Services Ltd. Dieses Urteil präzisierte Art. 5 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens (Vorbild des Lugano-Übereinkommens, das wiederum Art. 34 ZPO prägte). Der EuGH hielt fest, dass bei einem dauerhaften Wechsel des Tätigkeitsorts der jüngste Arbeitsort massgebend ist, wenn dieser nach dem klaren Willen der Parteien zum neuen gewöhnlichen Arbeitsort werden sollte.
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Anwendung auf den vorliegenden Fall (Rz. 4):
- Faktische Feststellungen der Vorinstanz (Rz. 4.1): Das kantonale Gericht stellte fest, dass der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz am 1. August 2019 nach V._ verlegt hatte. Dies sei eine dauerhafte (nicht ephemere) Änderung seines Arbeitsorts gewesen, wodurch V._ zum massgebenden gewöhnlichen Tätigkeitsort wurde. Die spätere Kündigung und Arbeitsunfähigkeit änderten nichts an dieser Analyse. Da V.__ im Arrondissement de l'Est vaudois und nicht im Arrondissement Lausanne liegt, sei das Gericht in Lausanne örtlich unzuständig gewesen.
- Zurückweisung der Sachverhaltsrügen des Beschwerdeführers (Rz. 4.2.1): Das Bundesgericht weist die Rügen des Beschwerdeführers bezüglich unvollständiger oder willkürlicher Sachverhaltsfeststellung zurück. Der Beschwerdeführer habe weder dargelegt, dass er die vermeintlich übergangenen Fakten prozesskonform vor den kantonalen Instanzen vorgebracht und bewiesen habe, noch seien einige der vorgebrachten Umstände (z.B. Arbeitsunfähigkeit vor dem 1. August, Feiertag am 1. August, Freistellung nach Kündigung) entscheidungserheblich. Insbesondere widerlege die Anwesenheitsliste nicht, dass er im August 2019 gearbeitet habe, sondern zeige zwei "Anwesenheitstage" zwischen dem 1. und 5. August (wahrscheinlich 2. und 5. August).
- Abweisung der Rechtsrüge (Art. 34 Abs. 1 ZPO) des Beschwerdeführers (Rz. 4.2.2):
- Der Beschwerdeführer argumentierte, er habe in V._ nie tatsächlich gearbeitet (Feiertag am 1. August, keine Arbeit am 2. und 5. August, Kontaktverbot/Freistellung ab 5. August) und der Tätigkeitsort V._ sei daher ephemer gewesen und nicht mit dem Arbeitgeber vereinbart worden.
- Das Bundesgericht hält diesen Argumenten entgegen, dass sie auf Sachverhaltselementen beruhten, die nicht von der Vorinstanz festgestellt worden waren und deren Willkür der Beschwerdeführer nicht dargelegt habe.
- Es stehe fest, dass der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz am 1. August 2019 nach V.__ verlegt hatte und gemäss den Feststellungen der Vorinstanz mindestens am 2. und 5. August 2019 von dort aus gearbeitet hat.
- Dieser Wohnsitzwechsel hatte einen dauerhaften Charakter, im Gegensatz zu einer bloss ephemeren Tätigkeit.
- Auch wenn der Arbeitgeber möglicherweise nicht sofort über den Wohnsitzwechsel informiert wurde, bestand die grundsätzliche Übereinkunft, dass der Arbeitnehmer seine Planungs-, Organisations- und administrativen Aufgaben von zu Hause aus erledigte.
- Folglich war V._ der letzte Ort, an dem der Arbeitnehmer seine berufliche Tätigkeit im Sinne von Art. 34 Abs. 1 ZPO gewöhnlich ausgeübt hat. Eine Klage am früheren Wohnsitz in U._ (Lausanne) war nicht mehr zulässig.
- Die Vorinstanz habe die Klage somit zu Recht wegen örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts als unzulässig erklärt.
IV. Fazit des Bundesgerichts
Die Beschwerde wird abgewiesen, und die Kosten werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:
Das Bundesgericht bestätigte die Unzuständigkeit des Gerichts von Lausanne für die arbeitsrechtliche Klage des Arbeitnehmers. Es präzisierte, dass der massgebende gewöhnliche Tätigkeitsort im Sinne von Art. 34 Abs. 1 ZPO nicht der vertraglich vereinbarte, sondern der tatsächlich und zuletzt ausgeübte Tätigkeitsort ist, sofern dieser auf Dauer angelegt war und die Parteien die Homeoffice-Tätigkeit von dort aus vereinbart hatten. Im vorliegenden Fall wurde der neue Wohnsitz und Arbeitsort des Arbeitnehmers in V.__, der nur wenige Tage vor der Kündigung gewechselt wurde, als der massgebende und dauerhaft intendierte Ort angesehen. Die Sachverhaltsrügen des Arbeitnehmers gegen diese Feststellung wurden als unbegründet abgewiesen.