Zusammenfassung von BGer-Urteil 4A_143/2025 vom 30. September 2025

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Detaillierte Zusammenfassung des Urteils des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_143/2025 vom 30. September 2025

Parteien und Gegenstand: Die Beschwerdeführerin, A._ AG, beantragte die Berichtigung des Grundbuchs, um wieder als Alleineigentümerin zweier Grundstücke in U._ eingetragen zu werden. Sie hatte diese Grundstücke am 28. Januar 2020 für CHF 101'250'000.-- an die Beschwerdegegnerin, B._ AG, verkauft. Die Beschwerdeführerin machte geltend, der Kaufvertrag sei nichtig, da ihr einziger Verwaltungsrat und Zeichnungsberechtigter, C._, zum Zeitpunkt der Unterzeichnung zufolge exzessiven Opioidkonsums und einer akuten Belastungsreaktion urteilsunfähig gewesen sei. Zudem sei der Kaufvertrag wegen falscher Beurkundung des Kaufpreises ungültig. Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage der Beschwerdeführerin ab.

Prüfungsstandard des Bundesgerichts: Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Korrektur oder Ergänzung dieser Sachverhaltsfeststellung ist nur zulässig, wenn sie offensichtlich unrichtig (willkürlich) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG), und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Für die Rüge des festgestellten Sachverhalts gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Recht wendet das Bundesgericht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft aber grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen.

Massgebende Punkte und rechtliche Argumente des Gerichts:

1. Die Frage der Urteilsunfähigkeit von C.__ (Ablehnung der Klage in der Sache):

Die Hauptrüge der Beschwerdeführerin betraf die Abweisung ihrer Klage durch das Handelsgericht wegen mangelnder Substanziierung der behaupteten Urteilsunfähigkeit von C.__ und ungenügender Beweisanträge ohne Beweisabnahme.

  • Grundsätze der Behauptungs- und Substanziierungslast: Das Bundesgericht weist einleitend auf die Grundsätze des Verhandlungsgrundsatzes (Art. 55 Abs. 1 ZPO) und der Behauptungs- und Substanziierungslast hin. Demnach müssen Parteien die Tatsachen, auf die sie ihre Ansprüche stützen, sowie die dazugehörigen Beweismittel angeben. Ein Tatsachenvortrag muss so schlüssig sein, dass er bei Unterstellung seiner Wahrheit den Schluss auf die anbegehrte Rechtsfolge zulässt (vgl. BGE 127 III 365 E. 2b). Bei Bestreitung durch die Gegenpartei verstärkt sich die Substanziierungslast, sodass die Vorbringen in Einzeltatsachen zergliedert und umfassend dargelegt werden müssen, um Beweisabnahmen oder Gegenbeweise zu ermöglichen (vgl. BGE 144 III 519 E. 5.2.1.1). Beweismittel müssen klar den zu beweisenden Tatsachenbehauptungen zugeordnet werden können (Art. 221 Abs. 1 lit. d und e ZPO; vgl. BGE 147 III 440 E. 5.3).

  • Beweisführungsanspruch und antizipierte Beweiswürdigung: Der Anspruch auf Beweisführung (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 8 ZGB, Art. 152 ZPO) schliesst die antizipierte Beweiswürdigung nicht aus. Ein Gericht darf auf die Abnahme beantragter Beweise verzichten, wenn es aufgrund bereits abgenommener Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür annehmen kann, dass weitere Beweiserhebungen seine Überzeugung nicht ändern würden (vgl. BGE 136 I 229 E. 5.3). Das Bundesgericht überprüft die antizipierte Beweiswürdigung nur unter Willkürgesichtspunkten (vgl. BGE 138 III 374 E. 4.3.2).

  • Detaillierte Begründung des Handelsgerichts (vom Bundesgericht bestätigt): Das Handelsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die Beschwerdeführerin habe den behaupteten Rauschzustand und die Belastungsreaktion, die zur Urteilsunfähigkeit von C.__ geführt haben sollen, nicht rechtsgenügend substanziiert und bewiesen.

    • Opioidkonsum und Gewöhnungseffekt: Die Beschwerdeführerin behauptete eine starke Dosissteigerung von Opioid-Schmerzmitteln, die nach Weihnachten 2019 und Mitte Januar 2020 sukzessive zugenommen und in den letzten 24 Stunden vor Vertragsunterzeichnung exzessiv (je sieben Targin und Oxynorm) geworden sei. Das Handelsgericht sah dies als unsubstanziiert an, da die Beschwerdegegnerin die Dosissteigerung bestritten hatte. Insbesondere sei angesichts des möglichen Gewöhnungseffekts bei Opioiden – von dem auch die privaten Gutachter der Beschwerdeführerin nach zwei Wochen stabiler Einnahme keinen Einfluss auf die Kognition mehr annahmen – der genaue Konsum vor dem Stichtag für die Beurteilung der Urteilsfähigkeit entscheidend. Die pauschalen Angaben zur Steigerung nach Weihnachten 2019 liessen jedoch keine genaue Ermittlung des Gewöhnungseffekts zu.
    • Tablettenvorrat: Das Handelsgericht stellte fest, dass der nachweislich bezogene Tablettenvorrat (240 Stück zwischen Juli und Oktober 2019) bereits bei einer durchschnittlichen täglichen Einnahme von nur drei Tabletten spätestens am 23. Januar 2020 – also vor dem streitgegenständlichen Vertragsschluss – aufgebraucht gewesen wäre. Damit fehle dem behaupteten exzessiven Konsum in den letzten 24 Stunden vor Vertragsunterzeichnung die tatsächliche Grundlage.
    • Zeitpunkte der Medikamenteneinnahme: Selbst wenn ein Vorrat bestanden hätte, fehlten konkrete Angaben zu den Einnahmezeitpunkten. Dies sei jedoch entscheidend, da Targin ein retardierendes Präparat mit verzögerter Wirkung (drei bis vier Stunden bis zum Maximalspiegel) und Oxynorm ein schnell wirkendes Medikament (45 bis 60 Minuten bis zum Maximalspiegel) sei. Ohne genaue Angaben, wann C.__ die angeblich 14 Tabletten eingenommen haben soll, könne der Medikamenteneinfluss zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (nach 17.00 Uhr) nicht beurteilt werden.
    • Schwellenwerte für Rauschzustand: Die Beschwerdeführerin unterliess es, rechtsgenügend zu behaupten, ab welchen Mengen oder Konzentrationen opioidhaltiger Schmerzmittel bzw. ab welcher Steigerung ein Rauschzustand eintrete, der zur Urteilsunfähigkeit führen würde.
    • Akute Belastungsreaktion: Die Beschwerdeführerin machte geltend, die Belastungsreaktion habe die Opioidintoxikation lediglich verstärkt. Da die Intoxikation als nicht genügend behauptet und bewiesen erachtet wurde, erübrigte sich eine Beurteilung der Belastungsreaktion. Auch diese sei im Übrigen nicht rechtsgenügend substanziiert gewesen, da die pauschalen Angaben zu Schmerzen, Schlafmanko und Existenzangst zu vage waren.
  • Bestätigung der Vorinstanz durch das Bundesgericht: Das Bundesgericht schloss sich den Erwägungen des Handelsgerichts vollumfänglich an und erachtete dessen Schlussfolgerung, wonach eine Urteilsunfähigkeit von C.__ nicht rechtsgenügend erstellt sei, als willkürfrei und bundesrechtskonform.

    • Die Feststellung zum erschöpften Tablettenvorrat basierte auf den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin und war willkürfrei. Dies entziehe der Behauptung eines Rauschzustandes im relevanten Zeitraum die Grundlage.
    • Die Anforderungen an die Behauptungslast für den Opioidkonsum und die genauen Einnahmezeitpunkte waren nicht überhöht, da dies für die Beurteilung der Blutkonzentration und der möglichen Auswirkungen auf die Urteilsfähigkeit entscheidend war. Die Beschwerdeführerin hätte dies durch ärztliche Dokumentation genauer substanziieren können.
    • Es wurde betont, dass Beweisofferten (wie das private Gutachten, das auf C.__s anamnestischen Angaben beruhte) ungenügende und unsubstanziierte Parteibehauptungen nicht ersetzen können. Die Urteilsfähigkeit wird gemäss Art. 16 ZGB vermutet, und die Beschwerdeführerin konnte das Gegenteil nicht hinreichend darlegen.
    • Das Bundesgericht hielt ferner fest, dass selbst wenn die Behauptungen zum Opioidkonsum der Wochen vor dem Vertragsschluss als genügend substanziiert erachtet worden wären, ein Gewöhnungseffekt, wie ihn selbst die Gutachter der Beschwerdeführerin nach zwei Wochen stabilem Konsum annahmen, eingetreten wäre. Von einer plötzlichen Dosissteigerung, die zur Intoxikation hätte führen können, könne daher nicht gesprochen werden. Die behauptete Einnahme von 14 Opioidtabletten am Tag der Vertragsunterzeichnung sei weder genügend behauptet noch erwiesen.
    • Die Rüge bezüglich der akuten Belastungsreaktion wurde ebenfalls abgewiesen, da diese nur verstärkend wirken sollte und die Hauptursache der behaupteten Urteilsunfähigkeit (Opioidintoxikation) nicht bewiesen war.

2. Die Frage der Kostenfestsetzung (Teilweise Gutheissung der Beschwerde):

Die Beschwerdeführerin beanstandete die Festsetzung der Gerichtsgebühr und der Parteientschädigung als krass unverhältnismässig.

  • Grundsätze der Kostenfestsetzung: Die Festsetzung der Prozesskosten richtet sich nach kantonalem Recht (Art. 96 ZPO) und wird vom Bundesgericht nur unter dem Blickwinkel der Willkür überprüft (vgl. BGE 136 I 241 E. 2.4). Im Kanton Zürich bildet der Streitwert die Grundlage für die Gebühr (§ 2 Abs. 1 lit. a AnwGebV/ZH), wobei bei einem offensichtlichen Missverhältnis zwischen Streitwert und notwendigem Zeitaufwand eine Anpassung (Erhöhung oder Herabsetzung) erfolgen kann (§ 2 Abs. 2 AnwGebV/ZH), um dem Äquivalenzkriterium Rechnung zu tragen.

  • Begründung des Bundesgerichts: Das Bundesgericht erachtete die Rüge der Beschwerdeführerin als begründet. Obwohl die Gerichtsgebühr von CHF 577'000.-- auf dem hohen Streitwert von rund CHF 100 Mio. basiere, sei die Reduktion auf CHF 400'000.-- durch die Vorinstanz ungenügend und ohne Begründung erfolgt. Das Bundesgericht stellte fest, dass der tatsächliche (zeitliche) Aufwand des Handelsgerichts begrenzt war, da es auf eine Beweisabnahme verzichtete. Das offensichtliche Missverhältnis zwischen der festgesetzten Gerichtsgebühr und dem geringen Aufwand (trotz zweifachen Schriftenwechsels und Vergleichsverhandlung) sei willkürlich. Die Angelegenheit sei weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht besonders komplex gewesen, und das Urteil umfasse lediglich 24 Seiten. Das Gleiche gelte für die Parteientschädigung an die Beschwerdegegnerin, die auf CHF 600'000.-- festgesetzt wurde, obwohl diese keine Kostennote eingereicht hatte. Auch hier fehle es an einem nachvollziehbaren Verhältnis zum Aufwand. Das Handelsgericht muss die Verfahrens- und Parteikosten neu und nachvollziehbar begründen.

Fazit des Bundesgerichts:

Das Bundesgericht weist die Beschwerde in der Sache (d.h. betreffend die Urteilsunfähigkeit und die Grundbuchberichtigung) ab. Es heisst die Beschwerde jedoch teilweise gut, indem es die Ziffern 2-4 des angefochtenen Urteils (Kostenfestsetzung) aufhebt und die Sache zur Neufestsetzung der Kosten an das Handelsgericht des Kantons Zürich zurückweist. Die Gerichtskosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (CHF 70'000.--) werden der Beschwerdeführerin auferlegt, die Beschwerdegegnerin wird von der Beschwerdeführerin mit CHF 80'000.-- entschädigt, wobei diese Beträge angesichts des teilweisen Obsiegens der Beschwerdeführerin im Kostenpunkt reduziert wurden.

Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte:

Das Bundesgericht bestätigt die Abweisung der Klage auf Grundbuchberichtigung durch das Handelsgericht. Es befand, dass die Beschwerdeführerin die angebliche Urteilsunfähigkeit ihres Geschäftsführers (aufgrund von Opioidintoxikation und akuter Belastungsreaktion) zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht ausreichend und schlüssig substanziiert hatte. Insbesondere fehlten konkrete Angaben zum Drogenkonsum, zum Medikamentenvorrat und zu den Einnahmezeitpunkten, was die Beurteilung eines Rauschzustandes verunmöglichte und die Vermutung der Urteilsfähigkeit (Art. 16 ZGB) nicht zu entkräften vermochte. Eine beantragte Beweisabnahme wurde aufgrund dieser Mängel und der willkürfreien antizipierten Beweiswürdigung der Vorinstanz zu Recht verweigert.

Hingegen gibt das Bundesgericht der Beschwerdeführerin im Kostenpunkt recht. Es rügt die Vorinstanz dafür, die Gerichts- und Parteikosten als unverhältnismässig hoch festgesetzt und dies unzureichend begründet zu haben, insbesondere angesichts des geringen Aufwands (keine Beweisabnahme in der Sache). Die Kostenfestsetzung wird zur Neubeurteilung an das Handelsgericht zurückgewiesen.